Rücktritt gefordert: Wann spricht Scholz Wissing sein "vollstes Vertrauen" aus?
Bei Altkanzlerin Merkel war die Sprachregelung klar. Aber was heißt es, wenn ihr Nachfolger von einem "sehr, sehr guten Verkehrsminister" spricht? Fridays for Future startet Petition.
Wenn Angela Merkel (CDU) während ihrer Kanzlerschaft einem Kabinettsmitglied ihr "vollstes Vertrauen" aussprach, musste dieses bald zurücktreten. So lief es 2009 im Fall des Bundesarbeitsministers Franz-Josef Jung, der zuvor Verteidigungsminister war und letztendlich doch über seine Informationspolitik zum Massaker bei Kundus stolperte.
So lief es 2011 im Fall des adeligen Wehrministers Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jakob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg (CSU), der seine Doktorarbeit nicht selbst zusammenkopiert hatte.
So lief es auch 2013 im Fall der Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), die ebenfalls wegen einer Plagiatsaffäre ihren Hut nehmen musste und ihren Doktortitel verlor. Den Rücktritt von Franziska Giffey (SPD) als Familienministerin weniger als ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl 2021 hielt Merkel angeblich gar nicht für nötig – auch in diesem Fall ging es im Plagiatsvorwürfe; und auch sie verlor ihren Doktortitel.
"Ein sehr, sehr guter Verkehrsminister"
Die Sprachregelung von Merkels Amtsnachfolger Olaf Scholz (SPD) ist dagegen ungewiss: Was genau bedeutet es, wenn der Kanzler sagt, Volker Wissing (FDP) sei "ein sehr, sehr guter Verkehrsminister"? – Scholz hat das schon vor mehr als zwei Wochen zum Auftakt der Kabinettsklausur in Meseberg gesagt; und ganze Umweltverbände dürften hoffen, dass dies eine Vorstufe zum "vollsten Vertrauen" nach Merkelscher Art gewesen sein könnte.
Denn Scholz erteilte dieses Lob kurz nachdem Wissing die Umsetzung eines Taktfahrplans bei der Deutschen Bahn allen Ernstes auf das Jahr 2070 verschoben hatte – und zusätzlich in der Kritik stand, weil er angekündigt hatte, den EU-Kompromiss zum Ende der Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor im Jahr 2035 zu blockieren.
Mit Ansage wurden auch im Verkehrsbereich die jährlichen Sektorziele des Klimaschutzgesetzes verfehlt. Umweltverbände werfen der Bundesregierung deshalb Rechtsbruch vor – die FDP will die Vorgaben nun am liebsten ersatzlos streichen. Allerdings ist sie nach den Grünen der kleinere Juniorpartner in der Ampel-Koalition; und es gäbe wohl auch rechtliche Probleme.
Die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer vom Netzwerk Fridays for Future hat Wissing schon im vergangenen Jahr "Arbeitsverweigerung" vorgeworfen – was die Autoindustrie sicherlich anders sieht, denn in deren Sinne arbeitet er durchaus, wenn er von "Klima-Blabla" spricht, den Ausbau von Autobahnen plant und Werbung für E-Fuels macht. Um letztere geht es im Verbrenner-Streit, der sich Anfang dieser Woche zuspitzte – viele Experten sehen die synthetischen Kraftstoffe wegen ihres geringen Wirkungsgrads zumindest nicht als Lösung für den motorisierten Individualverkehr.
Trotz des schon länger erhobenen Vorwurfs der Arbeitsverweigerung hat Fridays for Future erst am Dienstag eine Petition gestartet, um Wissings Rücktritt zu fordern – er soll einen Kompromissvorschlag der EU-Kommission zum Verbrenner-Aus abgelehnt haben.
Rücktrittsforderung trotz Bedenken gegen Personaldebatten
Warum es vorher Bedenken gegen eine Anti-Wissing-Kampagne gab, wird im Petitionstext auf Plattform Campact erklärt:
Fridays for Future fordert den Rücktritt von Volker Wissing nicht leichtfertig, denn oftmals lenken Personaldebatten von den eigentlichen Krisen ab. Aber hier ist es anders. Mittlerweile ist Volker Wissing Teil der Krise selbst.
Aus der Petition von Fridays for Future
Mehr als 50.000 Mal wurde die Petition in den ersten 24 Stunden online unterzeichnet. Es gebe "nicht das leiseste Anzeichen dafür, dass Volker Wissing ein Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen, Koalitionsvereinbarungen oder der Einhaltung des Klimaschutzgesetzes entwickelt", heißt es darin.
Die EU-Kommission hatte sich Anfang der Woche bereiterklärt, Autos mit Verbrennungsmotor weiter zuzulassen, wenn sie ausschließlich mit E-Fuels betankt werden können, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters aus einem Regulierungsvorschlag der Brüsseler Behörde, der dem deutschen Verkehrsministerium übermittelt worden sei.
Voraussetzung soll sein, dass die neue Kategorie zugelassener Fahrzeuge rein technisch nur mit den synthetischen Kraftstoffen betrieben werden kann. Die Autos müssten demnach erkennen können, wenn sie mit Benzin oder Diesel betankt werden – und dann automatisch abschalten, heißt es in dem Entwurf.
Wissing, der zuvor darauf gedrängt hatte, dass "Verbrenner" weiter zugelassen werden müssten, wenn sie auch (!) mit E-Fuels betankt werden können, war damit nicht einverstanden.