Schuldenfalle in grün

Philipp Fess

Warum Banker zu den größten Impulsgebern einer klimafreundlichen Entwicklungspolitik zählen. Und was die Empfänger von solcher "Hilfe" halten. Klima-Kolonialismus? (Teil 3 und Schluss).

Wo ein Etikett den Wert bestimmt, ist der Schwindel nicht weit. Dass es bei "nachhaltigen" Projekten – und vor allem: Geldanlagen – nicht immer ganz nachvollziehbar zugeht, lässt sich mittlerweile als Fakt konstatieren.

Der deutsch-französische Sender Arte führte das zuletzt mit der Dokumentation "Grüne Fonds – die große Illusion?" (Juni 2022, seit 30. November in der Mediathek) erneut vor Augen. Neben anderen Beispielen für grünen Etikettenschwindel kommt die Doku auch auf den aufsehenerregenden Fall von Desiree Fixler zu sprechen.

Die US-Amerikanerin war Nachhaltigkeitschefin des Investment-Arms der Deutschen Bank, DWS (ehem. Deutsche Gesellschaft für Wertpapiersparen), der sich mit mehr als 50 Prozent "grünen" Fonds als führend im Bereich nachhaltiger Investitionen dargestellt habe. Bis zum August 2021.

In jenem Monat erschütterte Fixler nämlich die Finanzwelt mit der gegenüber der US-Börsenaufsicht (Security and Exchange Commission, SEC) und dem FBI geäußerten Anschuldigung, die DWS habe im großen Stil "Greenwashing" von Anleihen betrieben. Fixler wurde sofort gefeuert, SEC und die US-Justizbehörde nahmen die Ermittlungen auf, gemeinsam mit der deutschen Finanzfahndung.

Im Mai erfolgte auf Veranlassung der in anderen Fällen trägeren Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eine Razzia der Geschäftsräume von DWS und der Muttergesellschaft Deutsche Bank, einen Tag später verließ der langjährige Chef der Fondstochter das Unternehmen.

Die Staatsanwaltschaft teilte damals mit, dass sich "zureichende Anhaltspunkte" dafür gefunden hätten, dass die DWS Kunden mit Finanzprodukten hinters Licht führte, die den sogenannten ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) genügen sollten. Der Haken: diese Kriterien hätten bei den Angeboten "keinerlei Beachtung gefunden".

Der "größte Wachstumsmarkt für Vermögensverwalter"

Es lässt sich stark bezweifeln, ob es sich bei der Deutschen Bank um einen Einzelfall handelt. Denn wie Fixler in der Arte-Doku ebenfalls herausstellt, gelten nachhaltige Geldanlagen als "der größte Wachstumsmarkt für Vermögensverwalter" – und die Spekulation auf dem Emissionsmarkt schaffe zusätzliche Anreize zur Manipulation. Und damit ist noch nichts über die Rolle der Rating-Agenturen gesagt, die die grünen Etiketten vergeben.

Und doch sah die EU-Finanzbehörde (European Securities and Markets Authority, ESMA) bei einer Überprüfung im März keine Anzeichen für eine Manipulation des Emissionsmarkts, welche Großinvestor George Soros laut Wirtschaftswoche einmal als Pull-Faktor für "Finanztypen wie ihn" bezeichnet hat.

Was haben nun nachhaltige Kapitalanlagen mit imperialem Kolonialismus zu tun? Nach Ansicht einiger Kritiker: eine ganze Menge. Doch der Reihe nach.

"Grüner Kolonialismus" und die Doppelstandards des globalen Nordens

Die von Weltbank und Internationalem Weltwährungsfonds koordinierte Entwicklungshilfe – beziehungsweise, genauer: "Entwicklungszusammenarbeit" – der (westlichen) Industrieländer mit den Ländern des globalen Südens steht nicht alleine im Zeichen der Nächstenliebe (siehe Teil 2).

Das wird auch in der Ablehnung von "Reparationszahlungen" an die vom Klimawandel am meisten betroffenen Länder deutlich, die diese zuletzt auf dem Klimagipfel in Ägypten, COP27, forderten.

Abgesehen davon – so der Nachrichtensender Euronews –, dass die Länder des globalen Nordens für den Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich zeichnen und sich die internationale Gemeinschaft sich auf den "historischen" Loss and Damage Fund einigen konnte (siehe Teil 1), betrachte

der globale Süden […] die Klimareparationen, die sich auf die dauerhafte Zerstörung beziehen, als eine dritte, separate Säule in dieser Gleichung. Aus diesem Grund fordern sie [=die Länder] die Schaffung eines brandneuen Fonds, der sich völlig von den [zunächst angesetzten] 100 Milliarden Euro unterscheidet, die für Minderung und Anpassung bestimmt sind.

Euronews

Solche Reparationen werden, wie in Teil 1 bereits erwähnt, seit dem ersten Weltumweltgipfel 1971 gefordert. Und zwar erfolglos.

Der Eindruck, dass die Klimaschutz-"Hilfen" in Form der Entwicklungszusammenarbeit die Asymmetrie zwischen den globalen Hemisphären nicht beenden, sondern fortschreiben, wird durch die janusköpfige Nachhaltigkeitspolitik des Nordens erheblich verstärkt. Wie das Internetportal German Foreign Policy (GFP) schreibt, nimmt diese Kritik an Doppelstandards "weltweit – und auch an Deutschland" zu:

[So] heißt es in einem aktuellen Namensartikel von Yoweri Museveni, dem Präsidenten Ugandas: "Wir werden nicht eine Regel für sie, eine andere aber für uns akzeptieren." Identische Kritik an europäischen Versuchen, den Ländern Afrikas eine Abkehr von Öl und Gas zu diktieren, zugleich aber selbst die Nutzung von Kohle als Energieträger wieder zu intensivieren – etwa in Deutschland –, wird schon seit Monaten laut.

German Foreign Policy

Die Doppelstandards werden nicht nur beim Abbau von Fracking-Gas und der EU-Taxonomie deutlich, sondern auch in Projekten wie der vor kurzem unter UK-Premier Rishi Sunak eröffneten neuen Kohlemine im großbritannischen Whitehaven.

Der Chief Strategic Officer der Nichtregierungsorganisation Human Rights Foundation (HFR), Alex Gladstein, lässt in einem seiner Beiträge zur destruktiven Rolle von Weltbank und IWF auch ein Gespräch mit der senegalesischen Unternehmerin Magatte Wade einfließen. Wade spricht von besagtem Doppelstandard als einem "grünen Kolonialismus":

Diese grüne Agenda ist eine neue Form der Herrschaft über uns. Der Herrscher diktiert uns jetzt, wie wir mit Energie umgehen sollen […] Das Öl befindet sich in unserem Boden, es ist Teil unserer Souveränität: aber jetzt sagen sie, wir dürfen es nicht nutzen? Selbst nachdem sie unermessliche Mengen für sich selbst geplündert haben?

Magatte Wade

Kritik am "grünen Kolonialismus" kommt aber nicht nur vom afrikanischen Kontinent: Der karibische Entwicklungsforscher Keston K. Perry hat im November 2021 ein Paper veröffentlicht, in dem er die Rolle der Nachhaltigkeitsziele der UN-Agenda 2030 (Sustainable Development Goals, SDGs) beim Aufbau und Erhalt einer kolonialen Schuldknechtschaft beschreibt:

In diesem Paper wird aufgezeigt, wie die für notwendig erachteten "Billionen" [Vgl. Artikel der New York Times] angeblich mobilisiert werden, [nur,] um mit der Klimakatastrophe finanzielle Gewinne zu erzielen, die weitere Schulden erzeugen, rassifizierte [racialized] Bevölkerungsgruppen im globalen Süden enteignen und damit eine neue Ära des "Fonds-Zeitalters" [Bond-Age, Wortspiel mit bondage ="Gefangenschaft"] und der Kolonialität einläuten.

Keston K. Perry

Perry geht dabei besonders auf die Rolle von Weltbank und IWF als Vehikel ("conduit") dafür ein, soziale Versorgungsleistungen und Entwicklungsprogramme in "handelbare Vermögenswerte und Wertpapiere" umzuwandeln. "In Bezug auf den Klimawandel", so Perry, "sind Schuldtitel zu den bevorzugten Instrumenten für Investoren und Entwicklungsbanken geworden".

Diese Verschuldung – in Kombination mit finanzieller Abhängigkeit, mangelnder Klimagerechtigkeit und sozio-politischer Ungewissheit (Perry verweist auf das krisengebeutelte Haiti) – hindere die karibischen Länder (bereits jetzt) daran, ein selbstbestimmtes, menschenwürdiges Leben zu führen.

Die grünen Geschäftspartner

Das Portal unlimitedhangout widmet sich in einer Serie den UN-Nachhaltigkeitszielen und deren Einfluss auf die globale Gesellschaft. In einem ersten Aufschlag im September haben sich die Autoren Whitney Webb und Iain Davis mit Ziel 17 befasst, das da lautet: "Die Mittel zur Umsetzung und Neubelebung der Globalen Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung stärken".

Webb und Davis haben sich gewisse Partnerschaften, die da unter Mitwirkung der internationalen Entwicklungsbanken entstehen, ganz genau angesehen. Ihre fundierte und unbedingt lesenswerte Analyse trägt den Titel "Sustainable Debt Slavery" ("nachhaltige Schulden-Sklaverei").

Analog zum Entwicklungsforscher Perry beschreiben Webb und Davis Weltbank und IWF als Vermittler öffentlich-privater-Partnerschaften, wie sie zuletzt auch auf der COP27 von Emmanuel Macron oder Al Gore gefordert wurden (siehe Teil 1). Laut Webb und Davis zielen aber nicht nur die Bretton-Woods-Organisationen der UN auf solche "multi-stakeholder-partnerships" ab, sondern auch die gesamte Institution der Vereinten Nationen selbst.

Wer weiß, dass UN und Weltwirtschaftsforum (WEF) 2019 eine "strategische Partnerschaft" eingegangen sind, die auch die "Finanzierung der Agenda 2030" mit einschließt, tut sich weniger schwer, diese steile These zu akzeptieren. Auch der sogenannte globale Pandemievertrag der World Health Organisation (WHO) ist in diesem Kontext kritisch zu analysieren. Aber zurück zu den Entwicklungsbanken.

Laut Webb und Davis dient die von Weltbank und IWF vorangetriebene Entwicklung einer "SDG-basierten Wirtschaft" weniger dem Erhalt (="sustain") von Ressourcen, als der "Transformation" zu einer "finanzialisierten Natur", von der eine kleine Gruppe von Akteuren profitiert. Dazu zählen NGOs und private Stiftungen, aber auch Unternehmen und vor allem: Geschäftsbanken. Und eine zentrale Rolle dabei spielen: Schulden.

Denn Schulden, so heißt es auf der Website der Weltbank, "sind eine wesentliche Form der Finanzierung für die Nachhaltigkeitsziele". Wie in Teil 2 herausgearbeitet wurde, können die Entwicklungsbanken mit zahlungsunfähigen Ländern vereinbaren, statt in Geld mit Rohstoffen oder den Rechten für deren Erschließung zu zahlen. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten.

So erlaubt das gemeinsam von Weltbank und IWF erarbeitete Debt Sustainability Framework (DSF), das seit 2018 in Kraft ist, zahlungsunfähigen Ländern, mit der Landeswährung in Projekte zur Erreichung der Agenda-2030-Ziele zu investieren, um einen Teil ihrer (in Dollar denominierten) Auslandsschulden zu begleichen.

Handelt es sich bei diesem "Tausch" um Gesundheitsmaßnahmen, spricht man von einem "Debt-for-Health-Swap", geht es um Maßnahmen, die zur globalen Klimaneutralität beitragen, spricht man von "Debt-for-Climate-Swaps". Und wie eingangs deutlich wurde, stehen letztere bei den Investmentbankern wortwörtlich hoch im Kurs. Webb und Davis schreiben:

Es ist also kein Zufall, dass viele der treibenden Kräfte hinter der SDG-Politik bei den Vereinten Nationen und anderswo Banker sind, die Karriere machen. Ehemalige Führungskräfte einiger der räuberischsten Finanzinstitute in der Weltgeschichte, von Goldman Sachs über die Bank of America bis zur Deutschen Bank, gehören zu den wichtigsten Befürwortern und Entwicklern von SDG-bezogenen Maßnahmen.

Sustainable Debt Slavery, unlimitedhangout.com

Klima-Impulse aus dem Privatsektor

Im Fokus der beiden Autoren steht besonders die Glasgow Alliance for Net Zero (GFANZ), der Webb bereits 2021 einen eigenen Artikel gewidmet hat. Die Allianz wurde im April 2021 vom "UN-Sondergesandten für Klima und Finanzen" Mark Carney, dem US-Klima-Sondergesandten John Kerry und der US-Finanzministerin Janet Yellen gegründet. Nein, es dürfte kein Zufall sein, dass sich die beiden letztgenannten auf der COP27 für die "grüne" Reform von Weltbank und IWF ausgesprochen haben (siehe Teil 1).

Den Impuls für ein "neues Bretton Woods" setzen Webb und Davis früher an als IWF-Chefin Georgievas Appell von 2020. Und er kam nicht von der UN, sondern aus dem Privatsektor.

2019 sprach der CEO von BlackRock, dem größten Kapitalverwalter der Welt, bereits von einer solchen Reform, "wenn es uns wirklich ernst ist mit dem Klimawandel". Und zwar auf dem COP26 – in Glasgow. Larry Fink zählt zu den geschäftsführenden "Principals" der GFANZ.

Was Mark Carney angeht, so hat er eine steile Karriere als Chef der Zentralbanken von Canada und der Bank of England sowie als Mitarbeiter von Goldman Sachs hinter sich. Seit Oktober 2020 ist Carney außerdem beim kanadischen Vermögensverwalter Brookfield Asset Management Leiter der Abteilung "Impact Investing". Ein boomender Markt.

In der Selbstverpflichtung der GFANZ, "die Dekarbonisierung der Wirtschaft [zu] beschleunigen" sehen Webb und Davis einen Vorwand, der das altbekannte Vorgehen des Hudsonschen Super-Imperialismus (siehe Teil 2) verschleiern soll: Das eigentliche Ziel liege darin, mit Hilfe von Entwicklungsbanken durch öffentlich-private Projekte Privatkapital in Schwellen- und Entwicklungsländer zu bringen und eine "massive und umfassende Deregulierung" voranzutreiben.

"Blockaden beseitigen" statt Schuldengruben schaufeln

Dieser Text soll nicht suggerieren, dass die Entwicklungszusammenarbeit auf Grundlage der UN-Nachhaltigkeitsziele keine wertvollen Ergebnisse für Mensch und Umwelt hervorbringen kann. Hilfe allerdings, die sich alleine oder übermäßig auf Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsmaßnahmen konzentriert, verfehlt die gesellschaftlichen Probleme anzugehen, die nicht selten erst zur umweltschädlichen Lebensweise führen. Oder verschlimmert sie gegebenenfalls sogar.

Neben Reparationszahlungen, die die ansonsten so hilfsbereiten Staaten des globalen Nordens ablehnen, gibt es noch eine weitere Möglichkeit, diesem Zustand ein Ende zu bereiten: den Schuldenerlass.

Ein solcher Schuldenerlass aber hat mit einem Debt-for-Climate-Swap, wie ihn Entwicklungsministerin Svenja Schulze vor kurzem erneut angepriesen hat, nichts zu tun. Zumal dieser in der Tradition der Debt-for-Nature-Swaps steht – also dem "Tausch" von Schulden gegen Naturschutzinvestitionen – die bereits in den 90er-Jahren als Kommerzialisierung der Natur und vor allem: kolonialistische Landnahme gedeutet wurden.

Für einen veritablen Schuldenerlass setzt sich dagegen das 2001 gegründete Bündnis "erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung" ein. "Der Begriff 'Erlassjahr' geht auf ein wirtschaftspolitisches Gebot im Alten Testament zurück", erklärt Mitbegründer Jürgen Kaiser gegenüber Telepolis:

Alle 50 Jahre, einmal pro Generation, sollten die Israeliten einander ihre Schulden erlassen und die Gleichverteilung des Landes wiederherstellen.

Dazu zählte auch, ihnen das Erbland zurückgeben und die Schuldsklaverei aufzuheben. Erlassjahr.de strebt damit auch an, eine globale Schuldenkrise wie in den 1980er-Jahren zu verhindern.

Das bundesweite Netzwerk tritt aber nicht nur für den (in dieser Form bisher einmaligen) Erlass der Schulden nach dem Vorbild der HIPC-(Heavily Indebted Poor Countries)-Initiative 1996 ein. Angestrebt wird außerdem die Etablierung eines Staaten-Insolvenzverfahrens, bei dem eine neutrale Instanz darüber entscheidet, wann ein Land für zahlungsunfähig befunden werden muss. Bisher befinde darüber der sogenannte Pariser Club, ein (völker-)rechtlich nicht legitimiertes "Kartell öffentlicher Gläubiger", wie Kaiser erklärt.

"Schulden waren zweifellos Beherrschungsinstrumente in der Geschichte", sagt der Erlassjahr-Mitbegründer. Die Beseitigung von Schuldensituationen führe nicht automatisch dazu, dass sich die Situation in einem Land verbessere, schaffe aber die Möglichkeiten: "Es beseitigt die Blockade." Kreditbasierte Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsmaßnahmen dagegen, so Kaiser "sind zur Erreichung von Schuldentragfähigkeit sicher nicht geeignet".