Rekordprofite im Krisen-Monopoly: Wann handelt die Politik endlich?
Ernte in den USA: Die großen Getreide-Handelskonzerne sind die Gewinner der Nahrungsmittelkrise. Bild: Jim Choate / CC BY-NC-ND 2.0
Auch die Getreide-Giganten fahren wie die Energiemonopolisten historische Gewinne ein. Die UN spricht von Gier und Systemfehler. Der Druck auf die Politik, dem Desaster-Kapitalismus Einhalt zu gebieten, wird stärker.
Wie der britische Guardian berichtet haben die weltweit größten Getreidehändler, die seit Jahrzehnten die Märkte dominieren, historische Profite und Umsätze machen können. Die vier Giganten, Archer-Daniels-Midland Company, Bunge, Cargill and Louis Dreyfus, bekannt unter dem Kürzel ABCD, kontrollieren rund 70 bis 90 Prozent des globalen Handels. Damit ist der Getreidehandel noch stärker konzentriert als der Energiesektor.
Laut Guardian meldete Cargill für das abgelaufene Geschäftsjahr (Stichtag 31. Mai) einen Umsatzanstieg um 23 Prozent auf einen historischen Wert von 165 Milliarden US-Dollar. Archer-Daniels-Midland erzielte im zweiten Quartal des Jahres den höchsten Gewinn seiner Geschichte. Auch bei Bunge und Louis Dreyfus stiegen Umsätze und Gewinne. Louis Dreyfus meldete einen Gewinnanstieg von mehr als 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch die Gewinnspannen haben sich bei Nahrungsmittelunternehmen erhöht.
John Rogers, Analyst bei der Rating-Agentur Moody's, sagte, es sei nicht überraschend, dass Engpässe beim Angebot und eine wieder anziehende Nachfrage die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben und zu höheren Gewinnen geführt hätten.
Olivier De Schutter, Mitvorsitzender des internationalen Expertengremiums für nachhaltige Ernährungssysteme und UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, weist jedoch darauf hin, dass der diesjährige Preisanstieg bei Lebensmitteln trotz ausreichender Getreidereserven stattgefunden habe.
"Wir müssen uns die Getreideriesen ansehen und fragen, was sie hätten tun können, um die Krise abzuwenden, und was sie jetzt tun könnten", sagte De Schutter. Und er fügt hinzu:
Die Tatsache, dass die globalen Rohstoffgiganten Rekordgewinne erzielen, während gleichzeitig der Hunger zunimmt, ist eindeutig ungerecht und ein schreckliches Armutszeugnis für unsere Lebensmittelsysteme. Was noch schlimmer ist: Diese Unternehmen hätten mehr tun können, um die Hungerkrise von vornherein zu verhindern.
Die Lebensmittelpreise sind nach UN-Angaben in diesem Jahr um mehr als 20 Prozent gestiegen. Nach Angaben des Welternährungsprogramms sind gleichzeitig etwa 345 Millionen Menschen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen, verglichen mit 135 Millionen vor der Covid-19-Pandemie.
Ein ähnliches Auseinanderdriften von Rekordprofiten für Konzerne und starke Belastungen für die Schwächeren hat sich bereits im Energiebereich gezeigt, worauf Telepolis schon früher hingewiesen hat.
So verzeichnete der britische Mineralölkonzern BP, wie die Washington Post berichtet, im zweiten Quartal Gewinne in Höhe von 8,5 Milliarden Dollar, den größten Gewinn seit 14 Jahren. Der US-Gigant ExxonMobil schaffte sogar noch mehr. Sein Nettogewinn von 17,9 Milliarden Dollar war der größte Quartalsgewinn aller Zeiten. Das US-amerikanische Unternehmen Chevron, die in London ansässige Shell und das französische Unternehmen TotalEnergies verzeichneten ebenfalls historische Ergebnisse.
Zusammengenommen haben die fünf größten Unternehmen im vergangenen Quartal 55 Milliarden Dollar verdient. Insgesamt verzeichneten die großen Energieunternehmen weltweit im letzten Quartal sogar einen Gewinn von rund 100 Milliarden Dollar, während Hunderte von Millionen Menschen auf der ganzen Welt die Last der steigenden Energiepreise zu tragen haben.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, hält diesen Zustand für verabscheuungswürdig. Er wirft den Energiekonzernen vor, in Zeiten der globalen Krise die Preise in die Höhe zu treiben, und forderte die Regierungen auf, die Gewinne dieser Konzerne aggressiv zu besteuern.
Es ist unmoralisch, dass die Öl- und Gaskonzerne auf dem Rücken der ärmsten Menschen und Länder Rekordgewinne aus der Energiekrise ziehen, und zugleich damit die Klimakrise weiter massiv anheizen … Diese groteske Gier bestraft die ärmsten und verletzlichsten Menschen, während sie unsere einzige Heimat zerstört.
"Katastrophenkapitalismus in seiner schlimmsten Form"
Die unterschiedlichen Krisen, verstärkt im Zuge der Pandemie und des Ukraine-Kriegs, treffen vor allem Länder des Globalen Südens, die mit sich ausweitendem Hunger und Armut zu kämpfen haben. Sri Lankas Wirtschaft kollabierte bereits und löste eine Regierungskrise aus, während andere Länder wie Sambia, Laos oder Pakistan, um nur einige zu nennen, vor dem Staatsschuldenbankrott stehen.
Aber auch in den USA wird vor einer Rezession gewarnt, und Europa befürchtet einen "Winter der Verzweiflung", weil vor allem die Gaspreise in die Höhe schnellen.
Die bisherigen politischen Gegenmaßnahmen in der sich zuspitzenden Krise, um finanzielle Mittel aus den Rekordprofiten von Konzernen abzuschöpfen, haben bisher wenig gebracht. Die zaghafte Steuer auf überdurchschnittliche Gewinne und Umsätze in Italien hat zum Beispiel nur geringe Einnahmen generiert. Eine Reihe von Unternehmen scheinen sich den Zahlungen entzogen zu haben. In Großbritannien kritisiert die Labour Partei die Regierung, dass die Steuer auf hohe Gewinne von Unternehmen, die in der Nordsee operieren, unzureichend sei. In den USA wird jegliche Steuer auf Rekordgewinne im Kongress geblockt.
In Deutschland scheint eine Übergewinnsteuer, wie von den Grünen und Teilen der SPD gefordert, wegen des Widerstands aus der Industrie, der Widerhall nicht nur bei der FDP findet, bisher nicht durchsetzbar. Eine Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung schätzt, dass Deutschland durch eine Übergewinnsteuer für Energieunternehmen etwa 30 bis 100 Milliarden Euro Mehreinnahmen erzielen könnte.
Gleichzeitig steigen für die Verbraucher:innen hierzulande die Energie- und Lebensmittelkosten. Die beschlossene Gasumlage belastet die privaten Haushalte zudem weiter, während Unternehmen in den Genuss der Umlage kommen, selbst wenn sie sich nicht in einer Notlage befinden oder von einer Insolvenz bedroht sind, wie eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums auf Nachfrage mitteilte. 34 Milliarden Euro wird schätzungsweise über die Gasumlage in die Kassen von elf Konzernen umverteilt werden.
Nicht nur die Vereinten Nationen kritisieren das Profitmachen auf Kosten der Schwachen und Schwächsten. Klimawissenschaftler Bill McGuire reagierte auf die jüngsten Zahlen zu den Profiten der Getreidehändler:
Das ist Katastrophenkapitalismus in seiner schlimmsten Form. Während 345 Millionen Menschen unter akuter Ernährungsunsicherheit leiden, stopfen sich die vier Konzerne, die praktisch den gesamten Getreidehandel kontrollieren, die Taschen voll, lassen die Champagnerkorken knallen und lachen sich ins Fäustchen.
Die britische Gruppe Plan B Earth stellt fest:
Bonanza für fossile Brennstoffunternehmen, während die Menschen ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Steigende Aktienkurse für Rüstungsunternehmen auf dem Rücken des Krieges. Und während in Ostafrika und Afghanistan Hungersnöte herrschen, machen Lebensmittelkonzerne Rekordgewinne. Keiner von uns hat das gewählt!
Vor dem Hintergrund der globalen und sozialen Schieflage mehren sich die Stimmen, die entschlossenes politisches Eingreifen fordern. In Deutschland setzen sich Teile der Klimabewegung zum Beispiel für die Enteignung bzw. Verstaatlichung von Energiekonzernen ein, um so mehr Kontrolle zu erhalten und eine klimagerechte Zukunft zu gestalten. Die Hilfsorganisation Oxfam drängt gleichzeitig darauf, generell eine Gewinnsteuer für großen Unternehmen einzuführen.
In den USA schlug der Demokrat und Vorsitzende des Senatsausschusses für Haushaltsfragen Bernie Sanders vor einiger Zeit schon ein Gesetz mit dem Namen Ending Corporate Greed Act vor. Danach sollen Konzerne, die ihren Durchschnittsgewinn der Vorjahre übertreffen, 95 Prozent auf diese Profite zahlen. Bei den dreißig größten Unternehmen würde das zu staatlichen Mehreinnahmen von 400 Milliarden Dollar führen.
Doch weder in den USA noch in Europa, einschließlich Deutschland, scheint die Politik fähig noch gewillt, die Krisengewinnler und damit auch -verschärfer zur Kasse zu bitten sowie die sozialen und globalen Rutschbewegungen zu stabilisieren. Angesichts der erodierenden Situation in vielen Ländern ein gefährliches politisches Experiment.