Proteste gegen Energiepolitik: Parteien kämpfen vor allem für sich
Parteien wollen einen "heißen Herbst" in Deutschland – und sich durch die soziale Schieflage profilieren. In ihren Zielen unterscheiden sie sich mitunter fundamental. Ein Kommentar.
Kürzlich in Neuruppin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte mit den Bürgern in den Dialog treten, musste dann aber gegen ein Pfeifkonzert und lautstarke Sprechchöre ansprechen. Nur mit Mühe konnte er sich Gehör verschaffen.
Was Scholz letzte Woche Mittwoch in dieser Kleinstadt in Brandenburg erleben durfte, könnte ab dem Herbst in weiten Teilen der Republik wiederholt werden: In Neuruppin hatte Die Linke zum Protest aufgerufen, ebenso die "Alternative für Deutschland" (AfD).
Beide Parteien haben einen "heißen Herbst" angekündigt und inzwischen haben auch beide Parteien zu Montagsdemonstrationen aufgerufen. Die Linke ruft auf zu einem "heißen Herbst gegen die soziale Kälte", während die AfD unter dem Motto marschieren will: "Heißer Herbst statt kalte Füße!"
Die Plätze in Deutschlands Städten dürften damit im Herbst umkämpft sein: Für beide Parteien kommt es nicht infrage, gemeinsam gegen die Politik der Bundesregierung zu demonstrieren. Die Linke versucht jeher, sich gegen vermeintliche und echte rechte Demonstranten abzugrenzen.
Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla hatte am Dienstag seinerseits laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) klargestellt: "Wir haben es nicht nötig, dass wir mit den Linken oder den Freien Sachsen auf die Straße gehen".
Grundsätzliche Unterschiede zwischen linken und rechten Aufrufen
Der Unterschied zwischen beiden Parteien in dieser Frage ist nicht nur oberflächlich, sie betrachten die Ursache der sozialen Schieflage – Krieg in der Ukraine und westliche Sanktionen – verschieden.
Der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan hatte in seinem ZDF-Sommerinterview betont: Die Linke unterstützt die westlichen Sanktionen gegen Russland. Außerdem halte er das Öffnen der Gasleitung Nord Stream 2 für einen Fehler. Mit anderen Worten: Die Linke möchte lediglich, dass die Folgen der westlichen Sanktionen sozial abgefedert werden.
Chrupalla erklärte dagegen jüngst, seine Partei stehe nicht für eine werte-, sondern für eine interessengeleitete Außenpolitik. "Keine Umlage kann den Schaden beheben, den die Ampel mit ihrer wertegeleiteten Außenpolitik anrichtet", erklärte er. Eine Gasumlage zur Rettung von Gaskonzernen wäre überhaupt nicht nötig, wenn "Herr Habeck Russland nicht den Wirtschaftskrieg erklärt" hätte. Obendrein gäbe es billiges Gas im Überfluss, wenn Nord Stream 2 aufgedreht würde.
Man sollte sich aber nicht wundern, wenn auch noch die Christdemokraten im Herbst zu Protesten aufriefen. Auch sie erkennen die Gunst der Stunde für die parlamentarische Opposition – und nach außen hin geben sie vor, eine soziale oder gar antikapitalistische Ader an sich entdeckt zu haben.
Gasumlage sichert Gewinne von Gaskonzernen
"Die Gasumlage ist quasi eine Übergewinnumlage – auch Konzerne mit Milliardengewinnen erhalten Geld, die Bürger zahlen über die Gasrechnung", erklärte am Dienstag der ehemalige Gesundheitsminister und der aktuelle Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn gegenüber dpa. "Diese Chaos-Umlage bringt Bürokratie, Verunsicherung und eine Umverteilung von unten nach oben", sagte er weiter.
Aus seinem Mund klingen die Worte zwar nicht glaubwürdig – falsch sind sie dennoch nicht: Über die Gasumlage sollen die Gasverbraucher 34 Milliarden Euro aufbringen, um Unternehmen zu "retten", die nicht unbedingt Hilfe bräuchten. Nicht alle Unternehmen, die Mittel aus der Gasumlage beantragt haben, droht die Insolvenz.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine drohende Insolvenz auch gar nicht zum entscheidenden Kriterium gemacht. "Wir stehen auf dem Standpunkt, dass ein Unternehmen auch Gewinne machen muss", hatte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums am Montag erklärt. Mit anderen Worten: Die Aufgabe der Gasverbraucher ist es, über die Gasumlage die Gewinne der Unternehmen abzusichern.
Die Kritik daran ist noch verhalten – und ob von der Opposition eine echte Lösung präsentiert werden wird, ist noch offen. Denn eine Lösung, die nicht an der Wurzel des Problems ansetzt, wird den Menschen in Deutschland letztlich keine Erleichterung bringen.
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