Seehofers Augenklappe in der Kunstgalerie

Ein weiteres Beispiel für Adbusting im öffentlichen Raum richtete sich gegen den Chemiekonzern Bayer. Foto: Mictlancihuatl / CC-BY-SA-4.0

Eine Ausstellung in Berlin befasst sich mit einer zum Teil kriminalisierten Kunstform, deren Mittel aber auch systemkompatibel gewendet werden

"Adbusting - mit Strafverfolgung gegen die Kommunikationsguerilla" lautet ein Aufsatz im aktuellen Grundrechte-Report. Gegenstand ist der große Aufwand, mit dem Strafverfolgungsbehörden seit Jahren gegen Künstler vorgehen, die zum Beispiel Plakate der Bundeswehr verfremden.

In diesem Zusammenhang gab es bereits Hausdurchsuchungen, DNA-Spuren auf Plakaten wurden akribisch gesucht – und sogar das Terrorabwehrzentrum und der Militärische Abschirmdienst befassten sich mit der Kommunikationsguerilla. Auch ein polizeikritisches Plakat, auf dem der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit Augenklappe auf der rechten Seite zu sehen ist, beschäftigt die Justiz.

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt wegen Verunglimpfung des Staates. Nun kann dieses Plakat im Kunstraum Kreuzberg in Berlin ausführlich betrachtet werden. Dort ist die Augenklappe in einen Beutel daneben drapiert, man könnte sie für eine Corona-Maske halten.

Art of Subvertising – Art of Neoliberalism?

Das Plakat ist Teil der Ausstellung "Werbepause – Art of Subvertising" die am letzten Freitag im Kunstraum Kreuzberg im ehemaligen Bethanien-Krankenhaus zu sehen ist. In der Ausstellungsankündigung heißt es arg theoretisch überladen:

Subvertising (auch bekannt als Adbusting) kann als eine Handlung definiert werden, die den Zweck der Werbung stört. Es ist der Versuch, in die visuelle Landschaft (Richard Gilman-Opalsky) einzugreifen und die kapitalozentrische Hegemonie (J. K. Gibson Graham) im öffentlichen Raum zu untergraben.


Aus der Ankündigung des Kunstraums Kreuzberg

Tatsächlich kann bei vielen der ausgestellten Objekte von einer Werbepause gesprochen werden. Doch nicht alle der ausgestellten Künstler, Aktivsten und Hacker haben eine kapitalismus- und staatskritische Intention. Die kann man bei den verschiedenen Objekten des Berlin Buster's Social Club erkennen, die in der Ausstellung gezeigt werden. Verschiedene Beispiele machen deutlich, dass es Adbusting schon viel länger gibt, nur eben gab es damals nicht diesen Namen. Die Ursprünge werden bis ins antike Pompeji zurückverfolgt. Andere Beispiele zeigen Adbusting als Mittel im antifaschistischen Kampf.

Bei dieser Arbeit konnten die Künstlerinnen und Künstler auf Material zurückgreifen, das sie bereits in dem im Unrast-Verlag erschienenen Buch "Adbusting veränderte Werbung als Gesellschaftskritik" veröffentlicht hatten. Ein Teil des Materials steht auch online zur Verfügung. Daneben finden sich im Kunstraum auch andere gelungene "Werbepausen" mit gesellschaftspolitischer Implikation. Dazu gehört die Plakat-Kampagne "Ruin Air", mit der auf die Folgen für Klima und Umwelt durch immer mehr Flüge hingewiesen wurde.

Auch an die Yes-Men, zwei Aktionskünstler, die bis 2012 mit gut gemachten Fake-Nachrichten auch die Börsenkurse von Großkonzernen beeinflussen konnten, wird noch einmal erinnert. Die Ausstellungsräume haben jeweils eigene Themenschwerpunkte – etwa feministische, antiklerikale oder antikoloniale Adbusting-Aktionen. Eine Plakatserie widmet sich der Unterstützung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern sowie gegen die Stigmatisierung und Kriminalisierung ihres Berufs.

Bei manchen der ausgestellten Objekte wird man eine allgemein gesellschafts- und speziell kapitalismuskritische Haltung aber nicht oder allenfalls in sehr geringen Spurenelementen finden. Wenn beispielsweise auf dem bekannten Symbol des Discounters Lidl "Dildo" zu lesen ist, so lädt das zu einem Schmunzeln ein, hat aber sonst kaum weitere Folgen.

Stencels wie "ACAB" – was ebenso für "acht Cola, acht Bier" wie für "All Cops are Bastards" stehen kann – oder verfremdete Firmenlogos werden längst auch vom kapitalistischen Warenfetisch vereinnahmt. Sie sind modern und vermitteln den Eindruck des Gesellschaftskritischen. Doch in der kapitalistischen Warenwelt werden diese Symbole zu Geld gemacht und die reale Organisierung von Protest kommt dabei zu kurz. Es ist eben angesagter, ein T-Shirt mit einem gesellschaftskritischen Symbol zu tragen, als die Mühen der Ebene auf sich zu nehmen und tatsächlich Teil gesellschaftlicher Veränderung zu sein.

Auch in der Ausstellung in Videos dokumentierte Adbusting-Aktionen, bei denen in einer Mac-Donalds-Filiale das Firmenmaskottchen entführt wurde, sind politisch zweifelhaft. Da wäre die Gründung einer Basisgewerkschaft, die die Interessen der Beschäftigten gemeinsam mit ihnen vertritt, sicherlich sinnvoller, aber eben auch umständlicher.

Nun könnte man fragen, ob Adbusting nicht schon politisch zumindest befriedet ist, wenn es jetzt schon seinen Platz in einer Kunstgalerie gefunden hat. Genau diese Frage stellt auch eine Beteiligte direkt. "Verliert die Subversion an Bedeutung, wenn sie außerhalb des öffentlichen Straßenraums ausgestellt wird?" So lautet die Frage einer Künstlerin an das Publikum. Sie sollte als Anstoß für eine Diskussion gesehen werden.

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