Russland: Krim-Heldin Poklonskaja wird auf Insel verschickt
Russische Krim-Ikone wird Botschafterin auf einem einsam gelegenen Atlantik-Atoll. Wie kam es dazu?
Natalia Poklonskaja war im Jahr 2014 der Star des Wechsels der Halbinsel Krim von der Ukraine nach Russland (westliche Lesart: Annexion, russische Lesart: Beitritt). Die junge Staatsanwältin ging am Ende der ukrainischen Zeit der Halbinsel von ihrem Posten aus scharf und hart mit der, wie sie es ausdrückte, "Beteiligung von Rechtsextremisten am Euromaidan" ins Gericht und beteiligte sich auf der Krim aktiv politisch am Weg nach Russland.
Das attraktive Gesicht der russischen Krim
Zeitgleich löste sie einen Internet-Hype aus, der sie zum populärsten und wohl auch attraktivsten Gesicht des prorussischen Wechsels der Krim machte. Ihre Pressekonferenz im März 2014 erreichte knapp vier Millionen Klicks bei YouTube und wurde sogleich musikalisch zu einem weiteren Hitvideo verarbeitet, das es dann sogar auf 46 Millionen Zuschauer brachte. In Japan wurden Mangas von ihr zu einem internationalen Kultobjekt, Computerspiele und zahlreiche TV-Engagements folgten.
Das alles, obwohl sie wegen ihrer Einstellung und politischen Tätigkeit in der Ukraine im Westen zur Unperson wurde, von Kiew strafrechtlich verfolgt, von der EU sanktioniert. Doch beides wirkte schon fast wie Trophäen für eine junge Frau, die wie eine Personifizierung der patriotischen Welle wirkte, die nach dem Gewinn der Krim durch Russland fegte, die damit einhergehende Verdüsterung des internationalen politischen Klimas verdrängend.
Karriere dank erzkonservativer Überzeugungen
Die relevanten politischen Kreise in Russland wussten zunächst, was sie an der Krim-Ikone hatten. Von der Staatsanwältin auf der russischen Krim avancierte sie 2016 zur Staatsduma-Abgeordneten für Putins Regierungspartei Einiges Russland und bekam dort mehrere Leitungspositionen, darunter im Auswärtigen Ausschuss.
Auch bei großen öffentlichen Events stach die aufstrebende, junge Politikerin aus dem Publikum an prominenter Stelle heraus und profilierte sich als antiliberaler Jungstar. In Szene gesetzt wurde sie als "Russlands sympathischste Politikerin", wie sie die regierungsnahe Zeitung Komsomolskaja Prawda beschrieb.
Von ihrer politischen Grundeinstellung passte Poklonskaja sehr gut in den Kreis von Russlands Mächtigen. Sie ist erzkonservativ und gilt als große Verehrerin des letzten russischen Zaren Nikolaus II, der sich vor allem durch eine autokratische und reaktionäre Grundeinstellung in die Geschichtsbücher schrieb.
Als 2017 der kritische russische Spielfilm "Matilda" zum Zaren in Russland Diskussionen auslöste, stellte sie sich an die Spitze der konservativen Kampagne gegen den Film. Ihr 2018 veröffentlichtes Buch trägt den vielsagenden Titel "Hingabe an Glaube und Vaterland".
Poklonskajas zweifacher Affront
Doch schon ein Jahr später kam es zu einem ersten Bruch zwischen der Vorzeigeabgeordneten und dem russischen Establishment. Denn Poklonskaja ist zwar konservativ, aber, anders als viele Establishmentmitglieder der Partei "Einiges Russland", nicht bedingungslos linientreu. Der von Putin selbst beworbenen Rentenreform mit einer Erhöhung des Rentenentrittsalters versagte sie in erster Lesung 2018 im Parlament die Gefolgschaft. Das war ein öffentlicher Affront - sie tat das als einziges Mitglied der über 340 Abgeordneten der Partei.
Sie tat sich in der folgenden Zeit noch mit weiterem hervor, was Vertretern der russischen Bürokratie nicht gefallen haben dürfte. Obwohl sie selbst keine Sympathien für den inhaftierten russischen Oppositionellen Nawalny hat, machte sie sich im Januar diesen Jahres lustig über die Praxis der russischen Obrigkeit, ihn grundsätzlich in öffentlichen Verlautbarungen nie beim Namen zu nennen.
Die Sache erinnere sie ein wenig an Harry Potter, wo es ebenfalls verboten sei, den Namen von jemandem laut auszusprechen, der laut nicht ausgesprochen werden darf, diktierte sie der Nachrichtenagentur RIA Nowosti ins Mikrofon und setzte Nawalny damit in den Augen des Kreml mit Lord Voldemort gleich.
Dumm für Poklonskajas durchaus treffenden Vergleich war es, dass auch Putin selbst diesen Brauch des Nichtnennens von Nawalnys Namen praktiziert und eventuell sogar mitinitiiert hat. Dass sie ansonsten auch mehrere umstrittene russische Gesetzesvorhaben, wie die neuen Internetgesetze, mittrug, änderte nichts mehr an der Tatsache, dass Poklonskaja etwas häufiger aus der Reihe getanzt war, als das für eine Politkarriere im regierungsnahen russischen Milieu dienlich ist.
Als es dann hieß, Poklonskaja werde für die nächste Staatsduma nicht mehr kandidieren, kam das für viele Insider der politischen Szene in Moskau nicht allzu überraschend.
Das bekannte russische Medienportal RBK berichtete ganz offen darüber, dass an ihrem politischen Abstieg ihr nicht ganz systemtreues Verhalten und ihre extravaganten Äußerungen schuld seien.
Die Ikone geht auf ein Atlantikatoll
Spannend blieb, was man mit der einstigen Krim-Ikone dann anfangen sollte. Denn immer noch ist ihr Star-Faktor als patriotische Heldenfigur zu groß, um sie komplett in Ungnade fallen zu lassen und aus allen Ämtern zu entlassen. Das Geheimnis lüfteten Quellen aus der Staatsduma dem Portal RBK am vergangenen Wochenende: Natalja Poklonskaja wird russische Botschafterin in der Inselrepublik Kap Verde. Wem das nicht gleich etwas sagt: Es handelt sich hier um einen Inselstaat im Zentralatlantik über 500 Kilometer vor der Westküste von Afrika. Laut RBK war es Poklonskajas eigener Wunsch, in die diplomatische Laufbahn zu wechseln.
Diese voraussichtliche Verschickung Poklonskaja löste noch einmal ein riesiges Medienecho in Russland aus, doch aus den Kreisen der Macht gibt es dazu nur eisiges Schweigen, sogar bei einem ansonsten sehr sprachgewaltigen weiblichen Aushängeschild der russischen Politik, der Außenministeriumssprecherin Maria Sacharowa.
Sie nahm lediglich Stellung zu einer Drohung gegen Poklonskaja von deren alten Erzfeinden aus Kiew. Der dortige Außenminister kündigte nebulös an, die Ukraine könnte ihr auf Kap Verde das Leben ruinieren - Sacharowa entgegnete, ohne die beabsichtigte Ernennung zu bestätigen oder zu dementieren. Zu offensichtlich ist, dass die extrovertierte frühere Heldin als zu unbequem auf ein Abstellgleis geschoben wird, weit weg mitten im Atlantik.