Soldaten vor jüdischen Einrichtungen: Das Gefühl ewiger Unsicherheit
Der Israel-Gaza-Krieg hinterlässt Spuren in Österreich. Klare Kante gegen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus wäre gefragt. Woran dies scheitert.
Seit dem 7. Oktober liegt ein bleierner Mantel über der Stadt Wien. Insbesondere über dem zweiten Gemeindebezirk, dem traditionell jüdischem Viertel. Immer wieder hängt jemand Poster mit den Fotos der aus Israel entführten Geiseln auf. Bald sind sie von den Wänden gerissen. Ebenso werden palästinensische Flaggen an die Mauern gesprayt, auch sie sind bald wieder übermalt.
Das jüdische Leben in den Straßen scheint äußerlich nicht weniger geworden zu sein. Orthodoxe Familien prägen nach wie vor das Straßenbild. Die Militarisierung der Öffentlichkeit ist hingegen offenkundig. Vor jüdischen Einrichtungen stehen Soldaten in Camouflage.
Die äußerliche Ruhe täuscht nur unzureichend über das innere Brodeln in den meisten hinweg. Von dem Massaker des 7. Oktober 2023 scheinen alle Menschen in der Stadt betroffen zu sein. Nur eben sehr unterschiedlich. Für die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger überwiegt vermutlich die Angst, über die Nicht-Juden am besten nicht einmal spekulieren sollten.
Der Anschlag der Terrororganisation Hamas weckt Erinnerungen an finstere Zeiten. Eine allzu bekannte Geschichte der Verleumdung, der Verfolgung und des Mordens, die nun wieder grausam heraufbeschworen wird. Wie sollte es anders sein? Das Gefühl, nie sicher sein zu können, egal was man tut, wo man lebt und wie man sich gebärdet.
Gewohnter Antisemitismus
Die Stadt Wien hat ihr gerüttelt Maß zum Schicksal der Juden beigetragen. Möglicherweise wurde der wahltaktische Antisemitismus in Wien erfunden. Der Wiener "christlich-soziale" Bürgermeister Karl Lueger hat es ja gar nicht so bös gemeint, als er gegen die Juden hetzte. Damals, um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
So gewinnt man eben Wahlen, auch wenn man es selbst nicht ganz so tragisch sieht mit den Juden. Sein Fan Adolf Hitler nahm ihn hingegen sehr ernst. Das Denkmal zu Ehren Karl Luegers am Dr-Karl-Lueger-Platz versucht die Stadt Wien seit Jahrzehnten zu entfernen, zu kontextualisieren oder was auch immer. Es will aber einfach nicht gelingen.
Gleichzeitig war Wien ein weltweit berühmter Hotspot jüdischen Lebens. Womit sich die Stadt auch gerne brüstet. Weniger damit, dass sie ein paar der berühmtesten Menschen des 20. Jahrhunderts zu "illegalen Migranten" gemacht hat.
Die vor wenigen Jahren gestorbene jüdische Autorin und Zeitzeugin Doro Schimanko fasste es so zusammen: "Niemand war besser assimiliert als die Wiener Juden. Genützt hat ihnen das 1938 nichts." So viel zum Thema "Bedeutung der Integration". Wer dazu gehört und wer nicht, entscheidet die angebliche Mehrheit, und zwar jeweils so, wie es ihr passt.
Im Jahr 2023 hat die Politik in Wien und in Österreich ganz offenkundig nicht viel dazugelernt und es fehlt die nötige Reife, sich der aktuell sehr schwierigen Lage zu stellen.
Es gelingt nicht einmal praktisch. Als die israelische Flagge vor dem Stadttempel heruntergerissen wurde, fiel der Wiener Polizei auf, dass sie vergessen hatte, diesen auch in der Nacht zu bewachen. Das war höchstwahrscheinlich keine Absicht, man fand es einfach nicht so richtig wichtig.
Was lässt sich sagen?
Die meisten Menschen spüren, dass ein Kommentar zum israelisch-palästinensischen Konflikt dem Werfen einer Brandbombe gleichkommt. Es ist fast unmöglich, etwas zu sagen, das nicht zumindest eine der betroffenen Gruppen sehr verletzt. Allerdings ist es auch keine wirkliche Option, nichts zu sagen.
Um den öffentlichen Diskurs zu beurteilen, sollte zunächst einmal ein weiter Bogen um das gemacht werden, was Menschen aktuell in Halbschlaf und Rage so alles posten. Wer sich dieser Lektüre stellt, kann kaum noch den Glauben an die Menschheit wahren.
Bei den "offiziellen Verlautbarungen" zeigt sich allerdings eine unschöne und schwierige Entwicklung. Es sieht so aus, als wäre das Anprangern des Antisemitismus "Top-Down" und als beeilten sich, vom österreichischen Bundespräsidenten bis hinab zu kleinen Kunstvereinen, alle die Gefahren des Antisemitismus zu betonen und haben damit fraglos recht. Schließlich kann die Verbreitung antisemitischer Grundhaltungen kaum überbewertet werden.
Selbst die Erinnerungskultur ist auf eine höchst subtile Weise zuweilen ein wenig antisemitisch. Die Betroffenheitsmaschinerie territorialisiert die Juden als zu betrauernde Opfer und kann das Bild einer wehrhaften jüdischen Armee nur schwer verarbeiten. Zu sagen: "Selbstverständlich darf sich ein Staat gegen Terror mit Gewalt wehren." geht kurioserweise im Zusammenhang mit Israel immer wieder schwer über die Lippen.
Wenn nun manche mit Sorgen auf die "Free Palestine"-Demos blicken (sie sind in Wien nicht sonderlich groß, kein Vergleich zu London), dann muss eingeräumt werden: Einer der Beweggründe solche Demos zu besuchen liegt sicherlich im Hass auf Juden. Zum anderen – und zum wirklich ganz anderen, am besten würde man an dieser Stelle zehn Zeilen frei lassen – haben die Demonstrierenden nicht unrecht mit ihrer Sorge um die Menschen in Palästina.
Der Plan der Terroristen
Schockiert zu sein von den Bombardements des winzigen Gazastreifen ist menschlich sehr gut nachvollziehbar. In diesem Flecken Land wollen die Israel Defense Forces in zwei Wochen zweieinhalbtausend Terrorziele erkannt und bombardiert haben? Wer soll ihnen das glauben? Die eigenen Offiziellen sagen unumwunden, es gehe nicht um Präzision, sondern um Zerstörung.
Dies anzuprangern, vermissen viele von der offiziellen Politik in Österreich. Es scheint eben, als sei "Pro Palästina" eine "Bottom-Up"-Bewegung. Ein "Wutbürger-Moment für Migranten" entfaltet sich gerade. Menschen die – aus gutem Grund – schon sehr lange das Gefühl haben, nicht gehört zu werden, versammeln sich hinter einer "Gerechten Sache" und schießen schnell über das Ziel hinaus.
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Denn etwas sollte bei aller berechtigten Betroffenheit angesichts des Leids der Menschen in Palästina klar bleiben: Die Hamas ist eine unmenschliche, islamistische Terrororganisation und ihre verblasene Ideologie mag zwar auch das Ergebnis jahrzehntelanger Besetzung und Erniedrigung sein, dennoch ist alles für das diese Organisation steht schlichtweg falsch. Das sehen ja auch viele Menschen in Palästina so, nur ist es lebensgefährlich dies auch zu sagen.
Bei einigen Linken brennen die Anti-Imperialistischen-Sicherungen durch und sie sehen in der Hamas sogar "Befreiungskämpfer". Die österreichische Sozialdemokratie war deshalb in den letzten Wochen gezwungen ein paar Parteiausschlüsse durchzuführen. All dies zeigt, wie "gut" das Werk der Terroristen funktioniert. Auch auf dem Neben-Nebenschauplatz Österreich.
Der Kampf gegen die Hamas, die Bombardements, das angebliche Martyrium, das ist genau das, was sie anstreben. Es ist aber auch das, was die aktuelle israelische Regierung meinte in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten auf Sparflamme köcheln lassen zu können. Damit muss nun Schluss sein und das wird es wohl auch. Laut Umfragen sind 76 Prozent der Menschen in Israel dafür, nach Ende der Kämpfe "Bibi" Netanjahu aus dem Amt zu entfernen.
Der israelische Premier ist einer der monumentalsten Versager der Geschichte. Am 7.Oktober zerfiel sein Lügengebäude aus angeblicher Stärke zu Staub. Das wäre an sich zu begrüßen, wenn es nicht mit dem Blut tausender Menschen bezahlt hätte werden müssen. Der Plan die Palästinenser durch Unterstützung der Hamas zu spalten, damit der Friedensprozess verunmöglicht wird und die illegalen Siedlungen in der Westbank nicht aufgelöst werden müssen, darf als verbrecherisch gelten und jetzt auch als gescheitert. So geht es nicht weiter.
Politisches Kleingeld
Österreich fungierte hier einmal als internationaler Vermittler. Bruno Kreisky hatte so etwas wie eine Nahost-Politik. Das offizielle Österreich im Jahr 2023 hat lediglich eine kleinkarierte Nabelschau zu bieten. Die Spitzen vieler politischer Parteien versuchen den Konflikt zu nutzen, um sich in einem wilden Ringelrein, wechselseitig Antisemitismus zu attestieren.
Aktuell liegt die niederösterreichische Volkspartei klar in Führung was Ruchlosigkeit betrifft. Österreich ist laut EU-Studie eines der rassistischsten Länder Europas. Das hat weniger kulturelle Gründe, als politische. Ausländerfeindlichkeit wird in Austria umhegt und gepflegt.
Die FPÖ will mit ihrem "Volkskanzler" Herbert Kickl die nächsten Wahlen gewinnen, um die "Festung Österreich" zu errichten. Dabei ist ihr kein rechtsextremistisches Deutungsmuster zu flach. Die durch Korruption und Misswirtschaft desavouierte ÖVP hechelt dem weitgehend haltlos hinterher.
So kommt es, dass die Koalition in Niederösterreich aus ÖVP und FPÖ fordert, den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nun nochmals zu erschweren. (Erraten, das liegt gar nicht im Aufgabenbereich eines Bundeslandes, aber das sind vernachlässigenswerte Details für Rechtspopulisten.)
Schon heute gibt es in kaum einem Land so viel Hürden bei de Einbürgerung wie in Österreich. Jetzt soll erst nach zehn Jahren untadeligen Aufenthalts in Österreich und wohl auch dem verpflichtenden Besuch von KZ-Gedenkstätten die Staatsbürgerschaft erteilt werden. Weil Antisemitismus in Österreich keinen Platz habe.
Man will ihn also exportieren, den Antisemitismus, den man ausnahmslos den Moslems unterzuschieben gedenkt. Die niederösterreichischen Grünen machten in einer Aussendung allerdings zu Recht darauf aufmerksam, dass wenn die niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner (ÖVP) den Antisemitismus bekämpfen wolle, sie dann am besten bei ihrem Koalitionspartner FPÖ anfangen solle. Dort galt es als gelungener Scherz über die bald "siebte Million" ermordeter Juden ein Liedchen zu trällern.
Die FPÖ ist eine stramm-rechte Partei, die sich nicht von den gewaltbereiten "Identitären" in Österreich abgrenzen mag. Sie sieht in dem Krieg in Israel die ideale Chance gekommen, antimuslimische Ressentiments und Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Denn es sind bekanntlich immer die anderen, aber nie man selbst.
Der 15. November ist übrigens der Tag des heiligen Leopold, der in Wien als schulfreier Tag gefeiert wird. Der zweite Wiener Gemeindebezirk, in dem traditionell die meisten Juden leben, heißt Leopoldstadt, zum Dank an Kaiser Leopold dem Ersten, der im Jahr 1670 den Bezirk und die Stadt von den Juden "befreit" hat.
Den Bezirk Leopoldstadt umzubenennen, den Feiertag vielleicht einfach fallen zulassen und durch einen würdigeren zu ersetzen, all diese Dinge kommen in Wien nur wenigen in den Sinn.