Ampel oder "Schwampel"? Zwischen den "Königsmachern" stimmt die Chemie
Eine Neuauflage der Großen Koalition im Bund gilt als unwahrscheinlich. Grüne und FDP sind sich ihrer Macht bewusst, obwohl sie nur dritt- und viertstärkste Kraft wurden
Im Machtpoker nach der Bundestagswahl stimmt zumindest zwischen den "Königsmachern" die Chemie: Die Parteispitzen von Grünen und FDP haben am Dienstagabend schon einmal vorsondiert, während CDU-Chef Armin Laschet seine Niederlage als Kanzlerkandidat noch nicht eingestehen wollte und CSU-Chef Markus Söder bereits dem SPD-Kandidaten Olaf Scholz und dessen Partei zum Wahlerfolg gratuliert hatte.
Die Wahl, wem sie den Weg ins Kanzleramt ebnen wollen, falls es nicht zur unwahrscheinlichen Neuauflage der Großen Koalition kommt, haben nun Grüne und FDP. Zur Auswahl stehen eine "Ampelkoalition" mit der SPD, die am Sonntag stärkste Kraft wurde, und einer "Jamaika-Koalition" mit den Unionsparteien, die auch als "schwarze Ampel" oder "Schwampel" bezeichnet wird.
"Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten", befand die Ko-Chefin der Grünen, Annalena Baerbock und postete auf Facebook ein Gute-Laune-Foto von sich, ihrem Ko-Vorsitzenden Robert Habeck und FDP-Chef Christian Lindner sowie FDP-Generalsekretär Volker Wissing.
In Unionskreisen gab es unterdessen weniger gute Laune. "Niemand hat das Recht sich zum Hauptwahlsieger zu erklären", sagte Laschet nach Informationen der Bild in einer Sitzung der Unionsfaktion. "Das gilt allerdings auch für uns." Wegen solcher Fremdschäm-Momente gab es bereits Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen und mehrere Medien spekulierten darüber, ob nicht am Ende doch noch Söder Kanzler werden könnte.
Söders elegante Watschn für Laschet
Söder selbst war aber zunächst klug genug, um keinen plumpen Machtanspruch anzumelden. "Die besten Chancen, Kanzler zu werden, hat derzeit Olaf Scholz", sagte er am Dienstag. Bei möglichen Gesprächen über eine "Jamaika-Koalition" werde sich die Union "nicht anbiedern und nicht um jeden Preis versuchen, eine Regierung zusammenzubringen". Es gebe die "Bereitschaft zur Verantwortung", aber die Union sei "nicht bereit zur Selbstaufgabe".
Die Union habe bei der Wahl eine "schwere Niederlage" erlitten, so Söder. Es sei auch wichtig, "dass man das Wahlergebnis respektiert". Der CSU-Chef gratulierte auch ausdrücklich Scholz und hob hervor, dass dies auch eine Stilfrage sei, wenn eine Partei die meisten Stimmen bekommen habe. Indirekt hieß watschte er damit Laschet ab, der sich dazu bis dato nicht durchringen konnte.
Aus dem Ergebnis der Unionsparteien lasse sich "wirklich kein Regierungsauftrag moralisch legitimieren", so Söder. Diese demonstrative Bescheidenheit kann selbstverständlich auch Kalkül sein, um auf die "Königsmacher" einen guten Eindruck zu machen.
Die SPD war am Sonntag mit 25,7 Prozent stärkste Kraft geworden, die Unionsparteien hatten zusammen 24,1 Prozent erreicht. Bei einer Wahlbeteiligung von 76,6 Prozent bedeutet dies, dass keine der Parteien eine reale Zustimmung von 20 Prozent der Wahlberechtigten erreichte.
Alptraum der Grünen Jugend
Eine von den Unionsparteien geführte "schwarz-grün-gelbe" Koalition wäre nach dem historischen Absturz von CDU und CSU aber nicht nur nach außen erklärungsbedürftig, sondern auch dem Parteinachwuchs der Grünen kaum vermittelbar: "Die zukunftsfeindliche Union ist abgewählt", freute sich die Grüne Jugend am Dienstag in einem Tweet. 27 ihrer Mitglieder gehören der neuen Bundestagsfraktion der Grünen an, darunter auch die insgesamt jüngste Abgeordnete des Parlaments, Emilia Fester (23). "Wir brauchen Klimapolitik für 1,5 Grad, Sozialpolitik für steigende Löhne und sinkende Mieten und Investitionen für eine gute Zukunft für uns alle", so die Nachwuchsorganisation.
Das klingt nun wirklich nicht nach den Unionsparteien. Aber eben auch so gar nicht nach FDP - und die Wirtschaftsliberalen sind dafür bekannt, hart zu verhandeln: Nach der Bundestagswahl 2017 hatte es Sondierungsgespräche für eine "Jamaika-Koalition" gegeben, die von der FDP für gescheitert erklärt wurden. Der damals noch nicht für 2038 beschlossene Kohleausstieg und das Feilschen um Gigawatt-Zahlen hatten dabei eine zentrale Rolle gespielt. Anders als heute wäre die FDP aber damals zweitstärkste Kraft in dieser Dreierkonstellation gewesen. Heute wären dies die Grünen - die FDP wäre der kleinste Koalitionspartner.
Gleiches würde für sie allerdings in einer "Ampelkoalition" mit SPD und Grünen gelten. Letztere wollen den Kohleausstieg vorziehen und haben im Wahlkampf sozial ausgestalteten Klimaschutz versprochen. Ein Anliegen, das für die marktradikale FDP etwa so attraktiv sein dürfte wie die Vorstellung, eimerweise vergammelten Labskaus essen zu müssen. Vorausgesetzt, die Grünen würden damit ernst machen. Die SPD hat im Wahlkampf sogar einen "sofortigen Neustart" in Sachen Klimaschutz versprochen, allerdings betonte ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz wenig später, dass es mit ihm trotzdem beim Kohleausstieg bis 2038 bleiben werde.
Gegensätze in den Wahlprogrammen der "Königsmacher"
Kompromisse, die mindestens eine Partei Glaubwürdigkeit kosten, wären bei Koalitionsverhandlungen auch in der Steuer- und Finanzpolitik nötig, denn hier stehen die Wahlprogramme von SPD und Grünen in hartem Widerspruch zum FDP-Programm, das eher mit dem der Unionsparteien kompatibel wäre. Ohne die Grünen kann die FDP aber auf keinen Fall mitregieren. Neben der "Schwampel"- oder "Jamaika"-Variante käme für sie rechnerisch eine klassische "Ampel" mit SPD und Grünen infrage, wenn sie nicht auf der Oppositionsbank bleiben will.
Sowohl Grüne als auch SPD versprechen aber die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer, um untere und mittlere Einkommen entlasten zu können, ohne auf Investitionen zu verzichten. Auch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes haben beide Parteien im Wahlkampf erwähnt.
Die FDP hingegen befand generell: "Steuererhöhungen sind Sabotage am Aufschwung". Zum Thema Klimaschutz fällt ihr neben dem Emissionshandel vor allem ein, dass es ja irgendwann demnächst geniale Erfindungen geben könnte, die CO2-Einsparungen überflüssig machen.
Allerdings sind sowohl SPD als auch Grüne berüchtigt für eine hohe Kompromissbereitschaft, um es freundlich auszudrücken. Unter der ersten "rot-grünen" Bundesregierung wurden von 1998 bis 2005 mit den "Agenda 2010"-Reformen neoliberale Träume wahr.
Alptraum der Jusos
Baerbock und Habeck standen damals zwar noch nicht in der ersten Reihe bei den Grünen, sind aber durch diese Zeit geprägt. Sollten sich die "Königsmacher" trotzdem nicht einigen können, wäre auch Neuauflage der Großen Koalition aus SPD und Union rechnerisch knapp möglich - zum Leidwesen der Jusos, die in der neuen SPD-Bundestagsfraktion 49 Abgeordnete stellen. Dem Bundestag gehört nun auch der 32-jährige Ex-Juso-Chef und SPD-Vize Kevin Kühnert an, der nach der letzten Bundestagswahl dazu aufgerufen hatte, in die Partei einzutreten, um in einem Mitgliedervotum die Neuauflage der "Groko" zu verhindern.
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