"Rote Karte" für Lobbyisten: Umweltgruppen besetzen Haus des Wirtschaftsrates

Ein Nebeneingang blieb frei: Den Beteiligten der Blockade ging es darum, ein Problembewusstsein für Lobbyismus zu schaffen. Foto: XR

Warum die CDU-nahe Vereinigung zum Blockade-Objekt von Extinction Rebellion wurde und viele Kilo Kohle vor der NRW-Landesvertretung in Berlin landeten

"Wir sind hier für eure Kinder", skandierten die Umweltbewegten vor dem Haus des Wirtschaftsrates in Berlin, als kurz vor 12 Uhr die polizeiliche Räumung ihrer Sitzblockade begann. "Klimaschmutzlobby raus aus der Regierung" stand auf einem Transparent, das sich auf die Überschneidungen zwischen dem Wirtschaftsrat und der Regierungspartei CDU bezieht.

Per Lautsprecher wurde Artikel 20a des Grundgesetzes verlesen: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."

Am Morgen hatte ein Teil der Aktiven von Extinction Rebellion (XR) und anderen Gruppen auch das Gebäude selbst besetzt - sie waren von der Polizei zuerst geräumt und durch einen Nebeneingang herausgebracht worden. Um 12:52 hatte die Polizei "unmittelbaren Zwang" angekündigt, falls der Haupteingang nicht freigemacht werde. Parolen wie "Brecht die Macht der Banken und Konzerne" und "One Solution - Revolution" wurden gerufen; "Du bist nicht allein" hieß es, so bald eine Person von der Polizei weggetragen und zur Gefangenensammelstelle gebracht wurde. Eine Handvoll Beteiligter hatte sich aber auch im Eingangsbereich festgeklebt. Andere zeigten dem Wirtschaftsrat im Stehen die "Rote Karte".

Anders als die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer letzten Sommerpressekonferenz macht XR nicht die Bevölkerung oder lokale Anti-Windkraft-Initiativen für das Schneckentempo in Sachen Energie- und Verkehrswende verantwortlich. Im Gegenteil: Das Netzwerk ist überzeugt, dass es schneller gehen würde, wenn ein "Klimabürger:innenrat" einen für die Politik verbindlichen Maßnahmenplan für den nötigen Umbau erarbeiten könnte. Sie hätten das Haus des Wirtschaftsrates besetzt und blockiert, "um ein klares Zeichen für mehr Demokratie in unserem Land zu setzen", sagte ein XR-Sprecher am Mittwochmorgen vor dem Gebäude.

"Es kann einfach nicht sein, dass Lobbyverbände, die die Profitmaximierung einzelner Unternehmen über die Erhaltung unser aller Lebensgrundlagen stellen, einen so massiven Einfluss und unausgeglichenen Einfluss auf die Politik haben." Im "Klimabürger:innenrat" müssten "alle Interessengruppen gleichberechtigt" vertreten sein.

Zu Beginn der Räumung ermahnte ein Aktivist per Lautsprecher die Einsatzkräfte, keine Schmerzgriffe anzuwenden, wie es in den vergangenen Tagen mehrfach geschehen sei. Er wisse, dass sie "nur ihren Job" machten - aber gewissermaßen täten das auch die Protestierenden, meinte er. Dabei mussten sich einige von ihnen für den "August Riseup" in der Hauptstadt freinehmen.

"Nie wieder CDU, die Tür bleibt zu"

Auch die Parole "Nie wieder CDU, die Tür bleibt zu" wurde zwischenzeitlich gerufen. Der Wirtschaftsrat der CDU stehe für "einen problematischen fließenden Übergang zwischen Partei und Lobbyverband", hatte XR zur Begründung der Aktion erklärt. Obwohl der Wirtschaftsrat sich als "unternehmerischer Berufsverband" und "parteipolitisch unabhängig" bezeichnet, ist er zugleich ein eingetragener Verein mit dem Namen "Wirtschaftsrat der CDU e. V." – und dessen Präsidentin Astrid Hamker ist beratendes Mitglied im Parteivorstand der CDU. Mit Friedrich Merz hat Anfang des Jahres auch erstmals ein Spitzenfunktionär des Verbands für den Parteivorsitz kandidiert; allerdings erfolglos.

Ein so "hohes Tier" wie Merz trafen die Besetzerinnen und Besetzer aber in dem Gebäude nicht an. Das hätten sie auch nicht unbedingt erwartet, sagte einer ihrer Sprecher. Es seien Büroangestellte gewesen, denen sie erst einmal versichert hätten: "Wir sind friedlich und wollen nur ein Banner aus dem Fenster hängen", sagte eine Aktivistin, die nach der Personalienfeststellung wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, im Anschluss. Zu gröberer Polizeigewalt kam es an dieser Stelle zunächst nicht - XR-Pressesprecher Tino Pfaff betonte aber gegenüber Telepolis, das sei seit Beginn der Aktionswoche nicht immer und überall so gewesen. Gerade würden Berichte Betroffener gesammelt.

Im Rahmen des "August Riseups" finden in der laufenden Woche sowohl Aktionen des zivilen Ungehorsams – in der Regel mit dreistelligen Teilnehmerzahlen – als auch angemeldete Proteste statt. An zwei Demonstrationszügen von den Parteizentralen von CDU und SPD zum Brandenburger Tor hatten sich am Dienstag rund 3.000 Menschen beteiligt.

Am Mittwochnachmittag statteten Umweltbewegte auch der Berliner Vertretung des von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet regierten "Kohlelandes" Nordrhein-Westfalen einen Besuch ab. Vor Landesvertretung verschütteten sie nach eigenen Angaben hunderte Kilogramm Kohle, um ihre Forderung nach einer früheren Abkehr von dem fossilen Brennstoff zu unterstreichen.

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