Reform der Schuldenbremse: Chance für Wachstum oder Tor zur Verschwendung?
Eine Reform der Schuldenbremse könnte Europas Wachstum beflügeln. Doch droht auch eine Verschwendung durch fragwürdige Subventionen?
Draghis Plan zur Verbesserung der EUropäischen Wettbewerbsfähigkeit dürfte sich aufgrund von restriktiven Fiskalregeln als nicht finanzierbar erweisen. Was den Ruf nach Reformen der Schuldenbremsen lauter werden lässt. Sie bieten aber einen gewissen Schutz gegen die von Draghi propagierten gesamtwirtschaftlich schädlichen Unternehmenssubventionen und Rüstungsausgaben, weshalb einem solchen Reformbegehren mit Skepsis begegnet werden sollte.
Mario Draghi hat in einem umfangreichen Papier die "Wettbewerbsfähigkeit" Europas beklagt und zu ihrer Verbesserung "unternehmerische Investitionen" in einer Größenordnung von bis 800 Milliarden Euro jährlich vorgeschlagen.
In einem von "progressiven" Ökonomen unterstützten Positionspapier des "Wirtschaftsforums der SPD" liest man dazu zustimmend, dass "die nächste Bundesregierung die Schuldenbremse reformieren und/oder ein Sondervermögen einrichten muss, um […] zusätzliche öffentliche Investitionen und die Förderung privater Investitionen sowie Investitionen in Militär und Sicherheit finanzieren" zu können.
(K)ein Finanzierungsproblem?
Die geforderten Investitionen sollen nach Meinung Draghis und seiner Unterstützer nicht über Steuererhöhungen, sondern über die Emission von Eurobonds finanziert werden. Da die EU – anders als ihre Mitgliedsstaaten – aber über keine ausreichenden Steuereinnahmen verfügt, um ihre Bedienung zu gewährleisten, sollen die EU-Mitgliedsländer ihre von ihrem Bruttoinlandsprodukt abhängigen Beiträge zur Finanzierung des EU-Haushalts entsprechend erhöhen.
Verständlich, dass alle Länder unter Draghis Marshallplan Nettoempfänger, aber kein Land Nettozahler sein will. Es sind daher zweifelsohne EU-typische – von Draghi beklagte – "komplexe und träge Entscheidungsprozesse" zu erwarten. Deren Reform kann man sich wünschen, damit rechnen darf man aber nicht. Denn es gilt eine Einigung unter 27 EU-Ländern zu erzielen, wer wofür und unter welchen Bedingungen Gelder von der EU erhält und wer dafür die Zeche in welchem Umfang mit höherer Zahlungen und "Strukturreformen" an die EU begleichen soll.
Wenig verwunderlich, dass Draghi dafür plädiert, Entscheidungskompetenzen auf die EU-Ebene zu verlagern und für solche Entscheidungen das Einstimmigkeitsprinzip aushebeln möchte. Ein Plädoyer, um dessen Realisierung es aber denkbar schlecht steht. Denn neben den von Europafreunden beklagten "nationalen Egoismen" stehen ihr auch rechtliche Beschränkungen entgegen.
In Deutschland zum Beispiel hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum "Europäischen Aufbaufonds" unmissverständlich klargestellt, dass die Ausgabe von Eurobonds durch "außerordentliche" Umstände gerechtfertigt sein müssen und die damit verbundene "Ermächtigung" der EU-Kommission" "befristet" und "begrenzt" sein müsse. Es spricht also sehr viel dafür, dass Draghis Marshallplan an seiner Finanzierung scheitern wird.
Was man bedauern mag, weil das Problem leicht behoben werden könnte, wenn man der EZB erlauben würde, Eurobonds anzukaufen. Nun aber ist der EZB nach Artikel 123 AEUV jegliche Finanzierung öffentlicher Haushalt verboten. Solche und andere die Staatsfinanzierung auf allen Ebenen des europäischen Mehrebenensystems beschränkenden "Regeln" kann man natürlich verändern. Was dann die schwierige Frage aufwirft, wie genau eine Reform von Schuldenbremsen aussehen könnte.
Risiken und Nebenwirkungen
Mit Vertretern der Modern Monetary Theory (MMT) bin ich einer Meinung, dass – wie immer sie aussehen mag – sie eine "funktionale Fiskalpolitik" ermöglichen sollte: Eine Anpassung von Steueraufkommen und Staatsausgaben, die – ohne Rücksicht auf die Höhe von Haushaltsdefiziten – Vollbeschäftigung, Preisstabilität und Verteilungsgerechtigkeit befördert.
L. Randell Wray, ein führender Vertreter der MMT, weist mit Bezug auf Hyman Minskys darauf hin, dass die gesamtwirtschaftlichen Folgen eines "deficit spendings" davon abhängen, wofür Staatsausgaben getätigt werden und für wen Steuereinnahmen reduziert werden. Haushaltsdefizite sind also nicht per se "gut". "Schlecht" ist nach Meinung Minskys eine "investmentorientierten Fiskalpolitik", weil sie soziale Ungleichheiten befördert, einer die Finanzstabilität gefährdeten Überfinanzierung Vorschub leistet und Inflationsgefahren und Assetblasen heraufbeschwört.
Daraus aber folgt, dass ein Plädoyer für eine Reform von Schuldenbremsen ein zweischneidiges Schwert ist. Sie könnten zwar die wünschenswerte Finanzierung von öffentlichen Gütern ermöglichen, aber sie bieten auch einen gewissen Schutz gegen eine für die Allgemeinheit schädliche Fiskalpolitik. Denn niemand will gerne Steuern zahlen und daher bedarf eine Steuerfinanzierung einer überzeugenden Rechtfertigung gegenüber dem Steuerzahler.
Schuldenbremsen gegen Wettbewerbsfantasien
Unternehmenssubventionen sind ein typisches Beispiel für eine "investmentorientierte Fiskalpolitik". Mit ihnen einen Wirtschaftsaufschwung für Europa bewirken zu wollen, aber zum Scheitern verurteilt. So ist unbezweifelbar, dass nicht alle Unternehmen "wettbewerbsfähiger" werden können. Gewinnt auch nur ein Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit, dann muss begriffslogisch zwingend zumindest ein anderes Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.
Wie aber wollen EU-Organe (welche eigentlich?) in der Lage sein, ihre Geldgeschenke so zu verteilen, dass kein europäisches Unternehmen auf Kosten eines anderen an Wettbewerbsfähigkeit verliert? Und glaubt jemand ernsthaft, dass der mit einer Realisierung des Draghis Marshallplans befeuerte Subventionswettlauf "in der Triade EU-USA-China" unter von den SPD-Ökonomen konstatierten "fundamentalen Veränderungen der geopolitischen und geoökonomischen Situation" gewonnen werden kann?
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Draghi und seine "progressiven" Unterstützer Wachstum auf Basis des exportorientierten Wirtschaftsmodells Deutschlands generieren wollen, obwohl dieses Modell gerade aufgrund der vom "Westen" unter Führung der USA zu verantwortenden "Situation" ganz offensichtlich für die gegenwärtige Rezession Deutschlands verantwortlich ist.
Die Forderung nach "Investitionen" in Militär ist zweifelsohne Ausdruck eines unter unseren politischen "Eliten" grassierenden Bellizismus. Gleichzeitig aber auch Ausweis einer erschreckenden makroökonomischen Inkompetenz. Wie Günther Grunert überzeugend argumentiert, handelt es sich bei Rüstungsausgaben nicht um Investitionen im gesamtwirtschaftlichen Sinne, weil sie nicht zu einer Erweiterung bzw. Erneuerung von volkswirtschaftlichen Produktionskapazitäten, sondern vielmehr zu deren Reduktion führen.
Den von Draghi geforderten "Investitionen" in Form von Unternehmenssubventionen und Rüstungsausgaben sollte daher eine Absage erteilt werden. Schuldenbremsen können dazu einen Beitrag leisten. Sicherlich sind viele Argumente ihrer wirtschaftsliberalen Proponenten nicht haltbar. Das ändert aber nichts daran, dass mit Blick auf politische Machtverhältnisse es weniger gefährlich und erfolgversprechender ist, der unbezweifelbaren Unterfinanzierung öffentlicher Güter mit der Erhöhung von progressiven Einkommens- und Vermögenssteuern und mit Abgaben zu begegnen.