Sirenen gegen russischen Botschafter in Warschau
Ehrenmal blockiert: Ukraine-Aktivisten und ein Ex-Geheimdienstler nutzen Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland für antirussischen Protest. Nicht alle Polen teilen ihr Geschichtsbild.
Der "Tag des Sieges", der Feiertag, den die Russische Föderation von der Sowjetunion zum Gedenken an den Sieg über Nazi-Deutschland übernommen hat, war in Warschau durch antirussische Proteste gekennzeichnet.
An diesem Dienstag heulten in Warschau um sechs Uhr morgens die Sirenen, Schüsse knallten und Detonationen waren zu hören. Mittels dieser Geräusch-Collage aus Lautsprechern weckten ukrainische Aktivisten die Angehörigen der russischen Botschaft im Viertel Mokotow – ein Gruß zum 9. Mai. .
Hinter der lauten Aktion steckt "Euromajdan Warszawa" eine Gruppe von Ukrainern, die sich bereits während der Kiewer Proteste 2014 in Polen gebildet hatte. "Schickt diese Diplomaten weg von Polen, sie haben nichts mit der zivilisierten Welt zu tun", so ihre Pressemitteilung.
Aktivisten dieser Organisation blockierten auch am Vormittag das sowjetische Ehrenmal in der polnischen Hauptstadt, um zu verhindern, dass der russische Botschafter einen Kranz niederlegen konnte.
Dabei verwandelten sie den Zugang zum Friedhof in ein improvisiertes ukrainisches Gräberfeld mit blutverschmierten Kreuzen und den blau-gelben ukrainischen Fahnen und ließen wieder die Lautsprecher mit den Sirenen jaulen.
Journalisten schwer von Aktivisten unterscheidbar
Doch soweit kam der Vertreter der Russischen Föderation, Sergej Andrejew, der vor dem sowjetischen Obelisken Blumen und Kränze niederlegen wollte, gar nicht. Der Botschafter und weitere Diplomaten konnten kaum aus den Limousinen heraus, er wurde von Aktivisten und Journalisten bedrängt, die Unterscheidung war nicht immer so klar auszumachen.
Die polnische Polizei schirmte ihn ab, verschaffte dem Diplomaten jedoch keinen Zugang zu dem Denkmal. Bereits im letzten Jahr hatte Andrejew die Kranzniederlegung abbrechen müssen, da er von einer ukrainischen Aktivistin mit roter Farbe überschüttet worden war.
Insgesamt protestierten mehrere hundert Personen, die Demonstration war im Rathaus offiziell angemeldet worden. Dem russischen Botschafter wurde im Vorfeld vom polnischen Außenministerium empfohlen, aus Sicherheitsgründen auf den Besuch der Gedenkstätte zu verzichten.
Der Botschafter sprach gegenüber der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti von "Schande". "Das ist unser Feiertag. Keine kleinen oder großen schmutzigen Tricks werden uns in Verlegenheit bringen", so der Russe.
Nachdem die russische Delegation abgezogen war, gingen die Konflikte auf dem sowjetischen Friedhof jedoch weiter – ältere Polen mit Transparenten wie "Slawische Brüderschaft" wollten ihrerseits mit Kränzen zum Obelisken. "Geht nach Moskau", brüllten die Gegner. "Mit russischem Blut wurde Warschau befreit", so die Erwiderung. "Provokateure", schrien beide Seiten.
Soldatenpuppe mit Schweinekopf am Ehrenmal
Immer wieder kommt es zu Gerangel, die Gruppe von Polen kann schließlich zum Obelisken gelangen. Dort erwartet sie eine russische Soldatenpuppe mit Schweinekopf. Aufgestellt hat sie Jacek Wrona, ein pensionierter Beamter des CBS, einer Art Inlandsgeheimdienst Polens.
"Mit stillem Protest wollen wir auf das Morden und Vergewaltigen der Russen hinweisen", so die Begründung. Der kräftige Mann mit dem "Achtung Russia"-T-Shirt inklusive SS-Runen fährt nach eigenen Angaben nächste Woche mit Gleichgesinnten in die Nähe von Bachmut, um Hilfsgüter zu liefern. Dieses Mal sind es Notstromaggregate.
"Hier starben 600.000 Menschen", betont hingegen Wlodymir Gorki, der aus Kattowitz angereist ist. Wobei der pensionierte Soziologe die Anzahl der Rotarmisten meint, die bei den Kämpfen gegen NS-Deutschland 1944 und 1945 insgesamt in Polen starben. Die seien nicht nur Russen gewesen, sondern auch Ukrainer, Kasachen und Polen.
Was den heutigen Krieg in der Ukraine betrifft, macht er die USA und deren Interessenpolitik als Schuldige aus. Zudem glaubt er an die faschistische Gefahr, die von ukrainischen Gruppen ausgehe.
Von den ukrainischen Aktivisten mit Bannern wie "Russland Terroristenstaat" will niemand reden. "Wir haben Angst vor Provokationen" so erklärt die Euromajdan-Pressesprecherin Viktoria Pogrebniak später am Telefon.