Russische Präsidentschaftswahl: Klarer Sieg durch westliche Schützenhilfe

Wahltagsbefragungen haben einen Erdrutschsieg von Wladimir Putin vorausgesagt. Bild: Screenshot DW
Putin hat die Wahl mit deutlichem Abstand und hoher Wahlbeteiligung gewonnen. Welche Gründe hat das? Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung? Gastkommentar.
Die Präsidentschaftswahl in Russland bot in der Reihenfolge ihrer Platzierungen kaum Überraschungen. Putin gelangte auf Platz 1 und der Kandidat der Kommunisten, Charitonow, auf Platz 2.
Leicht überraschend war die Platzierung des relativ unbekannten Kandidaten der Liberalen, Dawankow, auf Platz 3 und damit vor dem Kandidaten der etablierten rechtspopulistischen "Liberal-Demokraten", Sluzki. Auch die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung von über 77,4 Prozent war abzusehen.
Putin vs. Biden
Wenn man sich einige Einschätzungen (oder Hoffnungen) gerade der deutschen Massenmedien in den letzten Monaten in Erinnerung ruft, dann ist es ein Wunder, dass Putin überhaupt bis zum Wahltag überlebte. Von vagen Hinweisen auf sein Methusalem-Alter, bis zu fachmännischen Diagnosen über zahlreiche Erkrankungen, boten deutsche Journalisten ihren Lesern eine Mischung aus Verzweiflung und Selbstoffenbarung.
Es wird interessant sein zu beobachten, ob die gleichen Medien zur diesjährigen Präsidentschaftswahl in den USA, das Alter des amtierenden Präsidenten Biden – immerhin schon 81 und damit ganze zehn Jahre älter als Putin – ähnlich stark betonen werden. Noch interessanter wird sein, ob der Gesundheitszustand von Biden überhaupt Erwähnung findet.
Denn im Gegensatz zu den wilden Spekulationen über Putins Gesundheit, bei denen teilweise der Eindruck entstand, in einigen Redaktionsstuben würden Voodoo-Puppen zum Einsatz kommen, ist der schwierige, vor allem mentale, Gesundheitszustand von Joe Biden durch unabhängige amerikanische Experten bestätigt worden.
Dafür reicht es zu sehen, wie Putin ein zweistündiges Interview mit dem amerikanischen Journalisten Tucker Carlson führt, während Biden kaum zehn Minuten ohne (sprachliche und physische) Ausrutscher oder Stolperer auf ausgewählte Fragesteller antworten kann.
Druck von außen hat Zusammenhalt gestärkt
In der Detailbetrachtung konnte Putin sein Rekordergebnis von 88,5 Prozent aber nur durch westliche Schützenhilfe erreichen. Je aggressiver die westlichen Staaten in den letzten Jahren gegen Russland vorgingen, desto größer wurde die Beliebtheit des amtierenden Präsidenten.
Diese Politik stärkte den Zusammenhalt der russischen Bevölkerung gegen eine "Gefahr von außen" und versammelte die Gesellschaft hinter einer starken Führungsfigur. In einem patriotischen russischen Lied heißt es: "Je stärker der Druck, umso fester der Beton". Das ist der Effekt, den der Westen mit seiner Politik gegen Russland erreichte.
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2012 lag das Wahlergebnis von Putin noch bei 64,4 Prozent und 2018 schon bei 77,5 Prozent. Als der Druck 2022, mit der Eskalation in der Ukraine, seinen Höhepunkt erreichte, ließ der Westen den Russen nur noch zwei Optionen: Daran zerbrechen oder mit dem Westen brechen.
Entsprechend sollte eine Steigerung von zehn Prozent bei der Wahlbeteiligung und von elf Prozent beim Wahlresultat von Wladimir Putin für gut informierte Beobachter keine große Überraschung sein.
Schlechtes Abschneiden der Kommunisten war absehbar
Platz 2 für den Kommunisten Charitonow habe ich in früheren Beiträgen vorhergesagt, aber doch ein Ergebnis über fünf Prozent statt der erreichten 4,4 Prozent erwartet. Nach meiner Einschätzung zielt die Wahlstrategie der KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Föderation) auf die nächste Präsidentschaftswahl, bei der eine erneute Kandidatur Putins fraglich ist.
In der aktuellen Kriegssituation und bei den Erfolgen an der Front, in der Wirtschaft und Verbesserungen in der Sozialpolitik, wurde eine harte Kampfkandidatur bei dieser Wahl wohl als aussichtslos und zudem kontraproduktiv gesehen.
Entsprechend kandidierte auch nicht der sehr bekannte Parteichef und Politveteran Sjuganow. Der Wahlkampf agitierte vor allem gegen die Überbleibsel des Oligarchen-Kapitalismus der 1990er-Jahre und nicht gegen Putin persönlich.
Ein zentraler Programmpunkt von Charitonow war zudem die Unterstützung kinderreicher Familien. Im Westen gilt das als wertekonservativ, in Russland hingegen als sozialistisch und in der Traditionslinie zur Sowjetunion.
Die Rechtspopulisten der LDPR
Auch an dieser Stelle scheint der Kreml die Position der Kommunisten übernommen zu haben und das Jahr 2024 wurde prominent zum "Jahr der Familie" erklärt – was ich erstmals durch Werbung an russischen Flughäfen erfuhr.
Platz 3 und 4 entsprechen ebenfalls meiner Einschätzung, wonach die rechtspopulistische LDPR (Liberal-Demokratische Partei Russlands) ohne ihren 2022 verstorbenen Parteichef Wladimir Schirinowski Schwierigkeiten haben wird. Denn die Partei war faktisch die Person Schirinowski und das Parteiprogramm war eher sein gesprochenes Wort als der niedergeschriebene Text.
Hinzu kommt, dass sich die Positionierung der Partei als rechte politische Kraft, von liberalkonservativ bis rechtskonservativ, mit dem amtierenden Präsidenten überschneidet.
Auch Putin wird durch einflussreiche Kräfte im Kreml als konservativer Politiker dargestellt, als Verteidiger konservativer Werte, des Christentums und der traditionellen Familie. Dadurch hat er nicht nur die Unterstützung von konservativen und religiösen Gesellschaftsgruppen in Russland, sondern ist auch bei Konservativen bis Rechtskonservativen in westlichen Staaten äußerst beliebt und wird von vielen in einer Linie mit Viktor Orbán und Donald Trump gesehen.
Westen sollte über Wahlergebnis reflektieren
Entsprechend platzierte sich Sluzki mit 3,2 Prozent sogar hinter dem Liberalen Dawankow mit 3,9 Prozent. Zum Zweitplatzierten, Charitonow, beträgt der Abstand sogar eine Million Stimmen.
Dawankow konnte bei seiner Kandidatur mit den Stimmen der "kosmopolitischen Kleinbürger" rechnen. Auch deshalb, weil ihm nach einigen, missglückten oder kalkulierten, Aussagen vorgeworfen wurde, in der Ukraine kapitulieren zu wollen.
Umgekehrt bestätigt dies wieder das geringe Potenzial dieser kleinen Gesellschaftsgruppe, die im Kern aus antipatriotischen Zeitgenossen in Moskau und St. Petersburg besteht und, trotz aller Unterstützung aus dem Westen, nicht über fünf Prozent kommt.
Entscheidungsträger im Westen sollten nach diesem Wahlresultat in sich gehen und hinterfragen, warum sie alles dafür tun, um die Beliebtheit von Wladimir Putin inner- und außerhalb Russlands zu erhöhen. Glauben sie mittlerweile ihrer eigenen Propaganda? Können sie nicht anders?
Und vor allem: Was machen deutsche Politiker und Medien nach einem möglichen Wahlsieg von Trump? Vielleicht ist es an der Zeit, den Traum von einem neuen Jelzin in Russland aufzugeben und Realpolitik im Interesse des eigenen Landes zu betreiben?