Schwedens Chaos-Mittwoch, die Zukunft der Blockpolitik und Corona

Magdalena Andersson (mit Blumenstrauß) nur wenige Stunden vor ihrem Rücktritt. Foto: Frankie Fouganthin / CC-BY-SA-4.0

Warum Regierungschefin Magdalena Andersson noch am Tag ihrer Wahl zurücktrat und was sonst noch in Schwedens Politiklandschaft los ist

Morgens um 10 Uhr wurde die Sozialdemokratin Magdalena Andersson als erste weibliche Ministerpräsidentin Schwedens gefeiert. Sieben Stunden später war ihr Haushaltsenwurf durchgefallen, der Koalitionspartner abgesprungen und sie konnte nur noch um ihre Entlassung aus dem Amt bitten. Der 24. November wird vermutlich als in mehrfacher Hinsicht historischer Tag in die Geschichte Schwedens eingehen. Was war da los?

Die Ereignisse haben nicht viel mit der Person Magdalena Andersson und auch nicht wirklich mit dem Inhalt des Haushaltsentwurfs zu tun - aber mit einem geeinten rechtskonservativen Block im Gegensatz zu einer völlig zerstrittenen Mitte-Links-Seite, in der sich alle vor der Wahl 2022 profilieren wollen. Letztlich war es der eigene grüne Koalitionspartner, der dafür sorgte, dass die erste Regierungschefin Schwedens es nicht einmal bis zu offizielle Amtseinführung schaffte. Spoiler: Am Montag, 29. November, ist die nächste Abstimmung angesetzt. Dann klappt es vielleicht für etwas länger.

Zwei Besonderheiten

Um die Ereignisse an diesem Mittwoch zu verstehen, muss man zwei Besonderheiten des schwedischen Systems kennen.

Erstens: Um Ministerpräsidentin oder Ministerpräsident zu werden, reicht es, wenn man vom Parlamentssprecher vorgeschlagen wird und die Mehrheit nicht dagegen ist. Dieses System erlaubt es, dass auch Parteien, die sich nicht eng an die Regierung binden wollen, mit einer Enthaltung den Ministerpräsidenten einer Minderheitsregierung "zulassen". Koalitionspartner drücken normalerweise Ja, Stützparteien enthalten sich. Im Normalfall gibt es allerdings inhaltliche Absprachen, an die sich Stützparteien auch danach gebunden fühlen, zum Beispiel beim Haushalt.

Zweitens: Das schwedische System kennt nicht das Prinzip vorgezogener Neuwahlen. Es ist zwar möglich, bei einer aussichtslosen Lage eine Neuwahl auszurufen, aber die neue Regierung wäre nur bis zum nächsten regelmäßigen Wahltermin im Amt - und der ist im September 2022, gleichzeitig mit den Kommunal- und Regionalwahlen.

Die Ereignisse in Kurzform:

Die Abstimmung über die Personalie Magdalena Andersson war für Mittwochmorgen vorgesehen, obwohl ihre Mehrheit noch nicht sicher stand. Neben dem grünen Koalitionspartner Miljöpartiet hatte auch die Zentrumspartei ihre Unterstützung (beziehungsweise Enthaltung) zugesichert. Am Dienstagabend einigte sich Andersson endlich mit der Linkspartei, um den Preis einer Erhöhung für die niedrigsten Renten.

Am Mittwochmorgen, 45 Minuten vor der Abstimmung, verkündet die Vorsitzende der Zentrumspartei, man werde wie zugesagt Andersson als Ministerpräsidentin ermöglichen, aber nicht für deren Haushalt stimmen.

Andersson erhält "nur" 174 Gegenstimmen (von 349 möglichen). Damit ist sie Ministerpräsidentin, mit den Ja-Stimmen ihrer Koalition und einer Parteilosen und den Enthaltungen von Links- und Zentrumspartei.

Anderssons Haushaltsentwurf - sie war bisher Finanzministerin - bekommt keine Mehrheit, da die Linkspartei zwar zustimmt, die Zentrumspartei sich aber enthält. Stattdessen gelingt es dem rechts-konservativen Block aus Schwedendemokraten (SD), Moderaten und Christdemokraten, seine Änderungen durchzudrücken, zum Beispiel weniger Steuern auf Benzin und Diesel. Für geplante Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz gibt es kein Geld.

Die Miljöpartiet erklärt den Ausstieg aus der Regierung, da mit diesem Haushalt die Schwedendemokraten Einfluss bekommen hätten und ihre eigene Politik nicht mehr umsetzbar sei.

Da Andersson als Regierungschefin einer "rot-grünen" Regierung gewählt wurde, fehlt ihr damit die Legitimation und sie muss um ihre Entlassung bitten.

Dem rechtskonservativen Block fehlt genau eine Stimme zur Machtübernahme - und die ist nicht zu bekommen. Magdalena Andersson hat erklärt, sie wäre bereit, es erneut zu versuchen, dann als Chefin einer rein sozialdemokratischen Minderheitsregierung. Die Sozialdemokraten sind zwar die stärkste Fraktion, haben aber trotzdem nur 100 von 349 Mandaten. Linkspartei, Zentrum und der ehemalige Koalitionspartner Miljöpartiet haben erklärt, sie erneut "zuzulassen". Gut möglich, dass Schweden also am Montag doch seine erste Regierungschefin bekommt.

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