Robotik in der Pflege: nützliche Assistenz oder Horrorvision?
Was heute schon möglich ist. Was ein Robotik-Professor über zukünftige Möglichkeiten sagt – und wie Gewerkschaften darüber denken.
Robotik in der Pflege ist angesichts der Sparzwänge und des Arbeitskräftemangels in diesem Bereich für viele Menschen eine gruselige Vorstellung: Keine menschliche Ansprache mehr, stattdessen von Maschinen gefüttert werden – wer will das schon? Anders sähe es möglicherweise aus, wenn der Kostendruck nicht wäre und Roboter nur auf Wunsch der Betroffenen ergänzend zum menschlichen Personal eingesetzt würden – zum Beispiel, um die Intimsphäre von Patientinnen und Patienten zu wahren, die nicht unbedingt möchten, dass ihnen wenig vertraute Personen die Windeln wechseln.
Aber abgesehen von der Systemfrage, die sich hier stellt, gibt es dafür geeignete Roboter noch nicht. Die Fähigkeiten des Pflegeroboters "Pepper", der seit 2017 testweise in mehreren deutschen Einrichtungen eingesetzt wurde, sind begrenzt: Um bettlägerigen Patienten die Windeln zu wechseln, ist das Modell eindeutig zu grobmotorisch. Tabletten ans Bett bringen kann er bereits. Während seine Hände menschlichen durchaus nachempfunden und mit Berührungssensoren ausgestattet sind, geht er nicht auf zwei Beinen, sondern rollt auf einem breiten Fuß.
Dafür spricht "Pepper" verschiedene Sprachen, kann Geschichten vorlesen, Witze erzählen und weniger gebrechliche Senioren bei ihrer Gymnastik anleiten. Damit er nicht nervt, sondern im Idealfall auf menschliche Stimmungen eingeht, wurde er darauf programmiert, Mimik und Gestik zu analysieren - und manche fühlten sich, glaubt man verschiedenen älteren Medienberichten, von ihm sogar gut unterhalten. Die eigentliche Pflegearbeit kann er aber nicht übernehmen.
Seine bescheidene Größe von 1,20 Metern kommt der Augenhöhe mit Menschen im Rollstuhl zugute, seine Gesichtszüge sind freundlich, aber das Aussehen des weißen Plastikmännchens insgesamt nur entfernt menschenähnlich. Das ist auch Absicht, denn Roboter, die auf den ersten Blick wie Menschen aussehen, aber dann doch nicht als solche durchgehen, sind den meisten Menschen eher unheimlich. Und an Roboter, die tatsächlich als Menschen durchgehen, ist zurzeit noch nicht zu denken.
Er solle auch keinesfalls menschliches Personal ersetzen, sondern diene nur zur Unterstützung - und um mal etwas Neues auszuprobieren, hieß es von Anfang an. In einem Pflegeheim in Diedorf konnte ein Roboter dieses Typs jedoch Bewohner, Kollegen und Vorgesetzte nicht überzeugen und verlor im Herbst 2022 nach einem Jahr "seinen Job", wie es in einem MDR-Bericht heißt.
Entwickelt worden war "Pepper" gemeinschaftlich von der französischen Firma Aldebaran Robotics SAS und dem japanischen Telekommunikations- und Medienkonzern SoftBank Mobile Corp. Letzter hatte im Juni 2021 die Produktion auf Eis gelegt, beziehungsweise "pausiert", wie es damals in einem Bericht der BBC hieß. Software-Fehler wurden nicht mehr korrigiert und Funktionen nicht erweitert. "Ohne die Updates wurde er zunehmend unbrauchbar", so das Fazit des Diedorfer Heimleiters.
Ein konkurrierendes Modell, der Pflege- und Haushaltsroboter "Garmi" kann nicht nur bettlägerigen Patienten nachts ein Glas Wasser ans Bett bringen, sondern zum Beispiel auch auf Wunsch per Video-Call deren Enkel kontaktieren - oder den ärztlichen Notdienst rufen. Entwickelt hat ihn die Münchner Franka Emika GmbH. Deren Gründer Professor Dr. Sami Haddadin hat einen Lehrstuhl für Robotik und Systemintelligenz an der Technischen Universität München.
Was wird massentauglich und wer kann es sich leisten?
Die Frage, wann die bereits entwickelten Roboter massentauglich werden, kann laut Prof. Haddadin "leider nicht mit einer exakten Anzahl an Jahren beantwortet werden". Hier spielten "viele Faktoren aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mit hinein, die für den Aufbau einer Infrastruktur für eine breite Implementierung der Systeme mit einbezogen werden müssen", betont der Wissenschaftler auf Anfrage Telepolis.
Allerdings verweist er auch auf Veränderungen, die während der Corona-Pandemie unerwartet schnell vonstattengegangen seien – etwa auf die Häufigkeit von Video-Sprechstunden. Auch der Nutzen von telemedizinischen Anwendungen sei in der Pandemie deutlich geworden.
Ich hoffe, dass wir hier eine Lanze für die Robotik und maschinelle Intelligenz brechen können. Wir bauen derzeit eine Plattform, auf welche die nächste Generation aufsetzen kann. Auf die Resultate, die meine Studierenden und Forschenden derzeit bereits erzielen, werden Dinge folgen, die ich mir vermutlich noch gar nicht vorstellen kann. Ich glaube wir stehen hier erst am Anfang und müssen nun dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen von diesem Fortschritt profitieren. Entscheidend dafür ist natürlich auch die marktförmige Umsetzung.
Prof. Dr. Sami Haddadin, TU München, Gründer Franka Emika GmbH
Tatsächlich müssten Politik und Krankenkassen mitspielen, wenn Modelle wie "Garmi" oder auch der Roboterarm "Panda" in größerem Stil Menschen mit Einschränkungen helfen sollen, ihre Selbstständigkeit zu bewahren. "Wenn von allen Beteiligten jetzt die Weichen richtig gestellt werden, dann können die Chancen hierfür in einigen Jahren gegeben sein", zeigt sich Haddadin optimistisch.
Wieviel Robotik verträgt die Pflege?
Aber wie viel Robotik in der Pflege ist überhaupt wünschenswert? – In Japan werden Pflegeroboter bereits zum Tragen eines Patienten sowie "zur Kommunikation und zur sozialen Interaktion" eingesetzt. Nach Meinung des Professors könnten Deutsche in dieser Hinsicht etwas lernen:
Die Akzeptanz der Systeme hängt dort auch damit zusammen, dass Roboter in Japan generell sehr beliebt sind und die Menschen eine grundsätzlich andere Beziehung zu diesen maschinellen Helfern haben als wir. So sollte in Deutschland begleitend zur Entwicklung der Systeme sehr stark an der Akzeptanz gearbeitet werden und der Bevölkerung Zugangspunkte ermöglicht werden, mit Robotern zu interagieren und sich zu informieren.
Prof. Dr. Sami Haddadin
Als Beispiel hierfür nennt er die besucherfreundliche "Roboterfabrik" in Garmisch-Partenkirchen. Allerdings sei es ihm wichtig, im Kontext Robotik und Pflege immer sehr deutlich zu betonen, "dass Menschen sich um Menschen kümmern sollen und Menschen im Alltag unterstützen müssen". Es gehe darum, denjenigen, "die mit ihrer Pflege einen Dienst an der Gesellschaft verrichten, Unterstützung und Assistenz anzubieten".
Roboter sollten dabei definitiv kein Pflegeersatz werden, sondern eine Pflegeassistenz, versichert er. "Sie nehmen Pflegenden Aufgaben ab, welche mit der eigentlichen Pflege nichts zu tun haben oder körperlich äußerst anstrengend sind, sodass diesen mehr Zeit für direkte, zwischenmenschliche Interaktion bleibt."
"In der Pflege sind Tätigkeiten, die Roboter übernehmen können, begrenzt", ist Sylvia Bühler vom Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di überzeugt.
Zuwendung, Aufmerksamkeit und individuelles Eingehen auf Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen sind nicht durch Roboter zu ersetzen. Maschinen können zwar Essen ans Bett befördern und abräumen. Aber Essenreichen ist mehr als Nahrungsgabe. Es geht auch um menschlichen Kontakt, Kommunikation und das Beobachten von Essverhalten der Bewohnerinnen und Bewohner.
Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand
Für eine gute Pflege seien daher ausreichend Zeit und eine bedarfsgerechte Personalausstattung nötig. Insgesamt müssten Arbeitsbedingungen und Bezahlung deutlich besser werden, so Bühler gegenüber Telepolis. Kommerzielle Pflegekonzerne würden auf Kosten der Pflegebedürftigen, der Beschäftigten und der Allgemeinheit hohe Profite erzielen.
Roboter (16 Bilder)
Pflegeroboter kämen aber bisher im betrieblichen Alltag nicht vor, so die Gewerkschafterin. "Wir messen ihren möglichen Einsatz daran, ob die Maschinen das Leben und die Situation von Pflegebedürftigen erleichtern und Beschäftigte entlasten." Beim Einsatz neuer Technologien müssten daher Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen von Anfang an mitreden. "Wir werden die durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz angestoßenen Veränderungsprozesse konstruktiv kritisch mitgestalten."
Die Frage, ob Robotik in der Pflege ein Fluch oder ein Segen wird, ist also auch eine Frage der Demokratisierung der Arbeitswelt.