"Sicherheitsrisiko" FDP: Wenn die SPD plötzlich liefern soll
Verbindung zu Gewerkschaften: Warum die Wahlsieger gegenüber der FDP reservierter auftreten als die Grünen
Gemessen am Wahlkampf will die SPD ihr Gesicht nicht so schnell verlieren wie die Grünen schon im Zuge der Vorsondierungen mit den Mindestlohngegnern von der FDP. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich reagierte jedenfalls genervt auf das Gute-Laune-Selfie, das Grünen-Chefin Annalena Baerbock vom ersten Treffen der "Königsmacher" nach der Bundestagswahl veröffentlicht hatte. "Sie wissen, ich mache keine Selfies", sagte er laut einem Bericht des SPD-Parteiorgans Vorwärts. "Ich finde, Deutschland braucht keine Fotos, Deutschland braucht eine Regierung, die tatkräftig auch die Herausforderungen annimmt. Wir würden das gerne tun."
Ein Bundestagsmitglied der Grünen soll sich über diesen "Aggro-Ton" der SPD gewundert haben, der Focus sprach am Sonntag von "Pöbeleien".
Nach den ersten Sondierungen von SPD und FDP sprach FDP-Generalsekretär Volker Wissing aber am Sonntag von einem "konstruktiven Miteinander". Allerdings seien ernste Themen besprochen worden und es sei klar, dass inhaltliche Positionen "in wesentlichen Punkten" auseinander lägen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bezeichnete die Gespräche als "konstruktiv und sehr sachlich". Viel mehr drang jedoch nicht nach außen.
Es folgten am Sonntag noch weitere Sondierungsrunden zwischen die SPD und Grünen sowie zwischen Union und FDP. Hiernach befand CSU-Generalsekretär Markus Blume, dass beide Seiten "im guten Geiste beraten" hätten und "in wesentlichen inhaltlichen Punkten" ganz dicht beisammen lägen. Ansonsten hielten sich die Beteiligten aber laut einem Bericht der ARD-tagesschau bedeckt. Es sei Vertraulichkeit vereinbart worden, hieß es.
SPD müsste Wortbruch auf den kleinsten Koalitionspartner schieben
Auch eine "schwarz-grün-gelbe" Koalition ist noch möglich. Und für die SPD steht wieder einmal viel Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, wenn sie ihren Anspruch auf das Kanzleramt mit der FDP im Schlepptau geltend macht: In der scheidenden Großen Koalition war die SPD Juniorpartner und konnte sich darauf berufen, weniger Verantwortung für das Regierungshandeln zu tragen. Im Zweifel lag es am Seniorpartner, dass sie soziale Versprechungen nicht durchsetzen konnte. Das fanden immerhin so viele Wahlberechtigte plausibel, dass die SPD am 26. September die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte.
Als stärkste Kraft in einer "Ampel-Koalition" könnte sie aber gefragt werden, was der Slogan "Respekt für Dich" - adressiert auch an den ärmeren Teil der Lohnabhängigen - für eine hohle Phrase war, falls sie sich mit der FDP einen allzu renitenten neoliberalen Juniorpartner ans Bein bindet. Solche Fragen gäbe es auch in den eigenen Reihen der SPD, da es in ihr viel größere personelle Überschneidungen zu den Gewerkschaften gibt als bei den Grünen.
Frank Werneke, Chef der zweitgrößten deutschen Gewerkschaft ver.di, ist SPD-Mitglied - neben IG-Metall-Chef Reiner Hoffmann wohl eines der einflussreichsten ohne hohe Parteiämter. Werneke bezeichnet die FDP als "Sicherheitsrisiko für Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte". Die bisherige Erfahrung mit Regierungsbeteiligungen der FDP zeige, dass mit ihr die Gefahr einer Umverteilung zugunsten von Wohlhabenden und zu Lasten der breiten Bevölkerung bestehe, sagte Werneke am Sonntag im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Allerdings sieht er auch die Machenschaften der "rot-grünen" Bundesregierung in den Jahren 1998 bis 2005 unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder kritisch. Die Folgen der "Arbeitsmarkt- und Sozialreformen" der Agenda 2010 beschrieb er im März in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung so:
Der Arbeitsmarkt wurde dereguliert, es gab viel mehr Leiharbeit und befristete Anstellungsverhältnisse. Die Menschen bekamen noch mehr Angst davor, ihren Job zu verlieren und damit in Hartz IV zu rutschen. Das hat die Gewerkschaften enorm geschwächt und führte zu einer Reihe von völlig unzureichenden Tarifabschlüssen. Denn Angst wirkt sich negativ auf die Streikbereitschaft aus, und ohne Streikbereitschaft gibt es keine guten Abschlüsse.
Ver.di-Chef Frank Werneke
All das war unter SPD und Grünen sogar noch ohne eine Regierungsbeteiligung der FDP möglich geworden. Die Gewerkschaften mussten sich damals Kritik aus linken Kreisen gefallen lassen, weil sie möglicherweise zu selten Tacheles geredet hatten. Auch die Einschätzung, dass unter einem CDU-Kanzler solche neoliberalen "Reformen" auf mehr Widerstand von Seiten der Gewerkschaften gestoßen wären, weil es zu dessen Partei weniger personelle Überschneidungen gab, ist nicht von der Hand zu weisen. Unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die Schröders Agenda-Politik fortsetzte, forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) jedenfalls entschieden einen Kurswechsel.
Ver.di-Chef Werneke hat nun betont, dass sein Parteifreund Olaf Scholz sich nicht erst als Kanzlerkandidat der SPD, sondern schon kurz nach der Bundestagswahl 2017 das Thema "Stabile Renten/Mindestlohn von zwölf Euro" stark gemacht habe, als er noch Hamburgs Bürgermeister war und keinen direkten Einfluss auf die Bundespolitik nehmen konnte. Diesen Kurs habe Scholz auch als Finanzminister der Großen Koalition vertreten, so Werneke im Deutschlandfunk.
Als Kanzler müsste Scholz, der noch vor wenigen Monaten als chancenlos gegenüber Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock galt, demnach liefern. Die marktradikale FDP aber dürfte sich querstellen. Und außer einer "Ampel" aus SPD, Grünen und FDP käme rechnerisch nur eine weitere Groko in Frage - allerdings mit vertauschten Rollen.
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