Sprache und Kommunikation im Internet
Wird es in 200 Jahren keine Schrift mehr, sondern nur noch gesprochene Sprache und daran angepasste Formen der Datenspeicherung geben?
Ausgerechnet unter Sprachwissenschaftlern gilt die Beschäftigung mit der Kommunikation im Netz als exotisch, wenn nicht gar als marginal, vulgo: unerheblich. Diese bestenfalls als Zurückhaltung zu bezeichnende Einschätzung ist umso verwunderlicher, als Wissenschaftler - neben dem amerikanischen Militär - weltweit zu den ersten Anwendern des Internets gehörten.
Dass trotzdem eifrig geforscht wird, bewies der Workshop Sprache und Kommunikation im Internet der am 16. und 17. November in Hannover stattfand. Das Spektrum der vorgestellten Studien und Forschungsprojekte reichte von der Frage nach der sprachlichen Verarbeitung von Erfahrungen mit dem Computer über Kommunikationsstile und Sprachspiele in Mailinglisten, Chatrooms, Politiker-Chats, Guestbooks und SMS-Nachrichten bis hin zu didaktischen Fragen - Stichwort: Computer in Schule und Studium. Darüber hinaus wurde immer wieder versucht, das Spezifische der Kommunikation im Netz zu vergleichen mit anderen Formen der Kommunikation. Im Zentrum standen dabei zwei Aspekte: Das Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit einerseits sowie das Verhältnis von Bild und Text andererseits.
Das Auffälligste an der Kommunikation per e-Mail & Co. ist die so genannte "konzeptionelle Mündlichkeit", soll heißen: der Schreiber tut so, als würde er sprechen. Zu diesem Zweck werden typische Merkmale der mündlichen Kommunikation wie zum Beispiel umgangssprachliche Formulierungen ("Tach" statt "Guten Tag"), Tilgungen ("nich" statt "nicht"), Assimilation ("gehen" und "ins" statt "gehen" und "in das") schriftlich verwirklicht. Eine mögliche Erklärung für das weit verbreitete Phänomen: konzeptionelle Mündlichkeit suggeriert Nähe. Eine Nähe, die bei der Kommunikation per e-Mail oder SMS nicht von Haus aus gegeben ist.
Um die Illusion der Nähe beziehungsweise um die Frage, wie Online-Gemeinschaften entstehen, ging es insbesondere im Vortrag von Jannis Androutsopoulos vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim. Androutsopoulos hat sich ausgiebig mit Guestbooks wie dem Rap-Board - (Achtung dort lauert ein Horror-Banner, das sich nicht mehr wegklicken lässt!... da hilft nur noch der Neustart) und Talkbase beschäftigt. Sein Ziel: weg von Textsorten-orientierten Untersuchungen hin zu einem soziokulturellen Ansatz. Bislang nämlich konzentrierte sich die Forschung darauf, für Chats und Guestbooks typische Merkmale wie etwa Emoticons aufzulisten. Wie diese allerdings im einzelnen benutzt werden, ja ob sie überhaupt von allen Foren in derselben Weise akzeptiert werden, oder ob man sich durch die Verwendung eines ;o) zum Außenseiter macht, spielte bislang kaum eine Rolle.
Was Androutsopoulos dabei besonders interessiert: Ab wann kann man von einer Online-Gemeinschaft sprechen? Wichtige Kriterien wären die jeweilige Kommunikationsdichte (wer kommuniziert wie oft mit wem), die Reflexivität (was gilt als off-topic, grenzt man sich explizit von bestimmten Verhaltensweisen/Kommunikationsstilen ab, etc.) und das Repertoire (also die sprachliche Umsetzung: unterschiedliche Begrüßungen, Verwendung von Emoticons, gemeinsamer Jargon usw.).
Einigermaßen gut erforscht ist bereits der Online-Chat, was nicht zuletzt daran liegt, dass diese Form der simultanen schriftlichen Kommunikation außerhalb des Webs so nicht existiert und ein dementsprechend dankbares Thema abgibt. Interessant war der Versuch von Angelika Storrer und Michael Beißwenger, Chats mal nicht wie sonst üblich nur mit Talkshows zu vergleichen, sondern auch mit Film, Theater und Hörspiel. Und siehe da: nach Ansicht von Beißwenger ist der Space-Chat von Unicum am engsten mit dem Hörspiel verwandt. Leider war die Vortragszeit um, bevor er seine These erschöpfend untermauern konnte.
Auch jenseits von Chat und Hörspiel bereiteten Abgrenzungsfragen Probleme: ist es beispielsweise sinnvoll, fragte Christa Dürscheid (Uni Münster), SMS-Botschaften für sich zu untersuchen, oder kann man sie nur im Zusammenhang mit e-Mail und Chat analysieren? Was Außenstehenden wie Erbsenzählerei vorkommen mag, ist tatsächlich eine hochdynamische Sache. Es geht letztlich um die Frage, was den größten Einfluss hat auf die Art und Weise, in der wir jetzt und in der Zukunft kommunizieren: Handy, e-Mail, Chat - oder was?
Betrachtet man beispielsweise SMS-Botschaften im Detail, so findet man zwar durchaus unterschiedliche Formen der Verknappung, allerdings treten nicht alle mit derselben Häufigkeit auf. Soll heißen: manche Formen der Verknappung sind beliebter und gängiger als andere. Was man sich darunter im einzelnen vorzustellen hat, erläuterte Peter Schlobinski (Uni Hannover), Initiator des Workshops, anhand einer Pilotstudie zum Thema ‚Simsen', die er gemeinsam mit Studenten erarbeitet hat.
VaterUnserImHi
mmel.GeheiligtW
erdeDeinName.
DeinWilleGeschehe.
WieImHimmelSo
AuchAufErden.
DeinReichKomme.
Mit diesen Worten begann das Vaterunser das beim 1. SMS-Gottesdienst in Hannover im Mai diesen Jahres verschickt wurde. SMS-Botschaften sind aus technischen Gründen auf 160 Zeichen begrenzt, so dass das Vaterunser unmöglich in einem Stück gesimst werden kann - um es wenigstens in zwei Portionen zu schaffen, besann man sich auf einen alten Trick der Steinmetze: Man lässt die Zwischenräume weg und markiert die Wortübergänge mit Majuskeln. In diesem Fall kommt das direkte Sprach-Vorbild also nicht aus den Neuen Medien, sondern sozusagen aus der Steinzeit.
Um herauszufinden, wie Menschen mit und angesichts des Computers sprechen, haben Wissenschaftler der Universität Chemnitz neun unterschiedliche Testpersonen und -gruppen jeweils 20 Stunden lang beobachtet. Die Auswertung von 180 Stunden Bild- und Tonmaterial sowie der Begleit-Protokolle ergab unter anderem: je unerfahrener der Benutzer, desto eher neigt er zu wüsten Beschimpfungen. Mit die größten Schwierigkeiten bereiten Orientierung (Wo finde ich was?), gefolgt von Sequenzierung (Was ist in welcher Reihenfolge zu tun?) und Kategorisierung (Worauf bezieht sich diese Fehlermeldung?). Außerdem scheitern viele an ihren Wissenslücken - ein Problem, das freilich auch jenseits des Computers existiert. Erfolgreiche Problemlöser zeichnen sich übrigens dadurch aus, dass sie ihre Annahmen ständig hinterfragen. Von praktischem Nutzen ist die Studie für Autoren von Hilfe-Dateien (die sich häufig am Programmaufbau und nicht an den Nöten der Benutzer orientieren) sowie für die so genannte Usability-Forschung im Allgemeinen - und nicht zuletzt für Lehrer.
Übrigens beklagten einige der anwesenden Professoren und Dozenten, dass immer mehr Studenten Quellen, die sie im Internet recherchiert haben, mehr Vertrauen schenken als Publikationen in Büchern und Zeitschriften. Gedruckte Quellen gälten als der Inbegriff von Langeweile, und überhaupt sei das Bibliographieren zu umständlich. Aus diesem Grund bieten nicht nur Schulen, sondern immer mehr Universitäten Kurse zum Thema ‚Medienkompetenz' an, in denen der kritische Umgang mit Quellen aller Art eingeübt wird.
Bei alldem darf man natürlich nicht die Macht der Bilder vergessen, die nicht erst seit der Erfindung des Internets an in um und an Stelle von Text erscheinen. So untersuchten denn auch Torsten Siever und Jens Runkehl die Welt der Werbung, während Ulrich Schmitz (Uni Essen) Grundsätzliches zum Verhältnis von Text und Bild im Internet anmerkte.
Freilich hat man einige der Thesen bereits in anderen Zusammenhängen gehört, doch bei dem explizit als "Workshop" angekündigten Treffen in Hannover ging es gar nicht um die Präsentation sensationeller Ergebnisse. Vielmehr müssen erst mal vernünftige Grundlagen geschaffen werden wie etwa eine für alle nutzbare Datenbank. Das dürfte nicht ganz einfach werden, denn ein Großteil der Daten ist nicht zur Publikation bestimmt. Und hat man sie erst mal vollständig anonymisiert, taugen sie unter Umständen nicht mehr für soziolinguistische Studien. Tatsächlich bewegt sich die Erforschung von Kommunikation und Sprache im Netz rechtlich gesehen in einer Grauzone, wenn beispielsweise Beiträge aus einem nur für registrierte Mitglieder bestimmten Forum veröffentlicht werden sollen.
Wenn es allerdings so kommt, wie Peter Schlobinski zum Ende der Veranstaltung prophezeite, dann wird es in 200 Jahren sowieso keine Schrift, sondern nur noch gesprochene Sprache und daran angepasste Formen der Datenspeicherung geben. Freilich könnten auch jene Recht behalten, die meinen, die Zukunft der Kommunikation liege im visuellen Bereich. Wie dem auch sei, langfristig möchte Schlobinski weg von der Detailforschung und die Diskussion über Kommunikation in den so genannten Neuen Medien auf die nächste Ebene heben: Wird das Internet unsere Sprache auf ähnlich revolutionäre Weise verändern wie die Einführung des Buchdrucks? Vergleicht man die Situation heute mit der von Gutenberg, stellt man jedenfalls Folgendes fest: Während die Einführung des Buchdrucks zu einer Fixierung von sprachlichen Standards führte, bewirkt das Internet - zumindest vordergründig - eine Rückkehr zur Mündlichkeit.
Zu guter Letzt sollte man vielleicht noch anmerken, dass ein vor allem in den Printmedien gerne diskutiertes Thema im Großen und Ganzen durch Abwesenheit glänzte: Verkommt die gute deutsche Sprache zusehends zu einem unansehnlichen Denglisch? (Vgl. Interview mit Schlobinski in der ZEIT) Oder wird sie am Ende gar von Englisch, der lingua franca im World Wide Web, platt gemacht? Und wenn ja, geht dann gleich das Abendland unter? Nein nein und nochmal nein lautet kurz gesagt die Antwort. Sprachwandel gehört zum Wesen der Sprache, und statt zu jammern ist es aufregender, sich mit dem zu beschäftigen, was aktuell passiert, auch wenn man hier und da noch nach dem rechten Vokabular und der aussichtsreichsten Methode suchen muss.