Seymour-Hersh-Interview: "Der Plan war ziemlich genial"
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Es erscheint mir lächerlich zu behaupten, wie es getan wurde, dass Russland seine eigene Pipeline sabotiert habe. Warum sollte man derart viel Geld in Pipelines investieren, um sie dann selbst zu bombardieren? Interessant finde ich jedoch, dass die Sabotage in der Presse und auch im Kongress keine Beachtung fand. Ich denke an die Verminung der Häfen von Managua durch die CIA in den frühen 80er Jahren unter der Reagan-Regierung, als der konservative republikanische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats, Barry Goldwater, Einspruch erhob und Bedenken äußerte, dass es sich um eine verdeckte Operation handelte, bei der der Kongress nicht informiert wurde. Und dann stellte der Kongress natürlich die Hilfe für die Contras ein. Daraufhin erging ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs gegen die Vereinigten Staaten. Aber in diesem Fall, bei dieser Art von Sabotage, scheinen die Medien überhaupt nicht daran interessiert zu sein, herauszufinden, was hier passiert ist, so wie Sie es getan haben, oder im Kongress gibt es niemanden, der Fragen aufwirft.
Symour Hersh: Es findet ein schreckliches Ereignis nach dem anderen statt. Die Nachrichten sind voll davon. Ich denke, die Welt hat eine sehr bizarre Wendung genommen. Dabei spielt keine Rolle, was ich denke. Es steht außer Frage, dass sich die Presse seit Trumps Amtsantritt polarisiert hat. Wir stehen jetzt auf zwei Seiten – Sie wissen schon, rechts, links, Demokraten, Republikaner, wie auch immer Sie es beschreiben.
Wer Fox News schaut, schaut MSNBC nicht, usw. Und wenn Sie die New York Times lesen, werden Sie nicht das bekommen, was die Rechten hören. Sie wissen schon, die Konservativen sind hinter der New York Times und der Washington Post her, wegen ihrer, ich zitiere, "liberalen" Ansichten. Es findet eine Polarisierung statt.
Und im Moment haben wir einen Präsidenten, einen demokratischen Präsidenten, der innenpolitisch einige gute Dinge getan hat, aber ich kann Ihnen sagen, dass ich das gesamte Engagement für die Ukraine nicht verstehe.
Ich verstehe nicht, was ich lese, auch wenn ich natürlich Zugang zu vielen Leuten habe, die eine Reihe von Sachen durchschauen. Ich mache das schon so lange. Das Fazit ist, dass die Geschichten, die ich über den Krieg zu hören bekommen habe, besonders ab Herbst – und da wird es interessant – ziemlich düster sind. Ich glaube, das Ende ist nur noch eine Frage der Zeit. Im Moment ist es eine Frage, wie viele von seinen eigenen Leuten Selenskyj noch töten will. Es wird bald vorbei sein.
Der Plan war nun, die Bombe zu legen. Ich kann Ihnen nicht beantworten, warum der Kongress nichts mehr unternimmt. Der Kongress ist ebenfalls stark polarisiert.
Und es gibt auch einen enormen anhaltenden Hass auf alles, was mit Putin zu tun hat in diesem Land. Außenpolitische Meinungsverschiedenheiten sind eine Sache, aber die persönliche Ebene ist hier wichtig, was nicht hilfreich ist. Ich glaube nicht, dass Putin Europa übernehmen will. Er will die Ukraine zähmen. Er ist aber nicht daran interessiert, darüber hinaus zu gehen. Ich bin aber in der Minderheit, was das angeht.
Jedenfalls gab es im Juni eine Übung, und die Bomben wurden an den Pipelines unter dem Deckmantel einer Nato-Übung angebracht. Viele unterschiedliche Länder waren mit Tauchern vor Ort und sprengten Dinge in die Luft. Es war eine Übung, um Minen zu finden. So etwas hatte es dort noch nie gegeben.
Wer auch immer in der CIA oder bei den anderen Diensten sich das ausgedacht hat, dem sollte Respekt gezollt werden, denn der Plan war ziemlich genial. Bei dieser Übung gingen die Taucher in die Tiefe und taten das, wofür sie ausgebildet worden sind.
Sie sind sehr gut. Plastiksprengstoff C4 wurde verwendet. Ein paar hundert Bomben davon wären genug, um die meisten Städte in die Luft zu jagen, die meisten Gebäude in Washington und vielleicht einige in New York. Die Taucher erfüllten ihre Arbeit gut.
Aber der Präsident zögerte in letzter Minute, weil er befürchtete, dass eine Sprengung direkt nach der Übung den USA den schwarzen Peter zuschieben würde. Er wollte die Möglichkeit haben, es jederzeit zu tun. Das verursachte einen enormen Ärger im Team.
Die Leute in den Geheimdiensten sind sehr anspruchsvoll. Unterm Strich machte es für sie Sinn, eine Pipeline zu sprengen. Eine Pipeline in die Luft zu jagen, die einer Abteilung von Gazprom gehört, einem Konzern, der 51 Prozent der Anteile hält, wohinter wieder russische Oligarchen stecken. Neunundvierzig Prozent von Nord Stream 1 gehören vier westeuropäischen Konzernen, die das Gas vermarkten.
Die Geheimdienst-Leute sahen die Drohung also als berechtigt an. Und wenn man das während einer Übung machen wollte, dann war das für sie okay.
Ende September erhielten sie schließlich die Nachricht. Ich glaube nicht, dass sie wirklich überzeugt waren, dass Biden zu diesem Zeitpunkt die Hauptpipeline, Nord Stream 2, in die Luft jagen würde. Es war eine neu verlegte Pipeline, die gerade erst fertig gestellt worden war. Da sie bereits eine Genehmigung hatte, war sie mit Gas gefüllt. Deshalb ist so viel davon ausgetreten. In der Pipeline befanden sich auf einer Strecke von 750 Meilen Methangas.
Biden tat nun Folgendes. Und das ist, glaube ich, der eigentliche Punkt der Geschichte, warum so viele Leute, sogar die Geheimdienste, sehr beunruhigt über diese Geschichte sind. Er sagte:
Ich befinde mich in einem großen Krieg mit der Ukraine. Es sieht nicht gut aus. Ich möchte sicher sein, dass ich dafür weiter deutsche und westeuropäische Unterstützung erhalte. Ich möchte nicht, dass die Deutschen sagen: "Wir müssen uns zurückziehen, denn wir werden massakriert, weil wir keinen billigen Treibstoff mehr erhalten und unsere Wirtschaft zusammenbricht. Wir werden uns zurückziehen und die Gasleitung öffnen",
… was sie auch tun könnten. Also hat er ihnen diese Möglichkeit genommen.
Die US-Amerikaner haben über die europäische Russland-Abhängigkeit gesprochen, seit die erste Pipeline, Nord Stream 1, 2011 in Betrieb genommen wurde. Schon vor dem Bau war es ein großes Thema, das reicht bis zurück in die Bush-Cheney-Jahre.
Ich habe für den New Yorker viel darüber berichtet. Damals begann man, über die Bedrohung zu sprechen – die Bedrohung billiger russischer Energie für Europa. Damit würde Europa der Handel mit Russland immer schmackhafter gemacht und erleichtert. Die USA wollten hingegen Russland mehr und mehr isolieren. Das war Thema der letzten Jahrzehnte.
Sie wurden für viele Ihrer Enthüllungen immer wieder kritisiert. Jetzt gibt es Leute, die sagen, dass ihre jüngste Enthüllung nicht sehr gut dokumentiert ist, dass sie sich im Wesentlichen auf eine Quelle stützt – eine interne Quelle, eine nicht benannte Quelle. Wie reagieren Sie auf die Kritik, dass die Geschichte schwächer dokumentiert ist als frühere Enthüllungen von Ihnen?
Symour Hersh: Bevor ich dazu komme, lassen Sie mich meinen Gedanken zu Ende führen, denn es ist ein sehr wichtiger Gedanke. Die Befürchtung war, dass Europa sich aus dem Krieg zurückziehen würde. Nun, was Biden getan hat, ist, dass er Europa sagte: "Ihr seid zweitrangig". Die Konsequenzen für die Europäer würden schrecklich sein. Die Vorstellung, dass sie sich völlig auf Amerika verlassen können, selbst in einer Krise, hat sich damit in Luft aufgelöst.
Ich denke, dass es die Nato untergraben wird, die ich immer als äußerst nutzlos empfunden habe. Ich kenne Leute, die jetzt fünfmal so viel für Strom bezahlen. Die Menschen zahlen das Drei- oder Vierfache für Gas. Es gibt nicht genug davon. Es ist sehr teuer geworden. Es ist jetzt kälter als im Herbst. Sie hatten einen milden Herbst wegen des Klimawandels.
Die politischen Folgen für uns in den USA werden enorm sein. Biden und seine Leute im Weißen Haus leugnen die Geschichte, was ein Teil der Presse akzeptiert. Ich weiß nicht, warum meine einstmalige Zeitung, die New York Times, nicht ausführlich darüber berichtet, während man sich auf ein Dementi verlässt und die Geschichte ignoriert.
Das Gleiche gilt für die Washington Post. Ich denke, dass es langfristig politische Konsequenzen für uns haben wird, wenn man bedenkt, dass möglicherweise sogar einige Länder aus der Nato austreten werden. Wenn Biden meint, dass es weniger wichtig ist, ob Leute frieren, und wichtiger, einen Krieg fortzuführen, den er nicht gewinnen wird, dann verblüfft mich das ziemlich.
Was die Frage nach der Quelle angeht, so mache ich das schon so lange. Es stört mich nicht, dass die US-Regierung mich angreift und dass meine frühere Zeitung, die New York Times, kein Wort darüber geschrieben hat. Das ist der Grund, warum Leute wie ich bei Substack sind, wo man sich selbst um die Veröffentlichungen kümmert. Ich muss mir keine Gedanken über Zensur oder redaktionelle Einschränkungen machen.
Ich gebe meine Quellen aber nicht preis. Ich habe einfach Glück. Ich habe seit 20, 30, 40 Jahren Kontakt zu Insidern, die nicht nur treu zu dem stehen, was sie tun, sondern sich auch nicht scheuen, kritisch zu sein. Das ist also die Art von Quellen, von denen Reporter träumen. Und solche Leute habe ich schon immer gehabt. Und ich habe sie weiter.
Ja, ich wurde wieder viel kritisiert. Einer der Kritikpunkte von ein paar Open-Source-Leuten und Gruppen von OSINT – sie decken einen sehr großen Teil der Welt ab, man überwacht den Luft- und Schiffsverkehr – haben eine Erklärung abgegeben, in der sie sagen, dass nichts von dem, was sie beobachten, mit meiner Geschichte übereinstimmt. Nun, die Geheimdienste führen seit vielen Jahren verdeckte Operationen durch. Die USA arbeiten dabei sehr eng mit den Norwegern zusammen.
Im Übrigen haben die ihre Ölexporte nach Europa gesteigert und den Gewinn verdoppelt. Vielleicht sogar um das Zweieinhalbfache erhöht aufgrund des Pipeline-Ausfalls.
Die Geheimdienste haben sich natürlich damit beschäftigt, wie man sich um die Open-Source-Leute kümmert. Sie werden dafür gesorgt haben, dass die glauben, dass das, was passiert ist, eben nicht passiert ist. Das ist so offensichtlich – für mich jedenfalls, aber nicht für sie.
Das Interview erscheint in Kooperation mit dem US-Programm Democracy Now. Übersetzung: David Goeßmann. Den zweiten Teil des Interviews finden Sie hier.