Ständige Impfkommission: Aktualisierte Impfempfehlung zu Covid-19
Basisimmunität gegen Sars-CoV-2 in Bevölkerung. Ältere ab 60 und Personen mit bestimmten Grunderkrankungen stärker gefährdet. Ab 18 Jahren Basisimmunität. (Teil 3 und Schluss)
Der aktualisierten Covid-19-Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (Stiko) liegen einerseits die schon dargestellten Daten zur Sicherheit bzw. Wirksamkeit der zugelassenen Covid-19-Impfstoffe zugrunde.1
Andererseits beruhen diese Impfempfehlungen auf der grundsätzlichen Einschätzung, dass es sich bei der Covid-19-Pandemie nicht um eine übliche relativ harmlose saisonale Grippe, sondern um eine ernstzunehmende virale Infektionserkrankung der Atemwege und vieler weiterer Organe handelt, die in vielen Fällen auch mit Langzeit-Folgen (Long- bzw. Post-Covid) einhergeht.
Teil 1: Was wir Mitte 2023 über die Sicherheit und Wirksamkeit von Covid-19-Impfstoffen wissen
Teil 2: Gute Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe gegen schwere Krankheitsverläufe
"Covid-19 schwerste Atemweg-Pandemie seit Spanischer Grippe"
Dieser Aspekt ist von dem Mediziner, Historiker und Sozialwissenschaftler Karl Heinz Roth schon nach dem ersten Jahr der Pandemie in seinem verdienstvollen Buch Blinde Passagiere. Die Coronakrise und ihre Folgen aufgrund der damals vorliegenden wissenschaftlichen Literatur gründlich aufgearbeitet und klargelegt worden.2
Im Kapitel "Covid-19 im historischen Pandemievergleich" hat Roth in seinem Buch (S. 217- 224) die schweren Influenza-Pandemien des 20. und 21. Jahrhunderts (Spanische Grippe 1918-1920, Asiatische Grippe 1957-1958, Hongkong-Grippe 1968-1970, Influenza-Pandemie 2017-2018) hinsichtlich der geschätzten Zahl der Todesopfer weltweit bzw. in Deutschland und der festgestellten Sterblichkeitsraten miteinander verglichen.
Das Ergebnis war für den Autor schon zu diesem frühen Zeitpunkt nach gut einem Jahr Pandemie-Verlauf klar: Covid-19 ist zwar mit der Spanischen Grippe 1918-1920 mit weltweit ca. 40 bis 50 Mio. Todesopfern nicht zu vergleichen. Aber abgesehen davon war diese Erkrankung die schwerste Viruspandemie des Atemsystems, die die Menschheit seit dieser Katastrophe am Ende des 1. Weltkriegs heimgesucht hat.
Die Sterblichkeit von Covid-19 war um ein Mehrfaches höher als bei den angeführten schweren Influenza-Pandemien und ein Vielfaches höher als bei der üblichen saisonalen Grippe, wobei bei diesem Vergleich mögliche weitere Folgeerkrankungen wie Long- bzw. Post-Covid unberücksichtigt bleiben.
Bei der Analyse der Daten der mir zur Verfügung stehenden aktuellen Literatur bin ich im Oktober 2020 zu ähnlichen Ergebnissen über die Gefährlichkeit von Covid-19 gekommen.3
Heute kann festgestellt werden, dass seit Anfang Februar 2020 bis Mitte Juni 2023 weltweit etwa 7 Mio. Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 verstorben und in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt etwa 174.000 Todesfälle registriert worden sind.
Angemerkt sei hier noch, dass Roth mit "Blinde Passagiere" schon Anfang 2022 eine gut lesbare und höchst beachtenswerte Untersuchung der Covid-19-Pandemie vorgelegt hat, die leider von den Medien, aber auch den alternativen, viel zu wenig beachtet worden ist. Wäre das der Fall gewesen, hätten möglicherweise eine Reihe von Missverständnissen in der politischen Auseinandersetzung über die Corona-Maßnahmen vermieden werden können.
Roth geht in seinem Buch mit der ihm eigenen Gründlichkeit den epidemiologischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aspekten der Pandemie nach und benennt die gesundheitspolitischen Versäumnisse, aufgrund derer das frühzeitige Eindämmen der Pandemie scheiterte, positioniert sich als Kritiker pauschaler Lockdowns und skizziert eine alternative, auf autoritäre Maßnahmen verzichtende Pandemie-Politik, die pharmakologische Maßnahmen, d. h. geeignete Medikamente und eine weltweit gerechte Verteilung von Covid-19-Impfstoffen, einschließt.4
Aktuelle Impfempfehlungen der Stiko
Wie meinen bisherigen Ausführungen zum Thema der Covid-19-Impfungen5 liegt auch den folgenden Ausführungen der schon mehrfach zitierte umfangreiche Artikel der Stiko zugrunde.6
Die Covid-19-Impfempfehlungen der Stiko haben seit Beginn der Impfkampagne im Winter 2020/2021 das vordringliche Ziel, schwere Verläufe (Hospitalisierungen und Todesfälle) und Langzeitfolgen von Covid-19 zu verhindern sowie Beschäftigte in der medizinischen und pflegenden Versorgung vor Sars-CoV-2-Infektionen zu schützen.
Beim Übergang von der pandemischen in die endemische Phase des Infektionsgeschehens hat sich die Stiko mit der Überführung der bisherigen Empfehlungen in eine längerfristige Covid-19-Impfempfehlung befasst.
Die folgende aktualisierte Empfehlung soll hiermit in den Impfkalender der Stiko-Empfehlungen integriert werden.
Ausgeprägte Basisimmunität in der Bevölkerung vorhanden
Im Frühjahr 2023, im 4. Jahr seit Beginn der Covid-19-Pandemie, besteht in der Bevölkerung in Deutschland eine ausgeprägte Basisimmunität gegen Sars-CoV-2. Es wird geschätzt, dass mindestens die Hälfte der Bevölkerung eine Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht hat und mindestens 95 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Deutschlands durch Impfung und/oder Infektion Kontakte mit Sars-CoV-2-Antigenen hatten.
Die sogenannte hybride Immunität, d.h. die Kombination aus Impfung und Infektion, verleiht einen guten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen nach Sars-CoV-2-Infektionen, der entsprechend vieler bisher verfügbarer wissenschaftlicher Untersuchungsergebnisse mindestens 12 Monate anhält.7
Die seit Ende 2022 zirkulierende Omikron-Variante von Sars-CoV-2 und ihre weiterhin dominanten Sublinien haben aufgrund der leichteren Übertragbarkeit im Vergleich zu den vorherigen Sars-CoV-2-Varianten zu sehr hohen Infektionsfallzahlen geführt. Aufgrund der gegenüber früheren Virusvarianten aber geringeren Pathogenität verläuft der überwiegende Teil der Omikron-Infektionen mild oder sogar asymptomatisch.
Ältere Personen ab 60 Jahren und solche mit bestimmten Grunderkrankungen stärker gefährdet
Personen im Alter ab 60 Jahren sind grundsätzlich stärker gefährdet, nach einer Sars-CoV-2-Infektion schwer an Covid-19 zu erkranken oder zu versterben, wobei das Risiko einer ernsten Erkrankung in dieser Altersgruppe mit fortschreitendem Alter kontinuierlich zunimmt.
Bedrohlich ist Covid-19 für immundefiziente Personen jeglichen Alters, für Personen mit bestimmten Grundkrankheiten sowie für Betreute in Pflegeeinrichtungen (siehe unten).
Trotz des enormen Wissenszuwachses zur Epidemiologie, Pathogenese und Immunkontrolle von Sars-CoV-2-Infektionen sowie zur Wirksamkeit und Sicherheit der Covid-19-Impfstoffe fehlen aktuell noch wichtige Informationen. So kann nicht vorausgesagt werden, wie sich die Virusvarianten weiterentwickeln, ob eventuell neue Immunfluchtvarianten auftreten oder ob virulentere Varianten entstehen werden.
Auch fehlen Daten zur Dauer des Immunschutzes nach Varianten-adaptierter Impfung bzw. nach dem Erlangen einer hybriden Immunität. Deshalb werden Anpassungen der Impfempfehlung ggf. zu einem späteren Zeitpunkt durch die Stiko erfolgen.
Aktuelle Empfehlung für zukünftige Covid-19-Impfungen
Auf Basis der aktuell verfügbaren Daten zur Krankheitslast, zu den Risikofaktoren für einen schweren Covid-19-Verlauf und Langzeitfolgen von Covid-19, den Daten zu Wirksamkeit und Schutzdauer der hybriden Immunität sowie zu den Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten der Varianten-adaptierten bivalenten mRNA-Impfstoffe spricht die Stiko die nachfolgend zusammengefassten Empfehlungen für zukünftige Covid-19-Impfungen aus.
Die neue Covid-19-Impfempfehlung ist ab sofort Bestandteil der allgemeinen Empfehlungen der Stiko 2023 (Epidemiologisches Bulletin 4/2023; aktualisierte Online-Version).
Nach der neuen Covid-19-Impfempfehlung der Stiko sollen alle Personen im Alter von 18 Jahren und älter über eine Basisimmunität gegen Sars-CoV-2 verfügen.
Eine Basisimmunität wird durch mindestens drei Sars-CoV-2-Antigenkontakte (Impfung oder Infektion) erreicht. Für den Aufbau einer bestmöglichen Basisimmunität sollten nach Einschätzung der Stiko mindestens zwei der drei Antigenkontakte als Impfung erfolgt sein.
Da keine routinemäßigen Sars-CoV-2-Testungen mehr durchgeführt werden, ist davon auszugehen, dass zukünftig in der Regel nur noch symptomatische Covid-19 Verläufe labordiagnostisch gesichert werden. Noch fehlende Antigenkontakte sollen deshalb durch Impfungen mit zur Grundimmunisierung oder Auffrischimpfung zugelassenen und von der Stiko empfohlenen Covid-19-Impfstoffen komplettiert werden.
Es ist nicht notwendig, eine möglicherweise stattgehabte Infektion serologisch abzuklären. Bei der Covid-19-Impfserie zur Erreichung der Basisimmunität sollte zwischen der 1. und 2. Impfstoffdosis ein Mindestabstand von drei Wochen (entsprechend der Fachinformation des jeweils verwendeten Impfstoffs) und zwischen der 2. und 3. Impfstoffdosis ein Mindestabstand von 6 Monaten eingehalten werden.
Eine Infektion sollte in der Regel nur dann als ein Ereignis für die angestrebten drei Antigenkontakte gewertet werden, wenn der Abstand zur vorangegangenen Impfung mindestens 3 Monate beträgt. Umgekehrt sollte nach einer Infektion eine Grundimmunisierung frühestens drei Monate später vervollständigt werden.
Auffrischimpfungen: Wer sollte sie erhalten und wer nicht?
Personen im Alter von 60 Jahren und älter, Personen ab dem Alter von 6 Monaten mit einer Grundkrankheit, die mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf einhergeht, Personen jeden Alters mit einem erhöhten arbeitsbedingten Infektionsrisiko in der medizinischen und pflegenden Versorgung mit direktem Kontakt zu Patient:innen- oder Bewohner:innen sowie Familienangehörige und enge Kontaktpersonen von Personen, bei denen durch Covid-19-Impfung vermutlich keine schützende Immunantwort erzielt werden kann, sollen zukünftig weitere Auffrischimpfungen, in der Regel im Mindestabstand von 12 Monaten zur letzten bekannten Antigenexposition, erhalten.
Sofern die letzte bekannte Antigenexposition bereits mindestens zwölf Monate zurückliegt, soll die Auffrischimpfung vorzugsweise im Herbst verabreicht werden.
Gesunden Erwachsenen, die 60 Jahre und jünger sind, sowie Schwangeren werden derzeit keine weiteren Auffrischimpfungen empfohlen.
Ebenso wird Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen ohne Grundkrankheiten aufgrund der inzwischen überwiegend milden Verläufe und ihrer sehr geringen Hospitalisierungsinzidenz derzeit keine Covid-19-Grundimmunisierung oder Auffrischimpfung empfohlen.
Vorgehen bei Covid-19-Impfung abhängig von Alter und Grundkrankheit
Personen, die aufgrund ihres Alters, einer neu aufgetretenen Grundkrankheit oder einer neuen arbeitsbedingten Exposition eine Indikation für den Aufbau einer Basisimmunität oder eine Indikation zur Auffrischimpfung erlangen, sollen entsprechend den oben genannten Empfehlungen geimpft werden.
Zu den Grundkrankheiten mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf gehören:
- chronische Erkrankungen der Atmungsorgane (z.B. chronisch-obstruktive Lungenerkrankung- COPD),
- chronische Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenerkrankungen,
- Diabetes mellitus und andere Stoffwechselerkrankungen,
- Adipositas,
- Erkrankungen des Zentral-Nervensystems, wie z.B. chronische neurologische Erkrankungen, Demenz oder geistige Behinderung, psychiatrische Erkrankungen oder zerebrovaskuläre Erkrankungen,
- Trisomie 21,
- angeborene oder erworbene Immundefizienz (z.B. HIV-Infektion, chronisch-entzündliche Erkrankungen unter relevanter immunsupprimierender Therapie, Zustand nach Organtransplantation),
- aktive Krebskrankheiten.
Bei immundefizienten Personen mit einer relevanten Einschränkung der Immunantwort (z.B. nach Organ- oder Stammzelltransplantation, Hämodialyse-Patient:innen) können zusätzlich zu den bei Immungesunden empfohlenen drei Antigenkontakten zum Erreichen einer Basisimmunität weitere Impfstoffdosen in einem Mindestabstand von je 4 Wochen notwendig sein, je nach Einschätzung der behandelnden Ärzt:innen, ggfs. nach zusätzlicher Antikörperkontrolle.
Die Impfantwort kann serologisch mittels quantitativer Bestimmung spezifischer Antikörper gegen das Sars-CoV-2-Spikeprotein überprüft werden. Dies sollte frühestens 4 Wochen nach Verabreichung einer Impfstoffdosis erfolgen.
Sollte trotz wiederholter Impfstoffgabe keine ausreichende Immunantwort erzielt worden sein, kann die Dosis als off-label-Anwendung erhöht, z.B. verdoppelt werden, oder ein Impfstoff, der auf einer anderen Technologie beruht, verwendet werden (z. B. Nuvoxavid oder Valneva).
Um die erzielte Schutzwirkung aufrechtzuhalten, kann es erforderlich sein, den bei Immungesunden empfohlenen Mindestabstand von 12 Monaten für weitere Auffrischimpfungen zu verkürzen.
Die Angaben zu den derzeit in Deutschland zugelassenen und von der Stiko empfohlenen Covid-19-Impfstoffen für die Grundimmunisierung und die Auffrischimpfung sind in Tabelle 20 des Stiko-Artikels8 aufgelistet.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
1. Die Empfehlung zur Durchführung einer Impfung zur Prävention gegen Covid-19 beruht vor allem auf einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung. Dabei spielt die Sicherheit der Impfung zur Einschätzung des Risikos eine entscheidende Rolle.
2. Wenn man die geschilderten Daten über die Sicherheit und Wirksamkeit der Covid-19-Impfung zusammenfasst, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Nutzen einer Impfung mit den zugelassenen mRNA-Impfstoffen das Risiko, durch diese Impfstoffe schwerwiegende Nebenwirkungen und Impfkomplikationen zu erleiden, bei Weitem überwiegt.
3. Das gilt besonders für Personen im Alter von 60 Jahren und älter und solchen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf der Covid-19-Infektion.
4. Diesem Personenkreis wird von der Stiko eine Basisimmunität mit mindestens drei Antigenkontakten durch Impfungen bzw. Infektionen empfohlen und, falls diese schon vorhanden ist, auch regelmäßige Auffrischimpfungen im Abstand von etwa 12 Monaten vom letzten Antigenkontakt.
5. Die Stiko empfiehlt Impfungen auch für gesunde Personen ab dem 18. Lebensjahr. Ob diese Gruppe, insbesondere junge Männer im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, tatsächlich von einer Impfung profitiert, erscheint mir fragwürdig.9
6. Für Personen, die Vorbehalte gegenüber der Covid-19-Impfung mit den neuartigen genetische (genbasierten) Impfstoffen haben, stehen mittlerweile auch andere zugelassene Impfstoffe zur Verfügung. Dazu gehören seit Anfang 2022 der proteinbasierte Impfstoff Nuvaxovid10 und seit Ende 2022 auch das traditionelle Vakzin Valneva11, bei dem es sich um einen inaktivierten Ganzvirus-Impfstoff, einen sogenannten "Totimpfstoff", handelt.
7. Die Durchführung der Covid-19-Impfungen sollte ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgen, denn es handelt sich ja bei Sars-CoV-2 nicht um ein "Killervirus", das z. B. mit dem Pockenvirus zu vergleichen wäre.
Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.