Serbien unter Druck
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Bundeskanzler Scholz verlangt von Serbien, Sanktionen gegen Russland zu folgen. Doch Belgrads Nähe zu Moskau beruht auf Erfahrungen mit Westen
Am 6. Juni 2022 wollte sich der russische Außenminister Sergej Lawrow auf den Weg in die serbische Hauptstadt Belgrad machen, um dort Gespräche mit der politischen Führung zu führen. Doch daraus wurde nichts, denn die von der EU gegenüber Russland verhängten Sanktionen verhinderten es.
Die Nato-Staaten Bulgarien und Nordmazedonien verweigerten den Überflug, was eine beispiellose Behinderung der außenpolitischen Tätigkeit eines Staates darstellt. Nicht einmal in den kältesten Zeiten des Kalten Krieges griff man zu solchen Mitteln. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung höhnte:
Seine Aufenthalte in der Schweiz im Januar dieses sowie in Frankreich im November vergangenen Jahres dürften für lange Zeit die letzten Möglichkeiten für Putins Chefdiplomaten gewesen sein, sich in Westeuropa zu bewegen.
Die Untersagung der Überflugrechte stellte zugleich eine unmissverständliche Drohung gegenüber Serbien dar. Als Land ohne Zugang zum Meer ist es nahezu vollständig von Nato-Ländern umgeben. Serbien ist somit erpressbar.
Und das Land steht bereits unter strenger Beobachtung des Westens, gilt es doch als potenzieller Verbündeter Russlands. Zwar hat Belgrad in der UN-Vollversammlung für die Verurteilung des Angriffs auf die Ukraine gestimmt, an den Sanktionen gegenüber Russland beteiligt es sich aber nicht.
So floriert weiterhin der Handel zwischen beiden Ländern: Die nationale Fluglinie Air Serbia fliegt regelmäßig nach Moskau und Sankt Petersburg und das sogar häufiger als vor Kriegsbeginn. Um nicht weniger als 43 Prozent stieg das Passagieraufkommen auf diesen Routen.
Das noch offene Tor für russische Staatsbürger nach Mitteleuropa stört sowohl die Nato wie auch die EU. Der Druck auf Belgrad, es endlich zu schließen, nimmt daher täglich zu. Bei seinem kürzlichen Besuch in Belgrad verlangte Bundeskanzler Olaf Scholz von Serbien daher eine Kehrtwende.
Laut FAZ vom 11. Juni 2022 bekräftigte er "die Erwartung", dass "Serbien sich trotz der Stagnation in den politischen Beziehungen zur EU deren Sanktionen anzuschließen habe. Jeder müsse auch genau wissen, dass die Sanktionen gegen Russland nicht aufgehoben würden, 'wenn die Waffen schweigen'. Die Voraussetzung dafür sei, 'dass Russland akzeptiert, dass es keinen Diktatfrieden gegen die Ukraine durchsetzen kann'."
Die serbische Regierung unter Aleksandar Vučić muss sich also in Acht nehmen, schließlich stehen deutsche Unternehmen an der Spitze der ausländischen Investoren im Land, und vor allem will es seine Stellung als EU-Beitrittskandidat nicht gefährden.
Doch da ist auch eine öffentliche Meinung im Land zu berücksichtigen, die große Sympathien für Russland und auch für China hegt, beides verbunden mit einer tiefen Abneigung gegenüber einem Westen, der für die Bombardierung des Landes im Jahr 1999 und für die Abtrennung des Kosovo verantwortlich zeichnet. So bleibt der Regierung in Belgrad nur übrig, eine geschickte Schaukelpolitik zu betreiben, ganz ähnlich der des einstigen blockfreien Jugoslawiens zwischen Ost und West.
Gemeinsame Erfahrungen von Serben und Russen mit dem Westen
Es sind daher nicht so sehr die traditionellen Bindungen zwischen Russland und Serbien – jenen Waffenbrüdern aus dem Ersten Weltkrieg – die das Land zu einem widerspenstigen gallischen Dorf im von der Nato beherrschten Europa hat werden lassen. Viel stärker sind die noch sehr präsenten Erfahrungen, die die Serben während des jugoslawischen Bürgerkriegs mit dem Westen machen mussten, und die das Land mit Sympathie nach Moskau blicken lässt.
So wie die Serben in den Neunzigerjahren beschuldigt wurden, mit Gewalt ein Großserbien anzustreben, so wird heute den Russen vorgeworfen, ein großrussisches Imperium errichten zu wollen. Sogar Linke unterstellen Russland imperialistische Ambitionen. Wurde damals Slobodan Milošević als Hitler diffamiert, so ist Wladimir Putin dessen aktuellster Wiedergänger.
Wurden die Serben der alleinigen Verantwortung für den jugoslawischen Bürgerkrieg bezichtigt und die übrigen Beteiligten – Kroaten, Bosnier und Kosovo-Albaner – lediglich als Opfer angesehen, so trifft es heute allein die Russen. Ausschließlich Moskau und nicht Kiew tragen nach westlicher Wahrnehmung Schuld an der Eskalation der Gewalt. Doch die Wahrheit ist beides mal eine andere.
Die Austreibung der kroatischen Serben
Der jugoslawische Bürgerkrieg war voraussehbar – und der Westen hat ihn billigend in Kauf genommen. Am 25. Juni 1991 erklärten die bis dahin jugoslawischen Republiken Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit. Sie wurden jedoch von der internationalen Staatengemeinschaft zunächst nicht anerkannt. Diese drängte vielmehr auf eine gesamtjugoslawische Lösung für den sich anbahnenden Konflikt auf dem Balkan. Befürchtet wurde ein Bürgerkrieg. Und so kam es denn auch.
Bereits ein Jahr zuvor, am 25. Juli 1990, hatte das kroatische Parlament das lateinisch geschriebene Kroatisch zur Amtssprache erklärt. Das kyrillische Serbisch durfte offiziell nur noch in Gemeinden mit serbischer Mehrheit verwendet werden.
Die im Land von Serben, Montenegrinern und Mazedoniern benutzte kyrillische Schrift sowie die serbokroatische Sprache wurden aus der Öffentlichkeit weitgehend verbannt. Offizielle Landessprache wurde das neu geschaffene Kroatisch.
Doch damit nicht genug: Kroatien verabschiedete am 22. Dezember 1991 eine Verfassung, in der es sich als "Staat der Kroaten" bezeichnete. Die auf seinem Boden gleichfalls lebenden Serben und Angehörige anderer jugoslawischer Nationalitäten wurden damit gewissermaßen ausgebürgert. Dabei handelte sich um nicht weniger als 650.000 Menschen.
Mit der Bewertung der Menschenrechtssituation in Kroatien wurde die sogenannte Badinter–Kommission beauftragt. Dieses Gremium befasste sich mit der Klärung juristischer Fragen, die der Zerfall Jugoslawiens mit sich brachte. Eingesetzt wurde sie von der Europäischen Gemeinschaft im August 1991. Ihr Vorsitzender war der damalige Präsident des französischen Verfassungsgerichts, der Rechtswissenschaftler Robert Badinter, weitere Mitglieder waren die damaligen Präsidenten des deutschen, italienischen, spanischen und belgischen Verfassungsgerichts. Das Urteil der Badinter-Kommission über die Menschenrechtssituation in Kroatien fiel wie erwartet negativ aus.
Dennoch wurde das Land am 23. Dezember 1991 von der deutschen Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl und Außenminister Dietrich Genscher völkerrechtlich anerkannt. Die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens kritisierten zwar diesen Alleingang, folgten jedoch den Deutschen bald nach.
Am 15. Januar 1992 erkannten auch sie und die übrigen Staaten der Europäischen Union die beiden Länder an. Unter deutscher Führung hatte damit die EU im Fall Kroatiens eine Staatsgründung gebilligt, die von der Existenz eines einzigen, ethnisch reinen Staatsvolkes ausging und damit die übrigen auf ihrem Territorium lebenden nationalen Minderheiten ausschloss.
In Reaktion auf die Gründung des "Staates der Kroaten" erklärten die etwa 250.000 an der Südgrenze des Landes lebenden Serben, dass sie sich den Verfassungsorganen des neuen Staates nicht unterordnen werden. Für sie war Serbien dort, wo Serben leben.
Sie proklamierten ihrerseits die "Serbische autonome Republik Krajina". Diese Provinz sollte nach ihrem Willen einen autonomen Status erhalten, vergleichbar dem des Kosovo in Serbien. Entsprechende Bestrebungen gab es auch in der kroatischen Provinz Slawonien, in der ebenfalls eine große serbische Minderheit lebte.
Die kroatische Seite verweigerte ihnen aber die Anerkennung eines solchen Status. Es kam zu ersten blutigen Konflikten, woraufhin UN-Blauhelme als Streitschlichter stationiert wurden. Doch alle Verhandlungen blieben am Ende ergebnislos. Kroatien setzte vielmehr auf eine gewaltsame Lösung des Konflikts, konnte es doch gewiss sein, dass der Westen, hier Deutschland und die EU, vor allem aber die gewaltige Militärmacht USA, hinter Zagreb stand.
Am 3. August 1995 überrannten kroatische Truppen in der Operation Oluja (Gewittersturm) die Krajina. Sie waren den serbischen Kräften weit überlegen, waren sie doch mit modernsten Präzisionswaffen aus den USA ausgestattet und hatten US-amerikanische Strategen den Feldzug vorbereitet.
Nur fünf Tage nach Beginn des Angriffs konnte der Sprecher des kroatischen Verteidigungsministeriums verkünden: "Die Krajina besteht nicht mehr." Bereits während der Offensive begann die ethnische Säuberung.
Die Berliner Zeitung meldete am 8. August 1995: "Zehntausende serbische Zivilisten flohen in kilometerlangen Strömen aus den umkämpften Gebieten der Krajina nach Nordbosnien in Banja-Luka. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rechnet mit dem größten einzelnen Flüchtlingsstrom seit Beginn der Kriege im ehemaligen Jugoslawien."