Rigide Corona-Politik: "Querdenker"-Proteste in China?
Die Demonstrationen sind für einen Großteil der Medien in Deutschland ein Kampf für Demokratie und Freiheit. Aber auch die Anhänger einer strikten Corona-Politik müssten sich Fragen stellen. "Zero Covid" ist möglicherweise nicht umsetzbar.
"Wir wollen keine PCR-Tests, sondern Freiheit", skandieren die Menschen auf den Straßen. Das klingt doch auf den ersten Blick, als würden die "Querdenker"-Proteste wieder aufleben, nachdem sie in den Jahren 2020 und 2021 für Aufsehen sorgten und in diesem Jahr allmählich abflauten. Doch dieses Mal wurden diese Parolen in China gerufen, dem Land, das mit einer strikten Null-Covid-Politik zumindest für einige Zeit durchaus Zustimmung von Menschen bekam, die nicht als Anhänger autoritärer Staatssozialismus-Modelle bekannt sind.
Selbst die Weltgesundheitsorganisation lobte Chinas Krisenmanagement. Schließlich schien das Land mit seiner strikten Lockdown-Politik zeitweise das Coronavirus eingedämmt und die Zahl der Toten im Verhältnis zu anderen Staaten gering gehalten zu haben. Doch schon früh wurde auch gewarnt, dass das Virus und die Begleiterscheinungen einer Staatsführung, die die Null-Covid-Politik zur eigenen Imagepflege nutzte, gefährlich werden könnten. So schrieb Stefan Kornelius bereits im Januar 2020 in der Süddeutschen Zeitung:
Eine Epidemie könnte in einen Massenaufruhr umschlagen, bei dem sich die Bürger Schuldige suchen. Global gesehen ist das Coronavirus ein Test für Chinas Führungsambitionen.
Stefan Kornelius, Süddeutsche Zeitung, Januar 2020
Nicht die ersten Proteste in China
Nun ist es natürlich fraglich, ob sich gemessen an der Bevölkerungszahl tatsächlich Massen an den Protesten in China beteiligen werden. Doch auf jeden Fall handelt es sich um wahrnehmbare Proteste gegen eine staatskapitalistische Politik, die zwar vielen Menschen soziale Verbesserungen brachte, aber auch die staatliche Kontrolle auf allen Ebenen verstärkte.
So wurde auch die Null-Covid-Politik für viele Menschen zu einer Belastung. Sie konnten ihre Häuser nicht verlassen, hatten teilweise nicht genug Nahrung. Es gab auch in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Bilder und Videos, auf denen zu sehen war, wie sich Menschen gegen die Zumutungen der strikten Null-Covid-Politik wehrten, sich über Freiheitsentzug und mangelnde Ernährung beklagten.
Doch die Proteste der vergangenen Tage zeigten, dass die Menschen entschlossen auf die Straße gehen und deutlich machen, dass sie die Angst vor der Staatsmacht verloren haben. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Proteste in einer großen I-Phone-Fabrik begonnen haben.
Es gab auch in den vergangenen Jahren immer wieder Arbeitskämpfe in verschiedenen Branchen in China. Sie waren nicht selten erfolgreich und führten zu ökonomischen Verbesserungen der Lohnabhängigen. Es wurde dabei bewusst vermieden, die Staats- und Parteiführung direkt anzugreifen. Das war nun in den letzten Tagen anders. Slogans gegen die Parteiführung wurden angestimmt.
Als einer der Auslöser für die Proteste an den Universitäten gilt ein Hochhausbrand in Urumqi mit mehreren Toten, deren zeitige Rettung manchen Berichten zufolge auch durch Corona-Maßnahmen behindert wurde.
Es ist jedoch bemerkenswert, dass nicht nur das Ende der strengen Lockdowns gefordert, sondern auch die PCR-Tests abgelehnt wurden, die ja auch außerhalb Chinas zu den Säulen der Pandemiebekämpfung gehören. Hier könnte man also tatsächlich Ähnlichkeiten zu den "Querdenker"-Protesten der vergangenen Jahre in Deutschland und anderen Ländern ziehen, die die Corona-Maßnahmen generell in Frage stellten.
Allerdings ist die Reaktion der Medien aktuell völlig anders. In öffentlich-rechtlichen Nachrichtenredaktionen machte man sich Sorgen, dass die Protestierenden demnächst harte Repression treffen könnte. Kommentierende verschiedener Medien zeigten Verständnis für den Unmut auf den Straßen. Hier nur exemplarisch ein Ausschnitt aus einem Kommentar des China-Korrespondenten der taz, Fabian Kretschmer:
Bislang ist noch nicht abzusehen, wie ausdauernd der Zorn der chinesischen Volksseele sein wird. Doch es scheint, als ob seit dem Wochenende ein Damm gebrochen ist: Der Mut einiger weniger inspiriert viele weitere, es ihnen gleichzutun. Die chinesische Jugend hat zwar schmerzhaft lernen müssen, dass ein Einzelner in diesem System nicht viel ausrichten kann. Doch nun erfährt sie, dass man gemeinsam vereint eine mächtige Stimme hat.
Fabian Kretschmer, taz
Solch ein Lob für Corona-Maßnahmen-Kritiker hat man in der taz bisher nicht gelesen. Demonstranten, die in Deutschland und anderen Nachbarländern Corona-Maßnahmen und Lockdown ablehnten, hatten schließlich in den letzten Jahren keine gute Presse. Sollte sich das am Beispiel Chinas ändern?
Ist die Null-Covid-Politik in China gescheitert?
Aber die jüngsten Ereignisse in China werfen auch Fragen an die Befürworter einer strikten Corona-Eindämmungspolitik auf. Denn den Protesten ging eine neue Corona-Welle im Land voraus. Da stellt sich natürlich die Frage, warum gerade in einem Land mit strikter Null-Covid-Politik die Infektionsraten steigen, während sie beispielsweise in Deutschland zuletzt eher gesunken sind. Eine beliebte Erklärung lautet, dass die chinesische Staatsführung durch ihre Null-Covid-Politik und ihre Impfstrategie verhindert habe, dass sich in der Bevölkerung eine Herdenimmunität herausbilden konnte, so dass neue Virusvarianten die Zahl der Ansteckungen erhöhen.
Allerdings gab es auch am Konzept der Herdenimmunität in der Vergangenheit immer wieder Kritik. So wurde bezweifelt, ob sie überhaupt erreichbar sei. Zudem wurde davor gewarnt, dass vulnerable Gruppen besonders gefährdet sind und für die Herdenimmunität geopfert würden. Daher warnen Initiativen wie ZeroCovid vor solchen Konzepten.
ZeroCovid hatte ebenfalls das Ziel, die Infektionen möglichst auf Null zu reduzieren. China diente dabei allerdings nicht als Vorbild. Trotzdem dürften die weiteren Ereignisse in dem Land auch in dieser Initiative für Diskussionen sorgen. Vielleicht zeigt sich hier nur, dass Null Covid in einem Land genauso unmöglich ist wie Sozialismus in einem Land.