Spanien: Große Empörung über erneute Maskenpflicht im Freien
Bundesregierung stuft Portugal und Spanien wieder als Hochrisikogebiete ein. Spanien wird von einer bisher nie gesehenen Infektionswelle überrollt
Obwohl in Spanien 81 Prozent der Bevölkerung komplett geimpft sind, bricht das Land derzeit immer neue Coronavirus-Infektionsrekorde. Wurde am Mittwoch mit mehr als 60.000 neuen Ansteckungen ein Wert registriert, wie es ihn bisher in der gesamten Pandemie nicht gab, so waren es am Donnerstag sogar schon 73.000 – deutlich über der deutschen Zahl von 45.000. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist in Spanien inzwischen bei 564, womit sie mehr als doppelt so hoch wie die fallende Inzidenz in Deutschland (280) liegt.
Auch die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich wieder zu. Das primäre Gesundheitssystem in der Hauptstadt Madrid kollabiert angesichts des Ansturms von Kranken. Es ist auch in Apotheken fast unmöglich, an einen Schnelltest zu kommen. In einigen Regionen, wie in Katalonien, sind die Intensivstationen wieder zu mehr als 30 Prozent mit Covid-Patienten belegt.
So bewahrheitet sich die Vorhersage, die an dieser Stelle im November geäußert wurde, wonach sich das "iberische Impfwunder", von dem die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) fabuliert hatte, als Mythos herausstellen würde.
Bild hatte sogar von "Spaniens Corona-Wunder" schwadroniert und seinen Lesern zu erklären versucht, "wie das Land das Trauma von 2020 überwindet". Die Realität ist eine andere. Lehren wurden in den Redaktionen, die ganz ähnliche Artikel schon ein Jahr zuvor verfasst hatten, keine gezogen. Das "Wunder" im Vorjahr basierte auf gefälschten und geschönten Zahlen, wie hier herausgearbeitet wurde.
Nun ist das Kind in Spanien – wieder einmal – in den Brunnen gefallen. Die schon sechste Welle, offensichtlich deutlich durch die Omikron-Variante des Coronavirus verstärkt, rollt über das Land. Wegen der rasanten Entwicklung hat das Auswärtige Amt nun Spanien – wie auch Portugal - erneut zum Hochrisikogebiet erklärt. Es wird vor Reisen in beide Länder gewarnt, im Fall Spaniens kommt die Warnung wie im Sommer erneut viel zu spät.
Es gilt nun wieder: Wer aus einem Hochrisikogebiet nach Deutschland zurückkehrt und nicht vollständig geimpft oder genesen ist, muss für zehn Tage in Quarantäne und kann sich frühestens fünf Tage nach der Einreise mit einem negativen Test davon befreien.
Bei der fatalen Entwicklung hat Spanien Portugal überflügelt, wo schon am 1. Dezember Maßnahmen getroffen wurden, die nun verschärft werden. Die Inzidenz steigt in Portugal langsam und liegt jetzt mit 359 deutlich unter der Spaniens. In Spanien wird aktuell wieder hektisch und unkoordiniert an Notmaßnahmen gestrickt, da man die Entwicklung erneut verschlafen hat.
Entrüstung über Maskenpflicht im Freien
Am Mittwoch ließ sich der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez mit den Präsidenten der Regionalregierungen zu einer Videokonferenz zusammenschalten. Als einzig greifbare Maßnahme kam dabei heraus, dass ab dem heutigen 24. Dezember das Tragen von Masken auch im Freien wieder Pflicht wird. "Die Maske hat in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie ein wirksames Präventionsmittel ist", erklärte der Regierungschef.
Obwohl es sich nur um eine "vorübergehende" Maßnahme sein, die beim Sport im Freien, beim Spaziergang am Meer oder in den Bergen nicht gelten soll, baut sich ein Entrüstungssturm auf, der sich quer durch alle politischen Lager zieht. Auch Unterstützer der sozialdemokratischen Regierung lehnen eine Maskenpflicht im Freien ab.
Von einer "Verrücktheit" spricht Joaquín Urias. "Hält man uns für Idioten", spricht der andalusische Professor für Verfassungsrecht von einer "absurden und nutzlosen Maßnahme" und meint: "Pedro Sánchez hat es geschafft, ganz Spanien, links und rechts, gegen eine absurde Maßnahme zu vereinen."
Massive Kritik kommt auch von der rechten Opposition. Die Präsidentin der Regionalregierung Madrids hält es für "unnötig" im Freien eine Maske zu tragen. Isabel Díaz Ayuso ist ohnehin eine Gegnerin von Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Für die Anführerin der Volkspartei (PP) ist das Vorgehen von Sánchez Wasser auf ihre Mühlen, um die sozialdemokratische Regierung weiter zu zermürben. Sie hatte mit dem Motto "Freiheit" im Mai bei vorgezogenen Regionalwahlen einen klaren Sieg gegen dessen Sozialdemokraten eingefahren.
Ayuso regiert seither mit Unterstützung der ultrarechten Vox-Partei die wichtige Hauptstadtregion. Und die aufstrebenden Anhänger der Franco-Diktatur sind in Spanien schon drittstärkste Kraft. Die Partei, die von Beginn an die Pandemie gegen die Regierung instrumentalisiert, will den politischen Fehler von Sánchez nutzen, um weiteren Unmut gegen die Regierung zu schüren.
Vox-Gründer und Parteichef Santiago Abascal erklärte, seine Partei werde gegen den "Maskenblödsinn" vors Gericht ziehen. Durch die Blume rief er zum Ungehorsam auf. "Ich werde mir sie derweil auf der Straße mit ausreichend Abstand nicht aufsetzen."
Dass Masken im Freien wenig sinnvoll sind, bei dieser Einschätzung können sich die Gegner der Maßnahme, ob von rechts oder links, auf Aussagen herausragender Experten stützen. Die schreiben der Maske im Freien eine "Effektivität gleich null".
Dass über den Maskenzwang hinaus keine Maßnahme ergriffen wurde, wird schwer auch von Regionalpräsidenten kritisiert. Wie der Katalane Pere Aragonès hatte auch der baskische Regierungschef Iñigo Urkullu an der Versammlung mit Sánchez in der Hoffnung teilgenommen, dass Kriterien vereint und ein gemeinsames Vorgehen vereinbart werden würden.
Im Land wird es nun also erneut einen undurchsichtigen Flickenteppich von Beschränkungen geben, die sich von Region zu Region unterscheiden. Der Katalane Aragonès hatte sich zwischenzeitlich schon an den Obersten Gerichtshof in Katalonien gewandt und der hat ihm am Donnerstag eine nächtliche Ausgangssperre für 124 stark betroffene Gemeinden ab 24 Uhr genehmigt.
Sie gilt zunächst für 14 Tage. Es sind auch an Weihnachten in privaten Räumen nur Zusammenkünfte bis zu zehn Personen erlaubt, ausgenommen sind aber Demonstrationen oder politische Veranstaltungen.