Schwedens Chaos-Mittwoch, die Zukunft der Blockpolitik und Corona
Seite 2: Die neuen Machtblöcke nach 2018
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- Die neuen Machtblöcke nach 2018
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An dem Chaostag lässt sich deutlich erkennen, wie sich die Machtverhältnisse in den vergangenen Jahren verschoben und sich neue Blöcke gebildet haben. Vor der Wahl 2018 gab es einen linken Block aus Sozialdemokraten, Miljöpartiet und Linkspartei sowie eine "bürgerliche Allianz" aus zwei liberalen Parteien, Zentrum und Liberale, und zwei konservativen Parteien, Christdemokraten und Moderate. Mit den von Neonazis gegründeten Schwedendemokraten wollte niemand etwas zu tun haben, und vor der Wahl 2018 sagten alle anderen Parteien, mit diesen werde man nicht zusammenarbeiten.
Keiner der beiden Blöcke hatte nach der Wahl 2018 eine Mehrheit. Stefan Löfvén gelangen es schließlich, die beiden liberalen Parteien mit weitgehenden Zugeständnissen als Stützparteien für seine "rot-grüne" Regierung zu gewinnen. Der gemeinsame Nenner war hier hauptsächlich der Wille, den Schwedendemokraten keinen Einfluss zu gewähren.
Die beiden liberalen Parteien wünschten allerdings auch keinen Einfluss der Linkspartei, auf deren Stimme Löfvén aber zusätzlich angewiesen war. Die Linkspartei hielt mehr oder weniger still, und der Parteivorsitzende Jonas Sjöstedt konnte abtreten, ohne seine Drohungen wahrmachen zu müssen.
Das tat dann allerdings seine Nachfolgerin Nooshi Dadgostar im Sommer 2021. Das Land musste verblüfft zur Kenntnis nehmen, dass die Linkspartei nicht um jeden Preis einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten stützt, wenn dabei die eigenen Überzeugungen wieder und wieder unter die Räder kommen. In dem Wirbel sagten auch die Liberalen ihre Unterstützung auf, die zum bürgerlichen Lager zurückkehren wollten. Löfvén gelang die Rückkehr ins Amt mit knapper Mehrheit und Zugeständnissen an die verschiedenen Seiten, die kaum miteinander kompatibel waren.
Magdalena Andersson hat nicht mehr den Fehler gemacht, die Linkspartei zu unterschätzen. Dafür wurde sie dann von der Zentrumspartei mit einer Enthaltung zum Haushalt bestraft, obwohl darin auch einige Zugeständnisse an das Zentrum verankert waren. Zentrumschefin Annie Lööf beschwört immer wieder die politische Mitte: Man dürfe Parteien wie den Schwedendemokraten und der Linkspartei keinen Einfluss gewähren. Dass die Enthaltung zu Anderssons Haushalt genau das tat - einen mit den Schwedendemokraten verhandelten Haushalt ermöglichen - ist eine Konsequenz, an der die Partei nun nicht schuld sein will.
Die Partei der Vorbestraften
Wie kam es überhaupt zu diesem Gegen-Haushalt? Trotz der Aussagen vor der Wahl 2018 haben sich Moderate und Christdemokraten den Schwedendemokraten angenähert - und Parteichef Jimmie Åkesson bemüht sich, seine Truppe als stubenrein erscheinen zu lassen, auch wenn immer mal wieder jemand darauf hinweist, dass keine Partei so viele Mitglieder mit Vorstrafen hat wie die Schwedendemokraten.
Ein erster Schritt war, dass im Herbst 2018 erstmals ein konservativer Haushalt mit den Stimmen der Schwedendemokraten beschlossen wurde. Nun haben die Schwedendemokraten, Moderate und Christdemokraten erstmals einen gemeinsamen Gegenentwurf vorgelegt - und sogar mit Erfolg. Die Schwedendemokraten, die lokal schon teilweise mitregieren, sind damit endgültig dort angekommen, wo sie sein wollen. Sowohl sie als auch die beiden konservativen Partner empören sich darüber, dass die Konstellation von außen "blau-braun" genannt wird.
Magdalena Andersson hätte mit dem verstümmelten Haushalt wohl regieren können und bestätigte dies auch. Für Miljöpartiet war das aber die rote Linie. Dass die Partei aus der Regierung aussteigen will, ist keine Überraschung an sich. Sie hatte viele Kröten schlucken müssen. Im Gegensatz zu den beiden Stützparteien hatte sie auch keine Gelegenheit gehabt, vor der Wahl 2022 ihr Profil zu schärfen. So galt manchen Medien der Protest gegen einen Haushalt der Schwedendemokraten nur als Vorwand.
Andersson war seit 2014 Finanzministerin in der Regierung Löfvén und dürfte keine Illusionen darüber gehabt haben, wie das Spiel läuft. Stefan Löfvén war nach der Wahl 2018 zwei Mal abgewählt und später doch wieder gewählt worden. Er hatte gedroht, zurückzutreten, wenn der Haushalt 2022 nicht durchgeht - und hatte sich dann doch für einen Rückzug vorher entschieden. Formell ist er aber immer noch Ministerpräsident, da Andersson zwar gewählt, aber nicht offiziell ins Amt eingeführt wurde.
Wähler werden zu würdigen wissen, dass sie nun genau wissen, woran sie sind und was sie von wem erwarten können. Sie würden vielleicht gerne jetzt zu Wahl gehen, müssen aber noch warten.
Corona-Politik unter dem Radar
Und Corona? War in den vergangenen Wochen kein Thema - die Lage war ja ruhig. Der Impfpass ist von der noch amtierenden Regierung mithilfe des Pandemiegesetzes beschlossen und "im Parlament verankert", wie Sozialministerin Lena Hallengren es ausdrückte, wozu offenbar keine öffentliche Abstimmung nötig war. Alle Parteien sind dafür, sogar die Schwedendemokraten, obwohl dort die meisten Impfskeptiker sitzen. Parteichef Jimmie Åkesson hat persönlich zum Impfen aufgerufen und beim SD-Parteitag gilt jetzt schon "3G" - Zutritt nur für Geimpfte, Getestete und Genesene, obwohl das bisher nirgends sonst in Schweden gefordert wird. Der Impfpass gilt als die bessere Alternative zu Publikumsbeschränkungen, Obergrenzen und Schließungen.
Dass es vergleichsweise wenig Widerstand gegen den Impfpass gibt, könnte daran liegen, dass er bisher nur für große Veranstaltungen vorgesehen ist und nicht etwa für Restaurants - und dass ein Veranstalter nicht verpflichtet ist, den Impfpass zu fordern, dann aber andere Auflagen einhalten muss. Es liegen allerdings schon mehr als 5000 Klagen dagegen beim Justizombudsmann vor, und es läuft eine Unterschriftensammlung dagegen.
Es sieht allerdings aus, als ob die ruhigen Zeiten auch in Sachen Corona bald vorbei wären. Sowohl die Fallzahlen als auch die Zahl der Krankenhausaufnahmen sind seit der vergangenen Woche deutlich angestiegen. Ministerin Hallengren hat bereits deutlich gemacht, dass der Impfpass nicht die einzige Maßnahme bleiben wird, wenn es wieder kritisch wird, und die Gesundheitsbehörde mit Vorschlägen zu weiteren möglichen Maßnahmen beauftragt.
Es wird aber betont, die Maßnahmen müssten verhältnismäßig und zweckmäßig in der jeweiligen Lage sein. Die Moderaten fordern die Einführung des Impfpasses auch in Restaurants. Der britische Weg ist weder für die schwedischen Politiker noch für die zuständige Behörde eine Option - und es geht in den Wahlkampf. Mit Toten lässt sich keine Wahl gewinnen.
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