"Steigende Gaspreise haben nichts mit der Energiewende zu tun"
- "Steigende Gaspreise haben nichts mit der Energiewende zu tun"
- Umstieg auf erneuerbare Energien binnen zehn Jahren
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Der Sachbuchautor David Goeßmann über die Bilanz der UN-Klimakonferenz in Glasgow, Klimaschuldner und -gläubiger und die Energiepreiskrise
David Goeßmann, geboren 1969 in Rüthen (Westfalen), studierte Germanistik und Philosophie in Berlin. Als Journalist war er unter anderem für den Deutschlandfunk, die Deutsche Fernsehnachrichten Agentur, ntv, CNN Deutschland und N24 tätig. Von 2005 bis 2007 arbeitete er als freier Auslandskorrespondent in den USA für den ARD-Hörfunk, Spiegel Online und Die Welt. Als Autor lieferte er Beiträge für die TV-Magazine ZDF WISO, Frontal 21 und ZAPP. Dieses Jahr erschien von ihm im Verlag Das Neue Berlin "Kurs Klimakollaps".
Auszug aus dem Buch Kurs Klimakollaps: "Rechter Kulturkampf gegen die Klimakrise"
Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow ist unlängst deutlich geworden, dass die Klimafrage zu einem Thema der Geopolitik wird. In einem Bericht der US-Geheimdienste zu den Folgen von Klimawandel und Erderhitzung werden diese Phänomene gar als Gefahr für die nationale Sicherheit bezeichnet. Wäre nicht mehr Kooperation nötig?
David Goeßmann: Zuerst einmal: Wenn US-Geheimdienst über nationale Sicherheit sprechen, dann ist damit nicht die Sicherheit von einem Fabrikarbeiter in Kansas City oder einer Verkäuferin in der Bronx gemeint. "Nationale Sicherheit" ist ein Codewort für mächtige Interessengruppen, die den politischen Kurs in den USA dominieren.
In der Geopolitik bezieht sich "nationalen Sicherheit" auf die Kontrolle über Regionen, die von den USA für wichtig erachtet werden. In einem Papier des Außenministeriums an den damaligen US-Präsidenten Harry Truman hieß es schon 1945, dass in der Golfregion eine "überwältigende Quelle strategischer Macht und einer der größten materiellen Gewinne in der Weltgeschichte" zu finden seien.
Die Kontrolle über die dort lagernden Ressourcen wird durch die Klimakrise nun tatsächlich gefährdet. Erstens: Die Förderung fossiler Brennstoffe muss zur Stabilisierung der Erdtemperatur kontinuierlich abnehmen, um bis spätestens zur Jahrhundertmitte auf null zu kommen. Nur dann haben wir eine Chance, unter zwei Grad Celsius Erderhitzung zu bleiben. Das würde unmittelbar die ökonomischen Interessen eines mächtigen Teils der US-Industrie, deren Vormachtstellung auf der Ölindustrie und der Kontrolle über fossile Ressourcen aufbaut, infrage stellen.
Zugleich wird auch die militärische Dominanz untergraben. Denn das US-Militär ist der größte Einzelnachfrager nach fossilen Brennstoffen. Ohne Öl wird es schwer werden, die Armada an Panzern, Kampfjets, Militärfahrzeugen, Raketen und Waffensystemen aufrecht zu halten.
Und drittens: Die Effekte der Erderhitzung wie schwere Dürren, Überschwemmungen und Stürme, wie sie bereits stattfinden und in Zukunft zunehmen, beeinflussen jetzt schon die wirtschaftliche und politische Stabilität ganzer Regionen. Der Konflikt in Syrien wurde zum Beispiel entzündet durch jahrelange Dürren. Solche chaotischen Entwicklungen machen es für die USA schwerer, Kontrolle über strategisch wichtige Zonen zu behalten.
Weiterhin befördert die eskalierende Klimakrise Proteste gegen die fossile Hegemonie der USA. Klimagerechtigkeitsbewegungen erhalten zunehmend Macht, kämpfen global wie in den USA für ein anderes, dezentrales und demokratisches Energiesystem, welches zu einem Machtverlust der fossilen Businessklasse in den Vereinigten Staaten führen würde.
Die Kämpfe um den klimaneutralen Infrastrukturumbau im US-Kongress, das Pushen von Green-New-Deal-Bewegungen sowie -Politiker:innen, zeigen den Grad der Gefährdung der "nationalen Sicherheit". Die Bewahrung von fossilen Profiten für ExxonMobil, Koch Brothers & Co. trifft zunehmend auf Gegenkräfte, bei denen nicht ausgemacht ist, wann sie den Ölhahn zudrehen können.Die nationalen Interessen stehen der Lösung der Klimakrise also entgegen.
David Goeßmann: Eine Lösung der Klimakrise wird es nur geben können, wenn diese "nationalen Interessen" überwunden werden und internationale Kooperation an ihre Stelle tritt. Die USA haben aber bisher diese Zusammenarbeit blockiert. Das lässt sich an der Klimadiplomatie und den 26 Klimagipfeln seit den 1990er-Jahren ablesen.
Das Kyoto-Abkommen haben die USA erst verwässert und sind später daraus ausgestiegen. In Kopenhagen 2009 hat die Obama-Administration durchgesetzt, dass es keine verpflichtenden Klimaziele mehr gibt.
Die Entwicklungsländer wurden im Regen stehen gelassen mit ihren Bedürfnissen und Forderungen nach Klimagerechtigkeit, brüskiert mit unfairen Reduktionsforderungen, Alleingelassen mit den Klimaschäden, die die Industriestaaten hauptsächlich verursacht haben, und abgespeist mit Almosen, die meist zudem nicht einmal zusätzliche Zahlungen sind. Das gilt bis heute, trotz der umjubelten Klimagipfel von Paris bis Glasgow.
Es wird auch im Zuge der COP26 (Conference of the Parties) in Glasgow wieder über die Klimatreffen der USA mit China geredet. Die Gespräche werden dann meist als positives Zeichen für Klima-Kooperation gewertet. Sicherlich sind diese beiden Staaten ein zentraler Schlüssel, um die Welt vor den schlimmsten Folgen der Erderhitzung zu bewahren.
Es ist daher gut, dass sie miteinander reden. Wir sehen aber, dass das bilaterale Verhältnis der beiden Staaten in Sachen Klimapolitik toxisch ist. Da die USA kein Interesse an echtem Klimaschutz haben und bremsen, setzen sie die chinesische Regierung immer wieder in solchen Treffen unter Druck, Forderungen gegenüber den Industriestaaten in Sachen Emissionsreduktion, Klimafinanzierung und Entschädigung fallen zu lassen.
Gleichzeitig ist China beim Klimaschutz auf "Anreize" von außen, in Form von technischer und ökonomischer Zusammenarbeit und Hilfe vonseiten der Industriestaaten, angewiesen, um schneller zu dekarbonisieren. Daher führen die Treffen wie COP26 in Glasgow bisher zu keinem Fortschritt, sondern bieten nur Fassadenpolitik ohne Inhalt.
Irreführende Darstellung zu China
Was also tun?
David Goeßmann: Europa könnte hingegen einen alternativen Weg beschreiten und eine echte Allianz mit der G77-Verhandlungsgruppe, ein Zusammenschluss von 130 Entwicklungsländern, dem auch China angehört, und den Inselstaaten formen.
Das ist bisher nicht geschehen und wird auch nicht automatisch passieren, da in der EU die fossilen Lobbys weiter über sehr viel Einfluss verfügen und den Prozess verlangsamen.
Die Klimabewegungen und die Zivilgesellschaften in den Staaten könnten hingegen den Unterschied machen und die Regierungen drängen, eine klimagerechte, kooperative Lösung zusammen mit dem Globalen Süden zu befördern. Der Umweltjournalist George Monbiot vom britischen Guardian bringt es folgendermaßen auf den Punkt:
Fridays for Future hat es fast geschafft, wie Forscher feststellen, das politische System Europas in einen 'kritischen Zustand' zu versetzen. Die Wucht wurde durch die Pandemie unterbrochen. Der Kipppunkt ist bisher noch nicht überschritten worden. Da ich Zeuge der Macht, Organisation und Wut der Bewegungen in Glasgow war, gehe ich davon aus, dass die Schwungkraft wieder zunehmen wird.
Herr Goeßmann, mit dem Blick nach Glasgow - wer ist der größere Klimasünder: die USA oder China?
David Goeßmann: Immer wieder wird China an den Pranger gestellt. Das Land sei der größte Verschmutzer, es stoße heute ein Viertel der globalen Treibhausgase aus. Das ist zwar nicht falsch, jedoch eine irreführende Darstellung. Historisch gesehen hat China seit Beginn der Industrialisierung nur gut neun Prozent der Kohlendioxide ausgestoßen (viele davon in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren), während es auf die Zeit umgerechnet 22 Prozent der Weltbevölkerung beheimatete.
Wenn man das Gesamtbudget für ein Zwei-Grad-Ziel anlegt und die Emissionsmenge gerecht gemäß Bevölkerungsgröße aufteilt, hat China weiter jede Menge Emissionsrechte.
Die USA und die EU-Staaten sind hingegen schon lange "kohlenstoffinsolvent", wie eine Studie des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) bereits 2009 feststellte.
Sie nehmen sich aber einfach Emissionsrechte von den Entwicklungs- und Schwellenländern, während sie die Atmosphäre weiter übernutzen. Aus dieser historischen Ungleichheit ist bereits in den 1990er-Jahren das klimadiplomatische Prinzip der "gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung" hervorgegangen.
Es besagt im Kern, dass vor allem die Industriestaaten in der Pflicht sind, die Lösung der Krise herbeizuführen. Sie haben längst kein Budget mehr und müssen so schnell wie möglich dekarbonisieren und ihre Klimaschulden gegenüber dem Globalen Süden begleichen. Das tun sie aber nicht. Weder bei der Emissionsreduktion noch der Klimafinanzierung sind sie ihrer Verantwortung bis heute nachgekommen.
Zudem ist bei einem Klima-Vergleich nicht die absolute Menge entscheidend, sondern es sind die Pro-Kopf-Emissionen. Denn China hat 1,4 Milliarden Einwohner, Deutschland 85 Millionen, die USA 330 Millionen.
Klar, dass China insgesamt deutlich mehr emittiert. Relativ gesehen sieht die Lage anders aus. Selbst heute noch hat China einen deutlich niedrigeren Pro-Kopf-Verbrauch als die meisten Industriestaaten. Er liegt bei 6,6 Tonnen.
Deutsche verbrauchen knapp zehn Tonnen, US-Amerikaner stoßen jedes Jahr 17 Tonnen aus (eingerechnet der sogenannten Emissionstransfers, die entstehen, wenn zum Beispiel in China Waren hergestellt werden, die aber in den USA oder Europa verbraucht werden).
China ist wie alle Entwicklungs- und Schwellenländer Klimagläubiger der Industriestaaten, die wiederum CO₂-Schuldner des ärmeren Teils der Welt sind. Aber die Gläubiger zeigen mit dem Finger auf China, um von ihren Schulden abzulenken.
Sie zeigen dabei auf ein Land, das trotz weiter grassierender Armut sowie gemessen an seinen Möglichkeiten mehr in Erneuerbare Energien investiert als viele reiche Staaten des Westens. China ist nicht das Problem. Beijing plant sogar, genauso schnell, bis Mitte des Jahrhunderts, auf null Treibhausgase zu fahren wie die USA und die EU, obwohl sie die Atmosphäre bei Weitem nicht so mit Klimagiften vermüllt haben wie die Industriestaaten.
Kurz vor dem Winter bekommen viele Menschen die Energiewende konkret zu spüren: In Berlin sind die Gaspreise um 16 Prozent gestiegen, manche Versorger haben die Preise gar verdoppelt. Bekommen wir ein Energieproblem?
David Goeßmann: Die steigenden Gaspreise und die Energiepreiskrise haben nichts mit der Energiewende zu tun. Im Gegenteil. Die Blockierung des Umstiegs auf Erneuerbare ist ein wesentlicher Grund für die heutige Krise.
Denn wäre das Ausbautempo von Windkraft und Solarenergie von den Merkel-Regierungen nicht bewusst auf ein Minimum reduziert worden, könnten wir heute schon eine Vollversorgung mit Erneuerbaren haben.
Dann hätten wir das Problem mit den fossilen Preissteigerungen nicht. Denn Erneuerbare sind trotz der politisch eingebauten Bremsklötze heute die günstigste Energieform.
Die billigen Solar- und Windstrommengen an der Strombörse führten in den letzten Jahren sogar zum Verfall der Börsenstrompreise häufig unter drei Cent pro Kilowattstunde, doch die Stromkonzerne erhöhten die Gewinnmarge und damit auch die Stromkosten.
Mit Wärmepumpen, Solarthermie und Elektrifizierung der Heizkette und des Verkehrs hätte man sich komplett von den steigenden Gas- und Rohölpreisen unabhängig machen können, deren Anstieg natürlich nichts mit der Energiewende zu tun hat.
Schon heute ist das Autofahren mit Ökostrom nur noch halb so teuer wie mit Benzin oder Diesel. Auch die Heizkosten mit Ökostrom sind wesentlich günstiger als Erdöl- oder Erdgasheizungen. Doch nicht nur die Kosten pro erzeugter Kilowattstunde sind mit Erneuerbaren Energien geringer, sondern auch ein 100-prozentiges Erneuerbare-Energien-System, wie eine Studie der Energy Watch Group zeigt.
Doch fossile Konzerne haben, seit Sonne- und Windenergie die politische Bühne betraten, das Märchen von der Energiewende bzw. des Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) als hauptsächlicher Energiepreistreiber in die Welt gesetzt. Das stimmt aber nicht.
Energieexperte Hans-Josef Fell erklärt, was hinter den Energiekosten tatsächlich steckt:
So betrugen im Jahre 2019 die Energiekosten für einen typischen Vierpersonenhaushalt ca. 370 Euro monatlich. Darin machten die Spritkosten für das Autofahren etwa 134 Euro, die Heizkosten etwa 135 Euro und die Stromkosten ‚nur‘ etwa 100 Euro aus. Die EEG-Umlage innerhalb der Stromkosten betrug etwa 20 Euro. Ein vergleichsweise kleiner Betrag, der aber in allen Debatten aufgebauscht wurde als der alles entscheidende Preistreiber.
Die Preissteigerung von Erdgas und Benzin beruht auf Förderquoten, Marktdynamiken und auf den Gewinnerwartungen derjenigen, die mit fossilen Energien Geschäfte machen, nicht auf der Energiewende.
Erneuerbare machen vielmehr die Energie schon jetzt billiger, vor allem, wenn man die externalisierten Unkosten von Kohle, Öl und Gas einrechnet. Die stehen zwar nicht auf der Strom- und Gasrechnung. Sie sind versteckt in unseren Steuerbescheiden und Gebührenabgaben, sodass die Bürger:innen ja nichts davon mitbekommen, wie teuer ihre fossile Energie tatsächlich ist.