Richtlinie zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum auf Abwegen

Nach der neuen Version des Europäischen Parlaments geht es nicht mehr nur gegen "gewerbliche Nutzung", zufällig ist die Berichterstatterin für die Richtlinie die Frau des Vivendi-Chefs

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In den letzten Monaten gewann die Debatte um die Abstimmung des Europäischen Parlamentes über Softwarepatente ungewöhnlich große Medienaufmerksamkeit. Etwas abseits davon bereiten einige Parlamentarier aber schon länger eine weitere Richtlinie zur Durchsetzung der Interessen von Verwertern geistigen Eigentums vor. Bis jetzt blieb die Berichterstattung darüber allerdings in den größeren Medien aus.

Obwohl in einigen europäischen Ländern die Umsetzung der Richtlinie "zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft" immer noch aussteht oder gerade in vollem Gange ist (Gesetzbuch zu ... und alle Fragen offen), hat die Europäische Kommission bereits Anfang des Jahres eine weitere Richtlinie "über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum" auf den Weg gebracht, die neben dem Urheberrecht außerdem noch Marken- und Gebrauchsmusterrecht betrifft.

Die vorgeschlagene Richtlinie soll für Chancengleichheit bei der Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum in verschiedenen EU-Ländern sorgen, indem die Durchsetzungsinstrumente in der gesamten EU angeglichen werden, insbesondere in den Ländern, in denen die Durchsetzung von Rechten an geistigem Eigentum derzeit am schwierigsten ist.

Im ursprünglichen Richtlinienvorschlag war eindeutig festgelegt, dass die Richtlinie nur Anwendung findet, wenn "Rechtsverletzungen zu gewerblichen Zwecken erfolgen oder den Rechteinhabern erheblichen Schaden zufügen". Der primäre Zweck der Richtlinie ist, dass auch eine strafrechtliche Verfolgung absichtlicher und gewerblicher Rechtsverletzungen ermöglicht wird und dieser in ganz Europa gleiche Chancen zugestanden werden soll.

Allerdings finden sich schon in der Begründung einige Ungereimtheiten. Unter Punkt E "Schutz des Verbrauchers", erfährt man zum Beispiel, dass die Europäische Gemeinschaft sich den Verbraucherschutz zu einer Hauptaufgabe gemacht hat. Die Verletzung geistigen Eigentums habe oft schädliche Auswirkungen für die Verbraucher: "Wenn ein Verbraucher abseits der legalen Vertriebswege eine Nachahmung oder Raubkopie erwirbt, hat er im Prinzip keine Gewährleistungsansprüche, keinen Kundendienst und auch keine wirksame Möglichkeit, bei Bedarf Schadensersatz geltend zu machen." Die Richtlinie könne den Verbraucherschutz verbessern, heißt es dann, ungeachtet der Einschränkungen der Bürgerrechte und der Privatsphäre.

MP3s kopiert? "Zeigen Sie dem Herrn seine Zelle"

In seiner ersten Form passt der Richtlinienvorschlag so gar nicht in das Bild der aktuellen Praxis, in der zum Beispiel die amerikanischen Musikverwertergesellschaften von 12-jährigen Mädchen bis Rentnern jeden Tauschbörsianer, den sie erwischen, anzeigen. Ob dies zum gewerblichen oder zum privaten Zwecke erfolgte, interessierte nicht. In der Erläuterung zur EU-Richtlinie heißt es, sie sei "nicht darauf ausgerichtet, die Verfolgung sehr vieler Einzelpersonen zu ermöglichen, die P2P-Netze nutzen, um gelegentlich ein paar Dateien zu swappen".

Das aber könnte sich bald ändern, denn Janelly Fourtou ist nicht nur die Frau von Jean-René Fourtou, Chef von Vivendi Universal, sondern auch die Berichterstatterin der Richtlinie im Europäischen Parlament. In einem Berichtsentwurf hat sie bereits systematisch alle Einschränkungen der Richtlinie entfernt. Von der "gewerblichen Nutzung", die für eine strafrechtliche Verfolgung vorausgesetzt wird, ist dort keine Rede mehr. Die ursprüngliche Tragweite der Richtlinie wurde stark vergrößert und nach Zustimmung für die Änderungsvorschläge wird es keine Rolle mehr spielen, ob man aus gewerblichen oder privaten Absichten gehandelt hat. Gleiches Recht für alle könnte man vermuten.

Unter diesem Gesichtspunkt gesehen verliert der Satz: "Nachahmung und Produktpiraterie stellen eine echte Bedrohung für die öffentliche Ordnung dar" (Punkt F der ursprünglichen Richtlinie) seine eigentliche Bedeutung und schließt fortan jeden Urheberrechtsverstoß normaler Bürger ein.

Kritik von allen Seiten

Die Verwerterindustrie meldete sich schon kurz nach Vorstellung des Richtlinienvorschlags im Januar diesen Jahres zu Wort

IPJustice, ein Zusammenschluss von knapp 50 Bürgerrechtsorganisationen, hat ein Whitepaper herausgegeben, das klären soll, weshalb die EU-Richtlinie Bürgerrechte, Innovation und den europäischen Wettbewerb bedroht. Darin wird unter anderem festgestellt, dass die Richtlinie selbst die Entfernung sogenannter RFID-Tags, die zur Überwachung der Verbraucher genutzt werden können, verbietet.

This proposal would make it illegal to neutralize, deactivate, remove, or manipulate these tags in any way, opening the door to massive public surveillance and intrusion into the private lives of individuals.

Von der Campaign for an Open Digital Environment (CODE) wurde eine Petition verfasst, die zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen, wie Privatkopie.net oder European Digital Rights (EDRi) unterzeichnet haben. In der Petition heißt es:

Die Reichweite der vorgeschlagenen Richtlinie ist übermäßig breit, sie umfasst sämtliche Rechte des geistigen und gewerblichen Eigentums, und sie schafft einen rechtlichen Rahmen, der ausländische Inhaber von geistigem Eigentum bevorteilt und zugleich die in Europa bestehenden Prinzipien der Verfahrensgerechtigkeit für Beschuldigte in Streitfällen um geistiges Eigentum missachtet.

Weiterhin wird vor allem auch der Artikel 9 der Richtlinie kritisiert, der besagt, dass für die Besitzer geistigen Eigentums ein "Recht auf Auskunft" besteht. Gerichte sollen auch ohne Vorlage konkreter Beweise dazu verpflichtet werden können, Anordnungen zu erteilen, mit denen der Rechteinhaber dann zum Beispiel Auskunft über die Daten des vermeintlich Kriminellen bei ISPs erzwingen könnte. Dieses Vorgehen würde sich dann nicht von der Praxis der Recording Industry of Amerika (RIAA) im Rahmen des DMCAa unterscheiden. Von der ursprünglichen Aussage, dass man doch nur gewerbliche Übeltäter verfolgen wolle, hätte man sich damit vollends entfernt.

Das Europäische Parlament soll, nachdem die ursprünglich für den 11. September geplante Abstimmung verschoben wurde, nun Anfang November über die Richtlinie abstimmen. Am kommenden Mittwoch dem 8. Oktober läuft die Frist für Änderungsanträge ab.