Ran an die Tastatur, Alter (Originaltitel: The greyfox´s secret desire)

Außer Kontrolle

Ach, so ein Pech - da hat man die Lösung zur Arbeitslosigkeit im Alter und dann ist es nur eine Verwechslung.

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Als sich die Tür öffnete, schob Uschi vorsichtig ihre Brille hoch und musterte den Besucher erst vorsichtig, dann mit wachsendem Interesse. Er war schlank, aber mit starken Muskeln ausgestattet, trug eine einfache Hose, ein weißes Hemd und seine grauen Haare bildeten einen faszinierenden Kontrast zu seinen stahlgrauen Augen. Uschi schluckte und bemühte sich um einen geschäftsmäßigen Tonfall.
"Was kann ich für Sie tun?"
Der Unbekannte kam auf ihren Schreibtisch zu wie ein Mann, der genau wusste, was er wollte, der harte Arbeit gewohnt war und überhaupt... hart war. "Nur eine Kleinigkeit", sagte er betont und schaute in ihre von der Brille nur noch ein wenig verdeckte Augen. Dann strich er mit seiner Hand (schwielig, dachte Uschi, und der Schweiß brach ihr beim Gedanken daran aus, wie er sie mit dieser Hand berühren konnte) über ihre Hand, die noch immer auf der Tastatur ruhte. "Nur eine Kleinigkeit."
Uschi starrte ihn an und ihr Herz schlug schneller.
"Steinmetz...", flüsterte der Unbekannte und sah auf seine Hände. "Steinmetz."
"Und... Sie wollen?"
"Nur eine Kleinigkeit, Schönheit", flüsterte der Grauhaarige, zog sie hoch und setzte sich wie selbstverständlich dann auf ihren Platz vor dem Computer.
"Ei---- ne Kleinigkeit?"
"Ich suche einen Job." Er sah sie an und sein Gesicht, faltig wie der Grand Canyon, verzog sich zu einem breiten Lächeln. "Aber eigentlich habe ich schon einen... Deinen."

Mit diesen paar Zeilen ergab sich eine höchst vergnügliche Verwechslung, die derzeit in den Tiefen des Internets nachzulesen ist. Die ehemalige Familien- und derzeitige Arbeitsministerin Sophie von Ke... pardon, Ursula von der Leyen, die hinter dem obigen Script für einen neuen Roman eines bekannten Kitschromanverlages die Vorlage für eine Arbeitsmarktinitiative witterte und auf externes Fachwissen wie gewohnt verzichtete, war (ebenfalls wie gewohnt) begeistert von der auf Fakten und Daten verzichtenden Vorlage und stürzte sich (auch wie gewohnt) ins mediale Getümmel, um das, was in dem obigen Roman (Entwurfstitel: The Greyfox's secret desire) als (man ahnt es: gewohnt) dünne Begründung für das Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Charactere dienen sollte, nun als Gegenentwurf zu den Ausnahmen für die Rente mit 67 zu verbreiten.

Auch die süffisant zugespielte mp3-Datei eines gewissen Udo J. mit dem Titel "Mit 66 Jahren" sah Ursula von der Leyen als Aufforderung, ihre Idee des rüstigen Rentners zu vertreten. "Immerhin", so Frau Vaudel (Abkürzung zwecks Einsparung des Worthonorars für TP ;) ), "sei ja auch Joopie noch voll fit." Wenn ein Schauspieler mit Hilfe einer jüngeren Frau in einem solch hohen Alter noch auftreten könne, so Frau Vaudel, zeige dies einerseits, dass hinter jedem Mann eine starke Frau stünde, andererseits aber auch, dass Schaffenskraft und Wirken nichts mit dem Alter zu tun hätten.

Das Lied "When I'm 64" von der Frau Vaudel bisher unbekannten Gruppe "Beatles" hat dann endgültig zum Engagement mit dem Projektnamen "30 Jahre Steinmetz, 20 Jahre Buchhalter" beigetragen, genauso wie die unter dem Codenamen "Soylent Green" eingesandte Lösung zum Thema "zu viele Arbeitslose, zu wenig Erwerbsarbeitsplätze". Diejenigen, so Frau Vaudel, die bisher körperliche Arbeit verrichtet hätten, die ihnen nun auf Grund von körperlichen Gebrechen nicht mehr möglich sei, könnten doch in einen Bürojob wechseln ((Doppelt vorhandener Link wegen des fortschreitenden Alters der Autorin)), dies sei doch auch wichtig, um gegen Alzheimer anzugehen.

"Ob Dachdecker oder Bäcker, niemand muss mit 66 noch genau dasselbe machen, was er mit 16 gelernt hat", sagte die Ministerin. Wer Berufserfahrung habe, könne auch Büroarbeit in seiner Branche übernehmen. Da muss man Frau Vaudel Recht geben - wer einst sein Studium der Volkswirtschaftslehre abbrach, später auf Ärztin umsattelte und Master of Public Health wird, der kann ja später sogar in die Politik gehen. Das zeugt von Flexibilität - und ob man nun mit der Spitzhacke auf Felsen oder in die Tasten haut, ist auch ziemlich egal.

Heerscharen von ehemaligen Dachdeckern, Bäckern, Steinmetzen, Bauarbeitern etc. werden, endlich dank der körperlichen Probleme dem schweißtreibenden Job entronnen, in die (bisher nicht leerstehenden) Büros Deutschlands hereinbrechen wie ein Tsunami, die ahnungslosen Sekretärinnen hinwegspülen (die dann, hoffentlich noch fit genug, ja gerne als Bäckerin arbeiten können, oder als Steinmetz etc.) und, wie im obigen Romanvorschlag angedeutet, mit testosteron- und schweißgeschwängerten Zimmerlihemden die Chefinnen zur Raserei und die Firma in den Ruin treiben, weil die Bürojobs vielleicht doch ein wenig unterschiedlich zu den bisherigen Arbeiten sind. Der bekannte Verlag hat übrigens derweil eine neue Reihe mit dem Namen "Greyfox (heiße Gefühle im Alter)" dementiert.

Wenn man bedenkt, dass derzeit Vampirgeschichten der Renner sind, bleibt nur zu hoffen, dass Frau Vaudel demnächst nicht ein Script einer solchen Geschichte in die Hände bekommt. "Der ist 500 Jahre alt, sieht super aus und arbeitet sogar", hört man sie schon sagen. "Der arbeitet sogar hart. Sehr hart. Ähm... was bedeutet "er arbeitet an der Vernichtung der Welt"?"