Spanien beschließt "freiwillige" Verlängerung des Rentenalters auf 70 Jahre
In ganz Europa wird an der Verlängerung der Lebensarbeitszeit gestrickt, die Konzepte werden unterschiedlich verkauft und durchgesetzt
"Denn eins ist sicher: die Rente." Wer erinnert sich noch an den berühmten Ausspruch von Norbert Blüm, der bis 1998 Arbeitsminister der CDU-Regierung war. Heute darf man sich allerdings fragen, ob man noch vor dem Ableben in ihren Genuss kommen darf. Nach der Rente mit 67 setzte Wolfgang Schäuble (CDU) zum Wochenende nach und will das Eintrittsalter weiter anheben, was allerdings voresrt auf das Veto der Bundeskanzlerin stieß. In Spanien hat die sozialdemokratische Regierung beschlossen, die Menschen "freiwillig" bis 70 arbeiten zu lassen. Doch das müssen sie, wenn sie eine Rente wollen, die minimal den Unterhalt sichern soll. In Griechenland wird gegen eine Rentenreform gestreikt, während es in Frankreich Sarkozy zunächst gelungen ist, den Streik auszuhebeln.
Rentenreformen sind derzeit europaweit in Mode. Bisweilen kommt es auch zu heftigem Widerstand dagegen. Alle Grundschulen und Gymnasien waren am Montag in Griechenland geschlossen, weil die Lehrer streiken. Auch etliche Hochschulen sind vom Streik betroffen. Am Dienstag streiken auch die Journalisten und für den 12. Dezember haben die beiden Gewerkschaftsverbände ADEDY und GSEE, die rund 2,5 Millionen Arbeitnehmer vertreten, zum Generalstreik aufgerufen. Damit soll eine Rentenreform der Regierung verhindert werden, die eine Erhöhung der Beitragsjahre um zwei Jahre vorsieht.
Bisher können viele Griechen schon mit 58 Jahren in die Rente gehen, wenn sie 35 Jahre lang Beiträge eingezahlt haben. Deshalb mahnen die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Weltbank und der Internationale Währungsfond und die EU seit langem auch für Griechenland eine Reform an, da die Rentenkassen in die Zahlungsunfähigkeit zu schlittern drohen.
Nach Ansicht von Experten, droht dem Versicherungsfonds der Selbstständigen (OAEE) schon im nächsten Sommer dieses Schicksal. Dann müsste der Staat einspringen, weil das die Verfassung so vorsieht. So will Ministerpräsident Kostas Karamanlis nun handeln, weil auch die Finanzen des Staates in Gefahr seien. Schaut man sich die offiziellen Zahlen der griechischen Regierung an, ist zu erkennen, dass sich die Staatsverschuldung in den letzten Jahren sogar verringert hat. Von 2003 bis 2006 ist die Staatsschuldenquote zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) von knapp 98 Prozent auf 95,3 Prozent gefallen. Das hängt mit den allgemeinen Sparmaßnahmen zusammen, die auch in Griechenland durchgeführt wurden, wogegen sich die Gewerkschaften mit den Streiks ebenso wenden.
Zwang zur Freiwilligkeit
In Spanien läuft die Reform gerade ohne Widerstand durch. Mit viel Widerstand der großen spanischen Gewerkschaften müssen die Sozialdemokraten (PSOE) ohnehin nicht rechnen, da sie zum Teil, wie die UGT, ein Ableger der Partei ist. Um dem Zorn der Arbeitnehmer zu entgehen, wurden mit der Rentenreform, die in der vergangenen Woche im Parlament verabschiedet wurde, zahlreiche Nebelkerzen gezündet. So sticht das Unwort "freiwillig" hervor, mit der die faktische Anhebung der Lebensarbeitszeit eingenebelt wird. Unter Modernisierung der Sozialversicherung wird die Reform bisweilen auch behandelt.
Damit bis zum 70. Lebensjahr weiter gearbeitet wird, gibt es Anreize: Wer schon 40 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, bekommt für jedes weitere Jahr einen Zuschuss von drei Prozent, das über das 65. Lebensjahr hinaus gearbeitet wird. Die Höchstgrenze liegt bei 15 Prozent. Der Großteil der Arbeitnehmer, der 40 Beitragsjahre nicht erreicht, erhält nur einen Zuschuss von zwei Prozent pro länger gearbeitetes Jahr.
Angesichts der Erwerbsbiografien, die sich seit vielen Jahren entwickeln, in denen sich Beschäftigte von einem prekären Minijob zum nächsten hangeln, wird die Zahl derer immer kleiner, die auf 40 Beitragsjahre kommen. Denn die Sozialisten haben, trotz ihrer Versprechungen, die Unsitte nicht beendet, dass befristete Arbeitverträge Urstände feiern und der Abschluss eines Festvertrags wie ein Lottogewinn angesehen wird. Nur noch wenige Verträge werden unbefristet geschlossen, auch wenn die Zahl durch Anreize bei der letzten Arbeitsmarktreform leicht gestiegen ist. Allerdings handelte es sich oft um Umwandlungen von Verträgen. Trotz allem sind heute gut ein Drittel aller Verträge befristet, bei den unter 30-Jährigen sind es mehr als die Hälfte. Es gibt mehr Zeitverträge in Spanien, als in Italien, Großbritannien, Belgien und Schweden zusammen, weit über fünf Millionen, obwohl es einen Kündigungsschutz praktisch nicht gibt.
Angesichts der Rahmenbedingungen bedeutet die Reform für die große Mehrzahl der Menschen eine Anhebung der Lebensarbeitszeit, weil sonst die absolute Altersarmut droht. Von Freiwilligkeit kann keine Rede sein. Schon jetzt leben Millionen Rentner in Spanien in Armut. Bei der Betrachtung des jetzigen Rentenniveaus wird das mehr als deutlich. Im November liegt die Durchschnittsrente im spanischen Staat bei knapp 678 Euro und das sind, wegen der massiven Anhebung der Mindestrenten durch die Sozialisten, vor den Wahlen im kommenden Frühjahr, fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Etwas besser sieht es in Katalonien und dem Baskenland aus, weil dort Zuschüsse von den Regionalregierungen gezahlt werden.
Rechnet man zu der Durchschnittsrente die mögliche maximale 15prozentige Erhöhung hinzu, wären das knapp 780 Euro monatlich, die erreicht werden könnten. Auch so bezeichnet man Armut! Denn nach der Europäischen Sozialcharta wird die Armutsgrenze unterschritten, wenn 60 Prozent des Durchschnittslohns im Land nicht erreicht werden. Das wären in Spanien 850 Euro. Dabei sollte beachtet werden, dass noch vor einigen Jahren 68 Prozent als Berechnungsgrundlage benutzt wurden. Nach offiziellen Angaben leben in Spanien derzeit knapp 19 Millionen Menschen, das sind 42 Prozent der Bevölkerung, unter oder nur knapp über der Armutsgrenze. Das hat mit dem niedrigen Mindestlohn zu tun, der trotz überdurchschnittlicher Anhebungen durch die Sozialisten nun mit 665 Euro knapp über der Hälfte des französischen Mindestlohns liegt. Damit erreicht man natürlich auch keine Rente, selbst durch Arbeit bis 70, die vor Armut schützt. Und für private Rentenpläne fehlt bei einem solchen Einkommen das Geld. Heute liegt die große Mehrheit der 8,2 Millionen Rentner unter der Armutsgrenze und 4,5 Millionen Pensionisten erhalten nicht einmal 600 Euro im Monat. Und das sind meist Frauen, die von der schmalen Rente des Ehegatten oft nur noch 52 Prozent Witwenrente erhalten.
So ist strukturell angelegt, dass nicht davon gesprochen werden kann, dass die Spanier demnächst "freiwillig" länger arbeiten. Diese Freiwilligkeit wird zum Zwang, wenn man im Alter nur einigermaßen über die Runden kommen will. Und das hängt dann von guter Gesundheit und dem Bedarf der Arbeitgeber ab. Interessant ist auch, dass mit der Reform die ohnehin relativ gut gestellten alten Stammbelegschaften einen besonderen Bonus erhalten, die am ehesten noch über gesicherte Arbeitsverhältnisse verfügen. Das war wohl das Bonbon für die Zustimmung der großen Gewerkschaften zur Reform, die vor allem die Interessen dieser Klientel vertreten.
Absurd wäre der Hinweis in Spanien auf leere Kassen, wie er in Griechenland gerne gemacht wird. Erneut rechnet die Sozialversicherung 2007 mit einem dicken Überschuss von acht Milliarden Euro. Im Vorjahr waren es sogar fast 12 Milliarden Euro. Das war sogar doppelt soviel als zunächst erwartet. Dafür war vor allem die Regulierung von Hunderttausenden Einwanderern verantwortlich, die viel Geld in die Sozialkassen gespült hat (EU-Länder profitieren von Einwanderung und Freizügigkeit).
Eintrittsalter von 70 Jahren und mehr anvisiert
In Spanien spricht aber kaum jemand neidisch die "Privilegien" der Stammbelegschaften an, die mit der Reform auch noch Rentenprivilegien erhalten. Mit diesem Argument ist es der Regierung Sarkozy nun aber offenbar gelungen, die Streiks gegen seine Rentenreform zu brechen (Typisch französisch? Typisch deutsch?). Die einzelnen Gruppen wurden gegeneinander ausgespielt. Zum Beispiel wurde den Lokführern vorgehalten, dass sie oft schon mit 50 in Rente gehen können. Dass sie besonderen Arbeitsbedingungen unterliegen und große Renteneinbußen hinnehmen, weil Sonderzahlungen für stressige Nacht-, Feiertags- und Sonntagsarbeit nicht in die Rentenberechnung einbezogen werden, wurde vergessen. Angesichts der europaweiten Diskussion um die Anhebung des Rentenalters, werden sich noch einige die Augen reiben, wenn auch sie länger oder mehr arbeiten sollen. Die Streiks sind zunächst ausgesetzt, jetzt wird verhandelt. Falls es Sarkozy wirklich gelungen ist, diesen Streik zu brechen, dann werden sich andere Gruppen, die sich die Regierung einzeln vornehmen wird, kaum in einen Arbeitskampf stürzen können, dessen Erfolgsaussichten gering sind. Denn gespart werden soll auch mit der Schließung von zahlreichen Gerichtshöfen. Insgesamt sollen im Öffentlichen Dienst im kommenden Jahr 20.000 Stellen wegfallen.
In Deutschland hat sich gerade gezeigt, dass angesichts des schwachen Widerstands gegen die Rente mit 67 die Diskussion noch längst nicht beendet ist. Es war wieder einmal Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der vorpreschte. Mit der Reform "sind wir noch nicht am Ende“, meinte er. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, setzte sofort nach und forderte eine weitere Rentenreform bis zum Beginn der nächsten Legislaturperiode. "Die Rente mit 67 reicht nicht aus", blies er in Schäubles Horn. Die Reform müsse schon zu Beginn der nächsten Legislaturperiode weiterentwickelt werden, weil das Rentenalter der steigenden Lebenserwartung angepasst werden müsse. Bis zum Jahr 2020 gelte es, das Rentenalter auf 70 Jahre anzuheben, meinte Walter. Dem stimmte auch der Klaus Zimmermann, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu. Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut verwies auf Einschätzungen, die von einem Renteneintrittsalter von 77 Jahren ausgehen. Die Bundeskanzlerin hat nun die Diskussion – vorerst - abgeblockt: „Das wird es mit uns nicht geben.“