Russlands Krieg gegen YouTube: Folgt man Nordkoreas Beispiel?
Seite 2: Das Todesurteil ist bisher nicht vollstreckt
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Werden die Behörden in Russland YouTube dann jetzt schließen, nachdem ihre Kanäle für den Westen blockiert wurden?
Alexandr Plushev: Maria Sacharowa, die Sprecherin des Außenministeriums, sagte, YouTube oder Google hätten ihr eigenes Todesurteil unterzeichnet, als das Konto der Staatsduma gesperrt wurde. Das war im März oder April 2022, wenn ich mich recht erinnere und ist zwei Jahre her.
Das Todesurteil wurde noch nicht vollstreckt. Die technischen Fähigkeiten existieren. Aber da ist noch die mögliche Reaktion der Bevölkerung, denn YouTube ist ein riesiger Dienst, wo oppositionelle Inhalte nur einen kleinen Teil einnehmen und die meisten Dinge nur unterhaltsam oder nützlich sind.
Bereits jetzt nutzen etwa 25 Prozent der Russen VPN-Dienste im Netz [virtuelle private Netzwerke], das ist eine konservative Schätzung, ohne dass YouTube blockiert ist. Wird YouTube blockiert, wird diese Zahl dramatisch ansteigen, vielleicht auf 50 oder 75 Prozent.
Blockade im Zuge einer politischen Krise
Artjom Kosljuk: Ich denke, YouTube wird situativ während einer politischen Krise gesperrt. Denkbar wären etwa Proteste. Ich glaube aber nicht daran, dass das in den kommenden Monaten passiert – vorbereitet wird es von den Behörden natürlich. Ich rechne damit in etwa zwei Jahren oder später.
Alexandr Plushev: Die Behörden betrachten den internen Markt und den externen, also das, was Russland nach außen sendet, getrennt. Man tauscht nicht das Eine gegen das Andere. Wenn YouTube russische Staatsanbieter nicht blockiert hätte, dann würde das den Staat nicht daran hindern, YouTube in Russland zu blockieren.
Die Blockade in Russland hindert die Leute nicht daran, Inhalte im Ausland anzuschauen. Ich denke, es geht ihnen nicht so sehr darum, YouTube zu sperren, sondern eher ein autonomes Internet als Ganzes zu schaffen. Es soll abgekoppelt werden. Bei YouTube, falls noch vorhanden, wird es nur noch eine stark eingeschränkte Form mit einer "weißen Liste" von Kanälen geben. Oder eben nur VK und RuTube.
VPN als Gegenmaßnahme
Sie haben VPN angesprochen. Bereits in Russland gesperrte Inhalte wie Instagram werden ja von vielen dort mithilfe von VPN-Diensten trotzdem konsumiert. Diese Dienste bekämpfen die Behörden ebenfalls mit Sperren und wollen das verstärken.
Artjom Kosljuk: Die Aufsichtsbehörde RosKomNadzor und große Telekommunikationsbetreiber haben bei der Filterung von Daten in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Sie können die Geschwindigkeit von Diensten drosseln oder sie teilweise blockieren.
Dabei gibt es aber Umgehungsmöglichkeiten, etwa legalen Verkehr durch verbotenen ersetzen, Filtersysteme täuschen. Das tun natürlich nicht alle, sondern nur die, die bereit sind, trotz der Netzzensur Anstrengungen für die Verfügbarkeit ihrer Dienste in Russland zu investieren.
Alexandr Plushev: Das ist ein Kampf mit Schwert und Schild, der weitergeht. Es werden bereits Methoden entwickelt, um VPN zu verbessern, die Dienste so einzubetten, dass es nicht direkt als VPN erkennbar ist. Ich denke, dass man jeder Blockade einen Schritt voraus ist.
Dann hätte China ein offeneres Internet
Und wenn Russland, wie schon angedacht, ein internes, abgeschlossenes Internet nach dem Vorbild Nordkoreas installiert?
Alexandr Plushev: Dann würde China ein offeneres Internet haben als Russland, wenn diese Planungen wahr werden. Dann werden die Russen es tatsächlich schwer haben, dann gibt es kein VPN, keine Möglichkeit Sperren zu umgehen.
Es ist die Einschränkung des Internets direkt auf einer technischen Ebene, der der Hardware. Da wird es für die Russen sehr schwer sein, dagegen anzukämpfen. Es wird daran gearbeitet.
Was ist mit Telegram?
Warum wird eigentlich Telegram nicht blockiert? Auch dort gibt es ja viele oppositionelle Inhalte.
Artjom Kosljuk: Den Versuch gab es, aber er war erfolglos. Der Messenger nutzt eine große Zahl von aktiven Cloud-Proxy-Systemen. Man gab deswegen auf, nachdem man viel Geld verbrannt hatte.
Jetzt nutzen weiter viele Regierungspolitiker und Behörden Telegram, um neue Zielgruppen zu erreichen. Sie überwachen auch die Oppositionskanäle.
Ich glaube, das Management von Telegram liefert den Behörden niemanden aus, aber kann Chats natürlich einschränken. Das geschieht aber aktuell nur bei Terroristen oder Cyberbetrügern – politische Fälle sind mir nicht bekannt.
Artjom Kosljuk ist Mitbegründer und Geschäftsführer von RosKomSvoboda, einer russischen Organisation, die sich seit 2012 für digitale Bürgerrechte engagiert
Alexandr Plushev ist ein russischer Journalist, und Politblogger; am bekanntesten ist sein YouTube-Kanal mit 471.000 Abonnenten, auf dem täglich politische Video-Beiträge erscheinen