Sex, Religion und Politik

Washington will den auch in arabischen Ländern umstrittenen Sender al-Jazeera schließen, weil er antiamerikanischen Positionen Platz einräumt

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Die Bekämpfung des Terrorismus hat die Bush-Administration nun auch die Medien ins Visier genommen. Bei dessen Besuch in Washington hat US-Außenminister Colin Powell den Emir von Qatar, Scheich Hamad Khalifa al-Thani, aufgefordert, die aus dem Wüstenemirat sendende Fernsehstation al-Jazeera zu schließen. Dieser Schritt sei nötig, weil die Redaktion antiamerikanischen Positionen Sendeplatz einräume.

Seit der arabische Sender im November 1996 auf Sendung ging, hat er permanent an Popularität gewonnen. Grund dafür ist die provokante Linie, die Redaktion scheint keine Tabus zu kennen. Dazu kommen anscheinend beste Kontakte zu unliebsamen Regimes. So strahlte al-Jazeera vor einigen Monaten exclusiv Bilder der Zerstörung der Jahrtausend alten Buddha-Monumente in Afghanistan durch die dort herrschenden Taliban-Milizen aus. Als einzige Redaktion ging bei der al-Jazeera-Redaktion im Wüstenort Doha auch ein Nachricht des muslimischen Fundamentalisten Usama bin Ladin ein, in der er alle Muslime zum Djihad gegen die Vereinigten Staaten von Amerika aufruft.

Bei Al-Jazeera handelt es sich um einen Privatsender. Das ist durchaus unüblich in einer Region, in das Fernsehen in der Regel staatlich kontrolliert ist. Die Idee zur Gründung der Fernsehstation entstand nach dem Scheitern der kurzen aber vom Publikum durchaus angenommenen Kooperation zwischen dem BBC-Service für den arabischen Raum und Saudischer Geschäftspartnern. Die Zusammenarbeit wurde rasch aufgekündigt, weil der Stil der britischen Journalisten bei den arabischen Geschäftspartnern auf Unmut stieß. Nach Informationen aus Doha äußerten Mitglieder der in Qatar regierenden al-Thani-Familie daraufhin ihr Interesse, die saudischen Anteile aufzukaufen und die bis dato aus London sendende Frequenz weiterzuführen.

In den ersten fünf Jahren wurde der Sender mit einem zinslosen Kredit von 150 Millionen Dollar unterstützt, Infrastruktur wurde der Redaktion von Qatar-TV, dem Staatsfernsehen des Emirates, zur Verfügung gestellt. Während die Popularität von al-Jazeera seither ständig wuchs, sind auch die Feinde nicht weniger geworden. Nicht nur die US-Regierung ist über die journalistische Anarchie des Senders erzürnt, auch aus Algerien, Marokko, Saudi-Arabien, Kuwait und Ägypten hagelte es dafür Kritik, dass politische Dissidenten aus diesen Staaten vor die Kamera geholt wurden. Gerade dafür wurde dem Sender aber auch Lob zuteil.

Heute übersteigen die Einschaltquoten von al-Jazeera viele regionale Stationen und die aus London sendenden und von Saudi-Arabien finanzierten "Arabic Networks". Einschaltquoten sind in vielen arabischen Ländern nicht erhältlich, in den palästinensischen Autonomiegebieten aber erreicht al-Jazeera um die 40 Prozent der Zuschauer. Attacken des Saudischen Innenministers, Prinz Nayef, wurden von Vorwürfen des ägyptischen Staatsfernsehens begleitet. Letzteres betitelte des Sender als "yellow programm", das sich aus einer "unerträglichen Mischung aus Sex, Religion und Politik" zusammensetze. Es mag dem inzwischen erlangten Einfluss des Senders geschuldet sein, dass der ägyptische Präsident Mubarak es sich trotz der Kritik nicht nehmen ließ, die Räume in Doha im Juni dieses Jahres am Rande eines Staatsbesuches in Qatar zu besichtigen.

Besonders für seine Interviews ist die Station berüchtigt. So wurde dem geistlichen Führer der von den USA auf den Terrorindex gesetzten Hamas-Bewegung, Scheich Ahmed Yassin, ausführliche Interviews zugebilligt. Aus Jordanien kam daraufhin der Vorwurf, al-Jazeera würde die Gewalt im Nahen Osten schüren. Tatsächlich hatte sich aber auch der Interviewte über die offensive Fragestellung des Redakteurs beschwert. Das Simon Wiesenthal-Center in Los Angeles warf der Redaktion vor, antisemitische Inhalte zu verbreiten, während es aus Syrien Kritik für "zu viele Interviews mit israelischen Politikern" hagelte.

Tatsache ist, dass Interviews und Diskussionsforen eben die Meinungen gerne ins Programm nehmen, die in anderen arabischen Staaten und der westlichen Welt aus politischen Empfindsamkeiten gemieden werden. Programme wie "The Opposite Direccion", "Without Borders" oder "The Other Opinion" setzten auf Provokation. Oft dreht sich das Thema um die israelische Nahostpolitik. Dass in den Diskussionen Gefühle verletzt werden, nimmt die Redaktion in Kauf. "Wenn es um freien Journalismus geht, liegt darauf nicht die Priorität", gesteht der aus Syrien stammende Talkrunden-Moderator Faisal al-Qassem offenherzig. Dieser Gedanke mag auch der Geburt eines Talkformat Pate gestanden haben, bei dem ein ägyptischer Gast für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel eintrat, während sich sein Gegenspieler für die Förderung antisemitischer Publikationen in arabischen Ländern einsetzte.

Von einem Verstoß gegen die journalistische Ethik will Moderator al-Qassem aber nichts wissen. Bei ähnlichen Formaten in Europa werde genauso verfahren, nur ginge es dort um Themen, die die Menschen dort bewegten. Die Politik Israels und der Vereinigten Staaten werde auch weiterhin Thema der Berichterstattung sein, weil die Zuschauer das forderten. Außerdem sei auch der israelische Premier Ariel Sharon zum Interview geladen worden. Er habe aber abgesagt.

Einen schnellen Erfolg wird die Forderung nach der Schließung von al-Jazeera voraussichtlich nicht haben. Nach seinem Gespräch mit Colin Powell bekräftigte Scheich Hamad jedenfalls die Notwendigkeit "freier und selbstbestimmter Medien". Die Forderung von Powell verstehe er als "Ratschlag". Diese Abfuhr ist umso gewichtiger, als der Staatschef die USA als derzeitiger Vorsitzender der "Organisation of Islamic Conference" besuchte. Nach seiner Rückkehr gab Scheich Hamad dem Sender prompt ein Interview. Die Geschehnisse in den USA, hieß es darin, hätten alle Araber in Misskredit gebracht. "Die Amerikaner müssen aber verstehen, dass Terrorismus nicht in direktem Zusammenhang mit den Arabern steht." Solche hehren Worte verblassen etwas in Anbetracht dessen, dass man Skandalmeldungen über das Regime in Qatar bei al-Jazeera vergebens sucht.