Putin-Telefonat und Palastrevolte: Wird Scholz noch Kanzlerkandidat?
Innerhalb der SPD regt sich Widerstand: Ex-Parteichef sieht kein Anrecht von Scholz auf die Kandidatur. Schwere Vorwürfe kommen derweil von außen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht wegen seines Telefonats mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nach zweijähriger Funkstille unter Druck.
Wem Scholz nicht abschreckend genug ist
Er soll Putin zu Friedensverhandlungen mit der Ukraine aufgefordert haben - und erntet dafür nicht nur massive Kritik von Seiten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem britischen Ex-Verteidigungsminister Ben Wallace, der Scholz das "schwache Glied" in der Kette der Abschreckung nannte, sondern auch in der deutschen Politik- und Medienlandschaft.
Vorwurf: Zauderer und Friedensfürst im Wahlkampf
Scholz mache sich "zur internationalen Lachnummer" und gefährde die europäische Sicherheit, meint etwa der sicherheitspolitische Korrespondent des Deutschlandfunks (DLF), Marcus Pindur.
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Zwischen Kriegstüchtigkeit und Friedenspolitik: Das Medienduell Scholz-Pistorius
"Der deutsche Kanzler biedert sich an, der schwächste Kanzler seit Jahrzehnten", befand er am Samstag in einem DLF-Kommentar. "Ein Kanzler, der sich demütigen lässt, um sich im Wahlkampf als Friedensfürst zu inszenieren." Pindur bekräftigte zudem die Forderung, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern und warf Scholz’ "Zaudern und Zögern, getarnt als Besonnenheit" vor, weil er nicht voll auf den militärischen Sieg der Ukraine setze.
Taurus-Lieferung: Scholz vertritt hier die Mehrheitsposition
In einer Deutschlandtrend-Umfrage im Frühjahr hatte sich eine klare Mehrheit gegen die Lieferung der reichweitenstarken Taurus-Marschflugkörper ausgesprochen. Viele hatten demnach Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Vor diesem Hintergrund wird Scholz’ Haltung in dieser Frage nun in Teilen als Wahlkampf-Pose interpretiert.
Während Scholz in diesem Punkt bislang mehrheitsfähig agiert, war die Mehrheit der Bevölkerung insgesamt in letzter Zeit unzufrieden mit seiner Politik: 58 Prozent gaben dies im September in einer Umfrage für das ZDF-Politbarometer an.
Auch SPD-Wähler stehen laut Umfrage nicht hinter Scholz
Auch die Mehrheit der SPD-Wähler wünschte sich Scholz in diesem Herbst nicht mehr als Kanzlerkandidaten. Innerhalb der SPD werden inzwischen verstärkt Forderungen laut, für die Neuwahlen im Februar statt Scholz den laut Umfragen beliebteren Verteidigungsminister Boris Pistorius aufzustellen.
Laut einem Bericht des Magazins Spiegel haben sich am vergangenen Dienstag SPD-Bundestagsabgeordnete bei einem Treffen des "Seeheimer Kreises" für Pistorius statt Scholz ausgesprochen.
Besonders kritisch äußerte sich demnach der Abgeordnete Joe Weingarten aus Rheinland-Pfalz: Nach dessen Worten sei Olaf Scholz bei den Menschen im Land "unten durch", berichtete das Magazin am Samstag unter Berufung auf Teilnehmerkreise.
Ex-Parteichef: Kanzlerkandidaturen sind kein Spiel
Nach Meinung von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering hat Scholz zumindest kein Vorrecht auf eine weitere Kanzlerkandidatur. Eine solche sei nämlich "kein Spiel, das zwei oder mehr Kandidaten abends beim Bier oder beim Frühstück vereinbaren oder das ein Vorrecht auf Wiederwahl umfasst", sagte Müntefering an diesem Wochenende dem Tagesspiegel.
Der Kandidat oder die Kandidatin müsse auf einem SPD-Parteitag gewählt werden "Selbstverständlich sind Gegenkandidaturen in der eigenen Partei grundsätzlich möglich und kein Zeichen von Ratlosigkeit. Sie sind praktizierte Demokratie", sagte Müntefering.
Er widersprach damit Aussagen der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie weiterer führender SPD-Politiker, die sich auf eine erneute Kandidatur von Scholz festgelegt hatten.
Verteidigungsminister Pistorius als Wunsch-Alternative
Bereits vor zwei Monaten hatte sich der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter offen Pistorius als Kanzlerkandidaten gewünscht – denn im INSA-Ranking der beliebtesten deutschen Politiker lag Pistorius auf dem ersten Platz, während Scholz weit abgeschlagen nur Platz 19 erreichte.
"Wenn jemand wie Boris Pistorius ein solches Ansehen hat, muss die SPD auch darüber nachdenken, ob er die beste Wahl für die Kanzlerkandidatur ist oder ob man mit dem amtierenden Bundeskanzler ins Rennen geht", hatte Reiter seinerzeit dem Tagesspiegel erklärt.
"Wann merkt Scholz, dass er der schlechtere Pistorius ist?", fragte an diesem Sonntag Bild online mit Blick auf eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA für Bild am Sonntag: Die Mehrheit der Befragten will demnach "lieber Pistorius als Scholz im Kanzler-Rennen sehen. 45 Prozent aller Befragten sind eher für Pistorius, 35 Prozent für Scholz".
Pistorius will Taurus-Bestand der Bundeswehr aufstocken
In der Taurus-Frage hatte sich Pistorius bisher zurückhaltend gezeigt und erklärt, die Lieferung der Marschflugkörper sei für die Ukraine nicht kriegsentscheidend. Er plant allerdings nach Medienberichten den Kauf von 600 weiteren Marschflugkörpern dieses Typs. Vorerst will er demnach den Bestand der Bundeswehr aufstocken.
Scholz hatte die Lieferung an die Ukraine abgelehnt, weil mit diesem Waffentyp aufgrund der Reichweite von 500 Kilometern auch Ziele in Russland getroffen werden könnten – dann werde Deutschland als Lieferant womöglich vom Kreml als Kriegspartei betrachtet.
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