Sinkende CO2-Emissionen als "Unfall" im Kapitalismus

Die Auto-Show IAA Mobility signalisierte 2021 in München, dass die Party weitergehen kann. Notfalls auch mit E-Autos und Kohlestrom. Foto: IAA Mobility Open Space / Porsche

Wenig überraschend sind durch die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise die EU-Emissionen wieder gestiegen. Deutschland kauft sich mit Millionenbeträgen von Klimazielen frei. Der Ukraine-Krieg bringt erneut Rückschritte.

Die Nachricht kommt nicht wirklich überraschend: Im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach dem ersten "Corona-Jahr" 2020 haben in der gesamten EU auch die klimaschädlichen Emissionen wieder zugenommen. Nach vorläufigen Daten der europäischen Umweltagentur EEA wurden 2021 in der EU schätzungsweise fünf Prozent mehr Treibhausgase ausgestoßen als im Vorjahr. Damit lagen die Emissionen allerdings noch etwa sechs Prozent unter dem Niveau von 2019.

Um die Klimaziele für 2030 zu erreichen, müssten die 27 EU-Mitgliedstaaten unter anderem ihre jährlichen Fortschritte beim Ausbau der Erneuerbaren Energien verdoppeln, heißt es in einem Bericht, den die EEA am Mittwoch auf Englisch veröffentlichte.

"Im Laufe des vergangenen Jahres sind die Auswirkungen des Klimawandels deutlicher denn je geworden: Schwere Dürren, Wasserknappheit, Überschwemmungen und Rekordtemperaturen haben die potenziell verheerenden Auswirkungen des Klimawandels einmal mehr deutlich gemacht", wird darin betont.

Die mittlere Jahrestemperatur über europäischen Landflächen sei im vergangenen Jahrzehnt rund zwei Grad wärmer gewesen als in der vorindustriellen Zeit. Parallel verlaufende Krisen unterstrichen die Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen. Entscheidende Maßnahmen seien in den kommenden Monaten und Jahren nötig, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten ehrgeizigere Pläne zur Emissionsminderung aufstellen könnten, um die Ziele zu erreichen, erklärte dazu EEA-Exekutivdirektor Hans Bruyninckx.

Dies gilt sowohl beim zuletzt stagnierenden Ausbau der Erneuerbaren Energien als auch bei der Senkung des Energieverbrauchs und der Reduzierung aller Treibhausgas-Emissionen. Letztere müssten jährlich im Schnitt um 134 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sinken. Im Durchschnitt der Jahre 1990 bis 2020 waren es lediglich 52 Millionen Tonnen.

"Kollateralnutzen" der Gesundheits- und Wirtschaftskrise

Dass sie 2020 deutlicher zurückgingen, war den Corona-Lockdowns geschuldet – und auch aus marktwirtschaftlicher Sicht ein "Unfall". Was mittel- und langfristig schlecht für unsere Lebensgrundlagen ist, ist gut für "die Wirtschaft" im Kapitalismus – und umgekehrt. Die CO2-Einsparung war demnach bestenfalls ein "Kollateralnutzen" der Gesundheits- und Wirtschaftskrise.

Genau in die andere Richtung ging es folglich 2021, als Impfstoffe verfügbar waren und weniger drastische Einschränkungen im Alltag für nötig gehalten wurden. Vor allem beim Verkehr, in der Industrie und der Energieversorgung nahm der Ausstoß nach EEA-Angaben wieder zu.

Mit dem Klimapaket "Fit for 55" will die EU ihren Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990 um mindestens 55 Prozent senken. Klimaneutralität wird bis 2050 angestrebt.

Deutschland macht dabei bisher keine Figur: Vor allem im Gebäude- und Verkehrsbereich hat die Bundesrepublik ihre Klimaziele in den Jahren 2013 bis 2020 deutlich verpasst und muss sich "freikaufen" – das heißt, sie erwirbt Emissionsrechte von anderen EU-Ländern.

"In der Konsequenz kaufen wir nun Emissionsrechte von EU-Staaten, die ihre Klimaziele übererfüllt haben", sagte der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Sven Giegold (Grüne), Anfang der Woche der ARD. In diesem Fall treten Bulgarien, Tschechien und Ungarn einen Teil ihrer Emissionsrechte an Deutschland ab, weil sie selbst ihr CO2-Budget nicht ausgeschöpft hatten. Giegold sprach von einer "nachträglichen Ohrfeige für die schwache Klimapolitik der Großen Koalition".

Im Zeitraum von 2013 bis 2020 lagen die CO2-Emissionen Deutschlands bei mehr als elf Millionen Tonnen über dem zulässigen Wert. Der genaue Kaufpreis für die Emissionsrechte steht noch nicht fest. Er beläuft sich nach Angaben des Ministeriums aber "nur" auf einen zweistelligen Millionenbetrag. (Zum Vergleich: Die von Grünen-Politikern für ihren Durchhaltewillen im Krieg gegen Russland geschätzte Regierung der Ukraine fordert aktuell 500 Millionen Dollar Unterstützung pro Monat von der Bundesrepublik.)

Kollateralschaden der "Zeitenwende"

Ob es unter der Ampel-Koalition tatsächlich eine Verbesserung der Klimapolitik geben wird, muss momentan bezweifelt werden, da sie seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine das Mantra von einer "Zeitenwende" pflegt, die alle Wahlversprechen in Frage stellt und ihre aktuelle Energiepolitik alternativlos erscheinen lässt. Vorerst geht es weniger um Erneuerbare Energien als um Energieträger, die nicht aus Russland kommen: LNG-Importe, ein vorläufiges Kohle-Revival und kurzfristig sogar Atomkraftwerke sollen russisches Gas ersetzen.

Im Zuge dieser Politik kommt es zwar voraussichtlich vor 2038 zum Kohleausstieg in Deutschland, allerdings bei zuvor beschleunigtem Kohleabbau und Reaktivierung von Kohlekraftwerken aus der Reserve. Der Energiekonzern RWE ließ dafür im Rheinischen Braunkohlerevier bereits Windräder abreißen; mit dem Segen des Bundeswirtschaftsministeriums.

Aufgrund ihres energiepolitischen Umgangs mit dem Ukraine-Krieg könnte auch die EU insgesamt ihre Klimaziele verfehlen. Zu diesem Ergebnis kam Mitte Oktober auch der "Energy Transition Outlook" des norwegischen Prüf- und Zertifizierungsunternehmens DNV. Zumindest kurz- und mittelfristig wird ein Rückschritt prognostiziert. Zugleich ist von einem sich schließenden Zeitfenster die Rede, das langfristige Fortschritte stark relativieren dürfte.