Schießen statt Reden: Warum die Diplomatie in der Ukraine versagt hat
- Schießen statt Reden: Warum die Diplomatie in der Ukraine versagt hat
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Krim-Annektion, Minderheitenrechte im Donbass, Neutralität: Es braucht Kompromisse von beiden Seiten, sonst sprechen die Waffen weiter. "Russland schwächen" ist ein fataler Weg in die Eskalation
Zu den fundamentalen Aufgaben der Diplomatie gehört die Verhinderung und Lösung von Konflikten. Es gibt in der Geschichte viele Beispiele für geglückte Diplomatie: Die Ostpolitik Willy Brandts hat während des Kalten Krieges einen bedeutenden Beitrag zur Entspannung in Europa geleistet. Das gleiche gilt für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Es ist daher fatal, wenn Diplomatie für das Gegenteil missbraucht wird, für die Anheizung und Verschärfung von Konflikten. Nichts anderes konnten wir in den letzten Wochen in den Reaktionen der westlichen Diplomatie auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine beobachten.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) spricht davon, Russland "ruinieren" zu wollen. Es handelt sich dabei um eine Rhetorik, die der Linie der amerikanischen Außen- und Kriegspolitik folgt, der zufolge Russland im Ukrainekrieg so sehr geschwächt werden soll, dass es für lange Zeit nicht mehr in der Lage sein wird, einen Angriffskrieg ähnlich dem in der Ukraine zu führen. Der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte entsprechende Bemerkungen gemacht.
Es ist eine Sache, die Ukraine in ihrem Versuch zu unterstützen, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen; es ist eine ganz andere Sache, Russland langfristig ökonomisch und militärisch schwächen oder gar "ruinieren" zu wollen. Diese neuen Ziele gehen weit über die legitime Verteidigung des ukrainischen Territoriums hinaus und geben dem Krieg in der Ukraine eine neue Dynamik. Sie steuern deutlich auf eine Eskalation hin, mit der die Nato schrittweise immer weiter in diesen Konflikt hineingetrieben wird – mit der möglichen Konsequenz ihrer offenen Beteiligung an dem Krieg als kriegführende Partei.
Die Welt stand noch nie so nah am Abgrund wie in diesen Tagen, und es ist die Diplomatie, die zu dieser Situation ihren Beitrag geleistet hat. Die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zur Beendigung des Konflikts wurden bisher, soweit das öffentlich bekannt ist, zweigleisig geführt. Auf dem ersten Gleis haben sich hochrangige Delegationen der beiden Seiten in Weißrussland getroffen.
Das zweite Gleis bestand aus Treffen auf Außenministerebene. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kubela und sein russischer Konterpart, Sergei Lawrow, haben sich auf Vermittlung der türkischen Regierung hin zweimal in der Türkei getroffen, zunächst am 10. März in Antalya und danach am 28. März in Istanbul.
Auf beiden Seiten hat es bislang kaum eine substantielle Bewegung in den Verhandlungspositionen gegeben. Die Russen haben an ihrem Katalog mit Maximalforderung bezüglich der Ukraine festgehalten. Während die ukrainische Seite den Russen nicht wirklich entgegengekommen ist, einmal abgesehen von Präsident Wolodymyr Selenskyjs öffentlichen Überlegungen zur Neutralität der Ukraine, die aber nicht als Teil eines Angebots auf dem Verhandlungstisch gelegen hat.
Im diplomatischen Einmaleins für die erfolgreiche Verhandlungsführung gibt es bestimmte strategische Verhaltensweisen, mit denen Fortschritte in der Konfliktlösung erreicht werden können. Dazu gehört die Einsicht, dass man bereitwillig Dinge aufgeben kann, an denen man entweder ohnehin kein hohes Interesse hat oder die man sowieso verloren hat und daher der anderen Seite anbieten kann, ohne große Einbußen hinnehmen zu müssen.
Was die ukrainische Seite Russland hätte anbieten können, ist die Abtretung der Krim, denn die hat sie de facto verloren. Es ist völlig illusorisch zu glauben, dass Russland die 2014 annektierte Krim wieder an die Ukraine zurückgeben wird. Noch unwahrscheinlicher wäre der Erfolg des Versuchs einer militärischen Rückeroberung der Krim. Tatsächlich wäre beiden Seiten damit gedient, die rechtliche Stellung der Krim ein für allemal zu klären. Warum hat dieses Angebot nicht auf dem Tisch gelegen?
Ein anderes Angebot, das die ukrainische Seite hätte machen müssen, wären Rechte der mehrheitlich russischsprachigen Bevölkerung in den Donbass- und Luhansk-Regionen zur Nutzung von Russisch als offizieller Sprache. Man muss hierzu in Erinnerung rufen, dass es die ukrainische Regierung war, die 2019 Russisch als offizielle Sprache verhindert und der großen russischsprachigen Minderheit im Lande und speziell in den Donbass/Luhansk-Regionen Ukrainisch als Amtssprache aufgezwungen hat. Das Gesetz, das zu diesem Zweck erlassen wurde, trägt den schönen Titel "Gesetz zur Unterstützung der Funktionen der ukrainischen Sprache als Staatssprache".
Diese Versagung von Minderheitenrechten kann durchaus als gegen Russland gerichtete Provokation interpretiert werden. Der Militärexperte Jacques Baud hat völlig recht, wenn er diesen Schritt mit einem hypothetischen Szenario vergleicht, in dem die schweizerische Regierung, den italienischsprachigen und französischsprachigen Schweizern die Verwendung ihrer Muttersprache als Amtssprache untersagt. Der öffentliche Aufschrei als Reaktion auf einen solchen Schritt wäre groß – nicht nur in der Schweiz. Und es wäre mit Sicherheit von einer Diskriminierung von Minderheiten die Rede.
Warum soll so ein Schritt in Ordnung gehen, wenn ihn die ukrainische Regierung gegen die russischsprachige Bevölkerung in den Donbass- und Luhansk-Regionen unternimmt? Sprachrechte für die russischsprachige Bevölkerung hätten eine Konzession der ukrainischen Seite sein müssen. Aber nichts dergleichen ist passiert. Eine Lösung des Konflikts ist nur durch Konzessionen von beiden Seiten möglich.
Nur auf der Grundlage von Konzessionen kann eine Kompromissformel gefunden werden, die schließlich zu einer Friedensvereinbarung führt. Das Argument, die russische Seite dürfe für ihre Aggression nicht belohnt werden, ist nachvollziehbar, führt aber in den Verhandlungen zur Beendigung dieses Konflikts nicht weiter.