Klimakrise: "Das Zeitfenster beginnt sich zu schließen"
Neuer Klimabericht wird vorgestellt. Russische Delegation entschuldigt sich bei der Ukraine
Die Arbeitsgruppe II des sogenannten Weltklimarates (IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change, auf Deutsch: Zwischenstaatlicher Ausschuss für Fragen des Klimawandels) stellt am heutigen Montag ihren Sachstandbericht vor. Der Inhalt: Die Folgen des Klimawandels, die besonders gefährdeten Regionen, Ökosysteme und Bevölkerungen sowie Möglichkeiten zur Anpassung.
Fast wäre die IPCC-Tagung, die den Bericht verabschiedet und zwei Wochen lang mittels Konferenzschaltungen und in Präsenz über dessen "Zusammenfassung für Entscheidungsträger" gerungen hat, in den Nachrichten über den russisch-ukrainischen Krieg untergegangen.
Aufsehen erregte die Sitzung jedoch – zumindest in einigen Nachbarländern, weniger bisher in den deutschen Medien – vor allem, weil der Leiter der russischen Delegation, Oleg Anissimow, die Gelegenheit am Sonntag nutzte, sich für den Überfall seines Landes auf den ukrainischen Nachbarn zu entschuldigen. Ob und welche Konsequenzen das für ihn hatte, ist bisher nicht bekannt.
Nach Angaben von Hans-Otto Pörtner, Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe II, habe man in diesem Jahr das "Silodenken verlassen“ und mehr Gewicht auf die diversen Wechselwirkungen zwischen diversen Faktoren gelegt. Klimawandel, Extremereignisse, Artenverlust, Aussterben, Urbanisierung und Bodenverschlechterung in der Landwirtschaft und manches mehr seien nur im Zusammenhang voll zu erfassen.
Die gegenwärtige Pandemie sei ein gutes Beispiel für unser gestörtes Naturverhältnis. "Das Zeitfenster für eine klima-resiliente Welt schließt sich", so Pörtner, der die Sektion Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut leitet.
Klimazonen verschieben sich zu schnell
Im Vorfeld der IPCC-Veröffentlichung hatte Josef Settele, Agrarökologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle, darauf hingewiesen, dass schon jetzt sich die Klimazonen so schnell verschoben werden, dass viele Arten mit ihrer Ausbreitungsgeschwindigkeit nicht hinterherkommen.
Das ist auch für die Landwirtschaft und damit für die Ernährung der Weltbevölkerung ein Problem. Zum einen müssen neue Sorten gefunden werden, die an die veränderten Bedingungen angepasst sind oder werden können.
Zum anderen aber sind von dem zunehmenden Artensterben, zu dem der Klimawandel erheblich beiträgt, auch unverzichtbare Bestäuber betroffen. 30 bis 50 Prozent der Landesfläche müsse unter Schutz gestellt werden, um dem entgegenzuwirken.
Dem IPCC gehören fast alle UN-Mitglieder an. Die mehrere Hundert der Autorinnen und Autoren wurden weitgehend von der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft selbst ausgewählt, wobei unter anderem darauf geachtet wird, dass Geschlechter und geografische Regionen so weit wie möglich gleichmäßig repräsentiert werden.
In drei Arbeitsgruppen werden alle fünf bis sieben Jahre Sachstandberichte erstellt, die den jeweiligen Kenntnisstand der Wissenschaft zu den jeweiligen Gebieten zusammenfassen sollen. Darüber hinaus gibt es immer wieder Sonderberichte.
Angst vor Schadenersatzforderungen
Die Regierungen und eine wissenschaftliche Öffentlichkeit haben im Vorfeld Gelegenheit, die Entwürfe der Berichte zu kommentieren. Über die Endfassung entscheiden jedoch allein die Autorinnen und Autoren.
Etwas mehr Einfluss wird auf die "Zusammenfassungen für Entscheidungsträger" genommen, bei denen dier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oft um jedes Wort mit den Politikern ringen müssen. In diesem Jahr soll es besonders um die Frage der Verluste und Schäden ("Loss and Damage") hoch hergegangen sein.
Dem Vernehmen nach wollte die US-Delegation die Erwähnung dieser sensiblen Worte verhindern. Der Hintergrund: In den internationalen Klimaverhandlungen wächst der Druck der Entwicklungsländer, die unter diesem Schlagwort Schadenersatz von den Verursachern des Klimawandels verlangen.
(Übrigens: Mit den Geldern für die soeben beschlossenen Aufrüstungsorgie könnte Deutschland seine Klimaschulden für zehn bis 20 Jahren begleichen.) Mehr zum Inhalt des neuen IPCC-Berichts in der morgigen Energie- und Klimawochenschau.