Schicht im Schacht: Wenn Aktivisten den Kohleausstieg selbst in die Hand nehmen
Die Gruppe "Unfreiwillige Feuerwehr" hat in Jänschwalde gewissermaßen ein Gerichtsurteil in Eigenregie umgesetzt. Die Polizei spricht von "Attacken gegen Brandenburger Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur".
"Gerade kam hier ein Angestellter der Leag vorbei, um seinen Schlüssel abzugeben. 'Arbeit fällt aus', sagt er zum Rezeptionisten. Sonderlich traurig wirkte er nicht". Diesen Tweet setzte eine Journalistin ab, die am Montag seit dem frühen Morgen den temporären Kohleausstieg in Jänschwalde beobachtete.
In einem knapp 30 Sekunden langen Video erklärte ein junger Klimaaktivist gut gelaunt vor dem stillstehenden Kohleförderband: "Hier ist eine Ankettblockade. Solange wir hier sind, wird hier keine Kohle gefördert". Denn tatsächlich sind für den temporären Kohleausstieg in Jänschwalde die Klima-Aktivisten der Gruppe "Unfreiwillige Feuerwehr" verantwortlich.
"Kohleausstieg in Handarbeit"
Ihre Aktion haben sie gut koordiniert. Nach Informationen ihrer Pressegruppe gab es drei koordinierte Gruppen für den heutigen "Kohleausstieg". Dabei habe eine Gruppe die Kohlebunker auf dem Kraftwerksgelände besetzt und sich an den Förderbändern festgekettet. "Gleichzeitig unterbrachen zwei andere Gruppen die Gleisverbindungen zwischen dem Tagebau Jänschwalde und dem Kraftwerk mit technischen Blockaden", so die Presseverantwortliche.
Dadurch war gewährleistet, dass die Kohleproduktion auch am Montagnachmittag noch stillstand. Einige der Besetzerinnen und Besetzer hatte die Polizei schon festgenommen, zu anderen gab es keinen Kontakt mehr. Doch einige hatten sich so gründlich angekettet, dass die Einsatzkräfte sie noch nicht entfernen konnten. So haben die Klimaaktivisten schon mal vorgemacht, wie ein "Kohleausstieg in Handarbeit" vor sich gehen könnte.
Doch nicht überall ging es so zivilisiert und gelassen zu, wusste die Pressegruppe zu berichten. So wären einige der angeketteten Personen vom Werkschutz massiv bedroht und beleidigt worden. Schon in der Vergangenheit gingen lokale Neonazistrukturen in der Lausitz gegen Klimaaktivisten vor – und auch Polizisten ließen sich vor einer rechten Parole fotografieren. In der strukturschwachen Region treten die Rechten als Verteidiger der fossilen Industrie auf, die angeblich von auswärtigen Linken und Grünen zerstört wird.
Gefahr für das Trinkwasser
Dabei gäbe es für die Bewohnerinnen und Bewohner durchaus gute Gründe, einen Kohleausstieg in Jänschwalde zu unterstützen. Nicht "nur", weil Deutschlands drittgrößtes Braunkohlekraftwerk dort europaweit die vierthöchste Bilanz an ausgestoßenen Emissionen hat, sondern auch, weil für den Kraftwerksbetrieb und den angrenzenden Kohletagebau das Trinkwasser in der Region angezapft wird. Dagegen klagten bereits Umweltverbände und bekamen Recht. Im März 2022 ordnete das Verwaltungsgericht Cottbus einen Stopp des Kohleabbaus an.
Allerdings wurde der Gerichtsentscheid dann wegen der Energiekrise infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine und des Wirtschaftskriegs der EU-Länder gegen Russland nicht umgesetzt. Hier wird auch deutlich, wie schnell vermeintliche Sachzwänge zugunsten der Konzerne ausgenutzt werden.
Die Umwelthilfe kritisierte denn auch, dass die Leag als Betreiberin des Kraftwerks und der Kohleförderung die Ukraine-Krise für ihre Zwecke instrumentalisiert. So könnte man auch sagen, dass die Klima-Aktivisten hier ein Urteil des Verwaltungsgerichts in Eigenregie umsetzten – und dessen Geltungsbereich vom Kohleabbau auch auf das Kraftwerk ausweiteten.
Ist die kurzfristige Stilllegung des Kraftwerks Angriff auf die Infrastruktur?
Die Presseverantwortliche erklärte denn auch, dass sich die Aktivisten nicht von Sachzwängen leiten lassen. Für sie sei aber auch klar, dass sich Klimaschutz mit Kapitalismus nicht vereinbaren lässt. Diesen Sachverhalt musste kürzlich auch die taz-Korrespondentin Ulrike Herrmann einräumen. "Klimaschutz ist nur möglich, wenn Kapitalismus und Wachstum endet" schrieb sie in einem Kommentar, um gleich hinzuzufügen, dass es für sie, die noch immer an die segensreiche Wirkung des Kapitalismus glaubt, keine gute Nachricht ist.
Dagegen haben der Wirtschaftshistoriker Matthias Schmelzer und die Kulturanthropologin Andrea Vetter in ihrem in Junius Verlag erschienenen Buch "Degrowth / Postwachstum zur Einführung" eine gute Einführung in die antikapitalistische Wachstumskritik gegeben – und überzeugend nachgewiesen, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht klimafreundlich sein kann. Diese Einführung wurde schon mehrmals neu aufgelegt und ist vor allem für linke Klima-Aktivisten eine wichtige Lektüre.
Den Besetzern von Jänschwalde drohen jetzt juristische Verfahren. Bemerkenswert ist, mit welch martialischen Vokabular die gewaltfreie Aktion bedacht wird. Brandenburgs christdemokratischer Innenminister Michael Stübgen spricht von einem Sabotageakt. In einer Polizeimeldung zu den Aktionen wird von "Attacken gegen Brandenburger Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur" gesprochen.
Was der UN-Generalsekretär zum Thema sagt
So werden im Schatten des Ukraine-Krieges gewaltfreie Aktionen des zivilen Ungehorsams in Deutschland kriminalisiert – während bei den Vereinten Nationen das Problem falscher Entscheidungen in Zeiten der Klimakatastrophe längst erkannt wurde:
Klimaaktivisten werden manchmal als gefährliche Radikale dargestellt. Aber die wirklich gefährlichen Radikalen sind die Länder, die die Produktion fossiler Brennstoffe steigern. Investitionen in eine neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe sind moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn.
UN-Generalsekretär António Guterres am 5. April 2022
Statt sich über eine Bestrafung der Aktivisten zu freuen, sollten aber auch Menschen aufhorchen, die vom Sinn des "temporären Kohleausstiegs" in der Lausitz nicht überzeugt sind. Denn staatliche Repression kann jederzeit auch Menschen treffen, die sich unmittelbar für ihre sozialen Belange einsetzen. So gibt es bei der EU-Kommission bereits Pläne eine Richtlinie, die auch das Streikrecht gefährden könnte.
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