Ségolène Superstar
Wird Frankreich kommenden Mai gar eine Frau zum Staatsoberhaupt "krönen"?
Die "Parti Socialiste" (PS) bestimmt ihren Präsidentschaftskandidaten in einer internen Wahl Mitte November. Derweilen wetzen die sozialistischen Rivalen Royals, zwei sind noch mit im Rennen, ihre Messer, und geizen nicht mit teils sexistischen Anmerkungen zur Königin der Meinungsumfragen und Liebling der Medien. So machte sich Laurent Fabius, Ex-Premier Mitterands und selbst Präsidentschaftsanwärter, öffentliche Sorgen um die vier Sprösslinge des Paares Ségolène Royal und François Hollande, seines Zeichens Generalsekretär der Sozialisten : "Wer wird sich um die Kinder kümmern?"
Doch wer sich um das oberste Amt im Staat bemüht, muss offenbar mit tieffliegenden Messern aller Art rechnen: Just einen Tag nach der offiziellen Erklärung Royals, dass sie Kandidatin der Sozialisten zu sein gedenke - was ohnehin schon jeder im Land wusste, aber es musste noch offizialisiert werden -, holte die militärische Vergangenheit eines ihrer Brüder die Dame ein: Ein anderer Bruder, die Royal-Geschwister sind stolze 8 an der Zahl, hatte einer Pariser Zeitung gesteckt, dass sein Bruder Gérard, ehemaliger Kampfschwimmer des Auslandsgeheimdienstes DGSE, ihm anvertraut habe, dass er die Bombe, die das Greenpeace-Schiff "Rainbow Warrior" 1985 versenkt hatte, gelegt habe. Der Sturm im medialen Wasserglas brauste natürlich sofort los.
Wenige Tage darauf meldete sich Gérard Royal seinerseits in der Presse zu Wort, wollte aber seine genaue Rolle in dem "Operation Satanic" getauften DGSE-Einsatz nicht weiter präzisieren. Die Polemik sei ihm äußerst unangenehm. Gewiss auch wegen der Kandidatur seiner Schwester:"Es bereitet mir keine Freude, als debiler Agent dazustehen, der an einer debilen Operation teilgenommen hat." Eine debile Operation, die immerhin einem an Bord befindlichen Fotografen das Leben gekostet hatte.
Welche Rolle auch immer Gérard Royal, in diesem finsteren Kapitel der jüngeren französischen Geschichte genau gespielt haben mag, seine Schwester Ségolène, die noch bei der Ankündigung ihrer Kandidatur Ende September erklärte, dass sie sich den kommenden Herausforderungen sehr wohl bewusst sei, zeigte sich dann doch überrascht, dass diese stark nach Sippenhaftung riechende Geschichte so punktgenau an die mediale Oberfläche gedrungen war. Sie wisse nicht, ob dies ein Zufall sei. Jedenfalls hätte sie nichts vom Einsatz ihres Bruders gewusst, der durch das Militärgeheimnis gebunden war. Ironie der Geschichte: Sie sei damals für die Greenpeace-Aktion gegen die französischen Nuklearversuche gewesen. Ihr sozialistischer Rivale, Laurent Fabius, zur Zeit des Rainbow-Warrior-Skandals Premierminister, scheint einstweilen vom Mediengetöse unbehelligt, vermutet aber eine Manipulation, die sicherlich von Rechts käme.
Eines lässt sich jedenfalls mit Gewissheit sagen: Die sogenannten "Elefanten" der PS, Fabius und Royals zweiter Herausforderer, der ehemalige Finanzminister der Regierung Jospin, Dominique Strauss-Kahn, werden alles versuchen, um der Favoritin den Weg zu versperren. Vor allem das Argument, dass die beiden PS-Schwergewichte "wichtige" Funktionen innehatten, und dies für die Präsidentschaft der Grande Nation unabdingbar sei, Ségolène Royal hingegen bloß zweimal Staatssekretärin und einmal Umweltministerin gewesen war, soll offenbar den qualitativen Unterschied herausstellen. Der glücklose letzte sozialistische Premier Lionel Jospin, der bei den Präsidentschaftswahlen anno 2002 von Le Pen aus dem Rennen geschlagen wurde, verpasst keine Gelegenheit, um klar zu machen, dass für ihn die Kandidatur Royals unerwünscht sei und er sie kurzum für "demagogisch" halte. Sie stelle eine Art "Postsozialismus" dar.
Strauss-Kahn, von den abkürzungswütigen Franzosen DSK gerufen, wirft der Kandidatin "ideologische Inhaltsleere" vor. Tatsächlich gestaltet es sich auch ziemlich schwierig, Ségolène Royal politisch zu orten, ist doch ein klar ausgerichtetes Programm der Kandidatin bislang nicht wirklich auszumachen.
Ideologische Flexibilität
Klar auszumachen ist aber, dass Royal alles unternimmt, um ihre Andersartigkeit und ihre Distanz zum sozialistischen Parteiapparat, seiner "behäbigen" Doktrin und den "Elefanten" zu signalisieren. Wohl eine Reaktion auf die angebliche Politikverdrossenheit des gemeinen Wahlvolkes, von dem angenommen wird, dass es Politiker aller Couleurs undifferenziert mit Korruption und Verlogenheit gleichsetze. Bei ihrer ultimativen Kandidaturerklärung, brachte sie ihre ideologische Flexibilität folgendermaßen auf den Punkt:
Der Sozialismus ist keine mit doktrinären Stoffstreifen eingewickelte Mumie. Wir sind eine lebende Partei.
Ähnlich wie Sarkozy, der vorgibt, einen "Bruch" (rupture) mit dem laut ihm alten, verdrossenen und durch die Allmacht des Staates gebremsten Frankreich darzustellen, bedient sich Royal einer griffigen und versucht volksnahen Sprache. Ihre Popularität verdanke sie ihrer "freien Art zu sprechen" und ihrem "Willen, die Realität so, wie sie tatsächlich ist, zu sehen, und nicht so, wie wir sie herbeiwünschen", erklärte sie kürzlich. Also frei von "realitätsfremden", politischen Zukunftsvisionen?
Was sich bislang von ihrem Programm erahnen lässt, klingt wie ein Schlagwortkatalog: Von einer "gerechten Ordnung" ist die Rede, einem "pragmatischen Sozialismus", einer "Republik des Respekts", einer "dauerhaften Sicherheit", einer "partizipativen Demokratie" und dem "Bürger als Experten", um nur einige zu nennen. Royals Lieblingsthemen Familie, Schule, Umwelt, Arbeit und Sicherheit sind gewollt nah an den Alltagssorgen der Bürger. Die klassischen Wahlkampfthemen eines Präsidentschaftskandidaten der Grande Nation, wie z.B. der Platz Frankreichs in der Welt, tauchen einstweilen nur am Rande auf.
Vor kurzem ließ sie sich immerhin zu einer Bemerkung zum umstrittenen EU-Beitritt der Türkei hinreißen: Ihre Meinung zum Thema sei die Meinung des französischen Volkes. Sehr aufschlussreich ist diese Aussage natürlich nicht. Sehr viel klarer wurde sie, als sie im Frühjahr militärisch organisierte Institutionen für jugendliche Straftäter ab 16 Jahren vorschlug und die Aufhebung der allgemeinen Wehpflicht bedauerte, weil dies für Jugendliche ohne Rückhalt der einzige Ort gewesen sei, um mit einer soliden Struktur konfrontiert zu sein. Ein pädagogischer Vorschlag, der erwartungsgemäß für einige Unruhe im sozialistischen Lager sorgte. Dass ihr Vater und ihr Großvater beim Militär Karriere machten, hat offensichtlich einige Spuren von Disziplin bei der Dame hinterlassen (Ségo, Sarko, Sicherheit). Das politische Wochenmagazin "Le Nouvel Observateur" interpretiertt Ségolène Royals Traditionsbewusstsein folgendermaßen: "Dieser Ruf nach Ordnung in der Art einer `mater familias´ feiert die Verlobung der Linken mit einem bekennenden Neokonservatismus."
Als sie Tony Blairs Arbeitsmarktpolitik lobte, vor allem seinen erklärten Kampf wider die Jugendarbeitslosigkeit, gingen die Wogen bei den Sozialisten selbstverständlich wieder hoch. Ausgerechnet Blair als Beispiel zu zitieren, der oftmals mit dem neuen Lieblingswort aller Wirtschaftsliberalen, der Flexibilität, in Verbindung gebracht wird, war natürlich, als ob sie mit dem roten Tuch vor den Roten des Landes gewedelt hätte. Royal versuchte sich mit einem rhetorischen Schachzug aus der Angelegenheit herauszureden. Die von den Gewerkschaften so gefürchtete Flexibilität taufte sie kurzerhand zur "Agilität" um:
Ich wünsche, der einen Seite Sicherheit zu gewährleisten, während der anderen die Agilität ermöglicht werden soll, die nötig ist, um sich den Konjunkturentwicklungen, dem technologischen Fortschritt und der Intensivierung des wirtschaftlichen Austausches anpassen zu können. Heutzutage wird diese Agilität der Unternehmen auf Kosten der Arbeitnehmer erreicht. Dies muss sich ändern.
Das Programm einer Präsidentin
Ségolène Royal, ist übrigens schon Präsidentin. Präsidentin der Region Poitou-Charentes, um genau zu sein. 2004 war sie zur Überraschung aller bei den Regionalwahlen, die quasi sämtliche Regionen in sozialistische Hände übergaben, in das Hoheitsgebiet des damaligen Premiers Jean-Pierre Raffarin vorgedrungen. Dort versucht sie nun ihre liebsten Zielsetzungen - Familie, Erziehung, Frauen, Umwelt und die sogenannte "Flexsicherheit" - in die Tat umzusetzen. Wobei sie sich bei letzterem Schlagwort auf das schwedische Modell beruft. Das Englische war wohl zu brenzlig geworden.
2005 bot die Region u.a. 45 000 Familien eine Schulbuchbeihilfe und gewährt Ausbildungshilfen. Frauen, die in zukunftslosen Berufen feststecken, wird eine Hilfe für einen Jobwechsel geboten. Mädchen, die eine Berufsschule oder eine Lehre absolvieren, gewährleistet die Region einen kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln. Jungen Menschen mit einer abgeschlossenen Lehre wird ein kostenloser Zugang zum Führerschein ermöglicht, und wer keine andere staatliche Beihilfe bezieht, für den übernimmt die Region die Kaution für eine Wohnung. Künftigen Forschern, die an einer Doktorarbeit sitzen, wird eine finanzielle Hilfe angeboten. Für Arbeitgeber, die regionale Subventionen beziehen, wurde ein beidseitiges, freiwilliges Abkommen geschaffen, das gewinnbringende Unternehmen dazu verpflichtet, keine Entlassungen oder Betriebsverlagerungen vorzunehmen und die Umweltschutzgesetzgebung einzuhalten. Letztes Jahr wurden 182 solcher Abkommen unterzeichnet, was 832 Arbeitsplätze und 1 415 Ausbildungsplätze geschaffen haben soll. Sind diese regionalen Maßnahmen ein Vorgeschmack auf das definitive Programm der Präsidentschaftskandidatin?
Erstaunlicherweise kommuniziert das PR-Talent Ségolène Royal nur wenig über ihre Arbeit als Regionspräsidentin. Derweilen scheint Poitou-Charentes so nach und nach zum Hauptquartier ihrer regelrechten Wahlkampfmaschinerie zu werden. Nicht weniger als 30 Sprecher und 3 föderale Sekretäre wurden ernannt, 400 lokale Komitees geschaffen und 250 "Experten" zum Team hinzugezogen. Ihre Internetsite Désirs d'avenir (Verlangen nach Zukunft) soll ein durchschlagender Publikumserfolg sein und will ein Beispiel von Royals gepredigter partizipativer Demokratie sein. Die potentiellen Wähler sind nämlich dazu aufgerufen, ihre Veränderungsvorschläge dort zu posten. Royal will dann die "besten Ideen" zusammenfassen und veröffentlichen. Es ginge darum, eine gemeinsame Synthese des Zustandes der französischen Gesellschaft zu erstellen, denn die Bürger seien die besten Experten ihrer eigenen Probleme. Auf dieser "bürgerlichen Expertise", so das dazu passende Schlagwort, wolle sie dann ihr Präsidentschaftsprogramm aufbauen.
Ein y-Chromosom als Wahlkampfargument?
Dass Ségolène, wie sie von Fans und Medien vertraulich tituliert wird, eine Frau ist, scheint wohl unübersehbar. Ihr Verhältnis zu den männlichen Schwergewichten ihrer Partei soll sie laut dem politischen Satiremagazin Charlie Hebdo einem kleinen Kreis von Vertrauten mit folgenden Worten beschrieben haben: "Ségolène Präsidentin, das wäre für sie die Verwirklichung eines Alptraumes: Die Magd hat die Schlüssel des Hauses an sich genommen!"
Einen ziemlich harschen Feminismus ließ sie im Zuge einer öffentlichen Debatte mit einer Sozialistin zu Tage treten. Eine junge Frau namens Nolwenn, der Zwischenfall ging durch die Presse, hatte es gewagt, die Kandidatin zu fragen, ob ihr der Unterschied zwischen dem linken und dem rechten Lager wichtig sei. Das war wohl die falsche Frage, denn zuerst forderte Royal die junge Frau dazu auf, ihre Zweifel offen auszusprechen und tapfer zu ihrer Meinung zu stehen, um sie dann darauf hinzuweisen, dass sie sich nicht an ihren männlichen Sitznachbarn zu wenden brauche, um dessen Erlaubnis einzuholen: "Du bist eine Frau! Du kannst alles frei aussprechen!" Einige Tage darauf soll sich "Maitresse Ségolène", wie sie von der Presse daraufhin getauft wurde, bei der jungen Sozialistin entschuldigt haben.
Eine ganz andere Art von medialem Wirbel, als politisches Covergirl nämlich, verursacht die resolute Dame nun schon seit geraumer Zeit auf nationalem wie internationalem Niveau. Sie habe eine regelrechte "one woman revolution" ausgelöst, wie der englische Guardian kommentiert, indem sie es verstanden habe, sich einen Platz im "chauvinistischen Herrenclub der französischen Politik" zu verschaffen, wo "ein tiefverwurzelter, jahrhundertealter Sexismus" regiere.
Ob Frankreich allerdings die einzige "sexistische" Nation bleibt, in der nach wie vor die Männer das Sagen haben, steht allerdings auf einem andern Blatt geschrieben. So ruft das US-Magazin Time, das ebenfalls ein Portrait "Ségolènes" veröffentlicht, in Erinnerung, dass Frankreich erst 1944 Frauen das Wahlrecht zuerkannt hat. Eine Generation nach den USA also, wie stolz vermerkt wird. Trotz der im Jahr 2000 gesetzlich verordneten Parität zählt das französische Parlament zur Zeit bloß 12% weiblicher Abgeordneter. Die Parteien ziehen es offenbar vor, Strafe zu zahlen, als der vorgeschriebenen Gleichverteilung von politischen Mandaten zwischen Frauen und Männern nachzukommen. Doch mit ebenfalls nicht gerade rühmlichen 15% weiblicher Mitglieder des Repräsentantenhauses würden die USA kaum besser davonkommen als Frankreich, wie "Time" offen zugibt. Die französischen Wähler hingegen sind laut Meinungsumfragen reif für eine Präsidentin.
Ein weiteres US-Medium, dem das Schicksal Royals offenbar nicht gleichgültig ist, die New York Times, interpretiert, interpretiert die gallische "Ségomania" mit der Wähler Lust auf Veränderung. Eine Frau für das oberste Amt im Staat zu wählen, signalisiere, dass man die "Anderen" loswerden wolle, weil das System ausschließlich aus Männern bestehe, wie die Zeitung einen Soziologen zitiert. Oder wie die Betroffene selbst es kürzlich vor ihren sozialistischen Parteigenossen formulierte, würde es eine "kühne Revolution darstellen, eine Frau bis an die Spitze des Staates zu tragen, um somit das Ideal von Gleichstellung und Modernität" zu verwirklichen.
Aber ein klar definiertes politisches Programm ist damit noch immer nicht ausmachen. Geht es allerdings nach dem französischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen, so scheint die Sache ohnehin schon ausgemacht: Gerade lief da nämlich ein mehrteiliger TV-Film, dessen Heldin die Präsidentin der französischen Republik ist. Vorahnung oder Wunschdenken?