zurück zum Artikel

Spuk im Chessman-Haus

The Changeling

Mit dem Steuersparmodell von Vancouver nach Seattle

Nach dem Thriller [1] kommen wir jetzt zum Geisterfilm. In The Silent Partner wird eine Leiche im Fundament einer Bank entsorgt. In The Changeling wird sie wieder ausgegraben, nur dass aus einer toten Frau ein totes Kind geworden ist. Der die Bank ausraubende Weihnachtsmann in The Silent Partner neigt zu atavistisch anmutenden Gewaltausbrüchen. In The Changeling ist es die eiskalt kalkulierende Geldgier, die zum Verbrechen führt. Das ist noch schlimmer.

Ein Geheimnis tritt hervor

Ein Auto fährt nachts auf eine Brücke. Ein Mann steigt aus und wirft einen rot-weiß gestreiften Kinderball über die Brüstung. Wir sehen, wie der Ball ins Wasser fällt. Die Strömung wird ihn jetzt wohl hinaus aufs Meer tragen, weil die Geschichte in der Hafenstadt Seattle spielt. Der Mann fährt heim, geht ins Haus und zum Fuß der Treppe, die hoch zu einer Dachkammer führt. In dieser Kammer verbirgt sich ein finsteres Geheimnis. Der Mann ist diesem Geheimnis auf der Spur.

Leicht ist das nicht. Der Mann wirkt müde und erschöpft, als er seinen Mantel an einen Pfosten des Treppengeländers hängt. Der Mantel sieht jetzt aus wie eines dieser Bettlakengespenster in alten Geisterbahnen. Damit ist schon mal klar, dass das keiner von den Filmen ist, in denen sich ein Komparse ein Betttuch über den Kopf zieht, wenn es spukt, denn das Gespenst ist irgendwo da oben, am anderen Ende der Treppe, und mit einer Jahrmarktsattraktion hat das so wenig zu tun wie mit einem Kinderspiel.

Der Mann hört ein Geräusch. Der Ball, den er soeben ins Meer geworfen hat, kommt die Treppe heruntergesprungen, bleibt vor ihm liegen. Der Mann ist starr vor Schreck. Das ist eine - später oft kopierte - Schlüsselszene in The Changeling und ein Paradebeispiel dafür, wie sich das Heimliche (die Geborgenheit des bürgerlichen Heimes) in das Unheimliche verkehrt. "Unheimlich", definierte Friedrich Schelling 1824 in seiner Vorlesung zur Philosophie der Mythologie, "nennt man alles, was im Geheimnis, im Verborgnen, in der Latenz bleiben sollte und hervorgetreten ist."

Ein Geheimnis tritt hervor (0 Bilder) [2]

[3]

"First ‚The Exorcist’ Then ‚The Omen’ Now ... The Changeling" stand 1980 in den Zeitungsannoncen, aber das war Teil einer fehlgeleiteten Werbekampagne. The Changeling ist kein Film der Spezialeffekte, mit deren Hilfe sich Köpfe um die eigene Achse drehen (Der Exorzist) oder spektakulär vom Rumpf getrennt werden (Das Omen), und er will es auch nicht sein. Es spricht für sich, dass der Regisseur Peter Medak kein Interesse daran bekundete, ein in den letzten Jahren mehrfach angekündigtes Remake zu inszenieren, weil er davon ausging, dass ihm die Produzenten computergenerierte Geister aufzwingen würden, die er nicht haben wollte.

Im Gegensatz zum modernen, grob gesagt mit William Friedkins The Exorcist beginnenden Horrorfilm, der alles zeigt, was zu zeigen ist, gilt The Changeling als klassische, auf Atmosphäre statt auf Spezialeffektsgewitter setzende Spukgeschichte. Wir wissen aber auch (siehe Teil 1 [4]), dass die "klassische Geistergeschichte" eine mit sozialem Gewissen ist, seit Charles Dickens 1843 A Christmas Carol veröffentlichte, seine erste Gespenstergeschichte zur Weihnachtszeit. Dickens schrieb gegen zwei Geißeln der britischen Gesellschaft an, die er für eine Schande hielt: Die Armut und die Bildungsferne breiter Schichten.

Am meisten ging ihm die erschreckende Kinderarmut zu Herzen. Ebenezer Scrooge, der sich vom Geizhals zum Philanthropen wandelnde Geschäftsmann aus der Londoner City, begegnet auf seiner Reise mit den Weihnachtsgeistern denn auch "Want" und "Ignorance" in Kindergestalt. Die Not und die fehlende Bildung sind die (sehr realen) Phantome, denen sich eine Gesellschaft stellen und auf deren Existenz sie eine humane Antwort finden muss, sagt Dickens, wenn sie nicht riskieren will, dass die gesamte Zivilisation früher oder später in den Abgrund gerissen wird, weil Want und Ignorance herangewachsen sind, ohne dass sich etwas geändert hätte.

Der sozialkritische Impetus ging der Geistergeschichte mehr und mehr verloren. Die Leser sollten sich wohlig gruseln, nicht über Gier, Ausbeutung und Verelendung in Rage geraten oder als Profiteure gesellschaftlicher Missstände ein schlechtes Gewissen kriegen, wie Dickens es beabsichtigte, weil er hoffte, auf diese Weise politische Veränderungen anstoßen zu können. In der entpolitisierten, von Dickens’ Nachfolgern praktizierten Form der Gespenstergeschichte war der Spuk allzu oft auf den Schrecken als Selbstzweck reduziert, statt das Vehikel zum Transportieren gesellschaftskritischer Anliegen zu sein.

Wer also The Changeling unter der Rubrik "klassische Geistergeschichte" einsortiert und mehr will als eine schnelle Etikettierung könnte sich fragen, ob "klassisch" nur ein Synonym für "altmodisch" ist, ohne explodierende Köpfe und herausquellende Gedärme, oder ob der Film auch an eine von Dickens begründete Tradition anknüpft, die im Laufe der Zeit ein wenig in Vergessenheit geriet. Wir werden sehen, wohin uns das führt, müssen uns aber zur besseren Orientierung erst darüber klar werden, wo wir uns befinden. England ist es nicht, weil The Changeling ein kanadischer Film ist, aber Kanada ist es auch nicht, weil Filme teuer sind und Produzenten vorab überlegen, wo man das investierte Geld zurückholen kann.

Rachetragödie mit Wechselbalg

Eine Winterlandschaft im November. Der Komponist und Musikprofessor John Russell (George C. Scott, der einige Jahre später in einer TV-Adaption von A Christmas Carol den Ebenezer Scrooge spielte) macht mit Frau und Tochter Skiurlaub in Upstate New York. In einer verschneiten Bergregion haben sie eine Autopanne. Die Familie schiebt den Wagen aber nicht irgendwo oberhalb von New York durch die Gegend, sondern an der Westküste des nordamerikanischen Kontinents. Wir sind in der Cypress Bowl Road in Cypress Mountain, einem in den 1970ern eröffneten Skigebiet nördlich von Vancouver in Kanada.

Bei der Winterolympiade 2010 fanden dort die Snowboard- und Freestyle-Wettbewerbe statt. Man muss weder Einheimischer noch Olympiatourist sein, um den Drehort zu identifizieren. Am Straßenrand steht ein Schild, das einem die Richtung zum bei den Bewohnern von Vancouver sehr beliebten Hollyburn Berg- und Skiwanderweg [5] weist. Man fragt sich, warum die Filmemacher das Schild nicht entfernt haben, wenn sie uns schon die Illusion verkaufen wollen, dass wir ganz woanders sind. Meine Antwort: Es steht da aus einem ähnlichen Grund wie dem, aus dem in The Silent Partner in einem Polizeirevier in Toronto Fahndungsplakate des FBI hängen. Erklärung folgt sogleich.

Rachetragödie mit Wechselbalg (24 Bilder) [6]

[7]
The Changeling

An dieser Straße, der Cypress Bowl Road, steht auch eine einsame Telefonzelle herum. Russell geht hin, um den Pannendienst anzurufen, während sich seine Frau und seine Tochter die Zeit mit einer Schneeballschlacht vertreiben. Das könnte eine wunderschöne Winteridylle sein, wenn es das Automobil nicht gäbe. Das eine ist kaputt, ein anderes gerät beim zu schnellen Einbiegen aus einer Nebenstraße ins Schlingern, ein entgegenkommender LKW muss ausweichen und überfährt die Frau und das Kind. Beide tot. Russell muss hilflos zuschauen, weil die Tür des Telefonhäuschens klemmt.

Über dem verzweifelten Mann in der Telefonzelle wird der Filmtitel eingeblendet: The Changeling. Literarisch vorgebildeten Zuschauern, zumal den Theatergehern unter ihnen, dürfte dabei das Stück von Thomas Middleton und William Rowley einfallen, eine der besten englischen Tragödien der Renaissance. Das Austauschen von Charakteren und Identitäten ist ein beliebtes Motiv der elisabethanischen und jakobäischen Rachetragödie. Oft geht es da um Erbschafts- und sonstige Eigentumsstreitigkeiten, meistens mit sehr blutigen Konsequenzen. Der eine oder andere Geist eines Ermordeten spukt auch durch die Kulissen und spornt die Überlebenden zur Rache an.

Über Shakespeare & Co. hinaus ist ein Changeling ein vertauschtes Kind, im Deutschen auch "Wechselbalg" genannt. In Sagen und Märchen ist der Wechselbalg ein Säugling, der einer Wöchnerin von Zwergen und Elfen, von Hexen oder vom Teufel höchstpersönlich untergeschoben und mit ihrem eigenen Kind vertauscht wird. Das Christentum warb für die Taufe als bestem Schutz gegen solche Umtriebe der Dämonen und machte sich den alten Volksglauben ebenso zunutze wie Leute, die missgebildete oder behinderte Kinder zum Wechselbalg erklärten und so im Extremfall ihre Tötung rechtfertigten.

The Changeling wird die Geschichte vom Wechselbalg variieren (nach einer "wahren Begebenheit" und mit der Rachetragödie gekreuzt) und weist uns eingangs darauf hin, dass Kommunikation - oder deren Scheitern - ein vorrangiges Thema ist. John Russell kann seine Frau und seine Tochter nicht mehr warnen, weil ihn die verklemmte Tür am Verlassen der Telefonzelle hindert und der plötzlich durch die Stille dröhnende Verkehrslärm seine durch das Glas der Zelle bereits gedämpfte Stimme übertönt. So wird der Ort der Kommunikation in sein Gegenteil verkehrt.

Während am Straßenrand ein Kind stirbt wird ein anderes, ein vertauschtes, dessen unheimliche Präsenz der eingeblendete Titel bereits ankündigt, bald versuchen, mit dem Mann in der Zelle Kontakt aufzunehmen, nur eben nicht telefonisch, weil das eine Geistergeschichte ist. Es lohnt sich, auf die Perspektive zu achten und darauf, wem sie jeweils zuzuordnen ist. Wenn man das mit dem Anfang macht könnte man beim zweiten Sehen auf die Idee kommen, dass das Gespenst womöglich schon vor Ort ist, in dieser Winterlandschaft, weit weg vom Spukhaus.

The Changeling ist ein intelligent erzählter Film zum Mitdenken. Die Kameraeinstellungen macht das doppelt beunruhigend. Wenn John Russell die Telefonzelle verlässt ist er ein gebrochener Mann und das Instrument einer Rache, die sich um Familienverhältnisse dreht, um das Vererben von Geld und um eine extreme Form von Gier, die über Leichen geht, wenn die Kasse stimmt. Mit Russells Hilfe wird, um mit Schelling zu sprechen, hervortreten, was im Verborgenen bleiben sollte. Hervortreten werden auch ein paar Indizien, aus denen man schließen kann, was das mit Politik zu tun hat.

Wie kanadisch ist der kanadische Film?

The Changeling wäre wahrscheinlich nie entstanden, oder wenn doch, dann völlig anders, und anderen Zwängen unterworfen, wenn die kanadische Regierung nicht die Canadian Film Development Corporation gegründet hätte, um mit Förderprogrammen die kärgliche Filmproduktion in dem Land anzukurbeln. Eine der Aufgaben der CFDC war es zu bestimmen, was genau ein kanadischer Film war, weil davon abhing, welche Ausgaben man als Sonderabschreibungen beim Finanzamt geltend machen konnte.

Das "Kanadische" am kanadischen Film war in etwa so verschwommen wie hiesige Definitionen zur Leitkultur und oft hart an der Realsatire, weil findigen Produzenten kein Notnagel zu peinlich war, um eine Begründung für Steuererleichterungen und das Beantragen von Fördermitteln daran aufzuhängen. Die CFDC hatte sich soeben von den Nachbeben des Skandals um David Cronenbergs Shivers erholt (eindeutig kanadisch, aber nicht so, wie Politiker und die Kommentatoren konservativer Blätter das "Kanadische" auf der Leinwand sehen wollten), als sie durch Meatballs in die nächste Krise stürzte.

Meatballs ist eine doofe Klamotte, für den Gespensterfilm aber insofern bedeutsam, als Bill Murray hier seine erste Hauptrolle spielte und Ivan Reitman Regie führte. 1984 drehten die beiden die Komödie Ghostbusters, die sich im Jahr von Ronald Reagans triumphaler Wiederwahl zum größten Kassenschlager der Saison mauserte, weil sie den Zeitgeist [8] besser traf als sonst ein Film in dieser Phase der amerikanischen Geschichte. Die Rettung vor dem Bösen bringt die durch Steuersenkungen stimulierte Privatwirtschaft, nicht die Regierung, bei der die Wurzel allen Übels liegt (eine massive Kürzung der Staatsausgaben war die zweite Säule von Reagans Wirtschaftspolitik).

Meatballs

Eigeninitiative zeigten auch die Produzenten von Meatballs. Sie präsentierten mit Ivan Reitman einen kanadischen Regisseur, nahmen alle finanziellen Vorteile mit und verschwanden dann nach Florida, wo Reitman ohne nennenswertes Drehbuch einen kleinen, billigen Film über die ach so komischen Ereignisse in einem Summer Camp drehte. Der Klamauk war so erfolgreich, dass er eine Welle von Sommerlager-Komödien auslöste. Die kanadische Filmkultur aber, die eigentlich gefördert werden sollte, war auf dem Weg zur Kinokasse rückstandslos verpufft. Die Kanadier fühlten sich düpiert.

Meatballs

Joel B. Michaels und Garth H. Drabinsky hatten bei The Silent Partner mit Elliott Gould und Susannah York ausländische Stars angeheuert, waren aber ansonsten - verglichen mit vielen der Filme, die der kanadische Steuerzahler durch seine Großzügigkeit erst möglich machte - wahre Musterknaben. The Silent Partner wurde in Toronto gedreht, mit vielen Kanadiern vor und hinter der Kamera, spielt in Toronto und trägt auch den kanadischen Werten Rechnung, die gefördert werden sollten, weil der Weihnachtsmann zwar eine Bank überfällt und keine Kinder mag, und Weihnachten auch nicht wirklich, damit aber nicht glücklich wird.

Das Verbrechen zahlt sich für den Gangster nicht aus, was der doch eher simplen Moral entspricht, die von Filmen jahrzehntelang verlangt wurde. The Silent Partner ist trotzdem ein ziemlich böser, abgründiger Thriller - und einer mit starkem USA-Bezug, weil mit Curtis Hanson ein US-Amerikaner das Drehbuch geschrieben hatte, ohne zu ahnen, dass es in Kanada verfilmt werden würde (wobei nur die Schauplätze und die Geldscheine geändert wurden). Hanson war nicht direkt an den Dreharbeiten beteiligt, blieb dem Film aber als Associate Producer verbunden, bestimmte die endgültige Schnittfassung und erledigte die Nachdrehs, die für diese Fassung nötig waren.

Mit The Changeling fanden Michaels und Drabinsky ein geeignetes Folgeprojekt. Die Thematik ist ähnlich. Die "festliche Jahreszeit" wird zwar nicht explizit erwähnt, ist aber trotzdem mit dabei. Weihnachten ist die Leerstelle zwischen der Vorgeschichte im November und der im März beginnenden Haupthandlung. Gedreht wurde rund um das Weihnachtsfest, von Anfang Dezember 1979 bis in den Januar 1980. Biblische Elemente gibt es auch, vom Kindermord bis zu einer säkularen Version der Jungfrauengeburt und Gottes Sohn, der in der kapitalistischen Gesellschaft des Films ein Repräsentant des Geldadels ist, und ein Politiker.

Product Placement

Mitte der 1970er hatte man in Kanada von der Verteilung von Fördermitteln auf ein System umgestellt, das im Wesentlichen auf einem Steuersparmodell basierte. Geldgeber wurden damit angelockt, dass sie ihre Investition zu hundert Prozent von ihrem steuerpflichtigen Einkommen absetzen konnten. Perfekt war das nicht unbedingt, weil der Mehrzahl der Investoren der künstlerische Wert einer Produktion egal war und oft auch der kommerzielle Erfolg oder Misserfolg. Der Steuersparboom des kanadischen Films war vor allem einer der Quantität. Ausnahmen, die mit Qualität überzeugten, gab es aber auch.

Das Steuersparmodell der Regierung brachte Michaels und Drabinsky auf die Idee, The Changeling komplett mit Anteilsscheinen (zu je 25.000 Dollar) zu finanzieren, was es so bei einem kanadischen Film noch nie gegeben hatte. Den Produzenten verschaffte das mehr Unabhängigkeit als bei anderen Finanzierungsmethoden. George C. Scott glaubte nicht an Geister, fand aber die Geschichte gut und auch die Rolle, die ihm angeboten wurde. Nachdem mit Scott ein bekannter Hollywoodstar zugesagt hatte gelang es Michaels und Drabinsky, alle 264 Anteile zu verkaufen. So kamen 6,6 Millionen (kanadische) Dollar zusammen.

Product Placement (12 Bilder) [9]

[10]
The Changeling

Auf dem wichtigen US-Markt war The Silent Partner schlecht verliehen und schlecht besprochen worden und dann sang- und klanglos untergegangen. Michaels und Drabinsky wollten diese Erfahrung nicht wiederholen. Die Filmindustrie denkt in Klischees wie dem, dass der Großteil der Amerikaner keine Filme sehen will, die außerhalb der USA spielen. Also wurde aus John Russell ein Professor, der von New York nach Seattle zieht und nicht etwa von Montreal nach Toronto oder Vancouver. George C. Scott stammte aus Virginia. Seine Partnerin im Film und im echten Leben, Trish Van Devere, war eine Schauspielerin aus New York.

Obwohl fast alle Nebenrollen mit einheimischen Charakterdarstellern besetzt sind geriet das Kanadische stark ins Hintertreffen, und der Kanada-Bezug war nun mal verlangt, wenn man am Steuersparmodell partizipieren wollte. Den Film in Vancouver zu drehen und nicht in Los Angeles oder Florida war gut, doch es konnte nicht schaden, ein paar sichtbare Kanada-Elemente einzubauen, die auf der Leinwand zu sehen sein würden. Unter umgekehrten Vorzeichen war das schon bei The Silent Partner so gewesen. Dem Kassierer einer Bank in Toronto konnte man keine US-Dollars in die Kasse legen, aber Fahndungsplakate des FBI im Polizeirevier, als Angebot an ein fremdelndes US-Publikum, das ließ sich machen.

Beim tödlichen Verkehrsunfall in The Changeling wird das "Hollyburn Ridge"-Schild umgefahren, als habe man es nur zu diesem Zweck da hingestellt. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist dem Schild gewiss. Das ist weniger eine makabre Form des Product Placement (oder nicht nur), die sich die Tourismusmanager des Erholungsgebiets etwas kosten ließen als vielmehr eine Argumentationshilfe beim anstehenden Versuch, der CFDC einen in den USA spielenden Film mit US-Stars in den Hauptrollen als ein kanadisches Produkt zu präsentieren. Das kanadische Steuersparkino der 1970er ist reich an solchen Abstrusitäten. So erfreulich selbstironisch wie hier ging es dabei selten zu. Meistens war es nur dreist.

Die Historical Society, für die Claire Norman (Trish Van Devere) arbeitet, ist im auf einem Grundstück in Dreiecksform errichteten Hotel Europe untergebracht. Sie und Russell treffen sich auf der Dachterrasse und im Restaurant des Gebäudes, das damals noch ein Hotel war (seit dem Umbau im Jahr 1983 bietet es bezahlbare Wohnungen für Leute mit geringem Einkommen). Im ungünstigen Fall ärgerten sich Kanadas Lokalpatrioten über einen Schauplatz wie diesen, weil eines ihrer Baudenkmäler der US-Stadt Seattle zugeschlagen wurde. Im günstigen Fall freuten sie sich darüber, weil ein großes Publikum erfuhr, wie schön die (dann durch Stadtentwickler verunstaltete) Altstadt von Vancouver war.

Dafür musste besagtes Publikum natürlich informiert werden, dass der Film in Vancouver gedreht worden war. Zu diesem Zweck gab es die Werbung, und so ließ sich der CFDC gegenüber argumentieren, dass Kanada profitierte, auch wenn das Hotel Europe von Vancouver nach Seattle verpflanzt wurde. Die CFDC nahm solche Handreichungen dankbar an, weil die Behörde ihrerseits der Politik und der veröffentlichten Meinung des kanadischen Steuerzahlers rechenschaftspflichtig war. Besser ein vom LKW platt gefahrenes "Hollyburn Ridge"-Schild zur Markierung des kanadischen Erholungsgebiets als kein Schild in einer anonym bleibenden Winterlandschaft.

Erst die Wirkung, dann die Ursache

Weniger stiefmütterlich behandelt wurden die Amerikaner südlich der Grenze. Für das US-Publikum musste ein Wahrzeichen mit hohem Wiedererkennungswert her. Also wird erst (für die Kanadier) dieses Schild umgefahren, das auf das kürzlich eröffnete Ski- und Erholungsgebiet bei Vancouver hinweist. Anschließend geht John Russell - nach dem Tod von Frau und Kind - durch das Lincoln Center, das bekannteste Kulturzentrum der Stadt New York, und am legendären O’Neals’ vorbei, wo Johnny Mercer einige seiner berühmtesten Songs auf eine Serviette gekritzelt haben soll.

Man sieht da schon, wie wichtig George C. Scott für den Film ist. Mit Russell geht ein Mann durch das graue Regenwetter, dessen ganzes bisheriges Leben in einem Moment zerstört wurde und der versuchen muss, die Trauer auszuhalten, die er unter dem zugeknöpften Regenmantel mit sich herumträgt (oder in der vollgestopften Aktentasche?). Zuvor - als calvinistischer Geschäftsmann aus dem Mittleren Westen, der in Paul Schraders Hardcore seine in der kalifornischen Pornoszene untergetauchte Tochter sucht - hatte Scott als Mann mit einer sich langsam steigernden Wut brilliert. In The Changeling ist er als trauernder Vater und Ehemann gefragt.

Erst die Wirkung, dann die Ursache (1) (14 Bilder) [11]

[12]
The Changeling

Scott muss keine Dialoge aufsagen, um den Gemütszustand dieses Mannes auszudrücken. Er macht das mit seinem Körper, durch sorgfältig dosierte Gestik und Mimik. The Changeling ist die Geschichte eines Komponisten, der in ein Spukhaus gerät und die Kraft aufbringt, den dort verborgenen Geheimnissen auf den Grund zu gehen. Zugleich wird die Geschichte eines sensiblen Menschen erzählt, der lernen muss, mit einem Schicksalsschlag zu leben, ohne daran zu zerbrechen. Dafür braucht man einen Schauspieler von Scotts Format, der einen solchen Film tragen kann und nicht in melodramatisches Überagieren flüchtet, wenn Russell mit sich und seiner Trauer allein ist.

Ein kurzes Durchatmen deutet an, wie sehr sich Russell zusammennehmen muss, wenn er nach dem Gang durch den Regen seine Wohnung betritt, in der nur noch ein paar Umzugskisten und leere Regale auf ihn warten - und ein Gespenst eventuell. Der Film macht durch ungewöhnliche Perspektiven darauf aufmerksam, dass die visuelle Gestaltung etwas zu bedeuten hat, bleibt aber bei der Informationsvergabe sehr subtil. Russell steht am Fenster. Offenbar denkt er zurück an die glückliche Zeit, die er in dieser Wohnung verbracht hat. Wir hören Klavierspiel. Schnitt. Eine Einstellung wie von einer Überwachungskamera, mit Weitwinkel und aus Obersicht.

Das lässt sich psychologisch deuten. Nach dem Tod von Frau und Kind ist Russell unbehaust, wirkt er klein, verloren und orientierungslos in einer Welt, die nicht mehr die seine ist. Im Hintergrund kommt die Hausangestellte Estancia mit einer Pappschachtel ins Zimmer. Man beachte die hölzerne Aufsatztruhe unten rechts. Scheinbar war das mal ein Behälter für Schachfiguren, die Russell aber nicht braucht, weil er selbst die Schachfigur ist. Er wird jetzt dann ins Chessman-Haus ziehen, das Schachfiguren-Haus. Er weiß es nur noch nicht. Erinnern wir uns kurz an Miles Cullen, den Schachspieler aus The Silent Partner. Ob er glücklich geworden ist mit dem steuerfreien Geld, für das zwei Menschen sterben mussten?

Russell dreht sich zu Estancia um. Schnitt. In der nächsten Einstellung sehen wir nicht die Hausangestellte in einem von der Konvention verlangten Gegenschuss, sondern wieder das Zimmer aus Obersicht, jetzt voll eingerichtet. Wir sehen, wie das Zimmer früher war, in einem Erinnerungsbild aus der Vergangenheit. Russell sitzt am Klavier und spielt das Musikstück, das wir vorher schon gehört haben. Anstelle von Estancia kommt Kathy in das Zimmer, Russells Tochter.

Kathy spielt mit dem Ball, den er später von der Brücke werfen wird und sagt ihm, dass er ihn fangen soll. Russell blickt vom Klavier hoch, lächelt und steht auf. Kathy wirft ihm den Ball zu (neben ihr die Truhe). So war das damals, als sie noch am Leben war. Jetzt ist sie tot. Ein Schnitt holt uns zurück in die Wirklichkeit und zeigt uns, dass Estancia die Schachtel auf ein paar andere gestellt hat. Dabei ist der Ball herausgefallen, mit dem Kathy früher spielte. Er springt auf dem Boden auf, Russell fängt ihn. Auch er ist zurück in der Wirklichkeit.

Erst die Wirkung, dann die Ursache (2) (19 Bilder) [13]

[14]
The Changeling

Russell hält den Ball in der Hand, kämpft mit seinen Emotionen und gegen die Tränen. Er sieht aus, als würde er gleich zusammenbrechen. Dann hat er sich wieder im Griff. Er fragt Estancia, ob die Truhe auch nach Seattle geschickt wird und legt den Ball hinein. Soweit lässt sich das alles leicht erklären. Ein Teil von John Russell lebt noch im Gestern, weil das Heute unerträglich für ihn ist. Ein hüpfender Ball reicht aus, um Erinnerungen und ganze Szenen aus der Vergangenheit in ihm wachzurufen, die er damit verbindet. Doch irgendetwas stimmt nicht. Die Reihenfolge ist falsch.

Der Ball müsste, wenn man es psychologisch deutet, aus der Umzugskiste fallen und auf dem Boden aufspringen, ehe Russell sich an die Szene mit seiner Tochter erinnert: Erst ein Ereignis in der Gegenwart als auslösendes Element, dann die Vergangenheit. Hier ist es umgekehrt: Erst die Erinnerung, dann das sie auslösende Element. In der ersten Einstellung mit dem leergeräumten Zimmer aus Obersicht ist die Holztruhe geschlossen. In der zweiten Einstellung (nachdem Kathy den Ball geworfen hat) ist sie offen. Ist das ein Anschlussfehler, oder hat jemand den Deckel aufgeklappt, ohne dass wir es gesehen haben?

Solche Fragen stellt man sich öfter in The Changeling. Im Spukhaus merkt man schnell, dass die Einstellung aus Obersicht die Perspektive des Gespensts ist. Ist das auch in New York schon so? Ist der Geist von Anfang an dabei, beobachtet Russell und manipuliert ihn wie eine Schachfigur, bis er ihn da hat, wo er ihn haben will? In dem Fall würde er die Funktion des Regisseurs übernehmen, der im Off für Russell die Truhe öffnet, damit er den Ball hineinlegen kann, der für den Fortgang der Handlung in Seattle noch benötigt wird. Das wäre eine ziemlich paranoide Konstruktion, und wenn man sie logisch durchdenkt stößt man schnell an Grenzen, nur: Wie logisch muss eine Geschichte sein, in der es spukt?

Geräumiges Spukhaus, billig zu vermieten

Nachdem der Ball verpackt ist kann Russell seinen Koffer nehmen und nach Seattle fliegen, 4000 Kilometer entfernt von New York und seinem alten Leben. Dort hat er einst Musik studiert, jetzt wird er an der Uni unterrichten und komponieren, um wieder auf die Beine zu kommen. Die patente Claire Norman vom Verein für Denkmalpflege hat auch eine Unterkunft für ihn. Das Chessman-Haus stand lange leer. John kann es günstig mieten, weil Claire will, dass es bewohnt wird. Das ist ein beliebtes Element im Geisterfilm. Spukhäuser sind schwer zu verkaufen oder zu vermieten und deshalb günstig abzugeben.

Mich stört daran, dass man einige Verrenkungen im Drehbuch braucht, damit die Geschichte funktioniert. Das ist nicht immer gut gelöst. Claire und John sind sich sympathisch und sollen sich näherkommen. Das wird kaum klappen, wenn Claire den Mieter in die Falle lockt. Also muss man sich damit behelfen, dass Claire erst seit kurzem für den Verein arbeitet und sich selbst nicht erklären kann, warum das Haus seit Jahren leer steht. Eine alte Jungfer macht kryptische Andeutungen, sonst hat offenbar keiner in Seattle je vom schlechten Ruf des Hauses gehört, ganz so, als habe es sich bisher zwischen den Bäumen versteckt und darauf gewartet, dass John Russell kommt.

Geräumiges Spukhaus, billig zu vermieten (15 Bilder) [15]

[16]
The Changeling

Kritik aber hat vor allem das Haus selbst auf sich gezogen. Wie kann sich der Mann das leisten, und warum will er ganz allein in diesem riesigen alten Kasten mit mehreren Etagen wohnen? Die Antwort ist recht simpel: Weil Leute im Geisterfilm meistens in großen alten Kästen wohnen und weil Peter Medak darauf bestand, dass es in The Changeling so sein müsse wie in den drei Filmen, die er als seine Inspirationsquellen nennt - in The Uninvited von Lewis Allen, in The Innocents von Jack Clayton und in The Haunting von Robert Wise. Immerhin sind das drei der besten Geisterfilme, die je gedreht wurden. Da kann man eigentlich nicht meckern.

Der 1937 in Budapest geborene Peter Medak war 1956 nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands nach England geflohen und hatte sich vom dritten Regieassistenten hochgearbeitet, bis er 1968 mit Negatives seinen ersten Film inszenieren konnte. Im Laufe seiner Lehrzeit hatte er miterlebt, wie Terence Fisher The Curse of the Werewolf und The Phantom of the Opera drehte, doch sein eigener Name war eher mit gesellschaftskritischen, von der Kritik gelobten und kommerziell wenig erfolgreichen Theaterverfilmungen verbunden, nicht mit dem Horrorgenre.

Michaels mag es aber sowieso nicht, wenn man The Changeling als Horrorfilm bezeichnet. Er wollte eine "klassische Geistergeschichte" mit psychologischem Tiefgang produzieren. Auf Medak wurde er durch einen Freund aufmerksam, der ihm The Ruling Class (1972) empfahl, eine bissige Komödie über die britische Oberschicht (mit Peter O’Toole in einer seiner besten Rollen). Ebenso sehenswert ist A Day in the Death of Joe Egg (1972), eine Tragikomödie, die ein Tabuthema mit Phantasie und schwarzem Humor angeht: Was passiert mit der Ehe von Eltern, die eine Tochter mit einem irreparablen Hirnschaden haben und sich nicht entscheiden können, das Kind in ein Heim zu geben?

Aus der Kombination beider Filme ergibt sich die Frage, auf die John Russell eine Antwort finden muss: Was tun die Reichen, wenn sie ein krankes, ihren Lebens- und Dynastieentwurf durchkreuzendes Kind haben und ähnlich skrupellos sind wie die Aristokraten in The Ruling Class? Ursprünglich sollte Donald Cammell The Changeling inszenieren, der Regisseur (mit Nicholas Roeg) von Performance. Wegen "künstlerischer Differenzen" wurde er gefeuert. Bei Cammell hätte Russell in einem Cottage auf das dunkle Geheimnis stoßen sollen, oder zumindest hatte man eines gebaut, als Medak nach Vancouver kam.

Medak hielt das für grundfalsch und rang den Produzenten die Investition in ein geräumiges Spukhaus ab. Der für seine Akribie bekannte Trevor Williams hatte schon bei The Silent Partner das Produktionsdesign übernommen und den Reaganomics-Weihnachtsmann in eine Bank mit einer ebenso protzigen wie scheußlichen Innenausstattung geschickt, die von dreckigen Goldbuchstaben dominiert wird (FB für First Bank of Toronto). Jetzt baute er Medak sein viktorianisches Spukhaus, ohne das dieser den Film nicht drehen wollte.

Zu Medaks Gunsten dürfte sich ausgewirkt haben, dass es feste Verträge gab und bis Drehbeginn nur noch ein Monat Zeit blieb, als ihm die Produzenten den Film anboten. Das Geld für ein größeres Spukhaus locker zu machen war besser als ohne Regisseur dazustehen. Die Eingangstür ist antik, der Rest Fassade. Wenn Russell durch die Tür ins Haus geht kommt er auf der anderen Seite in einer Studiokulisse an. Eine der Stärken des Films sind die Kamerafahrten von John Coquillon, der schon mit Michael Reeves (Witchfinder General) und Sam Peckinpah (Straw Dogs, Pat Garrett and Billy the Kid) zusammengearbeitet hatte. Ohne bewegliche Wände wären sie in dieser Virtuosität kaum möglich gewesen.

Geist und Psyche

Erstaunt über die Größe des Objekts blickt John Russell bei der Besichtigung nach oben, zum Kronleuchter und zu den Treppen, die vom Parterre in die erste und von dort weiter in die zweite Etage führen. Ein Schnitt bringt uns nach oben, in das dunkle Rechteck am Ende der Treppe. Über das Geländer schauen wir hinunter. Ganz klein stehen da Claire und John. Der Blick aus Obersicht ist der des Gespensts, das durch diese subjektiven Einstellungen präsent wird, ohne dass man Spezialeffekte braucht oder den Komparsen unter dem Betttuch. Der Geist eines Toten mustert einen Lebenden, der bei ihm einzieht.

Wie um das aufzugreifen erläutert Claire, dass es Pläne gegeben habe, das Gebäude in ein Museum umzuwandeln. Doch das Haus, meint sie, sei wohl dafür bestimmt, dass jemand in ihm lebt. An John habe sie gedacht, weil es ein Musikzimmer hat, in dem sogar noch ein Klavier steht. Lästige Arbeiten erledigt (in der günstigen Miete mit inbegriffen) Mr. Tuttle, der Hausmeister des Vereins, und natürlich ist das alles eher unglaubwürdig, doch über diese Hürde muss man weg, damit uns Medak zeigen kann, dass sich (Vorbilder waren Hitchcock und Kubrick) eine Geschichte durch die Wahl der Perspektive und des Objektivs genauso gut erzählen lässt wie durch Dialoge.

Geist und Psyche (10 Bilder) [17]

[18]
The Changeling

Unter realistischen Gesichtspunkten mag das Haus problematisch sein. Ansonsten ist es durchaus stimmig. Die Größe betont die Einsamkeit eines Mannes, der sich nach dem Tod von Frau und Kind ganz allein fühlt und sich selber fremd geworden ist. Im Inneren des weitläufigen Gebäudes spiegelt sich eine Psyche, in der es zugig ist und unerforschte Räume gibt, in der man sich Bereiche sucht, in denen man sich einrichten kann, ohne wirklich geborgen zu sein, wo man Seite an Seite mit den Geistern der Vergangenheit wohnt. The Changeling ist auch das Psychogramm eines Menschen in einer Lebenskrise.

Durch die Weitwinkelaufnahmen werden die Räume noch größer, wirkt ihr Bewohner noch verlorener, allein mit sich und seiner Trauer, und mit dem Gespenst. Nach der Ankunft in Seattle erzählt Russell einem befreundeten Ehepaar, dass er sich schon gefragt habe, ob er verrückt geworden sei in seiner Verzweiflung. The Changeling hätte auch ein Film über einen Mann werden können, der in den Wahnsinn abgleitet. Erzählt wird aber eine psychologische Geistergeschichte, die versucht, beide Aspekte miteinander auszutarieren, die Psyche des Protagonisten und das Okkulte.

Geerdet und beglaubigt wird die Handlung durch den intensiven, keine Mätzchen duldenden George C. Scott, der immer eine latente Aggressivität mit sich herumtrug. Seinen Ruf als schwieriger Charakter festigte er, als er den Oscar für Patton ablehnte, weil er das wertende Vergleichen schauspielerischer Leistungen für Unsinn hielt. Wenn das Spukhaus einem wie ihm Angst einjagt muss etwas dran sein an dem Geist. Scott ist die Idealbesetzung für diese Rolle. Wenige konnten so machomäßig auftrumpfen und die körperbetonte Männlichkeit zugleich so virtuos dekonstruieren wie er.

Scott war auf einem schmalen Grad unterwegs, und er hatte ein Alkoholproblem. Paul Schrader berichtet (im Audiokommentar der bei Twilight Time erschienenen Blu-ray), dass seine Agentin bei Hardcore einen Vertrag aushandelte, der ihm fünf Tage zur freien Verfügung einräumte, als Puffer für eventuelle Besäufnisse (auch eine Form von Professionalität). Man möchte nicht unbedingt mit George C. Scott verheiratet gewesen sein (Medak erinnert sich an eine turbulente, aber nie die Dreharbeiten störende Beziehung mit Trish Van Devere). Als Schauspieler auf der Leinwand ist er wie immer grandios.

Scotts John Russell ist kein verzärtelter Klavierspieler, der vor dem eigenen Schatten erschrickt, wohl aber einer, der in Gefahr ist, in diesen Schatten hineinzufallen wie in ein tiefes Loch. Er hat die Skepsis gegenüber übernatürlichen Phänomenen und auch das Bravado, ohne das man dem Mann nicht abkaufen würde, dass er in einem Haus wohnen bleibt, in dem es spukt; und er hat die Sensibilität und die Verletzlichkeit, die ihn offen für das Wahrnehmen solcher Phänomene machen.

Umgekehrt kann man sich fragen, ob da vorher Leute gewohnt haben, die gar nichts mitgekriegt haben, so wie es auch im echten Leben Menschen geben soll, die fremden Leid gegenüber so unempfindlich sind, dass sie es gar nicht erst ignorieren müssen. Das ist ein Leitthema von Dickens’ weihnachtlichen Geistergeschichten. Oder man macht es wie die Fachpresse aus Hollywood, wo man Schauspielkunst oft mit dem darstellerischen Exhibitionismus verwechselt, für den es traditionell die Oscars gibt. Amerikanische Kritiker rügten Scott dafür, dass er - ihrer Ansicht nach - nur mürrisch durch die Kulissen lief.

Wecker mit Donnerhall

Erst ist es so wie man es kennt von Gespenstern in Literatur und Film. Man glaubt, im Augenwinkel etwas zu sehen, dreht sich um und nichts ist da. Russell sitzt am Klavier und komponiert. Hinter ihm öffnet sich eine Tür "wie von Geisterhand". Russell geht hin, schaut auf die andere Seite der Tür. Er denkt, dass es der Hausmeister war. "Mr. Tuttle?", fragt er. Tuttle antwortet, steht aber an der falschen Stelle, wollte gerade das Haus verlassen und kann es nicht gewesen sein. "Sie haben mich erschreckt", sagt Russell. Das ist in den ersten zwanzig Minuten des Films und er versucht da noch, dem Übernatürlichen eine natürliche Ursache zuzuordnen.

John Coquillon taucht die unheimlichen Vorkommnisse in ein natürliches, trügerisch mildes und unbedrohliches Licht ohne die harten Kontraste, die man von so einem Film eigentlich erwarten würde. Mit der Ausstattung harmoniert das perfekt. Trevor Williams hat sich für gedeckte Farben entschieden, sicher in Absprache mit Medak und Coquillon. Es gibt kein Blut und schon gar nicht Ströme davon wie in Dannys Visionen in The Shining, der im selben Jahr in die Kinos kam, dafür aber rote Farbtupfer: ein rotes Plakat an der Wand oder den roten Pullover, den Russell trägt, wenn er zum ersten Mal das Chessman-Haus betritt.

Wecker mit Donnerhall (19 Bilder) [19]

[20]
The Changeling

Selbstverständlich ist das Klavier braun und nicht schwarz, und als Zimmerpflanze steht eine kleine Palme darauf, weil ihr Grün nicht durch Blüten bunter wird wie bei einer Blume. Auf das Gedämpfte kommt es an, auch bei der Bekleidung der Darsteller. Das gelegentliche Rot sticht nicht unbedingt ins Auge und ist doch beunruhigend, weil es inmitten der Braun-, Blau- und Gelbtöne das Farbschema durchbricht. Die roten Farbtupfer in Russells Umgebung verbinden die alltägliche Welt mit dem rotweiß gestreiften Ball seiner toten Tochter, in dem sich das Übernatürliche manifestiert. Das ist nicht spektakulär, aber wirkungsvoll.

Medak verzichtet nicht komplett auf Geisterbahneffekte, bemüht sich allerdings, sie sorgsam zu dosieren und immer die Balance zwischen dem Spuk und der seelischen Verfassung des Protagonisten zu wahren. Um 6 Uhr morgens dröhnt ein donnerndes Geräusch durch das Haus, das unter dem Hall zu erzittern scheint. Medak zeigt uns dazu den aus dem Schlaf gerissenen John Russell in einer Weitwinkeleinstellung aus Obersicht, um zu betonen, wie verloren und unbehaust der Mann ist. Er liegt allein in einem Doppelbett, weil seine Frau gestorben ist. Sogar die Tür zum Treppenhaus steht weit offen. Das Zimmer ist voll eingerichtet, alles ist schön aufgeräumt, und doch gibt es da keine Spur von Geborgenheit.

Am nächsten Morgen liegt Russell weinend im Bett, als wieder das hämmernde Geräusch losgeht. Was sonst nur erschreckend wäre ist angesichts der Umstände fast eine Erleichterung, weil es Russell davor bewahrt, in den Gedanken an seine tote Frau und sein totes Kind zu ertrinken. Das macht nachvollziehbar, warum er in diesem Haus bleibt, statt wegzurennen. Die Begegnung mit dem Geist ist Teil der Trauerarbeit, die er leisten muss, um zurück ins Leben zu finden. Kombiniert werden die Manifestationen des Übersinnlichen mit der Banalität des Alltags. Das Geräusch verursacht ein Luftsack in den alten Rohren, vermutet Mr. Tuttle. Aber wenigstens funktioniert die Heizung wieder. Frieren muss man nicht.

"Warum an zwei Morgen hintereinander", fragt Russell, "genau um 6?" In der deutschen Synchronfassung ist die Qual verdoppelt. Da will er wissen, warum das Geräusch um 2 und um 6 Uhr zu hören ist, weil nicht jeder übersetzen kann, der damit Geld verdient. Die Bearbeiter hatten auch keinen Sinn für Musik. Russell glaubt nicht, dass das Geräusch durch Luft in den Heizungsrohren verursacht wird; dafür sei es "zu laut, zu gleichmäßig" gewesen. Damit treibt man einem Film nicht unbedingt die Geister, wohl aber die Subtilität aus. Im Original sagt er, es sei "too loud, too rhythmic" gewesen. Das Rhythmische ist wichtig.

Musikalische Botschaft

Als Musiker denkt John Russell in Kategorien wie dem Rhythmus, nicht dem Gleichmaß. Das prägt die Handlung. Der Geist kommuniziert nicht nur durch Lärm mit Russell, sondern auch über die Musik, und außerdem über die vier Elemente, über Feuer, Luft, Wasser und die Erde in einem feuchten Grab. Für die Musik gibt es das Klavier, das noch in dem Haus steht, weil sich der Verein für Denkmalpflege nicht mit dem Abtransport herumplagen wollte, wie Claire bei der Besichtigung sagt. Die deutschen Verunstalter des Films hätten Verkäufer von Gebrauchtwaren oder Immobilienmakler werden sollen. Bei ihnen preist Claire das "sehr, sehr wertvolle Instrument" an.

Claire ist eine an ideellen Werten interessierte Musikliebhaberin und damit auf derselben Wellenlänge wie John Russell, mit dem zusammen sie den Geistern der Vergangenheit nachspüren wird. Russell zieht mit skeptischem Blick das Staubtuch von dem Instrument, für das der Verein keine Verwendung hatte. Wenn wir ihn wiedersehen, nach einer von Coquillons Kamerafahrten durch das Haus, sitzt er schon am Flügel und spielt ein Rondo, während Mr. Tuttle die Bücher in der Bibliothek abstaubt. Dabei bemerkt er, dass das Klavier (weil zu lang herumgestanden und nicht gepflegt, statt sehr, sehr wertvoll) beim Anschlagen einer Taste keinen Ton hervorbringt.

Musikalische Botschaft (18 Bilder) [21]

[22]
The Changeling

Wer irgend kann sollte The Changeling im Original sehen (und hören). Die deutsche Fassung tritt mit der Subtilität gleich noch den Witz des Films in die Tonne. Mr. Tuttle bringt die Nachricht, dass der bestellte Wassertank gekommen ist. "Verzeihung, ich stör’ Sie beim Komponieren", sagt er. Warum macht er keinen Bückling zur "Verzeihung", in einem Film von 1979? "Jaja, ist gut, Mr. Tuttle", antwortet Russell mit seiner Synchronstimme, "ich bin hier fertig." Was soll das heißen, er ist hier fertig? Im Original sagt er (meine Übersetzung): "Macht nichts, Mr. Tuttle. Das ist schon komponiert worden."

Der Komponist heißt Mozart. Es ist dasselbe Stück [23], das wir in der leeren Wohnung in New York gehört haben und das da schon die Gegenwart und die Vergangenheit verband, die Wirklichkeit und das Imaginäre, den Tod und das Leben. Russell denkt an seine Tochter Kathy, wenn er es spielt. Ihn in dieser Situation "Ich bin hier fertig" sagen zu lassen ist total daneben. Da es nun mal sein muss geht Russell nach draußen zum Lieferanten des Tanks. Die Kamera bleibt im Musikzimmer zurück, blickt ihm hinterher und nähert sich dann der Tastatur des Klaviers. Ein unsichtbarer Finger drückt die bisher stumme Taste nach unten, ein Ton erklingt und vibriert durch das Geisterhaus.

Das ist der erste klare Hinweis, dass es die Perspektive des Gespensts ist, wenn die subjektive Kamera durch die Räume schweift (in Kranaufnahmen, auf geschickt verborgenen Schienen und mit der damals noch ganz neuen Steadicam-Technik). Dem Geist liegt etwas daran, dass das Klavier funktionstüchtig ist. Damit ist gut vorbereitet, was noch kommen wird. The Changeling ist auch in dem Sinne "altmodisch", dass die Beteiligten ihr Handwerk beherrschen und wissen, wie man eine Geschichte erzählt. Bei heutigen Produktionen wird das oft schmerzlich vermisst.

Schwierige Komposition

Auf dem Klavier komponiert Russell ein Kinderlied. In der Wirklichkeit erledigte das Howard Blake für ihn, auf den Medak durch die sehr lyrische Musik aufmerksam geworden war, die er für The Duellists geschrieben hatte, das Kinodebut von Ridley Scott. Das Zustandekommen der Musik von The Changeling ist mysteriös, vielleicht aber auch nur sehr banal. Blake zufolge [24] hätte Medak gern die Musik für den gesamten Film von ihm gehabt, was aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht möglich war. Deshalb ging der Auftrag an zwei Kanadier, Kenneth Wannberg und Rick Wilkins.

Wilkins [25] war ein Saxophonist, der vor allem als Arrangeur tätig war, Wannberg ein langjähriger Mitarbeiter von John Williams, dem Hauskomponisten von Steven Spielberg und George Lucas. Es grenzt an ein Wunder, dass dabei kein nerviger Mischmasch aus verschiedenen Stilen herauskam, sondern eine in sich geschlossene, auf Atmosphäre und nicht auf billige Effekte setzende Musik, die Russells Trauer sehr überzeugend mit dem Leid eines Kindes und dem Unheimlichen kombiniert. Man könnte meinen, dass das Kenn Wannberg zu danken ist, der in den Credits als Arrangeur genannt wird.

Schwierige Komposition (9 Bilder) [26]

[27]
The Changeling

Andererseits gibt es im Bonusmaterial der Blu-ray ein Interview mit Wannberg. Da erzählt er, wie er, statt sich in Streitereien zu verstricken, Blakes Kinderlied unverändert übernahm (obwohl er selbst etwas weniger Kompliziertes besser gefunden hätte) und darum herum den Rest der Musik komponierte. Was machte dann Rick Wilkins, der offizielle Komponist? Das weiß scheinbar keiner so genau. Könnte es sein, dass Wilkins als Quotenkanadier benötigt wurde, weil Wannberg gar keiner war, sondern ein in Los Angeles geborener US-Amerikaner? Ein Schuft, wer solches denkt.

Medak hat mit Michaels den Audiokommentar der Blu-ray aufgenommen. Da berichtet er, dass er aus Vancouver bei Blake in England anrief und ihn um ein Kinderlied bat, weil Wannberg, der später den Rest der Musik komponierte, keine Zeit hatte oder von dem Projekt noch gar nichts wusste. Wahrscheinlich war es eher so, dass Michaels und Drabinsky lieber einen Amerikaner aus dem Erfolgsteam um John Williams haben wollten als einen Engländer, der womöglich eine in amerikanischen Ohren europäisch und damit fremd klingende Musik komponiert hätte. Wilkins kommt bei Medak so wenig vor wie bei Wannberg.

Man muss nicht alles glauben, was man in solchen Audiokommtaren hört. Die beiden Herren, der Regisseur und der Produzent, sind erkennbar um Harmonie bemüht. Den Kommentar zur Kinowelt-DVD bestreitet Medak allein, ohne Michaels an seiner Seite. Da (und nur da) erfährt man, dass der Film nicht mit dem tödlichen Verkehrsunfall begonnen hätte, sondern mit einem klavierspielenden John Russell (und dem Unfall als Flashback), wenn Medak sich gegen Michaels und Drabinsky hätte durchsetzen können.

Medaks Wahl als Cutter war Barrie Vince, mit dem er bei Negatives zusammengearbeitet hatte. Den Produzenten war die erste Schnittfassung zu langsam, sie kam nicht schnell genug zur Sache, der Rhythmus war ihnen zu europäisch und vertrug sich nicht mit amerikanischen Sehgewohnheiten. Also wurde Vince von Lou Lombardo abgelöst. In den Credits firmiert Lilla Pedersen als Cutterin, mit Lombardo als "Supervising Editor". Ohne der Dame zu nahe treten zu wollen: Ich würde darauf wetten, dass sie einen kanadischen Pass hatte. Die Quote war zum Erfüllen da, und für die Steuererklärung der Investoren.

Lombardo war der Cutter von Sam Peckinpah (The Wild Bunch) und Robert Altman (McCabe & Mrs. Miller, The Long Goodbye) und auch nicht alte Hollywood-Schule, aber nicht so europäisch geprägt wie Vince. Unter seiner "Supervision" wurde aus The Changeling nicht notwendigerweise ein besserer oder ein schlechterer Film, ein anderer aber schon. Wer eine Vorstellung davon gewinnen will, wie er auch hätte werden können, sehe sich Deep End oder The Shout von Jerzy Skolimowski an. Da ist der Schnitt von Barrie Vince.

Kinderlied aus der Welt der Toten

Russell hört gerade eine Tonbandaufzeichnung mit dem Kinderlied, als Claire Norman kommt. Claire will ihm eine alte Photographie des Chessman-Hauses zeigen, die sie gefunden hat. Zwischen dem soeben - in der Gegenwart - komponierten Kinderlied und der Vergangenheit des Hauses wird so ein Zusammenhang hergestellt. Solche mit Bedacht geknüpften Verbindungen fallen einem vielleicht nicht gleich beim ersten Sehen auf (ein zweites oder sogar drittes Sehen ist erlaubt), aber sie geben dem Film seine Struktur und eine narrative Dichte, die sich einem auch mitteilt, wenn man sich nicht bewusst ist, woher sie rührt.

Claire bewundert nun die Aufsatztruhe, die John aus New York mitgebracht hat und findet den rotweiß gestreiften Ball, der einst Kathy gehört hat. John kämpft mit seinen Emotionen. Claires Reit-Outfit verstärkt noch die Erinnerung an Kathy, die Pferde liebte, und damit auch sein Leid. John Russell ist ein Mann, in dessen Gedanken die verstorbene Tochter sehr präsent ist. Das macht ihn - zusätzlich zur Sensibilität des Musikers - offen für die Kontaktaufnahme aus dem Reich der Toten. Wie nebenbei hat der Film inzwischen einen Zusammenhang zwischen einem toten Kind (Kathy), einem Kinderlied und dem Chessman-Haus etabliert - und einen seiner schauerlichsten Momente vorbereitet.

Kinderlied aus der Welt der Toten (1) (28 Bilder) [28]

[29]
The Changeling

Einmal probt Russell im Musikzimmer mit seinen Studenten. Draußen gibt es ein Gewitter. Als die Studenten gegangen sind hört er etwas, das ein Seufzen sein könnte oder vielleicht doch nur der Wind, der an einer undichten Stelle durch das Haus pfeift. Das Geräusch des Regens wird im Inneren des Gebäudes aufgenommen, irgendwo im Haus läuft Wasser. In der Küche hat jemand den Hahn aufgedreht. Russell stellt das Wasser ab, doch die Geräusche - das Seufzen und das laufende Wasser - sind noch da. Russell folgt ihnen, geht nach oben in den ersten Stock, weiter in den zweiten.

In einem alten Badezimmer brennt Licht, Wasser läuft in die Wanne. In der Badewanne sieht Russell ein ertrinkendes Kind, was Claire mit einer posttraumatischen Belastungsstörung erklärt, als er ihr davon berichtet. Dann fällt ihm beim Verlassen des Hauses, durch den Luftdruck herausgesprengt, das Stück einer farbigen Fensterscheibe vor die Füße. Dadurch wird er auf ein Dachzimmer aufmerksam. In einer Abstellkammer entdeckt er hinter einer Bretterwand eine mit einem altertümlichen Vorhängeschloss versperrte Tür und dahinter eine enge Treppe, die hoch zum mit Spinnweben überzogenen Zimmer eines Kindes führt.

Er findet den Rollstuhl für einen kleinen Menschen, ein von "C. B." im Januar 1909 datiertes Heft mit einer Kinderschrift und eine Spieldose. Die Walze in der Dose spielt das von Russell komponierte Kinderlied, Note für Note und in derselben Tonlage. Das ist auch beim zweiten oder dritten Sehen noch gruselig. Claire als Stimme der Vernunft spricht von einem Zufall, kriegt aber Zweifel, als John ihr das Zimmer zeigt. Von da an ist The Changeling ein Geisterfilm mit Krimielementen, und glücklicherweise besitzt die örtliche Bibliothek noch etwas, das viele gar nicht mehr kennen werden: Ein Lesegerät für die Mikrofilme, auf denen alte Zeitungsartikel archiviert sind.

Kinderlied aus der Welt der Toten (2) (24 Bilder) [30]

[31]
The Changeling

Johns und Claires Recherche ergibt, dass "C. B." für Cora Barnard steht. Die kleine Tochter eines Arztes wurde 1909 von einem Kohlewagen überfahren und erlag ihren Verletzungen. Auf dem Friedhof (wir sind jetzt tatsächlich in Seattle, im Lake View Cemetary [32]) finden Claire und John Coras Grab. "Sie müssen aus diesem Haus raus", sagt Claire, und dazu sehen wir die beiden von oben, aus der Geisterperspektive. Erst dachte ich, dass Cora Barnard die Geschichte unnötig verkompliziert. Sie ist aber Teil der Erzählstrategie des Films, der uns dauernd mit Jahreszahlen konfrontiert und uns so für die Frage sensibilisiert, was sie zu bedeuten und was sie mit der Gegenwart zu tun haben.

Der Familienname ist nicht schlecht gewählt. Ein anderer Arzt, Christiaan Barnard, wurde 1967 weltberühmt, weil er die weltweit erste Herztransplantation durchführte. So etwas könnte auch der herzlosen Gesellschaft gut tun, zu deren innerem Kern John Russell nun vordringen wird. Zurück im Chessman-Haus, und durch den Friedhofsbesuch stark aufgewühlt, sieht er sich Photos von seiner Frau und seiner Tochter an, die unter ganz ähnlichen Umständen wie Cora Barnard gestorben sind. Dann springt ein rotweiß gestreifter Ball mit unheimlich verstärktem Klang die Treppe herunter. Es ist der Ball von Kathy, der in der Aufsatztruhe liegen müsste.

In der eingangs bereits beschriebenen Szene fährt Russell auf eine Brücke, um den Ball ins Wasser zu werfen. Medak erzählt im Audiokommentar der neuen Blu-ray-Ausgabe, dass Scott beim Drehen dieser Szene, und besonders beim Blick über die Brüstung, extrem angespannt gewesen sei; für Scott, sagt Medak, sei das ein Moment gewesen, der über Gelingen oder Misslingen seiner Darstellung dieses Charakters entschied. Das lässt sich nachvollziehen. Scott musste den enormen Druck spürbar machen, unter dem Russell steht.

Gerade noch, beim Studium des Photoalbums, in eine da als tröstlich empfundene Vergangenheit eingetaucht, wirft er mit dem Ball auch die Erinnerung an seine Tochter und somit an eine Vergangenheit über die Brücke, die nun unerträglich für ihn geworden ist. Scott zeigt uns, reduziert auf Mienenspiel und Körpersprache, die Verzweiflung eines Mannes, der an seiner Trauer um den erlittenen Verlust zu zerbrechen droht. Auf dieser Ebene der Geschichte ist der Geist nur das Vehikel, mit dessen Hilfe wir uns der Psyche John Russells annähern.

Wieder daheim (im unheimlichen Haus) erfährt der Trauernde, dass man die Vergangenheit nicht einfach ins Meer werfen und dort versenken kann. Kaum hat er die Tür hinter sich zugemacht springt der Ball die Treppe herunter wie zuvor und bleibt vor ihm liegen, als wolle er ihm etwas mitteilen. Nur was? Das Perfide daran ist, und zugleich die Antwort darauf, warum Russell das Haus nicht sofort verlässt und ins Hotel zieht, dass mittels dieses Balls mit ihm kommuniziert wird und er also damit rechnen muss, dass es seine tote Tochter ist, die aus dem Jenseits Kontakt zu ihm sucht.

Der Geist der Manipulation

Nach dem gescheiterten Versuch, die Kontaktaufnahme abzuwehren, bleibt Russell nichts anderes übrig, als der Sache auf den Grund zu gehen, wenn er seine Tochter nicht verraten will. Hilfe erhofft er sich von den Experten. Im Institut für Parapsychologie rät ihm ein Herr im Forscherkittel - aber nur inoffiziell -, es mit einem Medium zu probieren. Die später oft kopierte, vermutlich von Jacques Tourneurs Night of the Demon inspirierte Séance gehört zu den Highlights des Films. Das vom Experten empfohlene Medium ist eine gesetzte Dame um die 60, Leah Harmon, die in Begleitung ihres Gatten erscheint und mit den geladenen Gästen (Claire und ihre Mutter) an einem Tisch Platz nimmt wie zu einer Bridgepartie.

Mrs. Harmon fällt in Trance, stellt Fragen an das unbekannte Wesen und kritzelt die Antworten - assistiert von Mr. Harmon - in einem Akt automatischen Schreibens auf Papier, während die Spannung steigt und der Geist, per subjektiver Kamera, das Zimmer unter dem Dach verlässt und sich auf den Weg nach unten macht. Resultat des automatischen Schreibprozesses: Das Gespenst ist nicht Cora Barnard, die tote Arzttochter. Es heißt Joseph, will mit John sprechen und bittet ihn um Hilfe. Das ist sehr gut gemacht, in der deutschen Synchronfassung leider weniger.

Der Geist der Manipulation (20 Bilder) [33]

[34]
The Changeling

Die Bearbeiter waren bestrebt, dem Publikum - weil eher dumm - die gedankliche Eigenleistung abzunehmen. Also ließen sie Mrs. Harmon einleitend zusammenfassen, was man sich im Original selber denken muss (und nicht so schwierig ist): John Russell hat Frau und Kind verloren und glaubt, dass es der Geist seiner toten Tochter Kathy ist, der zu ihm in Kontakt treten will. Das ist ein Irrtum, sagt das Medium. Das Original ist subtiler. Mrs. Harmon nimmt eine starke Präsenz wahr und stellt fest, dass es in dem Haus ein Wesen gibt, das versucht, auf dem Weg über Russells schweren Verlust Kontakt mit ihm aufzunehmen.

Was ist der Unterschied? Im Original erfährt Russell erst im Laufe der Séance, dass es doch nicht der Geist seiner Tochter ist, der mit ihm kommunizieren möchte. Auch in der deutschen Fassung sieht man in seinem Gesicht die starken Emotionen, mit denen er das zur Kenntnis nimmt, aber der Grund ist nicht mehr da, weil ihm schon vorher mitgeteilt wurde, was er im Original gerade erst begreift, wenn Mrs. Harmon Buchstaben auf das Papier schreibt und Mr. Harmon vorliest, was zu entziffern ist. Leuten, die einem Film so etwas antun, wünsche ich einen Poltergeist an den Hals.

Der erste Teil der Séance endet in beiden Fassungen, der deutschen und der englischen, mit der Erkenntnis, dass es da ein Kind gibt, dessen Geist nicht zur Ruhe kommen kann und einen Erwachsenen, zumal einen (gewesenen) Familienvater, um Hilfe bittet. Wer würde sich dem verschließen? Ein Kind (oder der Geist desselben) leidet, braucht Hilfe usw. Das ist ein starker emotionaler Appell. Nur im Original wird er konterkariert durch den einleitenden Befund, dass dieses Gespenst Russells Trauer als Mittel zum Zweck einsetzt, um eigene Ziele zu erreichen.

Der kleine Junge namens Joseph mag das Opfer eines bisher ungeklärten Verbrechens sein. Täter ist er aber auch, indem er Russells Leid instrumentalisiert und ihn ziemlich gnadenlos manipuliert. Erst suggeriert er ihm durch den Ball, dass es seine tote Tochter ist, die aus einer unsichtbaren Zwischenwelt die Hand nach ihm ausstreckt. Dann geht es zurück in die Vergangenheit und Kathy wird durch ein anderes kleines Mädchen ersetzt, Cora, das bei einem Verkehrsunfall gestorben ist wie Russells Tochter. So wird sichergestellt, dass Russell emotional involviert und bei der Stange bleibt.

Jetzt, da Russell auf die zu rekonstruierende Geschichte eingestiegen ist, wird offenbart, dass es weder Kathy noch Cora ist, die Kontakt zu ihm sucht, sondern der kleine Junge namens Joseph. Das hat auch eine selbstreflexive Komponente. Der Geist agiert wie ein Drehbuchautor oder ein Regisseur. So, wie Joseph Spuren für John Russell auslegt, die er entschlüsseln muss, zieht uns Peter Medak in die Filmhandlung hinein. Wir sollten also zur geistigen Mitarbeit bereit sein und nicht erwarten, dass alles für uns ausbuchstabiert wird wie in der die Subtilität des Films beschädigenden Synchronfassung. Und wir sollten mit einem Geist rechnen, der womöglich nicht so harmlos ist, wie es dem Kindchenschema entspricht.

Mit Ronald Reagan im Gespensterhaus

Filme entstehen nicht in einem Vakuum. Oft nehmen sie politische Stimmungen auf und transformieren sie in Geschichten, bevor reale Machtverhältnisse daraus geworden sind. Kubricks The Shining und The Changeling gehören mit dazu. Das Geisterhaus war eine geeignete Metapher für ein Amerika, das mit Ronald Reagan von einem Ex-Schauspieler regiert wurde, der einst für - nach US-Maßstäben - linke Positionen eingetreten war und sich als Parteigänger der Demokraten deklariert hatte, um dann nach rechts zu rücken, hin zu den Republikanern.

1950 unterstützte Reagan die als Kommunistin geschmähte Helen Gahagan Douglas, eine Kongressabgeordnete der Demokratischen Partei, im Senatswahlkampf gegen Richard Nixon. "Tricky Dick" Nixon steigerte damals seine Bekanntheit mit einem oft zitierten Satz: Helen Gahagan, warnte er die Wähler, sei "rot bis auf die Unterwäsche". 1964, vier Jahre nach Nixons Niederlage gegen John F. Kennedy, war Reagan Wahlhelfer von Barry Goldwater, dem Präsidentschaftskandidaten vom stramm konservativen Flügel der Republikaner, der gegen den Demokraten Lyndon B. Johnson ohne Chance war, aber den Rechtsruck innerhalb der Partei einleitete und langfristig das Feld für Donald Trump bereitete.

Reagans Leinwandkarriere endete damit, dass er einen Geldtransporter überfiel und von Lee Marvin erschossen wurde (1964 in Don Siegels The Killers). Manch ein Zeitgenosse konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine für überwunden gehaltene Vergangenheit durch die Gegenwart spukte, als er in der Gestalt eines Politikers wieder auftauchte - erst, von 1967 bis 1975, als Gouverneur von Kalifornien und dann landesweit, als Präsident. In einer öden Materialschlacht wie Steven Spielbergs Poltergeist ist das Gefühl für solche Zusammenhänge wenigstens noch als Erinnerung vorhanden, als Teil der Requisite. Da liegt der Held auf dem Bett und blättert in einem Buch über Reagan, bevor sein Kind im Fernseher verschwindet.

Poltergeist

Weil The Changeling gut konstruiert ist und die Musik eine wichtige Rolle spielt wird Russell erstmals auf das Gespenst aufmerksam, nachdem er ein Konzert besucht hat. Gedreht wurde im Orpheum [35] von Vancouver, das 1927 als Vaudeville-Theater eröffnet, in den frühen 1930ern in einen Filmpalast umgewandelt und Anfang der 1970er in Schachtelkinos zerstückelt wurde. Nachdem eine Bürgerbewegung den Abriss verhindert hatte wurde das Orpheum restauriert und 1977 als Konzerthaus wiedereröffnet. Seitdem ist es die Heimat des Symphonieorchesters von Vancouver.

Russell trifft dort Claire Norman und ihre Mutter. Claire stellt John als den Mann vor, der jetzt im Chessman-Haus wohnt. Ihrer Mutter fällt dazu nur ein, dass das ein sehr großes Haus ist. Wie aufs Stichwort hat Senator Joseph Carmichael seinen ersten Auftritt. Ihn spielt Melvyn Douglas, der Erfahrung mit Spukhäusern hatte, seit er in James Whales The Old Dark House (1932) der Familie Femm und ihrem Butler begegnet war. Neben Carmichael steht sein Sohn, ein Kongressabgeordneter, der die Familiendynastie fortsetzen und dem Vater einmal als Senator nachfolgen soll.

Mit Ronald Reagan im Gespensterhaus (10 Bilder) [36]

[37]
Old Dark House

Bei mir weckt das Assoziationen an Joseph McCarthy, den Senator aus Wisconsin. Das hat mit einer vagen Ähnlichkeit der Namen zu tun, mehr aber mit Melvyn Douglas, einem prominenten Vertreter des liberalen Hollywood. Er war mit derselben Helen Gahagan verheiratet, die gegen Nixon um einen Sitz im Senat kandidierte und bei einer Debatte im Kongress ungewollt für einen der Tiefpunkte der McCarthy-Ära sorgte, als sie John Rankin vom Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten fragte, welche Filme kommunistische Propaganda betreiben würden und warum (Reagan sagte vor dem Ausschuss als Zeuge aus und nannte die Namen mutmaßlicher Kommunisten).

Rankin antwortete mit einer als "Rede" etikettierten Denunziation. Der Abgeordnete las die Namen jüdischer Filmkünstler vor, die eine Petition an den Kongress unterzeichnet hatten, ergänzt um ihre bürgerlichen Namen, um sie zu "enttarnen". Danny Kaye hieß eigentlich David Daniel Kaminsky, Edward G. Robinson hieß Emmanuel Goldenberg und so weiter. Das war der reine Antisemitismus. Douglas, der in Ernst Lubitschs Ninotchka die sowjetische Agentin von der Überlegenheit des Westens und des Kapitalismus überzeugt, erhielt unfreiwillig einen Platz in diesem traurigen Kapitel der amerikanischen Geschichte, weil Rankin ihn sich für den Schluss seiner "Rede" aufsparte. Er hieß Melvyn Hesselberg.

Wechselbalg und Wendehals

Der Senator tritt in seiner Funktion als Philanthrop ans Rednerpult und bittet um Spenden für das Symphonieorchester. Dabei macht er auch etwas Werbung für sich und seine Partei. Claires Mutter kommentiert den Auftritt mit einer abfälligen Bemerkung. Damit John die Animosität ihrer Mutter richtig einordnen kann erläutert Claire: "Da spricht eine lebenslange Republikanerin über einen Demokraten." Viel zu kompliziert für das deutsche Publikum. "Jetzt müssen wir wieder hören, was sein Sohn für ein toller Bursche ist", sagt sie in der miserablen Synchronfassung.

Müssen wir nicht. Wir hören vom Senator, dem Anlass entsprechend, was die Symphoniker für ein tolles Orchester sind. Das Schlüsselwort im Originaldialog ist lebenslang. Mit Claires Mutter mokiert sich eine Frau über Carmichael, die immer in derselben Partei war. Das ist die erste von mehreren Anspielungen darauf, dass es beim Senator anders ist. Früher war er Republikaner, inzwischen ist er bei den Demokraten. Bei Ronald Reagan war es umgekehrt. Zunächst bekannte er sich zu den Demokraten, dann machte er als Kandidat der Republikaner Politkarriere.

Wechselbalg und Wendehals (15 Bilder) [38]

[39]
The Changeling

Reagan (und das, wofür er stand) spukt durch diesen Film wie der Geist durch das Chessman-Haus. Die Frage ist: Liege ich richtig mit meiner McCarthy-Assoziation, oder ist sie einem privaten Spleen geschuldet, der mit The Changeling nichts zu tun hat? Es gibt noch eine andere Möglichkeit, ohne dass diese die McCarthy-Ära, in der sich die Karriere des Filmstars Ronald Reagan erstmals mit der des Politikers kreuzte, ausschließen würde (als Vorsitzender der Schauspielergewerkschaft war Reagan auch als Funktionär in die unamerikanischen Umtriebe des berüchtigten Kongressausschusses involviert).

Für diese andere Möglichkeit spricht der Bezug zur Tagesaktualität. Zeitlich liegt sie näher an dem Film, der ein knappes Jahr vor Reagans Wahl zum US-Präsidenten im November 1980 entstand als der McCarthyismus. Es geht um Immobilien. Und um Filme. Wenn sie gut sind und mehr als ein Konsumprodukt, das man schnell wegschaut und genauso schnell wieder vergisst, liegt nicht alles gut sichtbar an der Oberfläche. Sie haben einen Subtext, der erschlossen werden will, weil Dinge besser haften bleiben, wenn gedankliche Eigenleistungen und ein Erkenntnisprozess damit verbunden sind.

Bei einem literarischen Text wie A Christmas Carol ist das nicht viel anders als bei The Changeling. Die Reise von Dickens’ Scrooge durch die Christnacht ist zugleich eine geographische und eine chronologische, in deren Verlauf in ihm die Erkenntnis reift, dass er so wie bisher nicht weitermachen darf, weil der Tod keine Taschen hat und die Profitgier in einem einsamen Grab endet, mit Leichenfledderern als Trauergästen. Solche Einsichten erhoffte sich Dickens auch von seinen Lesern. John Russell nimmt eine Tiefenbohrung in die Gesellschaft vor, indem er die Vergangenheit des Chessman-Hauses erforscht.

Als Zuschauer (und Zuschauerin) erhält man Hinweise wie den auf die Vergangenheit des Politikers und Unternehmers Joseph Carmichael, die einen zurück in die Gegenwart führen, also in die der Jahre 1979/80, als The Changeling entstand. Dabei ist es letztlich unerheblich, wer wann was mitteilen wollte oder vielleicht auch nicht und dafür die Geistergeschichte als Vehikel wählte wie einst Charles Dickens zur Weihnachtszeit. Bei einer kollektiven Anstrengung wie dem Film sind Fragen nach der Urheberschaft ohnehin sehr problematisch, wenn das Ziel darin besteht, eine bestimmte Person als Schöpfer der Fiktion zu identifizieren.

Codewort Carmichael

Oft kommt man weiter, wenn man Filme als Seismographen begreift, die kleine und große Beben in der Textur einer Gesellschaft registrieren, als kulturelle Produktionen, die osmotisch in sich aufnehmen, was gerade in der Luft liegt, und mitunter ganz unabhängig davon, was die Macher damit im Sinne hatten. Das beste Beispiel dafür ist Ghostbusters (das Original von 1984), der zum Transporteur des durch den Präsidenten Ronald Reagan verkörperten Zeitgeists (und deshalb zum Überraschungserfolg der Saison) wurde, obwohl angesichts der Vorgeschichte und der politischen Überzeugungen der Beteiligten ein ganz anderes Resultat zu erwarten gewesen wäre.

Am Anfang von The Changeling war, dem Produzenten Joel B. Michaels zufolge, das Wort. Russell Hunter, früher Musikarrangeur beim Fernsehsender CBS, hatte eine dreistündige Audiokassette mit einer Geschichte besprochen, die er selbst erlebt hatte. Auf Hunter kommen wir zurück, wenn wir einen Abstecher nach Denver machen, in die Hauptstadt von Colorado, denn The Changeling hält auch ein Reiseangebot für uns bereit. Michaels hörte sich die Kassette an und war so fasziniert, dass er Hunter die Geschichte abkaufte. Von Hunters Fähigkeiten als Drehbuchautor war er scheinbar nicht so überzeugt.

Michaels beauftragte zwei kanadische Autoren, aus der Geschichte ein Filmscript zu entwickeln. Mit dem Ergebnis war er nicht zufrieden. Also heuerte der ehemalige Schauspieler Michaels zwei Schauspieler an, Diana Maddox und William Gray, die beide das Fach wechseln wollten. Die biographischen Angaben zu Gray sind widersprüchlich. Mal ist er US-Amerikaner, mal ein nach Los Angeles übersiedelter Kanadier. Mag sein, dass da bewusst vernebelt wurde. Der Slasherfilm Prom Night, zu dem er anschließend das Drehbuch verfasste, ist auch eine dieser von der CFDC geförderten Abschreibungsproduktionen, bei denen das Kanadische hervorgehoben werden musste, und notfalls auch erfunden.

Diana Maddox war eine in der Theaterszene von Los Angeles aktive Engländerin (erster kurzer Filmauftritt in Brighton Rock, einem britischen Krimi von 1948), die 1981 einen Preis für ihre Inszenierung von Shakespeares Twelfth Night (Was ihr wollt) erhielt, einer Verwechslungskomödie mit Zwillingen und vertauschten Identitäten. Zusammen mit William Gray schrieb sie ein Drehbuch, von dem nicht genau überliefert ist, wie sehr es sich an der von Michaels verworfenen Fassung der beiden Kanadier orientierte, und ob überhaupt. Unklar ist auch, ob Donald Cammell dieses Drehbuch überarbeitete, als er noch der Regisseur war.

Es lässt sich nicht einmal mit Sicherheit sagen, mit wie viel Nachdruck Peter Medak seine Mitwirkung davon abhängig machen musste, dass ihm Trevor Williams ein viktorianisches Spukhaus baute. Vielleicht rannte er mit seiner Forderung offene Türen ein, weil das bis dahin vorgesehene (und offenbar eher moderne) Häuschen Teil der "künstlerischen Differenzen" war, deretwegen die Produzenten Cammell gefeuert hatten. Michaels sagt, dass er und Drabinsky eine "klassische Geistergeschichte" wollten und Cammell nicht. Mit dem alten viktorianischen Kasten, der auch ein Museum sein könnte, kam kurz vor Drehbeginn genau das Element hinzu, das dieser Geschichte noch fehlte.

John Russell findet bei seinen Nachforschungen heraus, dass das Chessman-Haus früher der Familie des Senators gehörte, den Carmichaels. Der Name ist der Schlüssel, der uns die Tür aufschließt. Das ist der Cliffhanger am Ende von Teil 2. Fortsetzung folgt. Die Auflösung gibt es im 3. (und letzten) Teil. Dort wird auch das Geheimnis des Chessman-Hauses gelüftet. Man erfährt, wer eine Leiche im Keller hat und aus welchen Gründen. Ich habe das für den Schluss aufgespart, um die Spoiler-Gefahr möglichst gering zu halten.

Falls jemand Lust auf den Film gekriegt hat: Die Kinowelt-DVD (Das Grauen) ist vergriffen, gebraucht aber noch zu finden. Neu auf Blu-ray bei Second Sight in England und bei Severin in den USA (beide Region Free).


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4267151

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Zwischen-Steuersenkung-und-Umverteilung-oder-auch-Schiess-nicht-auf-den-Weihnachtsmann-4253242.html
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266643.html?back=4267151;back=4267151
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266643.html?back=4267151;back=4267151
[4] https://www.heise.de/tp/features/Zwischen-Steuersenkung-und-Umverteilung-oder-auch-Schiess-nicht-auf-den-Weihnachtsmann-4253242.html
[5] https://www.vancouvertrails.com/trails/hollyburn-mountain/
[6] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266693.html?back=4267151
[7] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266693.html?back=4267151
[8] https://qz.com/176613/ghostbusters-harold-ramis-greatest-movie-ever-about-republican-economic-policy/
[9] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266714.html?back=4267151
[10] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266714.html?back=4267151
[11] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266740.html?back=4267151
[12] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266740.html?back=4267151
[13] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266761.html?back=4267151
[14] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266761.html?back=4267151
[15] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266766.html?back=4267151
[16] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266766.html?back=4267151
[17] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266848.html?back=4267151
[18] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266848.html?back=4267151
[19] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266871.html?back=4267151
[20] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266871.html?back=4267151
[21] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266904.html?back=4267151
[22] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266904.html?back=4267151
[23] https://www.youtube.com/watch?v=5K6BIT6-irs
[24] https://www.howardblake.com/music/Instrumental-Music/Piano/936/The-Music-Box-extract-Lifecycle-theme-from-the-film-The-Changeling.htm
[25] https://www.thecanadianencyclopedia.ca/en/article/rick-wilkins-emc
[26] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266919.html?back=4267151
[27] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266919.html?back=4267151
[28] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266956.html?back=4267151
[29] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266956.html?back=4267151
[30] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266989.html?back=4267151
[31] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4266989.html?back=4267151
[32] http://lakeviewcemeteryassociation.com/
[33] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4267063.html?back=4267151
[34] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4267063.html?back=4267151
[35] https://vancouvercivictheatres.com/venues/orpheum/
[36] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4267112.html?back=4267151
[37] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4267112.html?back=4267151
[38] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4267092.html?back=4267151
[39] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4267092.html?back=4267151