Sorry Kinder, so geht es nicht weiter!

Die eingezäunte Schule am Europasportpark in Berlin, um Schutz zu bieten vor herabfallenden Fenstern. Bild: Gewi2021A / CC BY-SA 4.0

Die Schulen in Deutschland sind maroder, als wir uns eingestehen wollen. Es ist eine Krise mit Ansage. Wer aber über mehr Geld für Schulen nicht reden will, sollte auch über Reformen schweigen. Ein Kommentar.

Politiker:innen sprechen gerne von Reformen, weil es sich gut anhört. Man signalisiert damit: Missstände werden grundsätzlich angegangen und Dinge zum Besseren verändert.

Die Realität sieht meist anders aus. Als die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2001 begann, die Rente zu reformieren, wurde sie tatsächlich abgewrackt. Die privaten Versicherungskonzerne frohlockten angesichts des Milliarden-Geldsegens, die meisten Bürger:innen hatten das Nachsehen.

Nun heißt es erneut, im Zuge des Bildungsgipfels: Wir brauchen eine Bildungs- und Schulreform. Sie wird angemahnt von Gewerkschaften und Bildungsexperten. Die Forderung ist aus einer Reihe von Gründen absolut berechtigt.

Auch die politisch Verantwortlichen, Parteien und Ministerien versprechen Reformen. Doch tatsächlich haben sie kein Interesse daran. Das kann man allein daran ablesen, dass die Bundesländer mehrheitlich dem gerade stattfindenden Bildungsgipfel fernbleiben. Die Unionsparteien sprechen abwehrend von "Showveranstaltung".

Und die unglücklich agierende Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gibt Seifenblasen zum Besten. Konkrete Beschlüsse wurden erst gar nicht von dem von ihr einberufenen Treffen angepeilt. Den Vorwurf, dass die Ministerpräsidenten und, wie von einigen gefordert, der Kanzler nicht am Gipfel teilnehmen, lässt sie abtropfen. Es brauche Experten, um eine Basis für Reformen zu schaffen, nicht Politiker.

Dann lässt sie uns wissen, dass mehr Geld für den Bildungssektor die Probleme allein auch gar nicht lösen wird. Die Mittel müssten zielgerichteter eingesetzt werden. "Das Prinzip Gießkanne muss der Vergangenheit angehören."

Genau hier liegt aber die Krux und das politische Versagen seit Jahrzehnten. Denn Geld ist tatsächlich das Problem.

In der Bankenkrise, der Coronakrise, der ausgerufenen militärischen Zeitenwende kam niemand im politischen Establishment auf die Idee, den Unternehmen zu sagen, man müsse schlicht das Geld "zielgerichteter" einsetzen. Bei der Bildungs- und Schulkrise ist diese Haltung Standard. Wenn es um Schulgebäude, Lehrermangel, Förderbedarf und neue Lernmittel geht, dann ist Geld scheinbar gar nicht so wichtig. Dann wird Geld förmlich zum Tabu-Thema.

Und das hat die Schulmisere in vielen Teilen Deutschlands zum Dauerproblem werden lassen. Die Symptome sind allseits bekannt. Es gibt zu wenig Lehrer:innen, zu volle, oft nicht angemessen ausgestattete Klassen, zu wenig Förderangebote, und dazu kommen die vielen kaputten, maroden Schulgebäude.

Viele, die schulpflichtige Kinder haben, kennen die Probleme aus eigener Erfahrung. Mein Sohn geht auf eine Berliner Grundschule, die, seit er dort ist, Dauer-Baustelle ist: Erst wurde über vier Jahre der Schulhof aufgerissen (die Schüler:innen hatten in dieser Zeit praktisch keinen Platz zum Spielen), jetzt werden die Toiletten für zwei Jahre zu Klassenräumen umgebaut (seitdem gibt es mobile Toilettenhäuschen auf dem Schulhof), weil die Schule aus allen Nähten platzt.

Währenddessen sind moderne Luxus-Wohnkomplexe mit Eigentumswohnungen um uns herum wie Pilze aus dem Boden geschossen. Sie wurden in kurzer Zeit, von null auf hundert, fertiggestellt. Bei der Schule fehlte aber das Geld, um einfache Sanierungsaufgaben in angemessener Zeit zu erledigen.

Das Trauerspiel geht weiter. Die beiden weiterführenden Schulen in unserer Nachbarschaft, auf die unser Sohn nun gehen könnte, sind derart auf Verschleiß gefahren worden, dass sie nicht mehr betrieben werden können. Aber es gibt nur einen Ersatzstandort, um eine Sanierung parallel durchführen zu können.

Nun ging ein Wettbewerb los, wer die marodeste Schule sei, um Anspruch auf die Umsetzschule erheben zu können. Das Rennen machte die, bei der der letzte Sturm das an sich schon notdürftig geflickte Schuldach großflächig verwüstete.

Danach musste weiter geflickt, Netze gegen herabfallen Dachpfannen gespannt und ein großer Schornstein komplett abgebaut werden. Dafür musste die Schule einen Monat lang geschlossen werden. Das – und wohl kluges Agieren der Schulleitung – gab den Ausschlag für die Schulbehörde.

Die andere Schule, die in einem alten DDR-Plattenbau untergebracht ist, verlor nicht nur das Rennen um die Umsetzschule. Sie wurde gleich ganz aus dem Sanierungsförderprogramm genommen, auf unbestimmte Zeit, obwohl sie aufgrund der Baumängel eigentlich nicht mehr für Kinder und Lehrer:innen zumutbar ist.

So musste nach einem Brand die Schule zeitweilig geschlossen werden. Zudem drohen die kaputten Holzfenster aus den Rahmungen herunterzufallen. Das Gelände um das Schulgebäude wird daher seit einiger Zeit weiträumig abgesperrt, die Fenster der Klassenräume dürfen nicht mehr geöffnet werden. Die Eingangsbereiche sind mit Holzgängen gesichert worden, wie bei Baustellen.

Nach massiven, medial begleiteten Protesten sah sich die damalige Oberbürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), gezwungen, der Verlierer-Schule doch noch ein Angebot zu machen. Ein in Sanierung befindlicher Industriebau am Rande der Stadt soll nun die Schule aufnehmen. Die Schüler:innen müssen dafür eine dreiviertel Stunde mit der Bahn dorthin fahren.

Diese Schulposse findet statt im chiquen Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, mitten in der deutschen Hauptstadt, in einem der reichsten Industriestaaten der Welt. In anderen, weniger privilegierten Teilen Deutschland wird man solche Missstände vielleicht als Luxusprobleme bezeichnen wollen.