Schmutziger Krieg in Somalia
Der Bürgerkrieg in dem ostafrikanischen Land verschärft sich wieder. Ausländische Interessen heizen die Auseinandersetzung an
Die Verschleppung zweier Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Somalia hat zum Jahresende ein Schlaglicht auf die humanitäre und sicherheitspolitische Katastrophe in dem ostafrikanischen Staat geworfen. Zwar wurden die spanische Ärztin und die argentinische Krankenschwester nach einer Woche Verhandlungen mit den Kidnappern wieder freigelassen. Doch Hilfsorganisationen weisen immer vehementer darauf hin, dass der somalische Bürgerkrieg zur größten Katastrophe (Zwischen Kat und Katjuschas) auf dem afrikanischen Kontinent ausartet.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind seit Beginn des Krieges im Jahr 1991 über 600.000 Menschen aus der Hauptstadt Mogadischu geflohen. Der Konflikt war damals ausgebrochen, nachdem der Autokrat Siad Barre gestürzt worden war. Jedoch gelang es nach seinem erzwungenen Abtritt nicht, ein demokratisches Regime aufzubauen.
Die derzeit de jure bestehende "Übergangsregierung" unter Leitung von Abdullahi Jussuf wurde 2004 auf einer internationalen Konferenz unter Leitung der UNO und der Afrikanischen Union (AU) eingesetzt. Ihr gegenüber steht im Bürgerkrieg der "Rat der Islamischen Gerichte", ein Zusammenschluss islamistischer Milizen.
Regierung ohne Regierungsgewalt
Dass diese Milizen trotz massiver ausländischer Unterstützung für das Abdullahi-Jussuf-Regime die wahren Herren des Landes sind, bestätigte Scheich Kasim Ibrahim Nur vom Ministerium für Nationale Sicherheit Mitte Dezember. Gegenüber der internationalen Presse gestand er ein, dass 80 Prozent von Somalia nicht mehr unter Kontrolle seiner "Übergangsregierung" stehe. Die Rebellen würden zunehmend erstarken und sich im Süden und im Zentrum des Landes neu formieren. Die Islamisten seien "überall" und das vom Westen inthronisierte Regime habe nicht die Kraft, die Lage unter Kontrolle zu bringen.
Anstatt einen demokratischen Ausgleich zu suchen, wird der Konflikt immer brutaler ausgetragen. Unter schwersten Bedingungen organisieren Dutzende Hilfsorganisationen Nothilfe für die inzwischen schätzungsweise eine Million Binnenflüchtlinge. Nach Angaben der Organisation Food Security Analysis Unit sind 45.000 Kinder unterernährt. Im Auffanglager Hawa Abdi, in dem 32.000 Menschen untergebracht sind, und in dem die "Ärzte ohne Grenzen" aktiv sind, liegt die Kindersterblichkeit mit 4,2 Todesfällen pro 10.000 Kinder am Tag doppelt so hoch wie der Notfallwert. Hautursache für das Sterben der Kinder seien die üblichen Durchfallerkrankungen, heißt es in Erklärungen der Organisation. Derweil campieren auf der 20 Kilometer langen Straße zwischen Mogadischu und der Stadt Afgooye Zehntausende. In dem Maße wie ihre Anzahl zunimmt, verschlechtern sich die hygienischen Bedingungen.
Angesichts dieser Lage wies das UN-Kinderhilfswerk UNICEF auf die zunehmende Gewalt gegen die Zivilbevölkerung hin. Die Lage sei so schlimm wie nie zuvor in dem 16 Jahre währenden Bürgerkrieg, sagte Christian Balslev-Olesen, der Beauftragte der Organisation für Somalia. Zivilisten seien systematischem Terror ausgesetzt:
Die Menschen in Somalia verbluten in einem Ausmaß auf den Straßen, wie wir es nie zuvor gesehen haben. … Alle Konfliktparteien führen einen schmutzigen Krieg.
Christian Balslev-Olesen
Auch die Hilfsorganisation Care International spricht von einer "dramatischen Verschlechterung in Somalia". Die Organisation geht davon aus, dass insgesamt 1,5 Millionen Menschen in dem ostafrikanischen Land Hilfe benötigen. In Somalia spiele sich eine Katastrophe ab, "die von der Weltöffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wird", sagte der Vorstandsvorsitzende der Organisation in Deutschland und Luxemburg, Heribert Scharrenbroich. Er forderte mehr Druck auf die Konfliktparteien.
Ausländische Interessen
Doch eben die Intervention aus dem Ausland ist eine der Hauptursachen dafür, dass sich die Gewaltspirale in Somalia immer schneller dreht. Ausgerechnet die Hilfsorganisation Care International gehörte Anfang der neunziger Jahre zu den Verfechtern einer "humanitären Intervention" in Somalia. Durch die UN-Mission UNSOM unter US-Führung wurde der bewaffnete Konflikt jedoch weiter angeheizt. Nachdem die UN-mandatierten US-Truppen 1993 das Land Hals über Kopf verließen, war das Chaos perfekt. Die Jahre später ausgehandelte "Übergangsregierung" versuchte erfolglos den Schaden auszugleichen, den der militärische Eingriff verursacht hat.
Unter der Ägide der UNO und der AU wurden die beiden größten Volksgruppen, die Hawiye und die Darod, zu einer gemeinsamen Regierungsbildung verpflichtet. Doch diese am Reißbrett entworfene Demokratie funktioniert ebenso wenig wie der militärische Import von "humanitärer Hilfe" 1993. "Präsident" Abdullahi Jussuf, der dem Darod-Clan angehört, lag mit dem Hawiye-"Ministerpräsidenten" Ali Mohammed Gedi seit Beginn des Regimes an im Dauerclinch. Streitpunkt war die Vergabe von Erdöl-Förderverträgen im Nordosten des Landes. Jussuf hatte diese Verträge unter anderem mit chinesischen Firmen unterstützt, Gedi drohte wegen seiner Kontakte zu westlichen Energiekonzernen mit seinem Veto. Ende Oktober vergangenen Jahres musste er deswegen zwar seinen Hut an, der Streit um den Zugriff auf die Ressourcen aber dauert an.
Es ist daher höchst unsicher, ob Gedis Nachfolger Hassan Hussein, ebenfalls ein Hawiye, den Konflikt beilegen kann. Denn inzwischen geht es nicht mehr nur um den Zugriff auf die Ressourcen des Landes. Seit Präsident Jussuf im Dezember 2006 das traditionell verfeindete Äthiopien zur Hilfe gerufen hat, haben die Spannungen in der "Übergangsregierung" zugenommen. Denn während er sich auf die ausländischen Truppen stützt, fordern die Hawiye einen sofortigen Abzug der äthiopischen Soldaten. Eine Lösung dieses neuen Streits ist nicht in Sicht. Von einer AU-Mission, die aus 8000 Soldaten bestehen sollte, sind gerade einmal 1700 nach Somalia entsandt worden. In Anbetracht der zunehmenden Kämpfe werden es wohl auch nicht mehr werden.