"Sorgen und Nöte der Menschen in Klimapolitik einbringen"
Klaus Ernst, 2020. Bild: Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 DE
Klaus Ernst über die Kritik an seiner Leitung des Bundestagsausschusses für Klima und Energie, die soziale Frage in der Klimapolitik und Wählerwanderungen
Herr Ernst, Sie wurden in den vergangenen Tagen im Zuge Ihrer Nominierung und Wahl zum Vorsitzenden des Ausschusses für Klima und Energie in sozialen Netzwerken mal wieder als "Porsche-Klaus" bezeichnet. Beleidigt oder ehrt Sie das?
Klaus Ernst: Keins von beiden. Es ist aber interessant, welche Bedeutung das offenbar für einige hat. Im Übrigen ist mein Porsche 20 Jahre alt – nachhaltig! Warum redet man nicht vom "Porsche-Lindner", der hat ja auch einen. Und der Lindner hat wahrscheinlich gerade mehr Einfluss auf die Politik als ich.
Hat Sie die Kampagne gegen Ihre Leitung des Bundestagsausschusses für Klima und Energie in dieser Massivität überrascht?
Klaus Ernst: Es hat mich überrascht, dass sich Teile meiner Partei mit Teilen einer anderen Partei und Parteilosen aus einer Bewegung heraus verbünden und versuchen, Einfluss auf Personalentscheidungen zu nehmen. Das ist doch sehr ungewöhnlich.
Sie spielen auch auf Frau Neubauer von Fridays für Future an, die den Grünen angehört.
Klaus Ernst: Da gab es mehrere, die gar nicht Mitglied unserer Partei sind. Das wäre so, als wenn ich mitentscheiden wollte, wer eine wichtige Rolle bei der FDP oder bei den Grünen einnimmt. Das geht doch ein bisschen zu weit.
Natürlich wirken Kampagnen, die sich aus der eigenen Partei heraus gegen einzelne Parteimitlieder richten, sehr zerstörerisch. Das ist aber nicht von denen verursacht, gegen die diese Kampagnen gerichtet sind, sondern dafür sind die verantwortlich, die diese Kampagnen vom Zaun brechen.
Ihr Fraktionsgenosse Jan Korte hat auf Twitter die rhetorische Frage gestellt, ob die Unterzeichner eines offenen Briefes gegen Ihren Vorsitz des Klimaausschusses "Lack gesoffen" hätten. Denken Sie das auch?
Klaus Ernst: Ich denke, dass die Unterzeichner leider einen Punkt außer Acht lassen: Diese ganze notwendige und richtige Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung eines sozial-ökologischen Umbaus, der ist zwar nicht für alle, aber für einen großen Teil mit großen Risiken verbunden.
Und diese Risiken nicht zu sehen, oder sie auch nicht vertreten zu lassen – ich vertrete diese Leute, die diese Risiken sehen und trotzdem für eine Energiewende, eine Mobilitätswende und einen Umbau der Gesellschaft eintreten –, das ist ein Fehler. Denn dann verliert man sie. Und dann wenden die sich auch von der Energiewende ab.
Ich nehme zur Kenntnis, dass wir bei der letzten Bundestagswahl nur mit 4,9 Prozent abgeschnitten haben und dass wir zehnmal so viele AfD-Wähler innerhalb der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung haben als wir in dieser Gruppe mobilisieren konnten.
Das war mal anders, wir hatten mal einen großen Anteil von abhängig Beschäftigten. Die sehen uns Linke aber kaum mehr als Interessenvertretung im Prozess des sozial-ökologischen Wandels. Und das ist unser Problem. Wir müssen uns dort so profilieren, dass wir als ihre Interessensvertretung angesehen werden.
Dabei sind wir selbstverständlich für den notwendigen Wandel. Aber wir müssen ihn so gestalten, dass er im Interesse der abhängig Beschäftigten ist – und da ist nicht jeder Vorschlag gut.
"Wir haben keine Stimmen von den Grünen geholt"
Wenn wir uns nun die andere Seite der Akteure ansehen, die Industrie, so haben Sie gefordert, Anreize zu schaffen, statt Verbote zu erlassen. Haben Sie Beispiele wann und wie Anreize, die ja auf freiwillige Selbstverpflichtungen hinauslaufen, funktioniert haben?
Klaus Ernst: Anreize klappen dann, wenn es Alternativen gibt, die besser sind als das, was man gegenwärtig hat. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Wenn wir im öffentlichen Fernverkehr, den auch ich absolut befürworte und den wir dringend ausbauen müssen, schneller unterwegs sind und wenn das eine wirkliche Alternative zum Flieger darstellt, dann werden die Leute die Bahn nutzen, das merke auch an mir selber. Dann brauche ich Kurzstreckenflüge nicht verbieten.
Den Leuten über hohe Preise für Treibstoff das Autofahren zu erschweren, ohne dass es bereits preiswerte und gute Alternativen gibt, ist kontraproduktiv. Sind diese Alternativen vorhanden, werden Pendler, die auf das Auto angewiesen sind, auf den öffentlichen Nahverkehr zurückgreifen.
Und dann gibt es natürlich Punkte, die müssen wir regeln. Ein Beispiel ist die Abschaffung der Atomkraft, deren Wiederbelebung nicht mehr infrage kommt.
Sie schrieben einmal, die Linke solle nicht grüner sein als die Grünen. Führen Sie das kurz aus, was meinen Sie damit?
Klaus Ernst: Das bezieht sich nicht auf konkrete ökologische Positionen, die wir im Ausschuss behandeln, sondern auf den Wahlkampf und der Parteistrategie. Selbst der Spiegel hat uns bestätigt, dass wir in unserem Programm die Forderungen zur Klimaneutralität der Grünen übertreffen.
Das hat uns im Wahlkampf aber nichts genutzt, wir haben keine Stimmen von den Grünen geholt, sondern Stimmen an die Grünen verloren.
Und da ist meine Position eben klar: Wenn man als Partei angetreten ist, die Interessen der abhängig Beschäftigten, der Rentnerinnen und Rentner, von deren Kindern, das Spektrum der normalen Leute also zu vertreten, dann aber plötzlich Forderungen vertritt, für die es schon eine Partei gibt, die speziell in diesem Bereich eine hohe Zustimmung der Bürger genießt, und wir diese Themen voranstellen, dann ist ganz klar was passiert: dann wird diese Partei gewählt und nicht wir.
Unser Ziel muss sein, im Rahmen der Klimapolitik die Sorgen und Nöte der Menschen aufzugreifen und in die Klimapolitik einzubringen.
Sie haben die Wählerwanderung schon angesprochen: Die Linke hat unterm Strich die meisten Stimmen an SPD (640.000) und Grüne (480.000) verloren, rund 110.000 sogar an die FDP. Inwiefern haben sich also diese Parteien glaubwürdiger um die "kleinen Leute" bemüht?
Klaus Ernst: Das ist logisch: Wenn Sie Politik machen und dabei das, was andere fordern bestätigen, dann kommt das dieser Partei zugute. Wenn wir also Politik in der Kernkompetenz der Grünen machen, dann werden die Grünen gewählt.
Wenn wir aber eine Klimapolitik betreiben, welche die Interessen der abhängig Beschäftigten bei diesem Prozess ins Zentrum stellt, dann wäre das eine Möglichkeit gewesen, einen Teil unserer Klientel zu halten. Es hat mehr Ursachen gegeben, dass wir verloren haben, aber das war ein Grund.
Sie haben indes ja aber die Proteste gegen die Internationale Automobilausstellung kritisiert, weil doch die Autoindustrie schon verstärkt auf klimafreundliche Antriebe setze. Glauben Sie, eine reine Antriebswende ist der Hauptteil der nötigen Verkehrswende, wenn man auch den Ressourcenverbrauch, den aktuellen Strommix und den bisher stockenden Ausbau der erneuerbaren Energien berücksichtigt?
Klaus Ernst: Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass die Mobilitätswende auf eine Weise gelingt, dass wir in absehbarer Zeit den CO₂-Ausstoß zumindest deutlich reduzieren und CO₂-frei werden. Auch die klimaneutrale Produktion von Fahrzeugen schreitet voran. Das ist ein wichtiger Punkt, weil an der Automobilproduktion eine Vielzahl von Arbeitsplätzen und auch Mobilitätwünsche hängen.
Viele Leute brauchen das Auto auch. Wenn sie auf dem Land wohnen, können sie nicht einfach sagen: Wir fahren jetzt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit oder in die Stadt. Wenn es gelingen soll mehr Leute in den öffentlichen Verkehr zu bringen, müssen wir ihn erst mal haben. Deshalb ist unsere Forderung nach einem Ausbau des ÖPNV zentral.
In den Städten haben wir tatsächlich aber zu viel Individualverkehr. Das ist nicht nur durch Elektroantriebe zu lösen, dort brauchen wir andere Verkehrskonzepte.
"Halte nichts von ständigen Hinweisen auf Katastrophen"
In den USA sind bei heftigen Tornados gerade Arbeiter umgekommen, die in der Gefahrensituation weiterarbeiten mussten; in New York sind Bewohner mietgünstiger Kellerwohnungen bei schwerem Regen in ihren Heimen ertrunken. Inwieweit ist die Klimafrage eine soziale Frage?
Klaus Ernst: Von den Naturkatastrophen sind natürlich in erster Linie diejenigen betroffen, die in schlechteren Wohnverhältnissen leben. Das ändert sich aber nicht dadurch, dass wir so tun, als könnten wir sofort den Stecker ziehen und von heute auf morgen klimaneutral sein können. Das ist schlichtweg nicht möglich.
Wir brauchen eine Übergangszeit, in deren Verlauf das CO₂ reduziert wird. Und wenn wir haben uns ein Datum gesetzt, an dem wir bei null sein wollen. Dann würde es immer noch dauern, bis sich die Erde erholt. Deswegen müssen wir jetzt anfangen und gegebenenfalls schneller sein.
Ich halte aber nichts von den ständigen Hinweisen auf Katastrophen. In diesen Fällen wie im Ahrtal muss sofort und unbürokratisch geholfen werden. Wir müssen praktizierbare Lösungen finden, die gesellschaftlich akzeptiert sind und den CO₂-Ausstoß reduzieren.
Herr Ernst, wen wir in die Lausitz schauen, wenn wir in das Rheinische Braunkohlerevier schauen, wenn wir aber auch auf die Industriearbeiter blicken, dann sehen wir überall dort starke Vorbehalte gegen die Klimabewegung. Inwieweit können Sie es schaffen und inwieweit sind Sie bereit, hier einen Dialog zu befördern?
Klaus Ernst: Das machen wir ja schon, das ist ja nichts Neues. Auch in diesen Regionen gibt es Abgeordnete der Linken, die diesen Dialog geführt haben. Das Hauptproblem gerade in den Braunkohlerevieren besteht darin, dass es keine Lösung ist, den Menschen nur Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes zu zahlen und sie nach Hause zu schicken.
Es müssen neue Beschäftigungsmöglichkeiten für die Menschen gefunden werden. Die Projekte, die es dort hinsichtlich einer Wasserstoffwirtschaft geplant sind, führen in die richtige Richtung. In Sachsen etwa gibt es eine Versuchsanlage, in der geprüft wird, inwieweit Gasinfrastruktur für Wasserstoff genutzt werden kann.
Die Leute wollen eben nicht alimentiert werden und zu Hause sitzen, sondern sie wollen Beschäftigungsmöglichkeiten und weiter beruflich auf eigenen Beinen stehen. Deswegen sage ich auch: Wenn wir eine ökologische Wirtschaft voranbringen, dann muss diese Wirtschaft immer diejenigen Technologien bevorzugen, die ein Mehr an Beschäftigung bieten.
Werden Sie auf den eingangs erwähnten offenen Brief zur Leitung des Klimaausschusses im Bundestag antworten?
Klaus Ernst: Also, wenn mir jemand einen Brief schreiben will, dass kann er das machen und ich werde darauf antworten. Aber auf diesen offenen Brief werde ich nicht antworten, denn das ist ja nur Teil einer Kampagne.