Schulaufsätze gegen Rassenvorurteile
Eine kleine Schreibübung reicht, um das Selbstwertgefühl afroamerikanischer Schüler zu steigern und damit ihre schulischen Leistungen deutlich zu verbessern
Schule bedeutet Leistung erbringen und damit Stress für die meisten Schulkinder. Ganz besonders trifft das auf Schüler zu, die einer sozialen Gruppe angehören, von der es heißt, sie sei ein bisschen doof. In den USA haftet den Schwarzen (African Americans) dieses Stereotyp an. Schlechte Noten bedeuten für sie doppeltes Versagen: zum persönlichen Misserfolg kommt noch die Bestätigung des Vorurteils.
Dass allein die Stärkung des Selbstwertgefühls ausreichen kann, dem Vorurteil entgegenzuwirken und die schulischen Leistungen zu steigern, haben Psychologen jetzt in einem kleinen Experiment bewiesen. In der aktuellen Ausgabe von Science (Science Vol. 313 vom 1. September) berichten sie.
Vorurteile und ihre traurige Wirkung
Frauen können keine Mathematik, Schwarze sind dumm – die Liste bekannter Stereotype ließe sich beliebig fortsetzen. Es sind solche platten Vorurteile, die die Voraussetzung für Diskriminierung von Minderheiten bilden können und Erwartungen erzeugen, die genau dieses stereotype Verhalten hervorrufen. Die Furcht davor, dass sich die Vorurteile, die gegen die Gruppe, der man angehört, bestätigen, heißt wissenschaftlich „stereotype threat“. Ein Begriff, der 1995 von Claude M. Steele, Joshua Aronson und Steven Spencer geprägt wurde, die selbst die Erfahrung gemacht hatten, dass negative Stereotype, z. B. über Afroamerikaner oder Juden, die Selbstwahrnehmung und den Aufmerksamkeitsfokus nachteilig verändern. In standardisierten Tests mit männlichen Afroamerikanern, die mit asiatischen Amerikanern konkurrieren sollten, wiesen sie diese Beobachtung im Journal of Personality and Social Psychology, 69, S. 797 – 811, nach.
Racial Achievement Gap – die tiefe Kluft zwischen den Ethnien
In den USA leiden besonders afroamerikanische Schüler unter dem „stereotype threat“. „Blacks are unintelligent“ lautet das Vorurteil, weil sie in der Schule schlechtere Leistungen zeigen. Das Problem wird als „racial achievement gap“ umschrieben. Geoffrey L. Cohen und sein Team vom Department of Psychology der Universität Boulder in Colorado haben sich dazu nun überlegt, dass die Stärkung des Selbstwertgefühls vielleicht einen Weg darstellen könnte, diesen Stress zu mindern.
Für ihr Experiment wählten Cohen und sein Team Schüler der 7. Jahrgangsstufe aus, die aus Mittelklasse und unterer Mittelklasse stammten und eine Vorort-High School im Nordosten des Landes besuchten. Nach dem Zufallsprinzip rekrutierten sie dort 119 afroamerikanische und 124 weiße (European American) Schüler beider Geschlechter. Ihre Aufgabe: In einer 15-minütigen-Übung mussten die Probanden der Testgruppe aus einer Liste mit Werten, den ihnen wichtigsten auswählen und kurz ausführen, warum er ihnen so viel bedeutet. Die Kontrollgruppe musste sich mit dem ihr am geringsten erscheinenden Wert befassen und ebenfalls erklären, warum er ihnen nur geringwertig erscheint. Die Lehrer waren nicht in das Experiment eingeweiht.
Leistungsverbesserung um 40 Prozent
Am Ende des Schuljahres prüften die Forscher anhand der Noten, ob und wie sich die schulischen Leistungen verbessert hatten. Dabei stellte sich heraus, dass bei der Mehrzahl (70 Prozent) der schwarzen Probanden, die sich mit dem ihnen wichtigsten Wert befasst hatten, die Leistungen zulegt hatten – um satte 40 Prozent sogar! Gleichgültig, ob es sich dabei um gute oder schlechte Schüler handelte. Der Anteil der Schüler, die die Noten D und F (entspricht bei uns den Noten 5 bzw. 6) erhielten, betrug in der Testgruppe nur 9 Prozent, während er in der Kontrollgruppe bei 20 Prozent lag. Die Leistungsverbesserung erstreckte sich über alle Fächer. Bei den weißen Schülern hingegen zeigte die Selbstwert-Übung keinen Effekt, weder zum Guten noch zum Schlechten.
Zur Kontrolle wiederholten die Psychologen den Test im darauffolgenden Jahr erneut, jedoch nicht unmittelbar zu Beginn des Schuljahres, sondern etwas später. Hier zeigte sich, dass der Leistungsanstieg unmittelbar nach diesem Übungs-Ereignis einsetzte und einen beginnenden negativen Trend umkehrte.
Im Teufelskreis der Vorurteile
Wie erklären sich die Wissenschaftler den enormen Effekt dieser an sich eher schlichten Übung? „Eine Schule ist ein Ort an dem psychologischer Druck und schlechte Leistung sich wie in einem Teufelskreis drehen und sich gegenseitig verstärken“, schreibt Cohen dazu. „Da immer ein Impuls den anderen auslöst, kann eine Unterbrechung dieser Kette langfristige Auswirkungen zeigen.“
Fällt der psychologische Druck weg oder wird er gemindert, können sich auch die intellektuellen Leistungen verbessern. Und noch eines heben die Wissenschaftler hervor:
Unsere Maßnahme ist die erste, die nur darauf abzielt, die psychologische Erfahrung zu verändern und die Leistungskluft zwischen den Rassen zu reduzieren, was ein großes Problem in den USA darstellt. Im Gegensatz zu anderen Interventionen, profitierten in unserem Fall tatsächlich nur die von uns ins Auge gefassten Studenten, einschließlich derer, die am meisten gefährdet waren. Das minderte die Ungleichheit in der Gruppe. Gleichzeit hatte die Maßnahme aber auch keine nachteiligen Auswirkungen auf die nicht betroffenen Schüler
Geoffrey L. Cohen
Nach Meinung der Forscher zeigen die Ergebnisse, dass schon kleine und kurze Interventionen das mindern helfen, was viele als eine „unveränderbare Ungleichheit“ bei den schulischen Leistungen der verschiedenen Ethnien betrachten.
Der Stein der Weisen?
Trotz der deutlichen Resultate glauben Cohen und sein Leute nicht, mit ihrer Selbstwert-Übung das Problem der Leistungskluft zwischen den ethnischen Gruppen gelöst zu haben. Sie hoffen aber darauf, dass ihre kleine Aufgabe dazu beiträgt, die schulischen Leistungen von Minderheiten zu verbessern.