Putins Wandel vom Freund der Deutschen zum Gegner des Westens
Die Einstellung des russischen Präsidenten zur Außenpolitik hat langfristig eine Metamorphose durchlaufen – als Reaktion auf den Eindruck, den er vom Westen hat
Ein Auszug aus dem kürzlich erschienenen Sachbuch "Putin ist nicht Russlands Zar"
Putins aktuelle geopolitische Ansichten haben wenig mit dem zu tun, was er zu seinem Amtsantritt vor über 20 Jahren dachte. Wenn Putin-Fans heute immer noch oft seine sehr deutschlandfreundliche Rede aus dem Bundestag kurz nach Beginn seiner Präsidentschaft zitieren und in sozialen Netzwerken posten, vergessen sie manchmal, dass eine solche Rede heute undenkbar wäre – nicht nur wegen dem inzwischen sehr putin-kritischen, wenn nicht feindlichen Klima in der deutschen Politik, sondern zusätzlich wegen einer völlig anderen Einstellung des russischen Präsidenten selbst.
Um die mögliche Prägung Putins durch seine KGB-Vergangenheit soll es hier nicht gehen – denn seine Karriere als Spitzenpolitiker dauert inzwischen länger an, als es seine KGB-Zeit überhaupt gewesen ist. Sie war in Bezug auf seine heutigen, eigenen politischen Absichten und Ansichten mit Sicherheit einflussreicher als seine nun Jahrzehnte zurückliegende Zeit der Agententätigkeit.
Begegnung mit Russland als "großem Finnland"
Das gilt insbesondere für die Einstellung des russischen Präsidenten zum Westen. Aus Putins eigener Sicht habe er in den ersten fünfzehn Jahren seiner Zeit als politischer Anführer alles getan, um freundschaftliche Beziehungen zum Westen aufzubauen, schreibt der bekannte russische Kreml-Kenner und Journalist Michail Sygar. Begegnet wurde ihm gerade von Seiten der US-Amerikaner wie einem "großen Finnland", einem zweitklassigen europäischen Staat, der sich auch unter die vom Westen damals dominierte Welt dementsprechend einzuordnen hatte.
Genau das hatte Putin aber nicht vor. Er sah laut Sygar die Rückkehr zu einer kälteren Rhetorik als Gelegenheit für einen anderen Dialog – nicht mehr harmonisch, aber dafür auf Augenhöhe. So hoffte er, den Westen zu überzeugen, dass das Gebiet der früheren Sowjetunion weiter ein Einflussbereich Russlands ist.
Die Rettungsmission für Russlands Außenpolitik
Aus dieser Überzeugung wurde nichts, der Westen rückte, wie wir alle wissen, immer weiter an die russische Grenze vor und sicherte sich nach von ihm unterstützten Umstürzen etwa neuen politischen Einfluss in der Ukraine und Georgien. Das habe laut Sygar Spuren in Putins Psyche hinterlassen: Er sah sich nun als Auserwählter der Mission, Russland außenpolitisch zu retten. Diese Mission hält er nach Einschätzung von Experten selbst für erfolgreich und Russland seit Beginn der konfrontativen Außenpolitik wieder auf dem Vormarsch.
Weil er sich sozusagen "berufen" fühlt, müssen offiziell die Dinge in Russland besser sein als etwa im westlichen Ausland oder dessen neuen Vasallen. Auf eine zeitlich weit entfernte Vorgängerregierung kann inzwischen kein Missstand mehr geschoben werden, also muss alles gut sein. Putin hat generell ein großes Selbstvertrauen und ist auch persönlich auf gutes Ansehen in der Bevölkerung bedacht.
Michail Sygar beschreibt sein Verhältnis zu seinen eigenen Wirtschaftsfachleuten damit, dass er ihnen Kompetenz nur im finanziellen Bereich zugestehe. Auf allen übrigen Gebieten glaube er, sich selbst besser auszukennen. Persönlich zerbräche er sich permanent den Kopf darüber, welche Entscheidungen seine Popularität steigern könnten. Wichtig sei für ihn, dass diese höher bleibt als die des ihn umgebenden Arbeitskollektivs.
Putins Denken kreist weiter um den Westen
Russland folgt als Reaktion auf das schlechtere Verhältnis zum Westen vor allem seit der Krim-Krise zum einen einem Kurs der möglichst großen Autarkie, zum anderen einer Neuausrichtung in Richtung Asien. Putins Denken kreist jedoch oft noch sehr um das Verhältnis zum Westen, so schlecht es auch ist.
Nach einer Rede Putins zur Außenpolitik im November 2021 merkte der regierungsnahe Politologe Fjodor Lukjanow an, es sei peinlich, dass Putin so stark nur den Westen in den Fokus nehme und in der aktuellen Rede die Verhältnisse zu anderen Staaten nur pro forma überhaupt erwähnt wurden. Zur gleichen Rede stellt die russische Tageszeitung Kommersant fest, dass für Putin die Zeit, da er mit dem Westen Einigungen erzielen wollte, vorbei sei. Es sei für ihn jetzt Zeit, den "westlichen Partnern" ihren Platz zu zeigen. Die militärischen Aktivitäten der NATO unweit der russischen Grenze seien für den Präsidenten das Thema Nummer eins.
Putins Meinung zum Westen war seit Mitte der Nuller-Jahre im Wandel und ist inzwischen überzeugt negativ – es handelt sich hier noch um eine Spätfolge der ungebremsten Expansion der Nato in früheren Jahrzehnten. Diese persönliche Auffassung des Präsidenten ist auch für die weitere Politikgestaltung in Bezug auf das Ausland wichtig. Das Außenministerium spielt in erster Linie die Rolle, die Tätigkeit der russischen Behörden im Ausland zu koordinieren und Infos zu sammeln.
Dieser Artikel ist ein Auszug dem Sachbuch "Putin ist nicht Russlands Zar", seit kurzem im deutschsprachigen Buchhandel erhältlich, ISBN 978-3-755-7541-83
Der Autor Roland Bathon schrieb zahlreiche Artikel für Telepolis. Außerdem arbeitete er journalistisch zu Russland-Themen für den Freitag, die Moskauer Deutsche Zeitung, das IPG-Journal, das Neue Deutschland und zusammen mit Julia Dudnik als Redakteur des Politmagazins Russland.direct.
Nachtrag: Was Putins Faible für Deutschland an sich angeht, so wurde dieses durch die langjährige politische Gegnerschaft offenbar zwar beiseite gedrängt, ist aber weiterhin vorhanden. Unter der Überschrift "Putin mag die Angelsachsen nicht und ist Deutschland gegenüber sehr tolerant" schreibt die Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta im Februar 2022, dass Putin weiter auf schroffe Bemerkungen über deutsche Kultur und Tradition verzichte. Gegenüber Deutschland sei er in seinen Äußerungen weiterhin toleranter als etwa gegenüber den USA.
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