Rasterfahndung in Deutschland
Welches Datenprofil haben "Schläfer"?
Seit Montag gleichen Strafverfolger alle möglichen Datenbestände in Deutschland systematisch ab: Mit dieser Rasterfahndung wollen sie "potenzielle islamistische Terroristen", die so genannten "Schläfer", erkennen. Bundesinnenminister Otto Schily hält die Methode für "sehr erfolgsträchtig". Datenschützer, Juristen und Vertreter der Muslime hingegen zeigen sich skeptisch, ob überhaupt treffsichere Kriterien bestehen.
Das Rasterprofil
Entscheidend für den Erfolg ist das Rasterprofil. Doch je unauffälliger sich die mutmaßlichen Täter verhalten, desto sorgfältiger muss es erstellt werden. Dies dürfte schwierig sein, da die Attentäter von New York und Washington ein nahezu normales Leben geführt hatten. Thilo Weichert, Vorsitzender der Vereinigung für Datenschutz, zeigt sich deshalb skeptisch:
"Gegen Schläfer, die unauffällig und legal in unserem Land leben, helfen auch die ausgeklügeltsten Überwachungsmaßnahmen nichts".
Schon in der vergangenen Wochen hatte der polizeiliche Staatsschutz mit einer Computerfahndung unter muslimischen Studenten an Berliner Universitäten begonnen. Die Technische Universität übermittelte Daten von etwa 400 Studenten an das Landeskriminalamt. Insgesamt leben in Deutschland etwa 50.000 Studenten aus islamischen Ländern. Die Suchkriterien in Berlin waren allerdings weit gefasst: Überprüft werden sollten alle Menschen mit "vermutlich islamischer Religionszugehörigkeit und vermutlich legalem Aufenthaltsstatus in Deutschland" aus 15 islamischen Ländern.
Der bundesweiten Suche liegt ein vom Bundeskriminalamt erarbeitetes Täterprofil der drei Selbstmordattentäter aus Hamburg zugrunde. Die Behörden wollen es jedoch nicht veröffentlichen. Vermutlich konzentriert sich die Rasterfahndung auf Männer islamischen Glaubens im Alter zwischen 20 und 35 Jahren, die technische oder naturwissenschaftliche Fächer studieren. Da einige der Attentäter vom 11. September verheiratet waren, wurde das Merkmal "ledig und kinderlos" nicht berücksichtigt. Für den Datenabgleich genutzt werden neben polizeilichen Erkenntnissen vermutlich die Daten von Einwohnermeldeämtern, Universitäten, Wohnungsbaugesellschaften und Krankenkassen.
Mit dem Datenabgleich allein ist jedoch nicht getan: Die Unmengen von Informationen müssen sorgfältig gesichtet und überprüft werden. Für diese aufwändige ermittlungsstrategische Arbeit verfügt die Polizei allerdings noch nicht über ausreichende Mittel. So forderte der Bund Deutscher Kriminalbeamter mehr Personal und eine bessere Sachausstattung, "um effektiv arbeiten zu können". Die Computer seien ohne die Daten aus der Rasterfahndung schon ausgelastet.
Rasterfahndung hat Tradition
Erstmals in den 70er Jahren konnte die Polizei mit Hilfe der Rasterfahndung mehrere RAF-Terroristen festnehmen. Die Rasterfahndung war ein geistiges Kind des damaligen BKA-Chefs Horst Herold, genauso wie die Beobachtende Fahndung und der Datenabgleich. Sie wurden 1985 mit ihren Originaldefinitionen in die Strafprozessordnung aufgenommen. Damals gingen die Fahnder beim Bundeskriminalamt davon aus, dass die RAF-Mitglieder in anonymen Großwohnanlagen mit Tiefgaragen lebten, sich polizeilich nicht anmeldeten und die Miete oder Strom bar bezahlten.
Die Fahnder verglichen deshalb die Daten der Einwohnermeldeämter mit denen von Energieversorgungsunternehmen und Wohnungsmaklern. Die Ergebnisse wurden im Abgleich mit den Datenbeständen anderer Behörden wie dem Kraftfahrzeugbundesamt oder den Kindergeldkassen immer weiter eingeschränkt. Übrig blieb ein "Bodensatz" der negativen Treffer, also der Leute, die kein Kindergeld bezogen, auf die kein Fahrzeug zugelassen war und die ihre Stromrechnungen bar oder durch Dritte bezogen. Dieser wurde dann von den Ermittlern mit herkömmlichen Methoden weiter aufgeklärt. Auf diese Weise wurde Rolf Heißler ermittelt - neben einem Rauschgifthändler.
Übrigens gaben die Stromversorger die Kundendaten damals freiwillig heraus. Nur im Falle der Hamburger Elektrizitätswerke war eine Beschlagnahme-Anordnung des Bundesgerichtshofs nötig. Als dann in der Öffentlichkeit Bedenken geäußert wurden, dass private Institutionen ihre Daten einfach übermittelte, drohte BKA-Vizepräsident Ermisch damit, dass im Falle einer Verweigerung geprüft werden müsse, ob diese nicht den Straftatbestand der Strafvereitelung erfüllten. Angedroht wurde dies auch den öffentlichen Sozialversicherungsträgern.
Zwischen Horst Herold und dem Datenschutzbeauftragten Hans Peter Bull entwickelte sich schnell eine heftige Kontroverse. Bull kam zu dem Ergebnis, dass für die BKA-Dateien die Rechtsgrundlage fehlte. Dies führte 1980 zu einer erheblichen Verschlankung des Datenbestands. Übrigens wurde in derselben Zeit auch eine in den 70er Jahre noch bestehende Standleitung zwischen dem nachrichtendienstlichen und dem polizeilichen Informationssystem, also zwischen NADIS und INPOL, gekappt. Seither wurde der Datenverkehr zwischen Polizei und Verfassungsschutz per Telex abgewickelt.
Rasterfahndung heute
Paragraf 98a der Strafprozessordnung regelt heute das Vorgehen, wobei eine "Straftat von erheblicher Bedeutung" Voraussetzung ist. Zudem darf die Maßnahme nur dann angeordnet werden, wenn andere Ermittlungsmethoden weniger Erfolg versprechen. Sie ist damit eine ultima ratio. Die Rasterfahndung ist jedoch noch nicht in allen Bundesländern uneingeschränkt möglich: In Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen gibt es dafür noch keine rechtliche Grundlage. Alle drei Ländern wollen bis Mitte Oktober entsprechende Gesetzesinitiativen einbringen.
Datenschützer bemängeln jedoch, dass die Rasterfahndung in der Vergangenheit nicht nach ihrer Effizienz überprüft wurde. Gerade ein Handvoll von Rasterfahndungen wurde im letzten Jahrzehnt durchgeführt, da der Aufwand einfach zu immens ist. Zuletzt wurde so im Frühjahr 2001 in Brandenburg der Sexualmörder der zwölfjährigen Ulrike gefasst. Auf einem Sondertreffen am Montag in Bonn fordern Bundes- und Landesdatenschützer deshalb die jetzt laufende Rasterfahndung "einer ergebnisoffenen Erfolgskontrolle zu unterziehen".
Wolfang Kaleck, Bundesvorsitzender des Republikanischen Anwaltvereins, befürchtet überdies, dass die Fahndung gefährliche Vorurteile gegen arabisch-stämmige Menschen schüren wird. Auch Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sorgt sich, das Muslime nun besonders benachteiligt werden. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka fordert vorsorglich, dass die Daten nur für den vorgesehenen Zweck verwendet werden dürfen und Daten von Unschuldigen sofort wieder gelöscht werden müssen.