Russlands Kampf um Afrika: Moskaus neues Image-Problem
Der Kreml möchte seinen Einfluss auf dem Kontinent ausbauen. Trumpf war bisher die oft positiv erlebte Sowjet-Tradition. Wie der Ukraine-Krieg die Sicht ändert.
Die schon seit Jahren antiwestliche Rhetorik des russischen Polit-Establishments fiel in Afrika lange Zeit auf fruchtbaren Boden. Denn die Afrikaner kennen sehr gut die Schattenseiten einer westlichen Hegemonie, die Demokratie predigt, aber doch in erster Linie auf den eigenen wirtschaftlichen Vorteil bedacht ist und den Kontinent noch immer "von oben herab" betrachtet.
Der Wirtschaftswissenschaftler Robert Kappel kritisiert etwa das Vorgehen der EU auf dem Kontinent im Deutschlandfunk als Paternalismus mit postkolonialer Attitüde. Bisher sei es weniger darum gegangen, afrikanische Länder in die globale Wertschöpfung einzubetten, als darum, Menschen fernzuhalten und den eigenen Bedeutungsverlust zu bremsen, zitiert ihn der deutsche Sender.
Eigeninszenierung als Kraft gegen den Neokolonialismus
Russische Akteure in Afrika formulieren ihre Kritik an der westlichen Afrika-Politik im Zuge ihrer eigenen Agenda natürlich noch wesentlich schärfer. Etwa in Bezug auf den einstmals großen Einfluss Frankreichs in Westafrika konstatiert der Programmdirektor des renommierten Waldaj-Clubs, Timofej Bordatschew, dass das Land "viel länger in Afrika präsent blieb, es das hätte tun sollen".
Zwar habe man relativ geschickt den eigenen Einfluss gesichert, doch "unterscheidet sich der französische Einfluss in Afrika nicht wesentlich vom einfachen Kolonialismus", so der russische Experte in einer Analyse. "Viele in Afrika betrachten Russland als ein Land, das die westliche Vorherrschaft herausfordert", glaubt sein Kollege, der regierungsnahe Geopolitik-Experte Fjodor Lukjanow laut einem Bericht für die Rossiskaja Gaseta.
Russland dagegen stellt seine Afrika-Politik offen in die Tradition der Sowjetunion und stellt sich selbst als Helfer bei der Befreiung von postkolonialer Einflussnahme aus Europa dar. Putin quasi als Verteidiger der Souveränität Afrikas, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch "ideologische und intellektuelle Souveränität", wie es die Direktorin für Afrikastudien bei der Russischen Akademie der Wissenschaften Irina Abramowa in einem Interview ausdrückt.
Das neue Russland profitiert hier davon, dass es selbst in Afrika keine koloniale Vergangenheit besitzt und die UdSSR tatsächlich aktiver Unterstützer einer Reihe von afrikanischen Befreiungsbewegungen war.
Abramowa geht dabei noch weiter und spricht davon, dass Russland "tatsächlich 30 Jahre lang genau der gleichen kolonialen Unterdrückung ausgesetzt war, wie die Länder Afrikas" und spielt damit wohl auf die Zeit an, in der das Verhältnis zwischen dem Westen und dem eigenen Land zumindest noch besser war als heute.
Putin selbst stößt ins gleiche Horn und sieht "Russland als Verbündeten und Sprecher der Interessen des Globalen Südens" stellt der Journalist und Fachmann für die russische Afrikapolitik Wadim Saizew in einer Analyse fest.
Kratzer am Selbstbild durch Krieg und Söldner
Doch das Hochglanzbild, das die russischen Offiziellen von ihrer Afrika-Politik zeichnen, entspricht nicht unbedingt der Realität – und vor allem nicht der Meinung der Afrikaner. Das zeigt sich auch an der wesentlich geringeren Beteiligung von Staatsoberhäuptern an der russischen Afrika-Konferenz in Sankt Petersburg 2023 gegenüber der Vorveranstaltung 2019.
Die Invasion der Ukraine zerstörte Handelswege für ukrainisches und russischen Getreide nach Afrika. Vom Kontinent gab es dafür bei Abstimmungen im Rahmen der Vereinten Nationen pro-ukrainische Sympathien. Der Angriff werde in Afrika, wie Saizew feststellt, als imperialistischer Krieg empfunden.
Der Kontinent verzeichnet seitdem eine nachlassende Begeisterung für russische Ambitionen der Einflussnahme. Auch der bilaterale Handel ging seit 2019 zurück: Von 14 Milliarden US-Dollar 2020 auf 10,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022, während der Afrika-Handel der EU im gleichen Zeitraum zunahm.
Der politische Analyst Anton Barbaschin sieht auch diesen Rückschritt für Moskau als Folge des Ukraine-Kriegs, der die gesamte "logistische und finanzielle Komponente der Prozesse" im Handel "erheblich erschwerte".
Doch dieser ist nicht die einzige Ursache für afrikanisch-russische Verstimmungen. Andere kommen daher, wie sich das verstärkte Engagement aus Moskau in Afrika vor Ort in den letzten Jahren manifestierte. Etwa in den Aktionen von Jewgeni Prigoschins Militärfirma PMC Wagner, die nach seinem Aufstand gegen den Kreml nun voraussichtlich von anderen russischen Firmen übernommen werden.
Prigoschins Aktivitäten konzentrierten sich, wie Saizew es ausdrückt, in einer Verfolgung rein russischer Interessen bei Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in den afrikanischen Staaten. Man tut also im Prinzip das Gleiche, was man am Westen kritisiert.
Etwas milder bestätigen das selbst regierungsnahe Experten wie Fjodor Lukianow. Er gibt zu, Russland sei in Afrika mitnichten die UdSSR, "Haben die Afrikaner einen Grund, Russland als etwas Besonderes zu betrachten? (…) In der Zeit der Sowjetunion fungierte Moskau als Hauptförderer nationaler Befreiungskräfte, als Dirigent von Ideologien, die sich von der des Westens unterschied und alternative Rezepte und Ressourcen anbot.
Aber Russland ist nicht die UdSSR und verfügt nicht über diese Vorteile". Wie Lukjanow damit bestätigt, ist es einfach ein weiterer kapitalistischer Akteur - und als solcher auf den eigenen Vorteil bedacht.
Widerspruch zwischen politischen Phrasen und Praxis in Afrika
Die russische Einflussnahme findet dabei nicht so sehr über die große Politik statt, sondern viel näher an der Basis vor Ort, was sie jedoch nicht überlegen oder vorteilhafter für die Einheimischen macht. Das Prigoschin-Netzwerk gründete in Afrika Handelsunternehmen, die zahlreiche Verbindungen und Beziehungen knüpften, schreibt dazu der Militärfirmenexperte und Wagner-Buchautor Jack Margolin. Dabei handele die Firma unheimlich autonom. "Der Kommandeur (vor Ort) ist der König und Gott in seinem Lehen".
Nach einer Stärkung der Souveränität afrikanischer Staaten klingt das nicht und das Vorgehen widerspricht diametral dem, was die große Politik verkündet. Und so gleicht die russische Afrikapolitik und ihre praktische Umsetzung der des Westens viel mehr, als beide Seiten zugeben würden: Es wird Wasser gepredigt und selbst Wein getrunken, notfalls auf afrikanische Kosten.
Dass der russische Afrikahandel nun zurückging, schmerzt den Kreml umso mehr, da er schon von einer sehr niedrigen Basis ausging. Die Direktinvestitionen Russlands in Afrika waren schon zuvor niedriger als die der Schweiz. Ein wirtschaftlich viel wichtigerer Akteur auf dem Kontinent, der überall schon da ist, wo die Russen wieder Fuß fassen wollen, ist zudem China. "Russland ist nicht in der Lage, in Größenordnungen zu handeln, die China oder der EU zur Verfügung stehen" glaubt Anton Barbaschin. So wirken andere Akteure auf die Afrikaner auch von ihren Möglichkeiten attraktiver.
Deshalb wird Russland aber nicht müde werden, Wirtschaftsbeziehungen und Einflusssphären in Afrika auszuweiten. Afrika sei nun einfach eine Priorität für die russische Politik, "da es der einzige Kontinent ist, auf dem keine andere Großmacht die vollständige Dominanz hat", schreibt Barbaschin und sieht Afrika als wichtigen Baustein der russischen Strategie auf dem Weg zu einer multipolaren Welt, die die Vorherrschaft des Westens ablösen soll. Und Russland sieht sich dabei selbst als treibende Kraft - in Afrika ebenso wie überall sonst.
Ein Problem bei all den großen Plänen in Moskau könnten jedoch in der Tat die Ressourcen sein, die zur Zeit von einem großen Krieg im eigenen Nachbarland aufgefressen werden. Ob da viel zur Finanzierung großer Afrika-Strategien des Kreml übrig bleibt, darf bezweifelt werden.