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Qualifizierungsmaßnahmen und ihre Sinnhaftigkeit

Grafik: TP

Die Martin-Schulz-Ideen zur Arbeitspolitik sind nicht nur größtenteils symbolisch, sondern auch eine reine Wiederholung - Teil 2

Zu Teil 1: Arbeitslosengeld Q oder: von der Leyens Idee neu aufgewärmt [1]

Qualifizierungsmaßnahmen

Zu den Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit und seinen Dependanzen gehörten neben der Auszahlung von Transferleistungszahlungen weiterhin auch die Vermittlung von Erwerbstätigkeiten und, ganz im Sinne von "Fördern und Fordern", die Vermittlung von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zur Qualifizierung von Arbeitssuchenden.

"Mehr Jobsicherheit, mehr Herausforderung, mehr Aufstiegschancen: Wir unterstützen Ihre persönliche Bildungsoffensive mit zahlreichen Informationen sowie verschiedenen Fördermöglichkeiten und -programmen zur Weiterbildung." So beschreibt es die Bundesagentur für Arbeit in ihrer Selbstdarstellung [2].

Die Realität sieht so aus, dass es für diejenigen, die sich für eine Weiterbildung interessieren bzw. diese selbst sich aussuchen, oft schwer ist, hierfür Mittel zu erhalten da dies eine Kann-Leistung der Jobcenter darstellt und zudem sich durch eine des öfteren berichtete Taktik der Jobcenter der Weiterbildungssuchende in einer ausweglosen Situation diesbezüglich wiederfindet:

Der Trick hierbei ist, eine bestimmte Weiterbildung davon abhängig zu machen, dass sie automatisch zu einer neuen Erwerbstätigkeit führt. Einfach ausgedrückt: Erst wenn sich ein Arbeitgeber findet, der verbindlich eine Neuanstellung zusagt, sofern die Weiterbildung erfolgreich abgeschlossen wird, gibt es eine Kostenübernahme.

Da die Arbeitgeber eine solche Zusage nur selten abgeben, ist es einfach, die Kostenübernahme aus diesem Grund abzulehnen, weshalb die Chancen auf eine neue Erwerbstätigkeit z.B. durch das Erlernen von zusätzlichen Programmiersprachen, Softwareprogrammen oder anderen Qualifikationen sinken bzw. gleich schlecht bleiben. Für ALG II-Bezieher stehen zudem seit längerem weniger Gelder für Qualifikationsmaßnahmen zur Verfügung [3], Gelder werden stattdessen in die Verwaltung investiert.

Hinzu kommt, dass der Weiterbildungsmarkt bis heute steter Grund für Kritik ist [4]. Auch ohne Vorwürfe wie Vetternwirtschaft oder gar Korruption aufzugreifen, wirken etliche Weiterbildungsmaßnahmen willkürlich vergeben [5], die dortigen Lehrkräfte eher ungeeignet, das zu Erlernende ist für einen Teil der Teilnehmer bereits umfangreich bekannt, für den anderen völlig unbekannt, so dass schon die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises zu Problemen führt.

Andere Ideen wie z.B. der eigens durch das in Geldnöten steckende [6] "Team Arbeit" in Hamburg entwickelte Trainingssupermarkt [7] sind kostenintensiv und brachten nur magere Erfolgsquoten mit sich da zwischen der Realität in einem Supermarkt und dem "Lernen" mittels simulierten Kunden, Plastikkäselaibern und leeren Pseudoweinflaschen doch ein nicht zu unterschätzender Unterschied bestand und im Bereich des Kassierens nicht gerade ein Mangel an Bewerbern bestand und besteht.

Wie der Bundesrechnungshof feststellte, finden sich auch weitere Probleme: die Erfolge oder Misserfolge der Maßnahmen werden nicht dokumentiert, Datensätze nicht aktualisiert.

Persönliche Erfahrungen

Meine (Bettinas) Erfahrungen hinsichtlich der Weiterbildungen, die vermittelt werden, sind durchweg negativ. Mir wurden letztendlich drei Weiterbildungen bzw. Ausbildungen vermittelt und finanziert, zwei davon habe ich frühzeitig abgebrochen, eine dritte beendet.

Eine der Weiterbildungsmaßnahmen war eine sogenannte Übungsfirma, in ihr sollte mir beigebracht werden, wie eine Firma funktioniert, von der Buchhaltung über Lagerarbeit bis hin zu Preiskalkulation und Kundenakquise bzw. -verkehr. Dies war zum einen ein so bunter Reigen aus verschiedensten "Arbeiten", dass viele der Teilnehmer völlig damit überfordert waren, an einem Tag nicht nur mit Regaleinräumen (Pseudoware), sondern auch mit den Überlegungen in Bezug auf Bewerbung der Waren, Preisgestaltung und nicht zuletzt fingierten Telefonaten mit Kunden konfrontiert zu werden.

Kaum jemand konnte sich überhaupt vorstellen, in einer späteren Position mit all diesen Tätigkeiten gleichzeitig zu tun zu haben, ferner sollte es am Schluss der für zwei Jahre angelegten Weiterbildung nur eine Teilnahmebestätigung geben, die von vielen Firmen schon vorab als "nichtssagend" angesehen wurde.

Dazu kam, dass die Zusammensetzung der Teilnehmer sehr willkürlich erschien, manche waren bereits langjährig in der Buchhaltung tätig, andere hatten noch gar nicht gearbeitet, wieder andere konnten wegen gesundheitlicher Aspekte z.B. nicht beim Regaleinräumen mitarbeiten und wurden dann entweder irgendwo "geparkt" oder aber sie taten lediglich so als würden sie mitarbeiten um nicht als jemand angesehen zu werden, der nicht teilnehmen will und daher dann ggf. mit Sanktionen konfrontiert zu werden.

Eine spätere Weiterbildung führte zu einem Abschluss als "Fremdsprachliche Korrespondentin in Englisch" und entpuppte sich als eine Ausbildung, die nicht nur Stenographie, sondern auch Maschineschreiben, die Arbeit am PC (Word, Excel), sondern auch Wirtschaftsenglisch enthielt. Dies klang zunächst vielversprechend, schon bald war aber ersichtlich, dass die Dozenten pädagogisch ungeschult waren, ihre Qualifikationen konnten nicht überprüft werden und teilweise waren ihre Aussagen grotesk falsch, wurden jedoch nur selten korrigiert.

In Erinnerung bleibt mir bis heute die Aussage einer älteren Dame, die sehr kurzfristig als EDV-Lehrerin eingesetzt wurde nachdem der andere Dozent sich verabschiedet hatte. Wohl um die Dame ein wenig zu belustigen / zu verkohlen, hatte er ihr noch beigebracht, wofür LAN stünde, was sie dann dem Teilnehmerkreis recht stolz auch weitertrug: für ein in Ludwigshafen entwickeltes "Area Network", weshalb das L auch für Ludwigshafen stünde.

Ein paar der Teilnehmer lachten, andere schrieben dies eiligst mit, eine Beschwerde beim Kostenträger brachte nur ein belustigtes "nette Geschichte" mit sich, was aber jemand, der diese Information verinnerlicht und dann in einem Vorstellungsgespräch oder dem Bewerbungsschreiben anbringt, erleben dürfte, wurde gar nicht erst realisiert.

Was noch schlimmer war: um auch vor dem Kostenträger gut dazustehen, wurden die Ergebnisse stark frisiert, so dass der Abschluss letztendlich nicht das Blatt Papier wert war, auf dem er gedruckt zu finden war. Den Teilnehmern wurde es so leicht gemacht, diverse Tests oder Prüfungen zu bestehen, dass die vergebenen Noten nichts mehr aussagten. So wurde beispielsweise der Brief, der zunächst per Stenographie aufzunehmen war, dann per Maschineschreiben in die richtige Form gebracht werden musste, so lange geübt, bis manche ihn auswendig konnten, so dass die "Steno-Aufnahme" lediglich ein Gedächtsnistraining war.

Da die stenographische Aufnahme des Gesagten nicht kontrolliert wurde, sondern nur der Brief, der am Schluss stand, gab es so Bestnoten gerade auch für die Gedächtniskünstler. Der Wirtschaftsenglischtest wurde von einer Teilnehmerin bestanden weil sie sich in einem sehr guten Englisch darüber beklagte, dass sie wegen ihrer familiären Situation als alleinerziehende Mutter nun einmal nicht viel lernen könne, weshalb sie nunmehr auch mit Dingen wie der Europäischen Zentralbank nicht viel anfangen könnte, dafür wisse sie aber, wie man ein weinendes Kind beruhigt. Der Dozent zeigte sich ob der Schlagfertigkeit und des guten Englisch begeistert und vergab eine Eins.

Fördern und Fordern

Im Zuge des "Fördern und Fordern" ist die Qualifizierung zu einer Kernaufgabe der Bundesagentur für Arbeit geworden. So heißt es jedenfalls. Doch bereits seit langem wird, gerade in Bezug auf ältere Arbeitssuchende, dies für nicht ausreichend angesehen. 2010 kam Ursula von der Leyen daher auf die Idee, nicht nur den Begriff Hartz IV [8] z.B. durch "Basisgeld für Erwerbsfähige und ihre Familien" zu ersetzen [9], sondern auch auf mehr Förderung für die älteren Arbeitssuchenden zu pochen, wobei sie auch an deren Flexibilität [10] apellierte. "Ob Dachdecker oder Bäcker, niemand muss mit 66 noch genau dasselbe machen, was er mit 16 gelernt hat" verlautbarte die Bundesarbeitsministerin damals.

Was Martin Schulz nunmehr ankündigt und was ihm derzeit hohen Zuspruch einbringt, ist letztendlich genau dieser alte Qualifizierungswein nicht etwa in neuen Flaschen, sondern mit neuem Etikett. Es sind die Ideen, die auch Frau von der Leyen bereits in den Ring warf und die sich als arbeitsmarkttechnische Rohrkrepierer erwiesen. Wer seine Arbeit verliert, soll in Zukunft einen Rechtsanspruch auf eine Weiterbildung haben, so er in den ersten drei Monaten keine neue Stelle findet, wobei sich die Frage stellt, wie diese aussehen soll.

Auch soll sich der Anspruch auf ALG I verlängern, wenn die Weiterbildung nicht zu einer neuen Erwerbstätigkeit führt, doch auch hier bleibt offen, ob darunter auch Zeit-, Teilzeit- oder die bekannten Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung fallen werden. Wenn unter "Erwerbstätigkeit" letztendlich von 1-Euro-Job bis Minijob oder Zeitarbeit alles fällt, so ist letztendlich die Ankündigung, dass das ALG I länger gezahlt werden wird, so keine Erwerbstätigkeit im Anschluss an die Qualifikation gefunden wird, ebenso reine Kosmetik wie der neue Name der Bundesagentur für Arbeit. Eine eindeutige Definition wird aber vermieden.

Und noch etwas ist bei der geplanten Neubenennung und dem Arbeitslosengeld Q bemerkenswert: Wenn doch die Förderung der Weiterbildung bereits zu den Kernaufgaben gehört, wieso wird sie nicht jetzt schon konsequent umgesetzt, sondern wieso bedarf es hier neuer Regelungen für eine Teilgruppe der Transferleistungsempfänger? Wieso muss die Tatsache, dass die Bundesagentur für Arbeit auch ihrer Kernaufgabe nachkommt, nunmehr mittels eines neuen Namens betont werden?

An der prinzipiellen ALG II-Gesetzgebung, die die meisten Arbeitssuchenden betrifft, wollen weder Martin Schulz noch Andrea Nahles etwas ändern. Es geht hier letztendlich darum, diejenigen auf die Seite der SPD zu holen, die noch eine Erwerbstätigkeit haben, aber befürchten, schnell in den ALG II-Bezug abzurutschen, der als Stigma angesehen wird. Wer bereits ALG II bezieht, ist für diejenigen, die nun ihr "soziales Gewissen" entdeckt haben, schlichtweg uninteressant.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3659314

Links in diesem Artikel:
[1] https://heise.de/-3659293
[2] https://www3.arbeitsagentur.de/web/content/DE/BuergerinnenUndBuerger/Weiterbildung/index.htm
[3] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/hartz-iv-empfaenger-bekommen-weniger-weiterbildung-a-1059569.html
[4] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-11/jobcenter-bundesrechnungshof-kritik-vermittlung
[5] http://www.spiegel.de/karriere/hartz-iv-jobcenter-mitarbeiterin-erzaehlt-vom-alltag-im-arbeitsamt-a-1006626.html
[6] https://altonabloggt.com/2013/10/01/pleite-pleiter-am-pleitesten-jobcenter-team-arbeit-hamburg/
[7] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/training-fuer-hartz-iv-empfaenger-arbeitslose-spielen-kaufmannsladen-a-686388.html
[8] https://www.heise.de/tp/news/Von-der-Ruine-zum-Schnaeppchenobjekt-fuer-Bastler-2014948.html
[9] http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article107852895/Basisgeld-von-der-Leyen-testet-neuen-Namen-fuer-Hartz-IV.html
[10] https://www.heise.de/tp/news/Ran-an-die-Tastatur-Alter-Originaltitel-The-greyfox-s-secret-desire-2018736.html