Russland und Türkei – unheilvolle Partner
Beide Länder vertragen sich gut, denn sie teilen ein Ziel: Sie wollen wieder Großmacht werden.
Die Kriegsführung Russlands in der Ukraine und die der Türkei in Nordsyrien und im Nordirak weisen erstaunliche Ähnlichkeiten auf.
Es mehren sich Berichte, dass beide Länder ‚false flag operations‘ vorbereiten. Während deutsche Medien täglich über die russischen Angriffe, Zerstörungen und die damit verbundene Vertreibung der ukrainischen Bevölkerung berichten, findet man dort nichts über die völkerrechtswidrigen Aktivitäten des NATO-Partners Türkei in seinen Nachbarländern Syrien und Irak.
Die Türkei und Russland verbinden enge Wirtschaftsbeziehungen, weshalb sich die Türkei als einziges NATO- Land auch nicht an den Russland-Sanktionen beteiligt und sich auch bei der Suspendierung der russischen Mitgliedschaft im Europarat als einziges Mitglied enthielt.
Putin träumt von einem Großrussischen Reich, Erdogan von einem Neo-Osmanischen Reich. Beide haben Ambitionen in der Ukraine. Man darf gespannt sein. Einst waren die südlichen Gebiete der Ukraine Teil des Osmanischen Reichs. Bis heute sind die Krimtataren eine Minderheit in der Ukraine. Die 1783 vom Zarenreich eroberte Krim war einer der ersten territorialen Verluste des Osmanischen Reiches. Für die Türkei wie für Russland hat die Krim einen hohen Stellenwert.
In beiden Ländern wurden die Medien gleichgeschaltet, in beiden Ländern gibt es keine unabhängige Justiz und in beiden Ländern wird die Opposition kriminalisiert und unterdrückt. Beide dringen völkerrechtswidrig in ihre Nachbarländer ein und annektieren dort ganze Regionen: Russland die Krim, die Türkei Afrin, Serekaniye und Gire Spi in Nordsyrien.
Beide Despoten scheuen nicht vor Chemiewaffen oder Giftgasangriffen zurück: Russland im Verbund mit dem syrischen Regime 2013, die Türkei 2020 in Serekaniye (Ras al-Ain) und in Gire Spi (Tall Abyad), sowie im letzten Jahr im Nordirak gegen vermeintliche Stellungen der Guerilla-Verbände HPG der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Nun verdichten sich die Berichte über in naher Zukunft geplante ‚false flag operations‘ Russlands in der Ukraine und der Türkei im Nordirak.
Operationen unter falscher Flagge
‚False flag operations‘ sind eine Kriegstaktik, die schon im 16. Jahrhundert von Piraten angewandt wurde: sie segelten unter falscher Flagge, um ihr Angriffsziel erst zu täuschen und dann überraschend zu überfallen. Heute dienen verdeckte Operationen unter falscher Flagge dazu, Angriffe zu rechtfertigen. Es werden eigene Polizei-, Militär- oder Infrastruktureinrichtungen angegriffen, Bombenanschläge an zivilen Orten verübt und der Gegner wird in den eigenen Propagandamedien als Täter dargestellt.
Dieser Tage warnen westliche Geheimdienste, Putin bereite sich darauf vor, in der Ukraine Chemiewaffen einzusetzen. In den russischen Medien wird zurzeit die Nachricht lanciert, die Ukraine unterhalte von den USA geförderte Chemie- und Biowaffenfabriken und wolle Chemiewaffen einsetzen. Beweise für ukrainische Chemie- und Biowaffen gibt es nicht. Auch Russland hat diese Behauptung bis jetzt nicht mit Beweisen belegen können. Nun wird befürchtet, dass Putin diese nicht belegbare Behauptung zum Anlass nehmen könnte, einen eigenen Giftgasangriff gegen die Ukraine zu starten und diesen anschließend der ukrainischen Regierung in die Schuhe schieben könnte.
"Sie beginnen, in dem sie sagen, dass ihre Gegner oder die Amerikaner chemische Waffen lagern", wird Großbritanniens Premierminister Boris Johnson in der Welt zitiert. "Und wenn sie dann selbst chemische Waffen einsetzen, was ich fürchte, dass sie das tun könnten, haben sie schon eine Art ‚Maskirovka‘, eine Fake-Geschichte, bereit."
Im Schatten des Ukraine-Krieges scheint die Türkei eine ähnliche Operation unter falscher Flagge für Mitte April vorzubereiten. In den Medien der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks kursieren derzeit Meldungen von einer neuen türkischen Militärintervention im Gebiet des nordirakischen Gouvernements Dohuk an der Grenze zur Türkei gegen vermeintliche Stellungen der Guerilla-Einheiten HPG. Immer wieder taucht in den Berichten das Datum 15. April 2022 auf. An der Militäroperation sollen, lokalen Quellen zufolge, die kurdischen Peschmerga-Einheiten der Regierung des konservativen Barzani-Clans aktiv beteiligt sein.
Die Peschmerga werden von der Bundeswehr ausgebildet und mit militärischem Equipment ausgestattet. Überprüfen lassen sich die Meldungen über eine bevorstehende türkische Intervention jedoch nicht. Aber sie erscheinen plausibel. Die kurdische Nachrichtenagentur ANF berichtet von Informationen eines Informanten aus dem Umfeld des Barzani-Clans über einen gemeinsamen Einsatzplan des türkischen Militärs und der Barzani-Peschmerga.
Zur Vorbereitung einer türkischen Intervention im Nordirak soll es eine dreitägige ‚false flag operation‘ im Gebiet der PKK-Stützpunkte geben, bei der einige Peschmerga ermordet werden sollen, sowie eine Öl- Pipeline in die Türkei gesprengt werden und eine Autobombe in einem Gebiet gezündet werden sollen, in dem sich Zivilisten aufhalten. Diese Aktionen sollen dazu dienen, eine neue türkische Invasion in der internationalen Öffentlichkeit zu legitimieren.
Mit von der Partie ist eine Sondereinheit des Barzani-Clans, die Zêrevanî. Das ist eine paramilitärische Söldner-Truppe wie z.B. die russische Wagner-Truppe, die direkt der Barzani-Familie untersteht. Teile der Truppe wurden für den Kampf gegen die Guerilla ausgebildet. Sie sollen unter anderem die türkischen Truppen bei ihren Operationen absichern. Zudem sollen die ‚Roj- Peschmerga‘ auf dem türkischen Militär-Stützpunkt Binesalaw stationiert worden sein. Diese Miliz sollte ursprünglich vor allem zur Bekämpfung der nordsyrischen Selbstverwaltung eingesetzt werden. Die Selbstverwaltung konnte dies allerdings verhindern.
Nicht nur Quellen aus der Region, auch die deutsche Bundesregierung hatte mehrfach erklärt, dass die ‚Rojava-Peschmerga‘ von der Türkei ausgebildet wurden... Diese Gruppe verfügt über engste Beziehungen zum türkischen Geheimdienst MIT. In Propagandavideos der Roj-Peschmerga ist zu sehen, wie sie Briefings von der türkischen Armee erhalten. Es existieren auch Aufnahmen des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu, wie er die Roj-Peschmerga besuchte. Der Verband besteht aus drei Brigaden, die vom MIT und dem türkischen Militär ausgebildet werden. Obwohl keine genauen Zahlen existieren, wird ihre Stärke auf etwa 4.000 geschätzt.
Nachrichtenagentur ANF
Nach lokalen Quellen sind die Ziele der Türkei bei der geplanten Operation: 1. die Kontrolle des Kriegsgebiets und der Umgebung aus der Luft, 2. die Bereitstellung von Sprengstoff und verschiedenen Waffen für die Peschmerga, 3. die Unterstützung der Bodentruppen mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen und 4. die Einrichtung eines gemeinsamen Operationszentrums der Barzaniregierung und der türkischen Armee in unmittelbarer Nähe des Kriegsgebiets, um der Luftwaffe und den Bodentruppen Informationen zu übermitteln.
Gefährliche Gemengelage im Nahen Osten
Diese Entwicklung lässt nichts Gutes vermuten. Die Türkei ist gerade dabei, einen kurdischen Bruderkrieg anzuzetteln, der Auswirkungen bis nach Europa haben wird. Die demokratisch gesinnten Kurden und Kurdinnen und auch die PKK haben immer wieder davor gewarnt, sich angesichts ideologischer Differenzen von den Regimen der Region instrumentalisieren zu lassen. Nun ist das korrupte, konservative Barzani- Regime wirtschaftlich so stark von der Türkei abhängig, dass man von einer autonomen kurdischen Region im Nordirak kaum noch sprechen kann.
Eigentlich regiert dort die Türkei. Da die Autonomie-Regierung und alle Institutionen in der Hand der KDP sind, hat sie mit ihrer Regierungsmacht, ihrem Geheimdienst und ihrer Privatarmee den Nordirak zu einem Ort gemacht, an dem die Vorgaben des türkischen Staates umgesetzt werden. Und natürlich unterstützt die Türkei jene Kräfte, die keine Demokratie wollen: Eine Clan-Regierung muss ihren Clan bedienen, damit niemand ausschert. Mit Demokratie hat das nichts zu tun und letztlich schadet es auch der kurdischen Bevölkerung im Nordirak, die immer wieder gegen den Barzani-Clan aufbegehrt. Wenn es der Türkei gelingt, einen ‚Bruderkrieg‘ unter der kurdischen Bevölkerung anzufachen, werden wir das auch in Deutschland zu spüren bekommen.
Bis heute drücken die USA, die NATO und die EU bei Erdogans Angriffskriegen und seinen Kriegsverbrechen alle Augen zu. Sanktionen gegen Erdogan sind nicht zu erwarten. Im Gegenteil, die Türkei wird weiter hofiert. Vergessen sind die verbrannten jungen Leute in den Kellern Cizres. Vergessen ist die Zerstörung der Altstadt Diyarbakirs, der Stadt Nusaybin. Vergessen ist die Zerstörung von 5.000 kurdischen Dörfern im Südosten der Türkei in den 90er Jahren. Vergessen sind die völkerrechtswidrige Annektion des nordsyrischen Kantons Afrin 2018 und die völkerrechtswidrige Besatzung der nordsyrischen Regionen Serekaniye und Gire Spi.
Das AKP-Propagandablatt "TRT deutsch" zitierte Alt-Kanzler Schröder, die Türkei sei "... in den vergangenen zehn Jahren zu einem wichtigen Partner Deutschlands und Europas geworden...Die Türkei stimme mit den NATO-Partnern auch im Kampf gegen den Terrorismus in all seinen Formen überein...Die Türkei sei stark genug, um Konflikte in ihrer eigenen Region zu überwinden und für Stabilität zu sorgen." Wenn das keine Aufforderung zu weiteren völkerrechtswidrigen Angriffen ist!
Türkei untergräbt Sanktionen gegen russische Oligarchen
Dass Erdogan und Putin ‚Freunde‘ sind, ist bekannt. Leider ist in unseren Medien kein Thema, dass die Türkei im Krieg gegen die Ukraine ein doppeltes Spiel spielt. Während Erdogan versucht, sich durch Vermittlungsgespräche zwischen Russland und der Ukraine als Friedenstaube zu inszenieren, bietet sich die Türkei gleichzeitig als sicheren Hafen für russische Oligarchen an, die von den USA und Europa sanktioniert werden. Nach einer Meldung von ntv hieß der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu russische Oligarchen in der Türkei willkommen.
Auf der Flucht vor Sanktionen suchten die Oligarchen sichere Häfen für ihre Superyachten. Mehrere dieser Häfen liegen in der Türkei. So floh beispielsweise die 1,2 Milliarden Dollar teure Yacht ‚Eclipse‘ des russischen Oligarchen Roman Abramovich, für die die Europäische Union (EU) und England Sanktionen verhängt haben, aus der Karibik nach Marmaris, während die andere Yacht ‚Solaris‘ in Bodrum angelegt hat. Die Yacht ‚Universe‘ des ehemaligen russischen Ministerpräsidenten und stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Nationalen Sicherheitsrates Dimitri Medwedew legte zuerst in Marmaris an und nahm dann Kurs nach Istanbul auf. Die 70 Meter lange Superyacht Polaris, die dem russischen Millionär Maxim Shubarev mit maltesischer Staatsbürgerschaft gehört, liegt in der Göcek Marina in Fethiye vor Anker.
Mit der Erklärung der Türkei "Wir werden keine Sanktionen verhängen" tat sich für russische Oligarchen die Möglichkeit auf, Teile ihres Vermögens in der Türkei zu sichern. Angesichts ihrer desolaten ökonomischen Lage lässt sich die Türkei dies wahrscheinlich gut bezahlen. Da in der Türkei Regierung und Mafia hervorragend vernetzt sind, werden sich Wege finden, wie die russischen Oligarchen nicht allzu sehr unter den Sanktionen zu leiden haben.
Bahadir Özgur, ein türkischer Journalist, der sich auf die Aufdeckung organisierter Kriminalität spezialisiert hat, berichtet in Al Monitor, die Türkei sei ein ‚Himmel für Gangster‘. "Es gibt keinerlei Finanzprüfung, und die Institutionen, die solche Funktionen erfüllen sollen, sind mit regierungsnahen Personen besetzt, die tun, was ihnen gesagt wird". Obwohl es Gesetze zur Bekämpfung von Finanzkriminalität gebe, würden sie nicht durchgesetzt. Hochrangige Persönlichkeiten von Erdogans Partei AKP seien in verschiedene illegale Aktivitäten verwickelt, berichtet das Organized Crime and Corruption Reporting Project. Die Organisation enthüllte Verbindungen zwischen Erdogans Familie und dem aserbaidschanisch-türkischen Oligarchen Mubariz Mansimov Gurbanoglu, der Erdogans Schwager einen Öltanker im Wert von mehreren Millionen Dollar schenkte.
Im letzten Jahr wurde die Türkei von der internationalen Einrichtung zur Bekämpfung der Geldwäsche, der Financial Action Task Force (FATF), auf die graue Liste gesetzt, da der türkische Bau- und Bankensektor besonders besorgniserregend sei, ebenso wie Gold- und Edelsteinhändler, die mit Terrorismusfinanzierung in Verbindung gebracht würden. Transparency International, das die globale Korruption überwacht, berichtete im Januar, dass die Türkei in ihrem Corruption Perceptions Index auf Platz 96 von 180 Ländern gefallen sei und 38 von 100 Punkten auf einer Skala erzielt habe, bei der eine Punktzahl von null auf einen hochgradig korrupten Staat hinweist. Der globale Durchschnitt liegt bei 43.
Der türkische Staatskreditgeber Halkbank wurde von einem US-Bundesgericht wegen seiner zentralen Rolle bei der Erleichterung eines Multimilliarden-Dollar-Gold-für-Öl-Programms zur Umgehung von US- Sanktionen gegen den Iran angeklagt. Gonul Tol, Gründungsdirektor des Türkei-Programms des Nahost- Instituts sagte: "Es wird Druck auf Ankara geben, die Sanktionen einzuhalten, und eine verstärkte Kontrolle der türkischen Banken durchzuführen, um sicherzustellen, dass sie nicht gegen Sanktionen verstoßen. Russische Unternehmen, Organisationen und Einzelpersonen, die die Türkei nutzen, um Sanktionen zu umgehen, werden sicherlich mehr Aufmerksamkeit auf die Aktionen der Türkei lenken".
Die Türen für Russland sind in der Türkei aber derzeit weit geöffnet. Nicht zuletzt, weil Putin die Türkei erpressen und gefügig machen kann: die Friedrich-Naumann-Stiftung analysiert mit Verweis auf den Syrienkrieg: "Die wahre Achillesferse liegt im syrischen Idlib, das mit russischem Einverständnis als verbliebene Rebellenhochburg de facto unter türkischem Protektorat steht. Gäbe Putin grünes Licht für einen Angriff durch Assads Kräfte, könnten zwei bis drei Millionen weitere Menschen in die Türkei fliehen - angesichts der bereits starken Flüchtlingsfeindlichkeit wäre dies für die Regierung innenpolitisch kaum zu verkraften."
Daher konterkariert Präsident Erdogan die Bemühungen der EU, die russische Regierung zu isolieren. So können russische Bürger mit ihren Bankkarten problemlos auch weiterhin Geld in der Türkei abheben. Im Schatten des Ukraine-Krieges sichert sich die Türkei zudem neue Pipeline-Projekte mit Russland, während in der EU nach Wegen gesucht wird, sich von den russischen Gaslieferungen unabhängig zu machen. Auch die Türkei ist von russischen Gaslieferungen in großem Maße abhängig. Hinzu kommt, dass die Türkei zwei Drittel der Weizenimporte aus Russland bezieht.
Angesichts der bevorstehenden Wahlen 2023 und der desaströsen Wirtschaftslage ist der türkischen Regierung bewusst, dass Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung mit Brot nicht passieren dürfen. Auch der russische Türkei-Tourismus stände auf dem Spiel, wenn Erdogan sich der Politik der EU und der USA anschließen würde. 2021 machten 4,7 Millionen Russen in der Türkei Urlaub. Sie sind damit die größte Touristengruppe in der Türkei und für die türkische Tourismusindustrie überlebenswichtig.
Während sich europäische Unternehmen aus Russland verabschieden, engagiert sich die türkische Bauindustrie dort weiter. "Das Gesamtvolumen der Bauprojekte türkischer Unternehmen in Russland erreicht bald die Marke von 100 Milliarden Dollar. Vom Lakhta Center in Sankt Petersburg bis zum Federation Tower in Moskau, zwei der höchsten Gebäude in Europa, reicht die Baupräsenz der Türken in Russland," berichtet ntv. Es ist davon auszugehen, dass türkische Unternehmen in die Lücke der aufgegebenen oder auf Eis gelegten wirtschaftlichen Aktivitäten in Russland springen werden. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die die Bundesregierung berät, analysiert die strategische Linie Erdogans so: "Den Westen und Russland gegeneinander auszuspielen gilt als eines der Hauptprinzipien der Außenpolitik Ankaras."
Solidarität mit Europa und mit der Ukraine sieht anders aus!