RKI-Files: Whistleblower enthüllt ungeschwärzte Protokolle

Corona-Virus-Polizeikontrolle

Corona-Virus-Polizeikontrolle. Bild: Animaflora PicsStock / shutterstock.com

Kritik an Corona-Maßnahmen erhält neuen Auftrieb. Kinder und Jugendliche stehen im Fokus der Debatte. Files liefern neue Brisanz zur Aufarbeitung der Corona-Krise.

Dank eines unbekannten Whistleblowers bekommt die kritische Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen neues Material in beträchtlichem Ausmaß.

Wie die Journalistin Aya Velázquez heute auf X (früher Twitter) mitteilte, ist ihr von einem ehemaligen Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterin des Robert Koch-Instituts, der oder die an sie herantrat, "der komplette Datensatz aller Sitzungsprotokolle des RKI-Krisenstabs, von 2020 bis 2023, ungeschwärzt, inklusive 10 GB Zusatzmaterial" zugespielt worden.

Velázquez ist seit der Corona-Pandemie publizistisch tätig und war zwischenzeitlich (von November 2020 bis März 2021) nach eigenen Angaben auch ehrenamtlich für die Redaktion der Publikation "Demokratischer Widerstand" tätig. Seit März 2021 bestehe zur Redaktion des DW kein Kontakt mehr, teilt Velázquez mit.

Das Blatt wird vom Verein "Koordinationsstelle Demokratischer Widerstand" herausgegeben, der Corona-Demonstrationen organisierte und Teil der "Querdenker"-Bewegung ist. Velázquez hat Telepolis unter anderem kritisiert, weil sie als "Aktivistin" bezeichnet wurde.

"Wir beenden das Drama um die Schwärzungen der #RKIProtokolle an dieser Stelle", so Velázquez in ihrem Posting, in dem sie mehrere Download-Links bekannt gibt.

Die Authentizität der Dokumente steht noch zur Überprüfung an, doch ein Vergleich mit den zuvor veröffentlichten geschwärzten Protokollen dürfte Aufschluss geben. Es gilt wie immer der Vorbehalt, dass in Zeiten wie diesen vieles möglich ist. Interessant wird sein, wie auch Unterstützer der Corona-Maßnahmen auf das neue Material reagieren.

Sie stehen damit unter wachsenden öffentlichen Druck. Den Kritikern ist neues Material zugewachsen.

Wissenschaftliche Evidenz und politische Maßgaben

Die ungeschwärzten Protokolle stützen allem Anschein nach – der Verfasser dieses Beitrags hat das Material bisher nicht in Ruhe gesichtet und beruft sich hier auf erste Reaktionen seitens derjenigen, die bereits Einsicht genommen haben – die Grundthese der Kritiker der Corona-Maßnahmen, wonach nicht die wissenschaftliche Evidenz für die Verhängung der Maßnahmen ausschlaggebend war, sondern politische Maßgaben.

Einige Mitstreiter und ich haben die Protokolle bereits gelesen. Man braucht für die Lektüre teilweise starke Nerven, aufgrund der darin enthaltenen, eklatanten Widersprüche. Die RKI-Protokolle beweisen: Unsere Corona-Politik basierte nicht auf rationalen, wissenschaftlichen Abwägungen.

Zahlreiche politische Entscheidungen, wie etwa 2G, die einrichtungsbezogene und geplante allgemeine Impfpflicht, oder die Impfung von Kindern, waren rein politische Entscheidungen, für die das RKI als weisungsgebundene Behörde eine vermeintlich wissenschaftliche Legitimation lieferte.

Aya Velázquez

Detaillierter wird der Umgang mit Kindern und Jugendlichen, besonders Maßnahmen wie Schulschließungen, Maskenpflicht im Unterricht und Impfempfehlungen, in einem zehnminütigen Vortrag des Wildnispädagogen Bastian Barucker bei einer Pressekonferenz anhand von Auszügen der Protokolle ausgeleuchtet.

Kindeswohl und "historischer Tabubruch"

Barucker stellt anhand von Auszügen der RKI-Protokolle einen Diskussionsverlauf zu unterschiedlichen Zeiten dar, der, wie er es anhand von Zitate belegt, einen starken Kontrast zwischen Kindeswohl, wissenschaftlichen Untersuchungen, also dem Stand vorliegender wissenschaftlicher Evidenz, und den verhängten starken Eingriffen in das Leben der Jugendlichen und Kinder aufscheinen lässt.

Er zählt Beispiele dafür auf, wie nach seiner Sicht ein "historischer Tabubruch" auf Kosten der Gesundheit der Kinder und Jugendlichen begangen wurde, obwohl nach seinen Aussagen in den Diskussionen des Robert Koch-Instituts Studien die Runde machten oder bekannt waren, die keine Evidenz für Schulschließungen und die übermäßige Verbreitung des Corona-Virus durch Kinder und Jugendliche hergaben.

Dies stellt er vor den Hintergrund, dass die Gesundheit der Jüngeren weniger von einer Corona-Virus-Erkrankung bedroht war, denn durch die Maßnahmen, einschließlich der Impfempfehlung. Für Barucker ist dies eindeutig der Fall. Und nicht nur für ihn:

"Zurzeit ist auch eine Booster-Impfung von Kindern aus ministerieller Seite angedacht, obwohl dazu keine Empfehlung und teils keine Zulassung besteht." So zitiert die Schwäbische aus dem RKI-Protokoll vom 15.12.2021.

Erklärt wird, dass die SV Gruppe (Nordkurier und die Schwäbische) "bereits vor der nun erfolgten Veröffentlichung vollständigen Zugriff auf die gesamten Daten" hatte und sich eine Übersicht verschaffen konnte.

Das Thema Kindeswohl ist wichtig und mit den Folgen der Corona-Maßnahmen auf Kinder und Jugendliche haben sehr viele Familien ihre Erfahrungen gemacht.

So ist man gespannt darauf, wie Unterstützer dieser Maßnahmen jetzt auf die nachträglich veröffentlichte Bandbreite der Diskussionen im RKI reagieren, wo doch zuvor vieles öffentlich als eindeutig dargestellt und Kritiker pauschal mit großer Pauke abgeurteilt und abgewertet wurden.

Bürgerfreundliche Menschen im RKI

Die Protokolle verweisen da auf Debatten im RKI, die breiter gefächert waren, als es zur Zeit der akuten Coronakrise vermittelt wurde. So gibt es von Aya Velázquez nicht nur Anerkennung für die oder den mutigen Whistleblower(in), sondern auch für bürgerfreundliche Menschen im Institut:

Auch wenn das RKI in den letzten vier Jahren eine eher unrühmliche Rolle gespielt hat, indem es vor einer übergriffigen, grundrechtswidrigen Politik eingeknickt ist: Auch im RKI gab es in den letzten vier Jahren Menschen, die auf der Seite der Bürger standen, und mit dem Handeln ihrer Behörde, den widersprüchlichen Empfehlungen an die Politik, und dem Abnicken politischer Willkürentscheidungen nicht einverstanden waren.

Der neue RKI-Leak ist daher auch als eine Handreichung, als eine Geste der Versöhnung zu verstehen: Zwischen Bürgern – über behördliche Grenzen, Firewalls und Mauern in den Köpfen hinweg.

Aya Velázquez

Die politisch neuralgische Stelle ist die Frage nach der wissenschaftlichen Deckung von Maßnahmen, die, allen voran die Lockdowns sowie die Zutrittsbeschränkungen im öffentlichen Leben für Ungeimpfte, im Grundgesetz verankerte Freiheitsrechte auf eine bislang in der Bundesrepublik ungekannten Weise einschränkten.

Angst als Kommunikationsmittel

Dass in der Abwägung von autoritären Maßnahmen und wissenschaftlicher Evidenz die Angst als Kommunikationsmittel eingesetzt wurde, wie Auszüge aus den Protokollen offenbar bestätigen, hat das Vertrauen vieler in die Staatsräson stark erschüttert.

Dass die RKI-Protokolle die Maßnahmen als wissenschaftlich nicht so deutlich gefestigt zeigen, wie es der Eindruck damals vermittelte, macht im Nachhinein auf einen problematischen Zirkelschluss bei vielen Gerichtsentscheidungen aufmerksam.

Denn in Verfahren gegen Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung beriefen sich Verwaltungsgerichte immer wieder auf die Einschätzungen des RKI als wissenschaftlich unabhängige Behörde.

Bei einem Vergleich der geschwärzten Protokolle mit den ungeschwärzten kommt manches zutage, was mindestens für Erstaunen sorgt.

Wenn etwa deutlich wird, dass der Virologe Christian Drosten, wie im Protokoll vermerkt wird, sich entscheidet, ein Papier "nicht zu publizieren, da ungezielte Testung im Text als nicht sinnvoll betrachtet wird und dies dem Regierungshandeln widerspricht" (RKI-Sitzung vom 29.7.2020).

Überholte Einschätzungen

Insofern ist die Einschätzung der Tagesschau vom 25. März dieses Jahres, überschrieben mit "Die RKI-Files und der Skandal, der keiner ist", nicht gut gealtert.

Die hoffentlich einsetzende gründlichere und argumentative Diskussion über die RKI-Files hat nun eine neue Grundlage, um Ansichten und Haltungen, die in der Zeit der Coronakrise mit großer Verve vertreten wurden, neu zu prüfen.

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Redaktionelle Anmerkung: Der Satz "Velázquez ist seit der Corona-Pandemie publizistisch tätig und schreibt vorwiegend für die Publikation 'Demokratischer Widerstand'" wurde korrigiert. Aya Velázquez war laut eigener Aussage in der dortigen Redaktion nur kurzzeitig ehrenamtlich tätig.