Staatstrojaner durchgewinkt: SPD-Fraktion ignoriert Parteichefin und Nachwuchs
Der Verfassungsschutz bekommt Zugriff auf die Kommunikation über verschlüsselte Messenger-Dienste. Den politischen Preis dafür zahlt in der Großen Koalition wohl der Juniorpartner
SPD-Chefin Saskia Esken war dagegen, aber die Bundestagsfraktion ihrer Partei stimmte als Teil der Großen Koalition mit den Unionsparteien dafür: Der Inlandsgeheimdienst bekommt ebenso wie die Bundespolizei Zugriff auf die Kommunikation über WhatsApp und andere verschlüsselte Messenger-Dienste. Er soll dort im Einzelfall mitlesen dürfen, wenn eine entsprechende Anordnung vorliegt. Die entsprechende "Anpassung des Verfassungsschutzrechts" wurde am Donnerstag im Bundestag beschlossen. Unionspolitiker hatten dort in einer Aussprache vor der Abstimmung erklärt, damit käme der Inlandsgeheimdienst mit seinen Möglichkeiten wieder auf dem Stand an, auf dem er schon vor der Erfindung von Internet und Mobilfunk gewesen sei.
CDU-Logik: Die Zeit der Rauchzeichen ist vorbei
In Zeiten von "Rauchzeichen" und "Topfschlagen" sei die Kommunikation leicht zu abzuhören und zu entschlüsseln gewesen, argumentierte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU). "Irgendwann sind wir dann zum Telefon übergegangen", so Middelberg. Heute würden aber nicht mehr so viele Menschen analog telefonieren. Beim Zugriff auf die verschlüsselte Kommunikation gehe es nur "um eine sehr überschaubare Zahl von Fällen im Jahr, so Middelberg. "Es geht nicht um 80 Millionen Bundesbürger." Außerdem werde die Kommunikation ja nur von "unserem Verfassungsschutz" mitgelesen, also von Sicherheitsbehörden. "Sachlich muss der Eingriff begründet sein", betonte er. Darüber wache die G-10-Kommission, bestehend aus sechs Personen, die für das Richteramt befähigt seien. Der Name dieses Gremiums bezieht sich auf den Grundgesetzartikel 10, der das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis regelt.
Die Reform des Verfassungsschutzgesetzes war in der Koalition zunächst umstritten gewesen. Ein erster Entwurf war den anderen Ministerien bereits im März 2019 zur Stellungnahme übersandt worden. Damals sah er für die Geheimdienste auch noch die Erlaubnis für "Online-Durchsuchungen" vor. Darunter versteht man den verdeckten Zugriff auf Computer, Smartphones und andere IT-Geräte, deren Daten dann ausgelesen werden können.
Letzteres wollten allerdings auch SPD-Abgeordnete nicht mittragen, die den Zugriff auf verschlüsselte Messenger-Dienste vehement befürworteten. "Denn dort und nirgendwo anders kann man fast schon sagen, kommunizieren die Feinde der freiheitlich demokratischen Grundordnung", argumentierte der SPD-Politiker Uli Grötsch.
Die Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD (Jusos) hatte versucht, die Abgeordneten in einem offenen Brief umzustimmen. Darin heißt es unter anderem:
Wir möchten euch erinnern, dass insbesondere die Arbeit der Verfassungsschutzämter in den letzten Jahren vor allem durch Skandale geprägt war. Diesen Behörden mehr Möglichkeiten einzuräumen, ist nicht klug.
(Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD)
Zudem warnten die Parteinachwuchsorganisation vor Glaubwürdigkeitsverlusten, die sich die SPD durch den Kompromiss mit der den Unionsparteien "in dieser politischen Phase kurz vor Ende der Legislatur" einhandeln könnte.
SPD-Chefin Saskia Esken hatte am Mittwoch via Twitter erklärt, sie halte die Entscheidung für den Einsatz von "Staatstrojanern" auch weiterhin für falsch, vor allem in den Händen von Geheimdiensten. "Diese Form der Überwachung ist ein fundamentaler Eingriff in unsere Freiheitsrechte und dazu ein Sicherheitsrisiko für unsere Wirtschaft", hatte Esken betont.
Diesen Satz zitierte am Donnerstag im Bundestag der Oppositionspolitiker Stephan Thomae (FDP) und rief die SPD-Fraktion auf, entsprechend abzustimmen: "Folgen Sie ihrer Bundesvorsitzenden!"
Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz warf der Großen Koalition vor, sie komme in den letzten parlamentarischen Stunden dieser Legislatur mit "verheerenden" und "verfassungsrechtlich hochproblematischen Instrumenten um die Ecke". Für den Einsatz der Trojaner seien Sicherheitslücken erforderlich, die auch andere Geheimdienste oder Kriminelle nutzen könnten - und dies betreffe dann sehr wohl die Datensicherheit von 80 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern. Ihnen werde "ein IT-Sicherheitsrisiko ersten Ranges" zugemutet.
AfD fürchtet Linksdrall im Bundesinnenministerium
Auch die AfD-Fraktion meldete Bedenken an, allerdings aus ihrer ganz eigenen Perspektive, da aus ihrer Sicht das Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer (CSU) als Dienstherr des Verfassungsschutzes möglicherweise zu links ist: Im Inlandsgeheimdienst gehe es darum, Personen oder Gruppen auszuspähen und "öffentlich zu brandmarken", erklärte der AfD-Abgeordnete Roland Hartwig. "Nicht jeder der zunehmend links orientierten Politiker" könne der Versuchung widerstehen, den Geheimdienst als politische Waffe im "Kampf gegen Rechts" einzusetzen, betonte er.
Als Kronzeugen führte er ausgerechnet den ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen an, der dem CDU-Rechtsaußenflügel WerteUnion angehört. Maaßen habe in der Preußischen Allgemeinen Zeitung erklärt, auf ihn sei während seiner Amtszeit "massiver persönlicher Druck" ausgeübt worden, doch endlich die AfD zu beobachten". Dabei habe er den Eindruck gewonnen, er solle parteipolitisch instrumentalisiert werden. Letzteres hindert Maaßen allerdings aktuell nicht daran, in Südthüringen auf dem Ticket der Unionsparteien in den Bundestag einziehen zu wollen.
Der Linken-Politiker André Hahn bekräftigte in der Aussprache am Donnerstag die Forderung seiner Fraktion, den Verfassungsschutz als Geheimdienst aufzulösen und durch eine "Unabhängige Beobachtungsstelle Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" zu ersetzen. Ein entsprechender Antrag der Linksfraktion mit dem Titel "Zivilgesellschaft stärken, Verfassung wirksam schützen" wurde mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. Auch für einen Antrag der Grünen mit der Überschrift "Neustart des Verfassungsschutzes des Bundes" stimmten nur die Antragsteller, die Linksfraktion enthielt sich, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab.
Weitere Anträge der Opposition abgelehnt
Keine Mehrheit fanden auch die Anträge der FDP-Fraktion "Freiheit und Sicherheit schützen - Für eine Überwachungsgesamtrechnung statt weiterer Einschränkungen der Bürgerrechte" (19/23695) und "Bürgerrechte und Sicherheit schützen - Für einen wirksamen Verfassungsschutz" (19/16875). Den ersten Antrag lehnten die Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der AfD und der Linken bei Zustimmung von FDP und Grünen ab. Den zweiten lehnten die Koalition und die Linksfraktion bei Enthaltung von AfD und Grünen ab.
Zwei Gesetzentwürfe der AfD zur "Stärkung der Verfassungsmäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit im Bundesverfassungsschutzgesetz" (19/30406) sowie zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz, 19/30412) wurden zur weiteren Beratung an den Innenausschuss überwiesen.