Rüstungskonzerne profitieren von Migration im Ärmelkanal
Der Markt für die Überwachung von Seegrenzen boomt. Zu den Gewinnern der europäischen Abschottungspolitik gehören zwei deutsche Firmen
Grenzbehörden in Frankreich beobachten Schiffsbewegungen im Ärmelkanal jetzt mit deutscher Technik. Zum Einsatz kommt ein Schiffsverfolgungssystem nahe der Hafenstadt Calais. Die Anlage mit dem Namen "STYRIS" stammt von der Firma Signalis und ist in einem Lagezentrum am Leuchtturm des Cap Gris-Nez untergebracht. Signalis ist ein Zusammenschluss der Rüstungskonzerne Airbus und ATLAS Elektronik und auf die Überwachung maritimer Grenzen spezialisiert.
Von dem Leuchtturm nahe Calais ist die britische Küstenstadt Dover nur rund 30 Kilometer entfernt. Immer öfter melden die britische und französische Polizei Überfahrten von Migranten, die dort in kleinen Booten versuchen den Ärmelkanal zu überwinden. In 2018 haben französische Behörden 71 Überquerungen gezählt, 31 Versuche sind demnach gescheitert. Insgesamt haben dabei 276 Migranten die Nordsee erfolgreich überwunden, 228 Menschen wurden gestoppt. Seit November hatten sich die Überfahrten den Berichten zufolge vervierfacht. Die meisten der Migranten stammten aus dem Iran.
Vertrag für "vorgezogene Grenzkontrollen"
Zu den Gründen für die angestiegenen Überfahrten gibt es unterschiedliche Vermutungen. Der bevorstehende Brexit dürfte beispielsweise zu mehr Grenzüberwachung im Ärmelkanal führen. In mehreren unerlaubten Camps in Calais warten zudem viele Menschen darauf, unerkannt auf Lastwagen nach Großbritannien einzureisen. Die Räumung mehrerer Camps hat den Druck auf die Migranten erhöht. Die Behörden haben deshalb die Überwachung der Bahnanlagen in Calais, aber auch an den französischen Haltestellen des grenzüberschreitenden Eurostar-Zuges verstärkt.
Dabei sind auch britische Polizisten auf dem Festland eingesetzt. Grundlage sind mehrere Vereinbarungen über "vorgezogene Grenzkontrollen", die Belgien, Frankreich und Großbritannien nach Eröffnung des Eurotunnels unterschrieben hatten. Sie sollen den Wegfall der Binnengrenzkontrollen nach dem Schengener Abkommen kompensieren und verhindern, dass Asylsuchende am Bahnhof St Pancras in London ankommen. In 2003 haben Frankreich und Großbritannien den Vertrag von Le Touquet unterzeichnet, der britische Kontrollen auf den Fähren in Calais, Dünkirchen und Boulogne-sur-Mer erlaubt. Behörden beider Länder arbeiten im Hafen von Calais in einem gemeinsamen Koordinationszentrum zusammen.
Großbritannien will französische Drohnen finanzieren
Vergangene Woche hatte der französische Innenminister Christophe Castaner ein Maßnahmenpaket vorgelegt, das unter anderem mehr Polizei und Gendarmerie in der Häfen von Boulogne-sur-Mer und Calais sowie mehr Einsätze des Zoll, der Seepolizei und der Marine vorsieht. Auch Strände und "potenzielle Startplätze außerhalb der Häfen" werden besonders überwacht. Bootsverkäufer, Bootsverleihe und die privaten Hafenmanager sollen in den "Kampf gegen Menschenschmuggler" eingebunden werden.
Auch die britische Regierung will den Ärmelkanal stärker überwachen und hat angekündigt, zusätzlich zu einem bereits beorderten Marineschiff zwei Patrouillenboote aus dem Mittelmeer in die Nordsee zu entsenden. Eines der Schiffe war bislang in einer Mission der Grenzagentur Frontex eingesetzt.
In einem Telefongespräch hatten der französische Präsident Emmanuel Macron und die britische Premierministerin Theresa May ihre "Besorgnis" geäußert und mehr Zusammenarbeit verabredet. Weitere Maßnahmen soll jetzt ein "Gemeinsamer französisch-britischer Aktionsplan" festschreiben, den die Innenminister der beiden Länder nach einem baldigen Treffen verabschieden. Großbritanniens Innenminister Sajid Javid hat bereits verlautbart, dass er die französischen Behörden bei der Überwachung der Grenzen unterstützen und insbesondere Drohnen, Radaranlagen und Videoüberwachung finanzieren will.
Airbus wirbt gegen "Welle illegaler Einwanderer"
Der Markt für Anlagen zur Grenzüberwachung wird also weiter florieren, die Hersteller profitieren dabei wie im Ärmelkanal von der europäischen Abschottungspolitik. Airbus hatte seine Grenzüberwachungstechnik vor drei Jahren als besonders geeignet gegen eine "Welle illegaler Einwanderer" beworben. Das deutsche Verteidigungsministerium hat in einem Schenkungsvertrag Technik von Airbus gekauft, um damit die Grenzsicherung in Tunesien zum "Schutz vor terroristischen und anderen grenzüberschreitenden Bedrohungen" zu verbessern. Die EU-Kommission finanziert ein Projekt der italienischen Regierung zum Aufbau einer Seenotrettungsleitstelle in Libyen (Umkämpftes Mittelmeer).
Zum Verkauf des Systems "STYRIS" an Behörden in Frankreich erklärt die Firma Signalis, dass die Technik nicht zur Migrationskontrolle eingesetzt wird. Vielmehr sollen gefährliche Zusammenstöße in der vielbefahrenen Wasserstraße vermieden werden. Gerade große Schiffe können einem Hindernis kaum ausweichen. An dieser Stelle im Ärmelkanal herrschen zudem starke Strömungen und Winde. Hilferufe erfolgen meist in der Nacht, dann muss das Boot lokalisiert werden. Ein Schiffbruch wurde bislang nicht festgestellt.
Ein Schiffsverfolgungssystem ("Vessel Tracking System") gehört zur Grundausstattung jeder Hafenbehörde und basiert auf Daten von Transpondern, mit denen kommerziell genutzte Schiffe per GPS jederzeit ihren Standort und ihre Kennung mitteilen. Ihre Fahrtrichtung wird auf einem Bildschirm angezeigt, dabei ist auch die Fahrspur als Schimmer zu erkennen. Gewöhnlich werden auch Daten von einem Küstenradar einbezogen, auf diese Weise werden kleine Boote erkannt und unterschieden.
Aufrüstung zur Plattform für Küstenüberwachung
Ein solches "Vessel Tracking System" kann mit zusätzlichen Sensoren aufgerüstet werden. Signalis nennt hierzu beispielsweise ein Videoüberwachungssystem, das über eine Reichweite von bis zu 28 Kilometern verfügt und damit in etwa die Entfernung im Ärmelkanal abdeckt. Die Anlage kann auch Infrarotkameras einbinden. Das System erlaubt außerdem die Programmierung von Warnmeldungen, etwa wenn eine Kollision droht oder zuvor definierte Bereiche befahren werden. Über eine Schnittstelle können weitere Behörden auf die Daten zugreifen, darunter der Zoll, die Polizei, Grenzbehörden oder die Marine.
Je nach Ausstattung wird das "Vessel Tracking System" dann zu einer Plattform für die gesamte Küstenüberwachung ("Coastal Surveillance System"). Als Einsatzmöglichkeiten für ein solches "Coastal Surveillance System" nennt Signalis Grenzsicherung, irreguläre Migration, Piraterie, Terrorismus, Schmuggel und die Seenotrettung.
Bilder aus dem All
Dabei können auch Informationen aus der Luftüberwachung genutzt werden. Signalis wirbt damit, dass sowohl Airbus als auch ATLAS Elektronik entsprechende Anwendungen für Helikopter, Flugzeuge und Drohnen vermarkten. Das Überwachungssystem ist besonders auf die Erkennung kleiner "Ziele" spezialisiert und meldet verdächtige Schiffsbewegungen.
Als "abnormal" gilt etwa, wenn Wasserfahrzeuge plötzlich ihre Geschwindigkeit oder Richtung ändern, auf einer schwarzen Liste oder als gestohlen gemeldet sind oder bereits zuvor in Zwischenfälle verwickelt waren. Über die Schiffsdatenbank bei der Versicherungsbörse Lloyd‘s können weitere Informationen abgefragt werden, darunter Reisewege der Schiffe, Inspektionen und Werftaufenthalte.
Ein ähnliches Verfahren nutzt die Europäische Union in ihrem Grenzüberwachungssystem EUROSUR, das auf dem Mittelmeer ebenfalls verdächtige Schiffsbewegungen erkennt. Es wird von der Grenzagentur Frontex verwaltet und bindet Informationen aus der Satellitenaufklärung ein. Die Bilder stammen vom EU-Satellitenzentrum oder werden von kommerziellen Anbietern angekauft. Zu den Hauptlieferanten gehört Airbus, der Konzern verdient außerdem an der Nutzung seiner "Weltraumdatenautobahn" für die schnellere Übertragung der Daten (Noch dieses Jahr Drohnen an den EU-Außengrenzen).