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"Steigende Gaspreise haben nichts mit der Energiewende zu tun"

David Goeßmann. Bild: privat

Der Sachbuchautor David Goeßmann über die Bilanz der UN-Klimakonferenz in Glasgow, Klimaschuldner und -gläubiger und die Energiepreiskrise

David Goeßmann, geboren 1969 in Rüthen (Westfalen), studierte Germanistik und Philosophie in Berlin. Als Journalist war er unter anderem für den Deutschlandfunk, die Deutsche Fernsehnachrichten Agentur, ntv, CNN Deutschland und N24 tätig. Von 2005 bis 2007 arbeitete er als freier Auslandskorrespondent in den USA für den ARD-Hörfunk, Spiegel Online und Die Welt. Als Autor lieferte er Beiträge für die TV-Magazine ZDF WISO, Frontal 21 und ZAPP. Dieses Jahr erschien von ihm im Verlag Das Neue Berlin "Kurs Klimakollaps [1]".

Auszug aus dem Buch Kurs Klimakollaps: "Rechter Kulturkampf gegen die Klimakrise [2]"

Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow ist unlängst deutlich geworden, dass die Klimafrage zu einem Thema der Geopolitik wird. In einem Bericht der US-Geheimdienste zu den Folgen von Klimawandel und Erderhitzung werden diese Phänomene gar als Gefahr für die nationale Sicherheit bezeichnet. Wäre nicht mehr Kooperation nötig?
David Goeßmann: Zuerst einmal: Wenn US-Geheimdienst über nationale Sicherheit sprechen, dann ist damit nicht die Sicherheit von einem Fabrikarbeiter in Kansas City oder einer Verkäuferin in der Bronx gemeint. "Nationale Sicherheit" ist ein Codewort für mächtige Interessengruppen, die den politischen Kurs in den USA dominieren.
In der Geopolitik bezieht sich "nationalen Sicherheit" auf die Kontrolle über Regionen, die von den USA für wichtig erachtet werden. In einem Papier des Außenministeriums an den damaligen US-Präsidenten Harry Truman hieß es schon 1945, dass in der Golfregion eine "überwältigende Quelle strategischer Macht und einer der größten materiellen Gewinne in der Weltgeschichte" zu finden seien.
David Goeßmann: Kurs Klimakollaps - Das große Versagen der Politik [3].
Das Neue Berlin, 18,– €, ISBN 978-3-360-01364-4
Die Kontrolle über die dort lagernden Ressourcen wird durch die Klimakrise nun tatsächlich gefährdet. Erstens: Die Förderung fossiler Brennstoffe muss zur Stabilisierung der Erdtemperatur kontinuierlich abnehmen, um bis spätestens zur Jahrhundertmitte auf null zu kommen. Nur dann haben wir eine Chance, unter zwei Grad Celsius Erderhitzung zu bleiben. Das würde unmittelbar die ökonomischen Interessen eines mächtigen Teils der US-Industrie, deren Vormachtstellung auf der Ölindustrie und der Kontrolle über fossile Ressourcen aufbaut, infrage stellen.
Zugleich wird auch die militärische Dominanz untergraben. Denn das US-Militär ist der größte Einzelnachfrager nach fossilen Brennstoffen. Ohne Öl wird es schwer werden, die Armada an Panzern, Kampfjets, Militärfahrzeugen, Raketen und Waffensystemen aufrecht zu halten.
Und drittens: Die Effekte der Erderhitzung wie schwere Dürren, Überschwemmungen und Stürme, wie sie bereits stattfinden und in Zukunft zunehmen, beeinflussen jetzt schon die wirtschaftliche und politische Stabilität ganzer Regionen. Der Konflikt in Syrien wurde zum Beispiel entzündet durch jahrelange Dürren. Solche chaotischen Entwicklungen machen es für die USA schwerer, Kontrolle über strategisch wichtige Zonen zu behalten.
Weiterhin befördert die eskalierende Klimakrise Proteste gegen die fossile Hegemonie der USA. Klimagerechtigkeitsbewegungen erhalten zunehmend Macht, kämpfen global wie in den USA für ein anderes, dezentrales und demokratisches Energiesystem, welches zu einem Machtverlust der fossilen Businessklasse in den Vereinigten Staaten führen würde.
Die Kämpfe um den klimaneutralen Infrastrukturumbau im US-Kongress, das Pushen von Green-New-Deal-Bewegungen sowie -Politiker:innen, zeigen den Grad der Gefährdung der "nationalen Sicherheit". Die Bewahrung von fossilen Profiten für ExxonMobil, Koch Brothers & Co. trifft zunehmend auf Gegenkräfte, bei denen nicht ausgemacht ist, wann sie den Ölhahn zudrehen können.Die nationalen Interessen stehen der Lösung der Klimakrise also entgegen.
David Goeßmann: Eine Lösung der Klimakrise wird es nur geben können, wenn diese "nationalen Interessen" überwunden werden und internationale Kooperation an ihre Stelle tritt. Die USA haben aber bisher diese Zusammenarbeit blockiert. Das lässt sich an der Klimadiplomatie und den 26 Klimagipfeln seit den 1990er-Jahren ablesen.
Das Kyoto-Abkommen haben die USA erst verwässert und sind später daraus ausgestiegen. In Kopenhagen 2009 hat die Obama-Administration durchgesetzt, dass es keine verpflichtenden Klimaziele mehr gibt.
Die Entwicklungsländer wurden im Regen stehen gelassen mit ihren Bedürfnissen und Forderungen nach Klimagerechtigkeit, brüskiert mit unfairen Reduktionsforderungen, Alleingelassen mit den Klimaschäden, die die Industriestaaten hauptsächlich verursacht haben, und abgespeist mit Almosen, die meist zudem nicht einmal zusätzliche Zahlungen sind. Das gilt bis heute, trotz der umjubelten Klimagipfel von Paris bis Glasgow.
Es wird auch im Zuge der COP26 (Conference of the Parties) in Glasgow wieder über die Klimatreffen der USA mit China geredet. Die Gespräche werden dann meist als positives Zeichen für Klima-Kooperation gewertet. Sicherlich sind diese beiden Staaten ein zentraler Schlüssel, um die Welt vor den schlimmsten Folgen der Erderhitzung zu bewahren.
Es ist daher gut, dass sie miteinander reden. Wir sehen aber, dass das bilaterale Verhältnis der beiden Staaten in Sachen Klimapolitik toxisch ist. Da die USA kein Interesse an echtem Klimaschutz haben und bremsen, setzen sie die chinesische Regierung immer wieder in solchen Treffen unter Druck, Forderungen gegenüber den Industriestaaten in Sachen Emissionsreduktion, Klimafinanzierung und Entschädigung fallen zu lassen.
Gleichzeitig ist China beim Klimaschutz auf "Anreize" von außen, in Form von technischer und ökonomischer Zusammenarbeit und Hilfe vonseiten der Industriestaaten, angewiesen, um schneller zu dekarbonisieren. Daher führen die Treffen wie COP26 in Glasgow bisher zu keinem Fortschritt, sondern bieten nur Fassadenpolitik ohne Inhalt.

Irreführende Darstellung zu China

Was also tun?
David Goeßmann: Europa könnte hingegen einen alternativen Weg beschreiten und eine echte Allianz mit der G77-Verhandlungsgruppe, ein Zusammenschluss von 130 Entwicklungsländern, dem auch China angehört, und den Inselstaaten formen.
Das ist bisher nicht geschehen und wird auch nicht automatisch passieren, da in der EU die fossilen Lobbys weiter über sehr viel Einfluss verfügen und den Prozess verlangsamen.
Die Klimabewegungen und die Zivilgesellschaften in den Staaten könnten hingegen den Unterschied machen und die Regierungen drängen, eine klimagerechte, kooperative Lösung zusammen mit dem Globalen Süden zu befördern. Der Umweltjournalist George Monbiot vom britischen Guardian bringt es folgendermaßen auf den Punkt:

Fridays for Future hat es fast geschafft, wie Forscher feststellen, das politische System Europas in einen 'kritischen Zustand' zu versetzen. Die Wucht wurde durch die Pandemie unterbrochen. Der Kipppunkt ist bisher noch nicht überschritten worden. Da ich Zeuge der Macht, Organisation und Wut der Bewegungen in Glasgow war, gehe ich davon aus, dass die Schwungkraft wieder zunehmen wird.

Herr Goeßmann, mit dem Blick nach Glasgow - wer ist der größere Klimasünder: die USA oder China?
David Goeßmann: Immer wieder wird China an den Pranger gestellt. Das Land sei der größte Verschmutzer, es stoße heute ein Viertel der globalen Treibhausgase aus. Das ist zwar nicht falsch, jedoch eine irreführende Darstellung. Historisch gesehen hat China seit Beginn der Industrialisierung nur gut neun Prozent der Kohlendioxide ausgestoßen (viele davon in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren), während es auf die Zeit umgerechnet 22 Prozent der Weltbevölkerung beheimatete.
Wenn man das Gesamtbudget für ein Zwei-Grad-Ziel anlegt und die Emissionsmenge gerecht gemäß Bevölkerungsgröße aufteilt, hat China weiter jede Menge Emissionsrechte.
Die USA und die EU-Staaten sind hingegen schon lange "kohlenstoffinsolvent", wie eine Studie des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) bereits 2009 feststellte.
Sie nehmen sich aber einfach Emissionsrechte von den Entwicklungs- und Schwellenländern, während sie die Atmosphäre weiter übernutzen. Aus dieser historischen Ungleichheit ist bereits in den 1990er-Jahren das klimadiplomatische Prinzip der "gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung" hervorgegangen.
Es besagt im Kern, dass vor allem die Industriestaaten in der Pflicht sind, die Lösung der Krise herbeizuführen. Sie haben längst kein Budget mehr und müssen so schnell wie möglich dekarbonisieren und ihre Klimaschulden gegenüber dem Globalen Süden begleichen. Das tun sie aber nicht. Weder bei der Emissionsreduktion noch der Klimafinanzierung sind sie ihrer Verantwortung bis heute nachgekommen.
Zudem ist bei einem Klima-Vergleich nicht die absolute Menge entscheidend, sondern es sind die Pro-Kopf-Emissionen. Denn China hat 1,4 Milliarden Einwohner, Deutschland 85 Millionen, die USA 330 Millionen.
Klar, dass China insgesamt deutlich mehr emittiert. Relativ gesehen sieht die Lage anders aus. Selbst heute noch hat China einen deutlich niedrigeren Pro-Kopf-Verbrauch als die meisten Industriestaaten. Er liegt bei 6,6 Tonnen.
Deutsche verbrauchen knapp zehn Tonnen, US-Amerikaner stoßen jedes Jahr 17 Tonnen aus (eingerechnet der sogenannten Emissionstransfers, die entstehen, wenn zum Beispiel in China Waren hergestellt werden, die aber in den USA oder Europa verbraucht werden).
China ist wie alle Entwicklungs- und Schwellenländer Klimagläubiger der Industriestaaten, die wiederum CO₂-Schuldner des ärmeren Teils der Welt sind. Aber die Gläubiger zeigen mit dem Finger auf China, um von ihren Schulden abzulenken.
Sie zeigen dabei auf ein Land, das trotz weiter grassierender Armut sowie gemessen an seinen Möglichkeiten mehr in Erneuerbare Energien investiert als viele reiche Staaten des Westens. China ist nicht das Problem. Beijing plant sogar, genauso schnell, bis Mitte des Jahrhunderts, auf null Treibhausgase zu fahren wie die USA und die EU, obwohl sie die Atmosphäre bei Weitem nicht so mit Klimagiften vermüllt haben wie die Industriestaaten.
Kurz vor dem Winter bekommen viele Menschen die Energiewende konkret zu spüren: In Berlin sind die Gaspreise um 16 Prozent gestiegen, manche Versorger haben die Preise gar verdoppelt. Bekommen wir ein Energieproblem?
David Goeßmann: Die steigenden Gaspreise und die Energiepreiskrise haben nichts mit der Energiewende zu tun. Im Gegenteil. Die Blockierung des Umstiegs auf Erneuerbare ist ein wesentlicher Grund für die heutige Krise.
Denn wäre das Ausbautempo von Windkraft und Solarenergie von den Merkel-Regierungen nicht bewusst auf ein Minimum reduziert worden, könnten wir heute schon eine Vollversorgung mit Erneuerbaren haben.
Dann hätten wir das Problem mit den fossilen Preissteigerungen nicht. Denn Erneuerbare sind trotz der politisch eingebauten Bremsklötze heute die günstigste Energieform.
Die billigen Solar- und Windstrommengen an der Strombörse führten in den letzten Jahren sogar zum Verfall der Börsenstrompreise häufig unter drei Cent pro Kilowattstunde, doch die Stromkonzerne erhöhten die Gewinnmarge und damit auch die Stromkosten.
Mit Wärmepumpen, Solarthermie und Elektrifizierung der Heizkette und des Verkehrs hätte man sich komplett von den steigenden Gas- und Rohölpreisen unabhängig machen können, deren Anstieg natürlich nichts mit der Energiewende zu tun hat.
Schon heute ist das Autofahren mit Ökostrom nur noch halb so teuer wie mit Benzin oder Diesel. Auch die Heizkosten mit Ökostrom sind wesentlich günstiger als Erdöl- oder Erdgasheizungen. Doch nicht nur die Kosten pro erzeugter Kilowattstunde sind mit Erneuerbaren Energien geringer, sondern auch ein 100-prozentiges Erneuerbare-Energien-System, wie eine Studie der Energy Watch Group zeigt. [4]
Doch fossile Konzerne haben, seit Sonne- und Windenergie die politische Bühne betraten, das Märchen von der Energiewende bzw. des Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) als hauptsächlicher Energiepreistreiber in die Welt gesetzt. Das stimmt aber nicht.
Energieexperte Hans-Josef Fell erklärt, was hinter den Energiekosten tatsächlich steckt:

So betrugen im Jahre 2019 die Energiekosten für einen typischen Vierpersonenhaushalt ca. 370 Euro monatlich. Darin machten die Spritkosten für das Autofahren etwa 134 Euro, die Heizkosten etwa 135 Euro und die Stromkosten ‚nur‘ etwa 100 Euro aus. Die EEG-Umlage innerhalb der Stromkosten betrug etwa 20 Euro. Ein vergleichsweise kleiner Betrag, der aber in allen Debatten aufgebauscht wurde als der alles entscheidende Preistreiber.

Die Preissteigerung von Erdgas und Benzin beruht auf Förderquoten, Marktdynamiken und auf den Gewinnerwartungen derjenigen, die mit fossilen Energien Geschäfte machen, nicht auf der Energiewende.
Erneuerbare machen vielmehr die Energie schon jetzt billiger, vor allem, wenn man die externalisierten Unkosten von Kohle, Öl und Gas einrechnet. Die stehen zwar nicht auf der Strom- und Gasrechnung. Sie sind versteckt in unseren Steuerbescheiden und Gebührenabgaben, sodass die Bürger:innen ja nichts davon mitbekommen, wie teuer ihre fossile Energie tatsächlich ist.

Umstieg auf erneuerbare Energien binnen zehn Jahren

In der EU wird diskutiert, die Atomkraft als nachhaltige Energiequelle einstufen und so künftige Investitionen in diesem Bereich fördern …
David Goeßmann: Das ist eine unsinnige und falsche Idee. Atomstrom ist teuer, mit großen, nicht versicherbaren Risiken verbunden und auch nicht nachhaltig, da es bisher gar keine Endlagerlösung für den strahlenden Müll gibt.
Außerdem hat Atomkraft keinerlei Unterstützung in der Bevölkerung, jedenfalls nicht in Deutschland. Studien über Studien zeigen demgegenüber, dass ein schneller Komplettumstieg auf 100 Prozent Erneuerbare (Wind, Solar, Wasserkraft, Geothermie etc.) inklusive der Speicherkosten in zehn Jahren möglich und kostengünstiger ist als der Weiterbetrieb der fossil-atomaren Infrastruktur.
Der Umstieg wäre zudem am besten umsetzbar mit einer dezentralen, von den Kommunen und Genossenschaften selber betriebenen Erzeugung von und Versorgung mit Energie, die ihnen auch ökonomisch zugutekommen würde. Das Geld aus den Windrädern können die Bürgermeister:innen für Schulen und die Gesundheitsversorgung ausgeben.
Wenn wir in der EU aber schon jetzt Versorgungsprobleme haben – und die sind ja offensichtlich –, wird der Ausstieg aus Kohle und Gas diesen Trend nicht noch verschärfen?
David Goeßmann: Wie gesagt, der Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare ist technisch und ökonomisch sofort und schnell möglich. Es wird dabei keine Versorgungslücke geben. Vielmehr wird mit dem Umschwung, der viel früher hätte passieren müssen, Versorgungssicherheit erst garantiert, die die fossilen Energieträger immer weniger bieten können.
Im Übrigen ist die fossile Versorgungssicherheit ja immer das Produkt militärisch-ökonomischer Macht, Förder- und Transitländer unter Druck setzen zu können, genügend Brennstoffe zu einem akzeptablen Preis bereitzustellen.
Es gibt auch kein Umsetzungsproblem, das Engpässe erzeugen würde. Die Erneuerbaren-Technologien sind alle vorhanden und erprobt in Betrieb. Die notwendigen Speicher sind längst kein Problem mehr.
Beim Heizen gibt es Wärmepumpen und andere Substitute wie nicht-fossile Blockheizkraftwerke, die Gas, Kohle und Öl umgehend ersetzen können.
Politisch gibt es eine Reihe von Instrumentarien wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das nur von seinen Ketten befreit werden muss, um die Ausbaudynamiken der 2000er wiederzubeleben. Es gibt auch erste Pilotprojekte für den schnellen Umstieg.
Im Ahrtal, das von Überschwemmung schwer getroffen wurde, die Schäden von bis zu 30 Milliarden Euro angerichteten, gibt es nun die Initiative SolAHRtal, die einen klimaneutralen Wiederaufbau organisiert. Eine Studie zeigt, dass das in zehn Jahren kostengünstig machbar ist.
Derartige Technikrevolutionen in wenigen Jahren sind historisch gesehen nichts Außergewöhnliches. Die Ablösung der Pferdekutschen durch Autos, die Einführung des PCs oder des Mobilfunks benötigten ein Jahrzehnt, um sie flächendeckend zu verbreiten und immer leistungsfähiger zu machen.
Das muss jetzt mit der CO₂-freien Energietechnologie ebenfalls geschehen. Die Alternative ist eine immer teurere und volatiler werdende fossile Energieversorgung, die durch Förderengpässe, Willkür von Förderländern oder Störungen von Pipelines und Handelswegen gefährdet wird.
Hinzu kommt, dass Kohle, Öl und Gas immer aufwändiger gefördert werden müssen (man spricht von unkonventionellen Reserven wie den Schiefersand in Kanada oder Tiefseebohrungen), die daher zunehmend ineffizienter und kostenintensiver werden.
Dagegen sind Wind, Sonne und Erdwärme überall reichlich vorhanden. Es gibt keinen Mangel an erneuerbaren Energien und Ökostrom.
Doch die geschürte Angst vor der Versorgungslücke hält sich beharrlich. Dabei sind die Energiewende-Skeptiker längst historisch widerlegt worden.
So wurde immer wieder propagiert, dass mehr als fünf Prozent Anteil von Erneuerbaren am Strom-Mix nicht machbar seien. Die Potenziale für den Ausbau von Wind- und Solarenergie wurden ständig kleingeredet. Heute haben wir einen Anteil von Ökostrom von 50 Prozent, trotz der Unkenrufe, trotz der politische Bremsmanöver.
Der schnelle Umstieg auf 100 Prozent ist machbar, billiger, wird die Wirtschaft beleben, schafft Arbeitsplätze und rettet den Planeten. Letztlich gibt es auf einem toten Planeten auch keine Versorgungslücke mehr, weil sich dann eine ganz andere Lücke auftut.
Erdgas wird gemeinhin als Brückentechnologie angepriesen. Sie lehnen dieses Argument ebenso ab wie die These, Gas sei weniger klimaschädlich als Kohle. Warum?
David Goeßmann: Das Argument, dass Gas weniger klimaschädlich sei als Kohle und als Brücke benötigt werde, ist seit Langem überholt und war nie wirklich zutreffend. Studien zeigen, dass bei der Förderung von Erdgas unter anderem Methan freigesetzt wird. Je
nachdem, wie hoch man das Entweichen des aggressiven Treibhausgases ansetzt, ist Erdgas kaum weniger klimaschädlich als Kohle. Inklusive der "indirekten Emissionen" werden bis zu 40 Prozent mehr Emissionen als durch den reinen Verbrennungsakt ausgestoßen.
So errechnete das DIW, dass, selbst wenn die Bundesrepublik ihr zu niedriges Klimaziel bis 2050 erreichen will, der Erdgasbedarf bis dahin um 73 Prozent sinken müsste. Für die EU-Staaten gilt Ähnliches.
Die Ostseepipeline Nord Stream II, durch die zusammen mit dem ersten Röhrenstrang insgesamt 110 Millionen Kubikmeter Gas jedes Jahr strömen können, soll demgegenüber die Nachfrage an Gas noch forcieren.
Die Alternative ist also: Entweder wird Nord Stream ein Investitionsgrab für die beteiligten Unternehmen oder eine weitere Lunte, die an die globale Klimabombe gelegt wird.

Technologien für Energiewende liegen vor

Werden wir also die Energiewende haben, aber im Winter frieren?
David Goeßmann: Es gibt genügend bessere Alternativen, als mit Kohle, Gas und Öl zu heizen. Die Technologien wie Solarthermie, Wärmepumpen mit Geothermie, grüne Blockheizkraftwerke liegen alle auf dem Tisch und müssen nur in Masse umgesetzt werden.
Das kann in kurzer Zeit geschehen. Wir werden jedoch mehr als frieren, wenn wir weiter auf fossile Energien setzen, die wir aus irgendwelchen Tiefen der Erde mühsam kratzen und heraufbefördern, tausende Kilometer weit durch Röhren pumpen oder auf Containerschiffe verfrachten, in Raffinerien überhaupt erst brauchbar machen, dann zu Kraftwerken, Tankstellen und Häusern schleppen, um sie in irgendwelchen, im Vergleich zu der Energieausbeute von erneuerbar erzeugtem Strom ineffizienten Verbrennungsvorgängen in Energie umzuwandeln.
Es ist ein Auslaufmodell, das künstlich mit Steuergeldern rentabel gehalten wird. Wenn wir weiter daraufsetzen, werden wir schon bald keinen Planeten mehr haben, auf dem ein anständiges Leben für die meisten möglich ist. Dann wird frieren unser kleinstes Problem sein.
Herr Goeßmann, in Ihrem Buch Kurs Klimakollaps treten Sie zahlreichen Vorurteilen und Mythen über die Energiewende entgegen. Entscheiden am Ende nicht aber Marktentwicklung und Preisexplosion bei den Heizkosten und Tankstellen statt Argumente?
David Goeßmann: Bevor ich auf die Frage eingehe: Märkte und Preise entscheiden nur zu einem Teil über ökonomische Vorgänge. Der dynamische Teil des real existierenden Kapitalismus liegt im Staatssektor. Das wissen Ökonomen auch, aber es wird nicht gern an die große Glocke gehängt, vor allem nicht von den marktradikalen Neoliberalen.
Fast alle wesentlichen Technologien von Autos, Rundfunk, Computern, Containern, Internet usw. sind kollektive Erfindungen. Sie sind entwickelt worden im Staatssektor, in Universitäten oder Forschungsinstituten, mit Steuergeldern. Auch Kohle, Gas und Öl haben massiv von öffentlichen Finanzierungen gezehrt.
Ohne die staatliche Unterstützung, die Bereitstellung von Infrastrukturen, hätten sich die fossilen Energien niemals auf Märkten durchsetzen können. Die fossilen Industrien sind heute noch derart unwirtschaftlich und ineffektiv, trotz der staatlichen Dauerunterstützung, dass sie weiter massiv subventioniert werden müssen, um bezahlbare Energie bereitstellen zu können.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in einer Studie berechnet, dass Kohle, Gas und Öl jedes Jahr mit direkten und indirekten Subventionen in Höhe von sechs Billionen Dollar unter die Arme gegriffen wird.
In Deutschland sind es nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) rund 50 Milliarden Euro jedes Jahr. Ohne die Steuergelder würden die fossilen Industrien auf den Märkten sofort zusammenbrechen.
Ihre Frage suggeriert, dass mit der Energiewende die Preise für Benzin, Gas und Kohle teurer werden und die Bürger:innen beim Heizen, beim Strom und Tanken deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen. Das wäre aber nur der Fall, wenn die Preise einfach ansteigen würden (z.B. durch einen höheren CO₂-Preisaufschlag), es aber weder eine soziale Umverteilung der zusätzlichen Einnahmen noch die Bereitstellung einer besseren, bezahlbaren Alternative gibt.
Genau das ist jedoch der Kern der Energiewende, die nur stattfinden wird, wenn sie sozial abläuft. Letztlich ersetzt die Wende die teuren fossilen Energieträger durch erneuerbare, die billiger sind.
Heute kostet Solarstrom vier bis acht Cent, je nach Anwendung, und nicht mehr wie früher noch zwei D-Mark pro Kilowattstunde. Und auch E-Autos sind, wie zuvor erwähnt, in Betrieb billiger als Verbrenner, Ökostromheizungen günstiger als die fossilen Heizungen. Es ist also eine Transformation zu einer billigeren Energieversorgung.
Die Energiewende setzt gleichzeitig zusätzliche Gelder frei. So wird der teure Betrieb der fossilen Infrastruktur schrumpfen, was enorme Kosten einsparen wird. Auch die schrittweise Rückführung der fossilen Subventionen in Höhe von 50 Milliarden Euro sowie die Einnahmen durch den CO₂-Preis stehen dem Staat natürlich extra zur Verfügung.
Damit kann einerseits ein soziales Energiegeld an die Bürger:innen gezahlt werden, um den Übergang gerecht und kostenneutral zu gestalten, während CO₂-schonendes Verhalten sogar belohnt werden kann.
Andererseits werden die billigeren Energie-Alternativen zum Durchbruch gebracht, indem Kohlestrom, Gasheizungen und Benziner ersetzt werden durch effizientere Technologien. Die Bürger:innen fahren dann mit E-Autos oder öffentlichem Verkehr, produzieren ihren eigenen Solarstrom und heizen mit der Wärme von grünen Kraftwerken, Wärmepumpen oder Solarthermie.
Die Preise an den Tankstellen, die Stromrechnungen von RWE & Co. wie die der Gasversorger werden also immer irrelevanter. Sobald diese Dynamik einmal gestartet worden ist, werden die bisher fossil ausgerichteten Märkte weg von Kohle, Gas und Öl hin zu den Erneuerbaren drängen, was wiederum alles effizienter und noch billiger macht.
Es ist die übliche Dynamik, die man bei anderen Technologieeinführungen beobachten konnte. Schauen Sie sich Ihr Smartphone an und vergleichen Sie es mit einem Handy vor zehn Jahren.

Warum stimmen die Menschen gegen einen Green Deal?

Nach fast 300 Seiten schreiben Sie, die radikalen Green New Deals fänden "ebenfalls großen Zuspruch in der Bevölkerung, in Europa wie in den USA". Wieso wurde Klimaleugner Donald Trump dann gewählt und weshalb ist die AfD mit vergleichbaren Positionen aus der Bundestagswahl jüngst gestärkt hervorgegangen?
David Goeßmann: Bei der Bundestagswahl haben 70 Prozent der zur Wahl gegangenen Deutschen für ein Weiter-So in Sachen Klimaschutz gestimmt, nicht für mehr Klimaschutz und eine Energiewende. In den USA hat sich Joe Biden, der auf Druck der Sunrise-Bewegung einen Green New Deal Light versprechen musste, hauchdünn gegenüber dem Klimaleugner Donald Trump durchsetzen können.
Beide Wahlen waren, obwohl im Vorfeld Klima zum ersten Mal zumindest auf der politischen Agenda stand, wenn auch nur am Rand, keine Klimawahlen. Letztlich spiegeln beide Wahlen, sicherlich unterschiedlich, eine gesellschaftliche Verunsicherung, die sich in Wut auf das politische System, aber auch Sehnsucht nach Normalität ausdrückt.
Forderung nach mehr Klimaschutz und einer radikalen Energiewende hatten es in diesem Umfeld schwer, den verunsicherten Bevölkerungen nach Jahrzehnten der Destabilisierung Halt zu bieten, vorwiegend vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie.
Der Hauptgrund dafür liegt in einer vollkommen dysfunktionalen Öffentlichkeit und einer sich auszehrenden politischen Klasse, die unfähig ist, die multiplen Krisen rational zu adressieren, mit entsprechenden Maßnahmen zu mindern und die Lösungen nach außen angemessen zu kommunizieren.
Umfragen zeigen uns jedoch deutlich, dass eine Mehrheit der Bürger:innen in den USA für einen Green New Deal ist, für mehr Klimaschutz, obwohl sie zu Protokoll geben, dass sie noch nie davon gehört haben.
Was einiges über das systematische Versagen des US-amerikanischen Mediensystems verrät. In Deutschland ist die Unterstützung für eine Energiewende, für Solar- und Windenergie, seit vielen Jahren mehrheitlich in der Bevölkerung verankert. Es gibt eine breite Akzeptanz dafür.
Der Grund für die Diskrepanz zwischen öffentlicher Meinung und den Wahlergebnissen wurzelt meines Erachtens vorwiegend darin, dass die Bevölkerung über Klimaschutz, Energiewende und Klimakrise permanent desinformiert worden ist.
Die Bürger:innen sind über Jahrzehnte diverser Propaganda ausgesetzt worden, die bis heute ihre Wirkung zeigt. So haben Regierungen, Parteien und Medien Klimaschutz nie zu einem politischen Thema gemacht. Klimapolitik wurde in Deutschlands wie in allen Industriestaaten förmlich aus der politischen Arena verbannt, obwohl damit eine der drängendsten Fragen für das Überleben der Menschheit verbunden ist.
So war die Klimakrise bis zu den Klimaprotesten 2019 nie ein Wahlkampfthema. Der Kurs Klimakollaps der reichen Länder, auf dem wir uns weiter befinden, hat weder die Talkshows noch die TV-Abendnachrichten, weder die Leitartikler noch die Titelstory-Macher interessiert. Die Journalisten gingen stumm daran vorbei und wuschen die Klimapolitik der eigenen Regierung grün.
Gleichzeitig wurde immer wieder Stimmung gemacht gegen Klimaschutz und die Energiewende. Der Umstieg auf Erneuerbare, so hieß es vom Spiegel bis zu den Lokalzeitungen, wäre nicht umsetzbar, führe zu Luxusstrom, sei sozial ungerecht und belaste hauptsächlich die unteren Schichten.
Die Energiewende wurde fast durchgängig gerahmt als eine Belastung für die Ökonomie, als Angriff auf Wohlstand und Industriegesellschaft. Letztlich sei das Ganze ein Yuppie-Problem für urbane Ökos, das die Arbeiter:innen und Normalbürger:innen nichts angehe.
Auch bei den Triellen im Wahlkampf wurde, wenn überhaupt, von einer Belastung durch Klimaschutz gesprochen. Immer ging es um Verzicht und die hohen Kosten der Wende.
Wobei uns alle Klimaökonomen sagen, dass kein Klimaschutz das teuerste ist, Wirtschaftskraft in bisher nicht gekannter Weise vernichten wird bis hin zum kompletten Kollaps unserer gesellschaftlichen Systeme.
Die Menschen sind für einen fairen Green New Deal und die Energiewende zu gewinnen, wenn man ihnen erklärt, worum es geht. Das belegen die Umfragen, das zeigt uns die weltweite Mobilisierung für echten Klimaschutz. Aufklärung, Information, aber auch die Mobilisierung von Schichten, die bisher dem Klimathema fremd gegenüberstehen, sind daher zentral, um den Kampf gegen die fossilen Industrien gewinnen zu können.
Ihre Infrastruktur ist 25 Billionen Dollar oder nichts mehr wert, je nachdem, woher der politische Wind weht. Ein Jahrzehnt bleibt, um die Kursänderung hinzubekommen und das Schlimmste zu verhindern.
Es gibt Hoffnung zu sehen, dass immer größere Teile der Zivilgesellschaft sich diesem Kampf anschließen, einschließlich Gewerkschaften wie in Glasgow die Streikende der schottischen Bahn.

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[3] https://www.eulenspiegel.com/verlage/das-neue-berlin/titel/kurs-klimakollaps.html
[4] https://www.energywatchgroup.org/wp-content/uploads/Kurzstudie-Energiekosten-2021.pdf