SPD opfert Acht-Stunden-Tag für Koalition mit Merz
Ein Mann, der trotz später Stunde noch am Schreibtisch arbeitet, symbolisiert die geplante Flexibilisierung der Arbeitszeiten im neuen Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD.
(Bild: Gorgev / Shutterstock.com)
SPD-Basis stimmt für Koalition mit CDU. Neues Bündnis plant längere Arbeitszeiten. Gewerkschaften warnen vor Gesundheitsrisiken und kündigen Widerstand an.
Die Zustimmung der SPD-Basis hat den Weg zur neuen Bundesregierung frei gemacht. Deren Planungen führen schon jetzt zu Kritik. Die unternehmerfreundliche Zusammensetzung des zukünftigen Kabinetts von Friedrich Merz (CDU) kritisiert die Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner. "Mit dieser Abstimmung stützen die SPD-Mitglieder ein Lobbyisten-Kabinett der CDU", sagte Schwerdtner dem Spiegel.
Die Planungen zum Arbeitszeitgesetz bestätigen Befürchtungen, die der ehemalige Blackrock-Manager Merz seit seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten bei Beschäftigtenvertretern hervorgerufen hat. Wurde letztes Jahr in Tarifverhandlungen um kürzere Arbeitszeiten gestritten und war vor einigen Monaten die Einführung einer Vier-Tage-Woche Thema in den Medien, kündigt die Merz-Regierung einen anderen Weg an.
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht Neuregelungen zur Arbeitszeit vor. Der Acht-Stunden-Tag soll abgeschafft, es soll "die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit" geschaffen werden. Statt täglich acht Stunden soll nun ein wöchentliches Arbeiten von 48 Stunden die Basis sein.
Die Erfassung von Arbeitszeiten soll bei bestimmten Personenkreisen gar nicht mehr erfolgen. "Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung" wird "im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie" möglich bleiben, so der Koalitionsvertrag.
Im Wahlkampf nahm die CDU Forderungen aus Unternehmensverbänden gerne auf. Von starren Regelungen wird gesprochen, ohne die Flexibilität des Arbeitszeitgesetzes darzustellen: Denn das Gesetz hat Öffnungsklauseln und viele Regelungslücken, die in den Betrieben zugunsten der Unternehmen umgesetzt werden können.
So heißt es zwar im § 3 Arbeitszeitgesetz, die tägliche Arbeitszeit "darf acht Stunden nicht überschreiten" – gleichzeitig bestehende weitgehende Möglichkeiten der Betriebe: Denn die tägliche Arbeitszeit "kann auf bis zu zehn Stunden" verlängert werden, wenn z. B. es im Durchschnitt vom sechs Monaten acht Stunden täglich sind. Grundsätzliches wird also mit Ausnahmen versehen. Tägliche Arbeitszeiten von 10 Stunden sind gar nicht ausgeschlossen, ein verbindlicher Acht-Stunden-Tag nicht vorgeschrieben.
Arbeitszeit und Gesundheitsschutz
Bereits heute sind Verstöße gegen diese Höchstgrenze an der Tagesordnung. Behörden kontrollieren kaum. Betriebsräte berichten von Beschäftigten, die zwölf oder 14 Stunden arbeiten. Statt Regelungen zur Einhaltung des Gesetzes, will die Regierung Bestimmungen noch weiter aufweichen. Die Folgen werden gravierend sein.
"Die Arbeitszeit ist ein wichtiger Faktor für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten", erläutert Stefani Mehring, Beraterin der Technologieberatung tbs NRW. Zu lange oder zu flexible Arbeitszeiten können zu psychischen Belastungen führen, z. B. Überforderung und Stress zur Folge haben. Die Gefährdungsbeurteilung ist ein zentrales Instrument des Arbeitsschutzes, das Unternehmen nach dem Arbeitsschutzgesetz durchführen müssen. Die Gefährdungsbeurteilung dient dazu, die Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten systematisch zu ermitteln. Ein elementares Thema ist dabei die Arbeitszeit, so Mehring.
Daraus ergeben sich Forderungen an die Gestaltung der Arbeitszeiten. "Die Reduktion von überlangen Arbeitszeiten durch eine verbesserte Verteilung von Zusatzschichten auf möglichst viele Beschäftigte" und "eine Reduktion von Zusatzschichten durch eine verbesserte Produktionsplanung", fordert die Beraterin. Selbst Pausen werden von vielen Unternehmen nicht angemessen eingeplant.
Eine realistische Personalplanung, eine Verbesserung der Pausengestaltung "durch eine feste Ablöseplanung mittels Springer an Anlagen", hält Mehring für wichtig. Diese konkreten Probleme der Beschäftigten spielen im Koalitionsvertrag keine Rolle. Wettbewerbsfähigkeit im Unternehmensinteresse ist die dominierende Vorgabe.
Arbeitszeitgesetz: Anspruch und betriebliche Realität
Dabei zeigt gerade das Ringen um Dienstzeiten und Schichten: Zielsetzung und Folgen eines Gesetzes können unterschiedlich sein. So hat das Arbeitszeitgesetz nach Paragraf 1 auch den Zweck, den Gesundheitsschutz der Belegschaft zu verbessern und "den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen". Das hindert Aufsichtsbehörden und Arbeitsschutzeinrichtungen jedoch nicht daran, zuzulassen, dass die Realität anders aussieht.
Das Gesetz sieht eine Sechstagewoche vor, eine Regelung, die dem Gesundheitsschutz widerspricht. Von einem Verbot der Sonntagsarbeit kann nicht gesprochen werden. "Der Anteil der Sonntagsarbeiterinnen und -arbeiter betrug 9,3 Prozent. Personen, die sonntags arbeiten, arbeiten auch häufig am Samstag. 8,3 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten ständig oder regelmäßig an beiden Tagen des Wochenendes", meldet das Statistische Bundesamt.
Arbeitstage von über zehn Stunden "müssen als hochriskant eingestuft werden", warnt Amélie Sutterer-Kipping vom Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Zu den Gesundheitsrisiken gehören psychosomatische Beschwerden, Herz- und Kreislauferkrankungen, Magen-Darm-Beschwerden oder Schlafstörungen. "Zudem erhöht sich durch Übermüdung infolge überlanger Arbeitszeiten das Risiko von Arbeitsunfällen", schreibt die Wissenschaftlerin.
Gesetze ändern nicht automatisch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Gewerkschaften kündigen bereits Gegenwehr an. "Aus den Betrieben bekommen wir die Rückmeldung, dass die Leute das nicht einfach so hinnehmen wollen. Heute ist der Acht-Stunden-Tag ein Grundbedürfnis der Beschäftigten", erklärt Chaja Boebel im Gespräch mit nd.DieWoche. Die Mehrheit der Mitglieder hat ein klares Verlangen nach einer 35-Stunden-Woche, unterstreicht die Historikerin, tätig beim IG-Metall-Vorstand.