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Schwere Kämpfe in der Ostukraine seit erstem Telefongespräch zwischen Putin und Trump

Gestern wurden 120 Menschen aus Avdiivka evakuiert. Bild: msn.gov.ua

Nachdem unklar ist, welche Russland-Politik Washington verfolgen wird, häufen sich Provokationen und kam es auch im Schwarzen Meer zu einem Konflikt zwischen Kiew und Moskau

In der Ukraine flammen die Kämpfe zwischen den Separatisten und ukrainischen Truppen und Milizen wieder auf. Mit schweren Waffen, die nach dem Minsker Abkommen eigentlich von der Front abgezogen sein sollten, griffen beide Seiten gegenseitig Stellungen, aber auch zivile Ziele in Avdiivka an. Das Minsker Abkommen erweist sich immer mehr als Papiertiger, keine der beiden Seiten will einen entscheidenden Schritt vorwärts machen. Aber der damit "gefrorene Konflikt" kann jederzeit "heiß" werden, wie sich nun wieder zeigt.

Das zeigen nicht nur die neuen Kämpfe, sondern auch der jüngste Vorfall. Der Sprecher von Poroschenko, Svyatoslav Tsegolko, schrieb [1] gestern Abend, dass Russland eine ukrainische An-26-Transportmaschine des Militärs, die sich auf einem Trainingsflug befand, über dem Schwarzen Meer beschossen habe. Das sei beim Odessa-Gasfeld geschehen, das sich 100 km von der ukrainische Küste entfernt befindet. Das Gasfeld wird auch von Russland nach der Annexion der Krim beansprucht, wodurch auch der Konzern Chernomorneftegaz übernommen wurde, der von der US-Regierung und der EU mit Sanktionen belegt wurde. Das Flugzeug sei durch einen Treffer beschädigt worden, habe aber den Flug fortsetzen können. Angeblich wurde das Flugzeug mit einer Kleinwaffe von einer der beiden Bohrplattformen beschossen. Die Piloten hätten auch ein aktives Radarsystem bemerkt. Gezeigt werden Fotos mit dem angeblichen Einschussloch.

Angebliches Einschussloch. Bild [2]: Svyatoslav Tsegolko

Ein Sprecher der russischen Schwarzmeerflotte bezeichnete die Behauptung als eine "absolute Lüge". Nach russischer Darstellung habe die Militärmaschine zwischen 11:30 und 12:00 Moskauer Zeit die Bohrtürme in "extrem niedriger Höhe" überflogen. Die Sicherheitskräfte hätten nicht auf das Flugzeug geschossen, sondern nur vier Leuchtpatronen abgeschossen, um eine Kollision zu verhindern. Die Anflüge seien "provokativ" gewesen. Es sei jedem klar, dass es von einer Signalpistole keine Gefahr für ein Flugzeug ausgehen könne.

Wegen der Lage in der Ostukraine habe man, sagte der russische Verteidigungsminister Shoigu, die Truppenverbände im Süden verstärkt. Gestern begann auf dem Schwarzen Meer auch eine Nato-Übung mit 16 Kriegsschiffen und 10 Flugzeugen. Der Verteidigungsminister erklärte [3], man beobachte die Übung genau und hoffe, dass sie in einem für Russland sicheren Bereich abgehalten werden.

Neue Kämpfe in der Ostukraine

Mit dem Amtsantritt von Donald Trump, der möglicherweise neue Beziehungen zu Russland knüpfen könnte, wird die Lage für Kiew unsicher. Die USA standen bislang hinter der Ukraine, übten wenig oder keinen Druck auf die Umsetzung des Minsker Abkommens aus, förderten den Beitritt der Ukraine zur Nato und zur EU und nutzten den Ukraine-Konflikt zur Konfrontation mit Russland. Die Kämpfe setzten nach dem ersten Telefonat zwischen Donald Trump und Wladimir Putin am vergangenen Samstag und vor dem Besuch des ukrainischen Präsidenten Poroschenko in Berlin ein.

Nach Auskunft [4] des Weißen Hauses hätten die beiden Präsidenten eine Stunde miteinander gesprochen, das Gespräch sei positiv verlaufen und ein Beginn zur Verbesserung der Beziehungen beider Staaten. Das dürfte in Kiew Ängste und bei den Separatisten Hoffnungen ausgelöst haben. Kompliziert könnte die Situation zudem werden, da Kiew ab 1. Februar den Vorsitz im Sicherheitsrat antritt.

Beide Seiten werfen sich wie üblich gegenseitig vor, mit den neuen Feindseligkeiten begonnen zu haben und auch Wohngebiete zu beschießen. Für die Bild-Zeitung ist klar: "Putins Schergen starten neue Ukraine" [5]. Dabei liegen widersprüchliche Meldungen vor. Die Separatisten hatten behauptet [6], ukrainische Verbände hätten angegriffen und seien zurückgeschlagen worden, wonach sich die Miliz des Rechten Sektors eingeschaltet habe, bei deren Artilleriebeschuss seien nicht nur Separatisten, sondern auch ukrainische Soldaten getötet worden. Moskau stellte sich hinter die Separatisten und erklärte [7], man habe Beweise dafür, dass "unabhängige Gruppen" aus der Ukraine mit den Angriffen begonnen hätten. Kiew hingegen behauptet, Verbände der "Volksrepublik Donezk" hätten ukrainische Stellungen angegriffen und seien zurückgeschlagen worden, danach hätte starker Beschuss eingesetzt. Zudem sei die Taktik angewendet worden, Menschen als Schutzschilde zu verwenden, da Raketenwerfer in Wohngebieten positioniert [8] worden seien, von denen aus Avdiivka beschossen worden sei.

Zerstörtes Haus bei Avdiivka. Bild [9]: Viacheslav Abroskin von der ukrainischen Nationalpolizei

Die Bundesregierung verurteilte [10] nach Regierungssprecher Steffen Seibert gestern die "Eskalation" und forderte beide Seiten auf, "den vereinbarten Waffenstillstand zu beachten und wechselseitige Provokationen zu unterlassen". Eine "sofortige Feuerpause" werde "ausdrücklich" von allen Seiten verlangt. Zitiert wird allerdings nur Petro Poroschenko, der bei seinem Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag berichtete habe, "dass die Separatisten aus Wohngebieten in Donezk und Jasinuwata heraus mit schwerem Gerät auf ukrainische Stellungen geschossen hätten. Dabei habe es mehrere Todesopfer gegeben". Und erklärt wird, dass die Sanktionen gegenüber Russland aufrechterhalten werden, als ob alleine Russland für die Blockade des Minsker Abkommens verantwortlich wäre.

Kreml-Sprecher Peskow zog [11] aus den wieder aufgeflammten Kämpfen die Konsequenz, dass es nun umso dringender sei, die Gespräche zwischen Moskau und Washington wiederaufzunehmen, "um den ukrainischen Knoten zu lösen".

OSZE: Schwerster Beschuss in der Donezk-Region seit Beginn der Beobachtungsmission

Die OSZE-Beobachter stellten [12] eine Eskalation der Feindseligkeiten vom 28. auf den 29. Januar in dem Gebiet Avdiivka-Yasynuvata-Flughafen Donezk fest. Auch im Bericht vom 31. Januar sprachen [13] sprachen sie keine Schuldzuweisungen aus, protokollierten jedoch, dass beide Seiten mit schweren Waffen seit dem Wochenende feuerten. In 24 Stunden wurden vom 29. auf den 30. Januar fast 2500 Explosionen gezählt. So hätten die Beobachter, die sich in der von Kiew kontrollierten Stadt Avdiivka aufhielten, 1224 Explosionen und 1400 Schießereien mit Maschinengewehren und kleinen Waffen im Südosten in einer Entfernung von 2-5 km gezählt. In einem Haus bei einem Krankenhaus in Donezk wurde vermutlich eine Frau getötet und drei weitere Menschen verletzt. Weitere Verletzte wurden besucht. Festgestellt wurden Schäden an Häusern durch Beschuss in der von Separatisten kontrollierten Stadt Pikuzy, 23 km nordöstlich von Mariupol, sowie zahlreiche frische Einschlagkrater. Beklagt wird aber stets, dass in der Regel die Volksrepubliken keinen oder nur beschränkten Zugang für die Beobachter gewähren.

Gestern berichtete [14] die OSZE, dass in Avdiivka 22.000 Menschen wegen des Artilleriebeschusses bei einer Temperatur von -20 Grad Celsius keinen Strom, keine Heizung und kein Wasser hätten. Präsident Poroschenko hatte am Dienstag erklärt [15], es sei alles bereit, um die Versorgung zügig wiederherzustellen, sobald ein Waffenstillstand wirksam sei. Die Zivilisten auf beiden Seiten würden Wasser, Strom und Wärme benötigen, aber keinen Beschuss, hieß [16] es dann. Gemeldet wurde dann, dass eine Wasseraufbereitungsanlage keinen Strom mehr bekomme, überdies gebe [17] es auch in Donezk, Yasynuvata und einem Teil von Makiivka kein Wasser und keine Heizung mehr. Eine Wasseraufbereitungsanlage in Donezk sei beschädigt, Reparaturen würden durch fortgehende Kampfhandlungen behindert.

Offenbar konnte gestern schließlich noch ein Waffenstillstand mit der Hilfe der JCCC (Joint Center for Control and Coordination) durchgesetzt werden. Die Kontaktgruppe soll [18] einen Plan ausarbeiten, um die Kämpfe in dieser Region zu beenden, den das JCCC umsetzen und die OSZE beobachten soll. Bis zum 5. Februar sollen die schweren Waffen von der Kontaktlinie nun zurückgezogen werden. Daran glauben wird wohl kaum jemand.

Präsident Poroschenko am 30. Januar zu Besuch bei Bundeskanzlerin Merkel. Bild: Presidential Administration of Ukraine/CC BY-SA-4.0 [19]

Der UN-Sicherheitsrat zeigte sich am Dienstag besorgt über die Lage. Die Sicherheitssituation habe sich "drastisch verschlechtert", hatte zuvor der Humanitäre Koordinator für die Ukraine erklärt. Die Mitglieder des Sicherheitsrats verurteilten den Einsatz der schweren Waffen, die nach dem Minsker Abkommen als erster Schritt schon längst von der Kontaktlinie auf beiden Seiten hätten zurückgezogen sein müssen. Die OSZE beobachtet dies und meldet permanent Verstöße von beiden Seiten. Der Sicherheitsrat betonte die territoriale Integrität der Ukraine und verlangte die Umsetzung der Resolution 2202, also die im Minsker Abkommen beschlossenen Maßnahmen.

Die Ukraine spricht [20] von schweren Panzerkämpfen bei der Butivka-Mine sowie den Dörfern Opytne Pisky, während es bei Avdiivka ruhiger geworden sei, aber weiterhin schwierig bleibe. Die ATO berichtete [21] von schweren Panzer- und Artillerieangriffen, bei denen gestern zwei ukrainische Soldaten getötet und vier verletzt wurden. 36 Angriffe habe es gegeben, sie seien alle zurückgeschlagen worden, die Separatisten hätten schwere Verluste hinnehmen müssen.

Dagegen erklärt [22] die "Volksrepublik Donezk", dass auch gestern wieder Wohnbezirke in Donezk und in Makeyevka beschossen worden wären. Am Abend erklärte DPR-Chef Alexander Zakharchenko, die Kämpfe würden auf einer Strecke von 50 km stattfinden, die andere Seite habe schwere Verluste erlitten. Und ähnlich wie Poroschenko versicherte [23], dass die ukrainischen Streitkräfte Angriffe erwidern werden, aber nicht auf Wohngebiete feuern, aus denen separatistische Raketenwerfer schießen würden, meinte der DPR-Chef: "Wir beachten die Minsker Abkommen und greifen nicht an. Unsere Aufgabe ist es, die Ukraine zu den Minsker Vereinbarungen zurückzubringen. Die wichtigste Aufgabe ist, sie daran zu hindern, uns für die Störung der Abkommen verantwortlich zu machen."

Das freilich ist das Tit-for-Tat-Spiel, das Kiew und die "Volksrepubliken" seit langer Zeit aufführen, jeweils geduldet von Russland und EU/Nato/USA. Möglicherweise könnten hier Gespräche zwischen Moskau und Washington Veränderungen bewirken, um diesen andauernd köchelnden Konflikt auf dem Rücken der Menschen zu lösen, nachdem die EU dazu nicht imstande ist.

Die OSZE berichtete [24] gestern Abend von einer weiteren starken Zunahme der Waffenstillstandsverletzungen. Raketenwerfer würden Avdiivka, Yasynuvata und Horlivka beschießen. Über 10.000 Explosionen seien in der Region Donezk registriert worden, mehr als jemals zuvor. Geschossen wurde von beiden Seiten. Schwere Waffen seien entlang der Kontaktlinie wieder gesichtet worden.


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https://www.heise.de/-3615021

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.unian.info/politics/1754891-poroshenkos-office-confirms-russian-attack-on-ukraines-an-26-over-black-sea-photos.html
[2] https://www.facebook.com/svyatoslav.tsegolko/posts/1097474743695387
[3] http://eng.mil.ru/en/news_page/country/more.htm?id=12110469@egNews
[4] https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2017/01/28/readout-presidents-call-russian-president-vladimir-putin
[5] http://www.bild.de/politik/ausland/headlines/ostukraine-putins-angriff-50045300.bild.html
[6] https://sputniknews.com/europe/201701311050190392-ukraine-donbass-escalation/
[7] https://sputniknews.com/politics/201701311050198739-kremlin-ukraine-battalions-avdiivka/
[8] https://informnapalm.org/en/avdiivka-bm21/
[9] https://www.facebook.com/Vyacheslav.Abroskin/posts/1680085472284120?pnref=story
[10] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/02/2017-02-01-ukraine-waffenruhe.html;jsessionid=FFA284BC872FE005F2809DA200F91F37.s4t2
[11] http://tass.com/politics/928399
[12] http://www.osce.org/ukraine-smm/296416
[13] http://www.osce.org/ukraine-smm/296721
[14] https://twitter.com/OSCE_SMM/status/826664771516760064
[15] http://www.president.gov.ua/en/news/prezident-proviv-naradu-z-silovikami-u-zvyazku-iz-zagostrenn-39846
[16] https://twitter.com/OSCE_SMM/status/826680121767690245
[17] https://twitter.com/OSCE_SMM/status/826705534879485952
[18] https://sputniknews.com/europe/201702011050244211-draft-plan-ukraine-violence/
[19] https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.en
[20] https://www.unian.net/war/1751686-shahta-butovka-opyitnoe-i-peski-popali-pod-samyiy-moschnyiy-tankovyiy-obstrel-so-vremen-boev-za-dap.html
[21] https://www.facebook.com/ato.news/posts/1444839005526901
[22] https://dninews.com/article/havoc-donetsk-residential-areas-ukrainian-shelling-continue-tuesday-video-report
[23] http://www.president.gov.ua/en/news/prezident-proviv-naradu-z-silovikami-u-zvyazku-iz-zagostrenn-39846
[24] http://www.osce.org/ukraine-smm/296961